Kriegsgeschichte Deutschlands im Neunzehnten Jahrhundert von Dr. k. c. Colinar Lreiherrn v. d. Golh I. Teil: Im ^>e' lter Napoleons Erstes bis viertes Tausend Bevlin Georg Bondi ^?>o politische Geschichte Deutschlands im Neunzehnten Jahrhundert von Univ.-Professor Dr. Georg Aaufmann 703 Seiten, gr. g", mit 21, Porträts Broschiert M. ^o.—, in Halbfranz gebunden M. ^2.so. ...... Zu dem klaren Blick, der hohen Gesinnung und unbedingten Ehrlichkeit, die dem wahren Geschichtsforscher eigen sind, treten nun aber bei Aaufmann auch die Eigenschaften, die jenen zum Schriftsteller machen: die Fähigkeit, den ungeheuren Stoff zu wirksamen Gruppen zusammenzufassen, reine Umrisse zu zeichnen, den entworfenen Bildern die Farbe und Fülle des Lebens zu verleihen, und vor allem die Sicherheit des Künstlers, die in jedem einzelnen Falle das treffendste, anschaulichste Wort findet und über dem einzelnen doch niemals den Bli^ aufs Ganze verliert. Es ist ein Buch voll Geist und Eharakter, ein Werk gründlicher Forschung, Heller Einsicht und wahrer Vaterlandsliebe, wie wir deren wenige besitzen. Wer es einmal gelesen hat, der wird es immer wieder gern zur Hand nehmen und immer wieder Belehrung und Erquickung daraus schöpfen." (Professor Gott hold Ulee i. d. Zeitschrift f. d, deutschen Unterricht.) „Ein Buch, hinter dem eine markige, von lauterer Wahrheitsliebe erfüllte Persönlichkeit steht. Jede Zeile zeugt von der Gesinnung des Autors, der es verschmäht, sich in den Mantel einer gesuchten Objektivität zu hüllen, der vielmehr als Berater und Warner seines Volkes dessen Geschichte erzählen will. Wo er einem reinen Wollen begegnet, da schwillt seine Rede — dieses Wort paßt auf seine Darstcllungsform besser als der fremde Ausdruck Stil — zu freudigem Triumphe an; die Gemeinheit faßt er heftig an und scheut beim Urteil über sie auch nicht vor einem kräftigen Haß- und Scheltwort zurück. Nicht der Rhetor, wohl aber der Redner hat hier zu der Feder des Geschichtsschreibers gegriffen." (Professor Heinrich Friedjung i. d. Münchner Allgemeinen Zeitung.) ...... Vhne Zweifel ist es bisher die einzige zusammenfassende Darstellung der deutschen Geschichte des l,y. Jahrhunderts, die wissenschaftlichen Wert hat, und steht weit höher, als die rein populären Schriften über den gleichen Gegenstand." (Jahresberichte f. neuere deutsche Literaturgeschichte.) /^^eMc7^/es^//e ^/-/^^^/'cF/^ ^Ve^cM???^ ^. , Stt ^/'^^e^/cF/e Ae^cMz??^ ^»^/ » ,___» //n /.v,, "0»^ ^ o,^^c^>^ ^> >/e^^e^/'cF/e AettAcMr/^ ^ZX'»?«/??-/?«/^/^. ^. , ött /» /o so/c^l D ^-^WÄ^ ^^'^Ä'' > »^ckS-'A-^- ^ .ist^n O ^^_/ u--' .j - ! ^ ^i»»^!^—S^WiS ^»v^° ^»»«« " ^<^„ ^ q,,. .. 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Golh Kriegsgeschichte Deutschlands im neunzehnten Jahrhundert I. Teil: Im Zeitalter Napoleons Berlin Georg Bondi ;s;o Kriegsgeschichte Deutschlands im Neunzehnten Jahrhundert von Lolrnar Lreiherrn v. d. Gslh I. Teil: Im Zeitalter Napoleons Mit 5 Übersichtskarte und b0 Textskizzen Erstes bis viertes Tausend Berlin Georg Bondi iyio Inhalt I. Das preußische Heer in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ............... Friedrich II. erhob Preußen zur Großmacht 1. Das Heer seines Vaters 1. Werbung und Kantonpflicht 3. Schwächen der Heeresverfassung 4. Friedrich der Große mußte schnelle Entscheidungen suchen 4. Die schräge Schlachtordnung S. Künstlichksit der Fechtweise 5. Zweckmäßige Anwendung durch Friedrich und seine Generale 5. Der ungestüme Offensivgeist ß. Zusammenwirken der Waffen 7. Soldatenerziehung 7. Preußen das Vorbild Europas 7. Das Mittel wird Selbstzweck 7. Aufmarsch großer Truppenmassen in bestimmter Front Hauptgegenstand der Übungen 8. Übertreibung der Manövrierkunst 9. Innere Dürftigkeit des Heerwesens 9. Teuerung und ungenügende Lohnung 10. Sorge Friedrich Wilhelms III. vor Vermehrung der Staatsschuld 10. Gedrückte Stellung der Armee im Staate II. Bewegung auf dem Gebiet der Fechtweise 11. Die Lehre vom Kriege sollte wissenschaftlicher werden 12. Militärbildungsmesen uud Militärliteratur 12. Entartung der Kriegführung 13. Der bayerische Erbfolgekrieg und die Rheinseldzüge 13. Der polnische Feldzug 1794. Das Jahr 1805 14. Neue Fechtweise in Frankreich 15. Die Truppen werden beweglicher und unabhängiger von ihren Verbindungen 16. Umwandlung der Kriegführung 16. Bonapartes Erscheinen 16. Freiwerden der moralischen und intellektuellen Kräfte 17. Das war es, was man übersehen hatte und mit Schrecken erst in einer großen Katastrophe erkennen sollte 17. II. Der Krieg von 1806 und 1807 ........ 1. Einleitung............... Der Friede von Basel 18. Erklärung für den Rücktritt von der ersten Koalition gegen Frankreich 18. Er hätte gute Folgen haben können 18. Die Gelegenheit wird nicht benutzt 19. Keine ernste Armeereform 19. Neutralitätspolitik 19. Bonaparte täuscht den König 20. Friedrich Wilhelms III. Friedensliebe 20. Fernbleiben von der zweiten Koalition 20. Rußlands Drohung, 1805 durch preußisches Gebiet zu marschieren 2V. Frankreich tut dies wirklich 20. Zorn des Königs 21. Bewaffnete Vermittlung 21. Haugwitz zu Napoleon 21. Auster- litz 21. Der Schönbrunner Vertrag 21. Der Pariser Vertrag 21. Besitzergreifung Hannovers 22. Anschluß an die Kontinentalsperre 22. Popularität von Friedrich Wilhelms III. Friedenspolitik 22. Französische Herausforderungen 1806 23. Friedrich Wilhelm III. erkennt die Gefahr 23. Mobilmachung des Heeres 24. Schwächliche Kriegsvorbereitungen 24. Der Herzog von Braunschweig schlägt die Versammlung der ganzen Armee um Naumburg vor 25. Dies erscheint VI Inhalt Seite der Umgebung des Königs zn wenig kunstvoll 25. Scharnhorsts Ansicht 25. Persönliche Rücksichten: Hohenlohe, Rüchel 26. Unklarheit im Oberbefehl 26. Bildung dreier Armeen und eines Reservekorps 26. Unzeitige Einführung gemischter Divisionen 26. Änderung des ersten Planes, Zersplitterung der Armee 27. Plan des Vormarsches über den Thüringer Wald 27. Der Vormarsch Napoleons 28. Die preußische Armee beginnt, sich nördlich des Thüringer Waldes zu sammeln 30. Die Erfurter Beratungen 3V. Der Gedanke der Vorgehens über den Thüringer Wald wird aufgegeben 30. Bereitstellung nördlich des Gebirges 30. Kritik des neuen Entschlusses 31. Müfflings Ritt über den Thüringer Wald 32. Hohenlohes und Massenbachs Streben, die Armee am rechten Saaleufer zu verwenden 32. Hohenlohe will seinen Heer- tetl am 10. Oktober bei Mittel-Pöllnitz versammeln 32. Die Gefechte von Schleiz und Saalfeld am 9. und 10. Oktober 1306 ............... 32 Tauentzien bei Hof 32. Sein geschickter Abmarsch 33. Er zögert bei Schleiz nnd wird geschlagen 33. Der Herzog von Braunschweig und Hohenlohe 33. Prinz Louis Ferdinand bei Saalfeld 33. Zersplitterung feiner Kräfte und Niederlage 34. Müfflings Vorschlag 35. Zug des Herzogs von Weimar über den Thüringer Wald 35. Absicht, Tauentzien auf Dresden zu entsenden 35. Sein Rückzug auf Jena 35. Beschluß zur Versammlung der Hauptarmee um Weimar, der Hohen- loheschen zwischen Weimar und Jena unter Heranziehung Rüchels nach Weimar 35. Der 11. Oktober 35. Die Unentschlossenheit der Führung wird im preußischen Heere bekannt 35. Der Hunger in der Armee 36. Napoleons Sicherheit trotz unklarer Nachrichten 36. Lannes Meldung, daß die Preußen bei Jena im Lager stehen 37. Besetzung von Naumburg 37. Napoleous Einschwenken gegen die Saale 37. Unerwartet günstige Lage der preußischen Armee 38. Der Vorabend der Entscheidung. Stellungen am 13. Oktober abends 39. Hohenlohe auf dem Landgrafenberge 40. 2. Die Doppelschlacht vom 14. Oktober 1806. ... 41 Die Schlacht von Jena.............41 Mahnung des Herzogs von Braunschweig, sich auf kein Gefecht einzulassen 41. Wie Hohenlohe sie ausfaßt 41. Tauentziens Angriff am Dornberge 42. Holtzendorffs Vorgehen gegen das Lohholz 42. General Grawert bricht aus dem Lager auf 42. Hohenlohes Unwillen darüber 43. Er läßt sich zum Vorrücken bewegen 43. Sein Angriff gegen Vierzehnheiligen 43. Unentschlossenheit im Augenblicke der Entscheidung 44. Napoleon hat seine Verstärkungen herangezogen 44. Die Katastrophe 44. Rüchels verspätetes Erscheinen bei Kapellendorf 45. Seine Niederlage 46. Untergang der sächsischen Division 46. Die Verluste 46. Die Schlacht von Auerstedt . . . ,...... 47 Inhalt VII S-it- Die Hauptarmee bei Auerstedt 47. Ihr Vormarsch gegen Kdsen 47. Erster Zusammenstoß bei Hassenhausen 47. Die Division Schmettau 47. Blücher am Ranzenhügel 48. Eintreffen der Divisionen Davouts auf dem Schlachtfelde 49. Der Kampf um Hassenhausen 49. Tödliche Verwundung des Herzogs von Braunschweig 49. Die Division Wartensleben 49. Planlose Angriffe der preußischen Kavallerie 60. Untätigkeit der Reserve 50. Erscheinen der Division Oranien 61. Zurückfluten der drei preußischen Divisionen 51. Die Reserve bei Eckartsberga 51. Garde und leichte Truppen bei Sulza 52. Mangel einheitlicher Führung 52. Blücher schlägt einen allgemeinen Kavallerieangriff vor 52. Der Konig befiehlt voreilig den Rückzug 52. Die Verluste 53. 3. Von Jena und Auerstedt bis Magdeburg.... 53 Vereinigung der preußischen Heerestrümmer bei Sömmerda 53. Auflösung der Ordnung 54. Der König befiehlt den Rückzug auf Magdeburg 54. Der Herzog von Weimar bei Erfurt 54. Kapitulation von Erfurt 55. Hohenlohe in Vippach 55. Napoleon in Weimar 56. Fruchtlose Friedensverhandlungen 56. Der König verläßt in Sondershausen die Armee 56. Kalckreuth bei Weißensee 56. Der Marsch durch den Harz 57. Blücher und Scharnhorst 57. Abfall der Sachsen 58. Das Gefecht von Halle am 17. Oktober 1806 ..... 58 Das Reservekorps bei Halle 58. Ratlosigkeit des Herzogs von Württemberg 53. Bernadotte kommt über Querfurt heran 59. Der Herzog entschließt sich zu spät zum Abmarsch 59. Seine Niederlage 59. Das Wrack der Hauptarmee erreicht den Nordfuß des Harzes 59. Hohenlohe übernimmt die einheitliche Führung 59. Kriegsrat 60. Beschluß, nach der Oder zu marschieren 60. Verwirrung in Magdeburg 60. Kleist 60. Die Einwohnerschaft 61. Der übereilte Abmarsch 61. 4. Von Magdeburg bis zur Oder........61 Guter Beginn 61. Napoleon wird an der Elbe aufgehalten 62. Hohenlohe bei Burg 62. Rathenow 63. Massenbachs verhängnisvolles Eingreifen 63. Ausbiegen nach Neustadt 63. Verpflegungsschwierigkeiten 64. Blücher übernimmt die Nachhut 65. Gefahr für den Herzog von Weimar 65. Davout in Berlin 66. Napoleon kommt auf die Spur des abziehenden Heeres 66. Kapitulation von Spandau ^66. Zweites Ausbiegen Hohenlohes nach Norden 67. Weitermarsch über Lychen 67. Zehdenick 67. Boitzenburg 67. Abermaliges Ausbiegen 68. Verhängnisvoller Nachtmarsch 68. Die Kapitulation von Prenzlau am 23. Oktober 1806 . . 69 Die Uckerniederung 69. Prenzlau von Nostiz besetzt 69. Herankommen Hohenlohes 69. Verspäteter Beginn des Durchmarsches durch die Stadt 71. Massenbachs geistiger Bankerott 71. Hohenlohe, auch vom Feinde getäuscht, wird hineingezogen 72. Abschluß der Kapitu- VIII Inhalt Seite lation 72. Verhängnisvolle Folgen derselben 72. Das Grenadierbataillon Prinz August 72. Pasewalk 73. Stettin 73. Küstrin 74. Magdeburg 74. Hameln 74. Nienburg 74. Betrachtungen 74. Falsche Auffassung vom Kriege 74. Entartung der Gemüter 75; Humanitätsduselei 75. Warnung für ewige Zeiten 76. Der preußische Heldensinn nicht bei allen Epigonen erloschen 76. 5. Lübeck.................77 Glückliches Gefecht von Luchen 77. Blücher in Bottzenburg 77. Nachricht von Prenzlau 77. Blüchers schneller Entschluß. Umkehr zur Elbe 77. Zusammentreffen mit dem Korps des Herzogs von Weimar 78. Blücher übernimmt den Oberbefehl 78. Bernadotte folgt unvorsichtig 73. Versäumte Gelegenheit von Dambeck am 81. Oktober 1806 79. Fortsetzung des Rückzuges 80. Gefecht von Waren am 1. November 81. Hinter der Stör 81. Blücher gibt den Weg zur Elbe auf 82. Das Blüchersche Korps in Lübeck 82. Die Stellungen am 5. November abends 83. Der Kampf um Lübeck am 6. November 83. Blücher in der Stadt überrascht 84. Irrige Nachricht über Trave- münde 84. Die Kapitulation von Natkau am 7. November 1806 85. 6. Von der Oder bis zur Weichsel........86 Napoleou wendet sich Rußland zu 86. Seine Streitkräfte 86. Neue Rüstungen 87. Sein weiterer Vormarsch 87. Mangel au Tätigkeit auf preußischer Seite 88. Unselige Friedenshoffnungen 88. Die Königin Luise 89. Der König am 3. November in Graudenz 89. Friedenspräliminarien 89. Osterode 90. Die Russen überschreiten die preußische Grenze 90. Napoleon steigert seine Forderungen 90. Wirkung des Erscheinens der russischen Hilfsarmee 91. Napoleons Unterhändler Duroc abgewiesen 91. Der Krieg nimmt seinen Fortgang 91. Vorbereitung des Umschwungs in der Armee 92. Das Ortelsburger Publikandum vom 1. Dezember 1806 93. Napoleons weiteres Vorgehen 93. Er verläßt Berlin und begibt sich zur Armee 94. Räumung von Warschau durch die Russen 94. Vennigsen verläßt die Weichsel 95. Napoleon an der Weichsel 95. Schwierigkeiten des Weichselüberganges 95. Bennigsens Umkehr 95. Halt an der Wkra 96. Die Bug-Narew-Brücke am 22. Dezember fertig 96. Napoleon sucht die Entscheidung gegen Vennigsen 97. Stellung der Heere 97. Verwirrung im Oberbefehl ans russischer Seite 97. Uneinigkeit unter den Führern 97. Gefecht von Czarnowo 93. Die Schlacht von Pultusk und Golymin am 26. Dezember 1806 99 Vennigsen versammelt 45000 Mann bei Pultusk und weist Lannes zurück 99. Fürst Gallizien und Augereau bei Golymin 99. Vennigsen setzt den Rückzug fort 100. Erschöpfung der französischen Armee 100. Das Gefecht von Soldau am 25. Dezember 1806 . . . .101 Biczun 101. Ney durchbricht L'Estocqs Stellung 101. Vennigsen Oberbefehlshaber 102. Er führt die Armee nach Bialla vor 102. Inhalt IX Seile 7. Von der Weichsel bis Preußisch-Eylau. . ... .102 Napoleon bezieht Winterquartiere 102. Befehle des Kaisers Alexander von Rußland 103. Bennigsens Offensive 104. Gefecht von Mvhrungen 104. Bennigsen will zur Ruhe übergehen 105. Napoleons Gegenoffensive 105. Beginn des Vormarsches am I. Februar 1807 106. Bennigsens Umkehr 106. Hoffnung des Kaisers auf eine Schlacht am 3. Februar 107. Johnkendorf und Bergfriede 107. Vergleich mit der Lage am 13. Oktober 1806 108. Rückzug der Russen 108. Üble Lage des preußischen Korps 109. Gefecht von Waltersdorf 110. Nachhut- gesecht von Hof 110. Beginn der Auflosung im russischen Heere 111. Bennigsens Entschluß zur Schlacht 111. Gründe dafür 112. Eintreffen der Franzosen vor Pr.-Eylau 113. Die Schlacht von Preußisch-Eylau am 7. und 8. Februar 1807 113 Die Nachhut der Russen weist die ersten Angriffe der Verfolger zurück 113. Kavallerieangriff auf dem Tenknitter See 113. Napoleons ursprüngliche Absicht 114. Kampf um die Stadt Pr.-Eylau 114. Die Nacht vom 7. zum 8. Februar 115. Ney und Bernadotte 116. Aufmarsch der Heere am 8. Februar morgens 117. Napoleons Plan, mit seinem rechten Flügel die Russen zu umfassen 118. Einleitung der Schlacht 118. Großer Angriff Augereaus und St. Hilaires 119. Untergang des Korps Augereau 119. Davvuts Angriffe 120. Russische Gegenstöße 120. Davout wirft den linken russischen Flügel 121. Die Kreegeberge genommen 121. Das preußische Korps L'Estocq in Hussehnen 121. Sein Anmarsch zur Schlacht 122. Gefecht von Schlauthienen und Wockern 122. Ney wird getauscht 123. Eintreffen der Preußen auf dem Schlachtfelde 124. Wegnahme von Kutschitten und des Birkenwaldchens 124. Wiederherstellung der Schlacht durch die Preußen 125. Verspätetes Eintreffen Neys 125. Zustand der Heere und Verluste 126. Bennigsens Rückzug auf Königsberg 127. Scharnhorst läßt die Preußen den Weg über Domnau nach Friedland einschlagen 127. Betrachtungen 127. Das französische Heer nach der Schlacht 129. 8. Von Eylau bis zum Tilsiter Frieden.....129 Eindruck der Nachricht von der Räumung des Schlachtfeldes durch die Russen auf Napoleon 129. Er befiehlt eine Verfolgung 130. Bedeutungslosigkeit derselben 130. Napoleons Rückzug hinter die Passarge 130. Osterode und Finkenstein 130. Die Verbündeten folgen 130. Gefecht von Brannsberg am 26. Februar 131. Ruheauartiere 132. Versuch, Preußen zu einem Sonderabkommen zu verleiten 132. Verhandlungen und neue Kriegsvorbereitungen 133. Kleinigkeitskrämereien im preußischen Hof- und Heerlager 134. Die Belagerung von Danzig...........134 Lage und Bedeutung des Platzes 135. Zustand der Werke 136. Wiederherstellung und Verstärkung 137. Marschall Lefebvre vor der X Inhalt Seite Festung 137. Kalckreuth übernimmt das Gouvernement 137. Er will auch die Umgebung halten 138. Wegnahme des HolmS am 7. Mai 133. Stärke des Belagerungskorps 138. Expedition unter Kamenskoi 139. Ungünstige Zwischenfalle 140. Vergeblicher Entsatzversuch 141. Untätigkeit der Hauptarmee 142. Bennigsens Erkrankung 142. Kampf um den Hagelsberg 143. Pulvermangel in der Festung 143. Der Fall von Danzig 144. Betrachtungen über die Belagerung 144. Die Schweden in Borpommern 145. Rastlose Tätigkeit Napoleons in Finkenstein 146. Seine Lage 147. Verstärkung der Feldarmeen 148. Die Bartensteiner Konvention 149. Phantasiegebilde 149. Diplomatische Anknüpfungen 160. Bennigsen kommt dem Angriff des Kaisers zuvor 151. L'Estocqs Doppelaufgabe 152. Angriff auf den Brückenkopf von Spanden 153. Angriff auf den Brückenkopf von Lemitten 154. Bennigsens Borstoß gegen Ney bei Guttstadt 155. Entfremdung zwischen dem preußischen und russischen Hauptquartier 156. Napoleon beschleunigt seine Offensive 156. Bennigsens Rückzug nach Heilsberg 157. Die Schlacht von Heilsberg am 10. Juni 1807..... 158 Bennigsen erwartet den Feind am rechten Alleufer 158. Die russische Stellung 158. Napoleon geht am linken Alleufer vor 160. Bennigsens Uferwechsel 16i). Der französische Angriff 161. Siegreiche Ab-' wehr durch die Verbündeten 162. Die Verluste 162. Bennigsen und Napoleon am 11. Juni 163. Abmarsch der Russen in der Nacht zum 12. Juni 164. Kamenskois verwegener Marsch 164. Bennigsen setzt seinen Rückzug fort 164. Napoleon geht auf Eylau vor 165. L'Estocq nach Königsberg zurück 165. Stellung der Armeen am 13. Juni 1807 abends 166. Rückkehr der Russen auf das linke Alleufer 167. Die Schlacht von Friedland am 14. Juni 1807..... 168 Die Russen bleiben in ihrer gefährdeten Stellung 168. Der Kaiser setzt seine Armee gegen Friedland in Bewegung 168. Die beiden Heere einander nahe gegenüber 169. Napoleons Schlachtplan 170. Sein Angriff mit dem rechten Flügel 171. Niederlage der Russen 171. Verspäteter Rückzug des russischen rechten Flügels 171. Verluste 172. Rückzug der Russen auf Wehlau 172. Kopfloses Verlassen der Pregel- linie 173. L'Estoegs Stellung bei Königsberg 173. Nachricht von Friedland 173. Rüchel ordnet die Räumung von Königsberg an 174. Abmarsch des L'Estocqschen Korps 174. Rückzug hinter die Deime 174. Übergang der Franzosen bei Tapiau 174. Fortsetzung des Rückzugs 174. Üble Wirkung auf die preußischen Truppen 174. Napoleon in Wehlau 175. Verfolgung in der Richtung auf Justerburg 175. Nachtmärsche 175. L'Estvcq bei Mehlauken 176. Übereilter Rückzug der Verbündeten 176. Memelübergang 176. 9. Die Ereignisse auf den seitlichen Kriegstheatern. 177 Am Omulef und Narew............177 Inhalt XI Seit- Graudenz und Kolberg.............177 Courbieres Antwort an Savary 177. Wirkungslose Belagerung von Graudenz 178. Widerrechtliche Fortsetzung der Einschließung bis zum Dezember 1807 178. Krankheiten 178. Kolberg 178. Offensive Verteidigung 178. Gneisenau und Nettelbeck 178. Die Maikuhle 179. Schlesien..................179 Schlesiens Bedeutung im Rücken der feindlichen Heere 179. Ansammlung von Versprengten und freigewordenen Gefangenen 179. General v. Lindener 179. Widerstreben der Verwaltungsbehörden 18V. Verlust von Glogau, Breslau, Brieg und Schweidnitz 130. Kosel hält sich 180. Fürst Pleß, der Generalgouverneur, verläßt die Proviuz 181. Graf Goetzen ersetzt ihn 131. Neiße bombardiert 181. Gefecht von Kanth am 14. Mai 1807 181. Übereinkunft wegen Kosel und Neiße 131. Erstürmung des Lagers von Glatz 181. Waffenruhe 181. Rügen..................182 Verspätete Einleitung des Zuges nach Vorpommern 182. 10. Der Frieden zu Tilsit..........183 Friedenssehnsucht der russischen Armee 133. Systemwechsel Kaiser Alexanders 183. Waffenstillstand zwischen Rußland und Frankreich 183. Zusammenkunst zwischen Alexander und Napoleon 183. Offensiv- und Defensivbündnis zwischen Rußland und Frankreich vom 7. Juli 184. Friede zwischen Frankreich und Preußen am 9. Juli 1807 184. Preußens Verluste 184. Kalckreuths leichtfertiges Abkommen vom 12. Juli 185. Die Franzosen hinter die Passarge 185. Prinz Wilhelm in Paris 185. Endgültige Übereinkunft vom 3.September 1808 136. III. Die Wiedererhebung...........187 1. Die ersten Reformen. Stein und Scharnhorst. . 137 Steins Berufung 187. Erweckung des selbständigen Geistes und nationaler Gesinnung 188. Vorarbeiten durch Minister v. Schrötter 188. Jmediatkomissionen 188. Echoen 188. Die Aufhebung der Erbuntertänigkeit 189. Neuordnung der Verwaltung 189. Städteordnung 189. Genehmigung von Steins Plänen am 8. November 1808 189. Steins Entlassung 190. Ächtungsdekret Napoleons 190. Meinungsstreit bei Wiederherstellung des Heeres 190. Scharnhorst und der König 190. Offizierswahl 191. Fortfall der Werbung, Aufhebung der Prügelstrafe am 3. August 1808 192. KrümperMem 192. Äußerer Wiederaufbau des Heeres 193. Die Not im Lande 194. Erneuerung des Volksgeistes 194. Bedeutung der friderizianischen Tradition 195. 2. 1809.................. 195 Österreich beschließt den Krieg 195. Der Jnn wird am 10. April überschritten 196. Berthier zersplittert die französische Armee 196. Napoleon erscheint auf dem Kriegsschauplatze 106. Die Tage von XII Inhalt Seite Regensburg 197, Aspern 197, Bewegung in Deutschland 198, Der Herzog von Braunschweig-Öls 198, Schill 198, König Friedrich Wilhelms III. schwierige Lage 199. Wagrain 199. Znaim 199, Der Wiener Friede vom 14. Oktober 200. 3. Die Rückkehr des Königs nach Berlin. Hardenberg 200 Verlegung des Hoflagers nach Berlin am 23. Dezember 1809 200. Tod der Königin Luise 200. Hardenberg übernimmt die Staatsgeschäfte 201. Systemwechsel 201. Hardenberg und Stein 202. Regelung der Finanzen und Ausbau der Steinschen Reformpläne 202. 4. 1812..................202 Napoleons Verhältnis zu Österreich und Nußland 203. Er drängt den König zum Bündnis 203. Scharnhorst, Gneisenau und Boyen 203. Resultatlose Verhandlungen mit Rußland 203. Abschluß des Bündnisses mit Frankreich 204. Gneisenau und andere Patrioten verlassen das Land 204. Clausewitz' Bekenntnisse 20S. ö. Der Feldzug in Kurland..........206 Der Aufmarsch der großen Armee am Riemen 207. Übergang über den Strom 207. Vorgehen des 10. französischen Korps nach Kurland 209. Das Preußische Kontingent bildet die 17, Division in demselben 209, Dessen Zusammensetzung 209. Übergang über die Memel 210. Gefecht von Eckau am 19. Juli 1912 210. General Gramert vor Riga 211. Ausgedehnte Stellung der preußischen Truppen 212. Gefechte von Wolgund und Kliwenhof 212. Uorck übernimmt das Kommando 212, Gefecht von Dahlenkirchen 213, Eintreffen des Korps Steinheil auf russischer Seite 213. Allgenieiner Vorstoß der Russen gegen den Belagerungspark 214. Die Schlacht von Bauske 214. Macdonald eilt von Dünaburg herbei 216. Wittgenstein erhält dadurch an der mittleren Düna Freiheit der Bewegung 216. Macdonalds Untätigkeit 217. Nachrichten von der „großen Armee" 217. Deren Auflösung wird bekannt 218. Ihr Rückzug aus Rußland 218. Macdonald schließt sich demselben an 218. Wendepunkt in der Geschichte Preußens 219. Schwieriger Rückmarsch 220. Gefecht von Piktupöneu 220. Verhandlungen zwischen Preußen und Russen 221. Konvention von Tauroggen 222. Uoicks Schreiben an den König 222. Stein in Königsberg 223. Uorcks begeisternde Ansprache an die Landstäude 224. Beschlüsse des ostpreußischen Generallandtages 225. Steins und Yorcks erste Maßregeln 226. Kapitulation von Pillau 225. 6. Rückzug der Franzosen hinter die Elbe. Die Rüstungen Preußens..........225 Der Vizeköuig von Italien, Eugen Beauharnais, überuimmt in Posen den Befehl über die Reste der „großen Armee" 226. König Friedrich Wilhelm III. verlegt die Regierung nach Breslau 226. Der Osten Deutschlands erwacht 226. Eugens Rückzug an die Oder 226. Inhalt XIII Seite Preußen und Russen folgen weit zerstreut 226. Kasaken am 20. Februar 1813 in Berlin 226. Die russische Hauptarme- bei Kalisch 227. Rückzug der Franzosen bis hinter die Elbe 227. Russen und Preußen besetzen die Marken 227. Des Königs Zweifel 227. Verordnung über die Bildung freiwilliger Jägerdetachements vom 3. Februar 1813 223. Aufhebung der Ausnahmen von der Kantonpflicht am 9. Februar 228. Friedrich Wilhelms III. abwartende Haltung 229. Das Bündnis von Kalisch mit Nußland 230. Der gemeinsame Vormarsch durch Scharn- horst vereinbart 230. Uorcks Einzug in Berlin am 17. März 1813 231. Beginn des Vormarsches 231. Stiftung des Eisernen Kreuzes 231. Der Aufruf „An mein Volk" 231. Landwehr- und Landsturinordnung 2!1. Wirkung der Erlasse auf die Bevölkerung 232. Tettenborn besetzt Hamburg 233. Volkserhebung an der Niederelbe 234. Blutige Unterdrückung durch die Franzosen 234. Mitteleuropa im Jahre 1812 236. Napoleons Machtmittel 236. Seine Rüstungen 237. Die „große Armee" von 1813 238. Napoleons erster Plan, von der Unterelbe vorzugehen 239. Vizekönig Eugen bei Magdeburg 239. Gefecht von Möckern 240. Blücher in Dresden 240. Napoleons Eintreffen in Deutschland 242. Klagen über die Beschaffenheit seiner Armee 243. Vergleich mit dem preußischen Heere 243. Stimmung und Zustand der Heere 244. Napoleons Entschluß auf Leipzig zu marschieren 245. Die Verbündeten an der Saale und bei Altenburg 245. Wittgenstein übernimmt den Oberbefehl 245. Der Vizekönig bei Merscburg 245. Die Verbündeten sammeln sich zwischen Leipzig und Borna 246. Vorbereitungen zur Schlacht 247. Aufmarsch der Verbündeten 248. Die Schlacht von Gr.-Görschen am 2. Mai 1813 . . . .248 Kleist bei Lindenau vor Leipzig 248. Napoleon erfährt den Anmarsch der Verbündeten von Pegau her 250. Seine Gegenmaßregeln 250. Angriff der Preußen auf Gr.-Görschen 251. Zusammenstoß mit dem Neyschen Korps, das die Flanke der Franzosen deckt 252. Der Kampf um das Dörferviereck 253. Scharuhorsts schwere Verwundung 253. Friedrich Wilhelm III. auf dem Schlachtfelde 254. „Ein Auer- stedt wird es nicht" 254. Verwirrung im Oberkommando bei den Verbündeten 255. Abschluß der Schlacht 255. Die Verluste 256. Rückzug der Verbündeten hinter die Elbe und Spree . . .256 Über die Elster und Pleiße 256. Zuversichtliche Stimmung der Truppen 257. Räumung des linken Elbufers 257. Zweifel über die weitere Rückzugslinie 258. Beschluß zum gemeinsamen Rückzug über die obere Spree bei Bautzen 258. Gefechte von Schmiedefeld, Bischofs- werda und Gödau 259. Napoleon folgt 259. Neys Entsendung 259. IV. Die Befreiungskriege . . . . 1. Der Frühjahrsfeldzug von 1813 233 233 XIV Inhalt Seite Eintreffen der Franzosen vor Bautzen 260. Ney wird herangerufen 260. Franzosen und Verbündete an der Spree 2kl. Stellungen am 19. Mai 1813 abends. Gefechte von Königswartha und Weißig 262. Die Schlacht bei Bautzen am 20. und 21. Mai 1813 . .262 Oudinots Angriff am 20. Mai 263. Die vordere Linie der Verbündeten wird von den Franzosen genommen 264. Die Verbündeten am 21. Mai in der Hauptstellung 264. Aufstellung der beiden Heere 26S. Beginn des Kampfes 265. Ney nähert sich dem Schlachtfelde 265. Sein Zögern 266. Blücher auf den Kreckwitzer Höhen 266. Abbrechen der Schlacht durch die Verbündeten 267. Die Verluste 267. Betrachtungen 267. Rückzug der Verbündeten in zwei Gruppen 268. Zweifel über die weitere Richtung 268. Fortsetzung des Rückzuges nach Schlesien 269. Das Gefecht von Hainau am 26. Mai 1813.....269 Die Division Maison überfallen 269. Vereinbarung einer Waffenruhe 27V. Ereignisse in der Lausitz und an der unteren Elbe 271. 2. Der Waffenstillstand...........272 Napoleons erste Antrüge 272. Seine Beweggründe 272. Zustände in der französischen Armee 273. Die rückwärtigen Verbindungen 273. Der Überfall von Kitzen 274. Preußen während des Waffenstillstandes 275. Seine Armee 275. Die russischen Streitkräfte 275. Die Österreicher 276. Napoleon während des Waffenstillstandes 277. Seine Armee 277. Operationsentwürfe 278. Der Trachenberger Plan 278. Änderungen 279. Endgültige Kriegspläne der Verbündeten 280. Napoleons Kriegspläne 280. Seine Aufstellung 282. Aufmarsch der Verbündeten 282. Stellungen am Schluß des Waffenstillstandes 283. 3. Der Herbstfeldzug von 1813.........283 Napoleon geht nach Görlitz 283. Seine Enttäuschung 283. Napoleon in Lauban 283. Stellungen am 19. August 18l3 284. Napoleons Marsch gegen Blücher 235. Stellungen vom 21. August 1813 285. Gefechte vou Niederau und Goldberg 286. Die Schlachten von Dresden und Kulm am 26./27. und am 2S./30. August 1813............286 Einbruch der böhmischen Armee in Sachsen 286. Zögern der Verbündeten 287. Napoleons Rückkehr an die Elbe 287. Sein erster Schlachtplan 288. Änderung infolge der Meldung St. Cyrs 283. Die böhmische Armee vor Dresden 283. Schwächliche Anordnungen für den Angriff 288. Angriff der Verbündeten 290. Französischer Gegenstoß 291. Die Schlacht am 26. August für die Verbündeten verloren 291. Beschluß, nach Dippoldiswalde zurückzugehen 292. Er kommt nicht zur Ausführung, der Kampf dauert fort 292. Murats siegreicher Angriff am zweiten Schlachttage 293. Mortier wirft die äußerste Inhalt XV Scit- Rechte der Verbündeten zurück 293. Vandmnme bei Pirna 294. Betrachtungen 294. Der Rückzug wird endgültig beschlossen 29S. Er beginnt in der Nacht 29S. Die Verluste 295. Verwirrung während des Rückzuges 296. Napoleon versäumt die direkte Verfolgung 296. Sein Versagen nach der Schlacht von Dresden 297. Vandamme drängt Herzog Eugen von Württemberg auf Kulm zurück 297. Gefahr für die böhmische Armee 298. Kaiser Alexanders und König Friedrich Wilhelms III. Eingreifen 298. Beginn der Schlacht von Kulm 298. Vandammes Untergang am 30. August 299. Verluste 299. Die Schlacht von Groß-Beeren am 23. August 1813 . . .300 Oudinots Entsendung gegen Berlin 300. Sein Vormarsch über Trebbin 30l. Gefechte bei Trebbin, Wilmersdorf, Wittstock und Jühns- dorf 301. Getrenntes Vorgehen seines Korps 302. Kampf bei Blanken- felde 302. Bülows Vorstoß von Heinersdorf auf Gr.-Beeren und Reyniers Niederlage 302. Allgemeiner Rückzug der Franzosen 303. Oudinot bei Wittenberg 303. Das Treffen von Hagelberg am 27. August 1813 .... 304 Girards Vormarsch von Magdeburg 304. Er wird durch die preußische Division Hirschfeld überfallen 305. Vernichtung seiner Division 305. Verluste 305. Die Schlacht an der Katzbach am 26. August 1813 . . .305 Macdonald will die Offensive in Schlesien fortführen 305. Verzögerungen 305. Am 26. August ist er im Begriff, über die Katzbach vorzugehen 306. Blücher erkennt die Lage und macht sich zum überraschenden Angriff bereit 307. Er fällt über die Franzosen her 308. Deren Niederlage 308. Vernichtung der Division Puthod bei Löwenberg 309. Blüchers Verfolgung bis an den Queis 309. Trophäen und Verluste 309. Napoleons Erwägungen nach Macdonalds Niederlage 310. Sein zweiter Zug gegen Blücher 311. Blüchers Scharfblick 311. Napoleons Umkehr 311. Die Schlacht von Dennewitz am 6. September 1813 . . .312 Neys Marsch, dem Kaiser entgegen 312. Tauentzien bei Jüterbog 313. Bülows und des Kronprinzen von Schweden Gegenmaßregeln 313. Bertrand stößt auf Tauentzien, die Schlacht beginnt 314. Tauentziens Notlage, Bülows Erscheinen 315. Erscheinen der übrigen französischen Korps auf dem Schlachtfelde 316. Bülow führt die Entscheidung herbei 316. Oudinots eigentümliches Verhalten 316. Neys Rückzug nach Torgau 316. Niederlage von Neys Nachhut bei Dahme 317. Verluste 317. Die Nordarmee der Verbündeten folgt an die Elbe 318. Bülow vor Torgau 318. Zustand der beiden Heere im September 1813 319. Wiedervorgehen der schlesischen Armee 320. Napoleon gegen Schwarzen- XVI Inhalt Seile berg 32l. Mangel in der französischen Armee 321. Kriegsmüdig- keit 32 l. Blücher soll zur böhmischen Armee abmarschieren 322. Er beschließt statt dessen den Rechtsabmarsch nach der Elbe 322. Napoleon plant den dritten Vorstoß gegen ihn 323. Gefecht von Roth-Naußlitz 324. Organisatorische Maßregeln 324. Napoleon abwartend bei Dresden 325. Die entscheidende Wendung. Der Elbübergang und das Treffen von Wartenburg am 3. Oktober 1813 . . .325 Blüchers Feldherrneigenschaften 326. Beginn des Rechtsabmarsches am 26. September 326. Bertrand bei Wartenburg 326. Gerade dort wählte Blücher seinen Übergangspunkt 327. Das Treffen von Wartenburg 324. Bertrands Niederlage 323. Bedeutung des 3. Oktober 329. Blücher denkt der Verdienste Scharnhorsts 329. Der Kronprinz von Schweden überschreitet mit der Nordarmee die Elbe 33l>. Die großen Tage von Leipzig. Die einleitenden Bewegungen . . .............330 Lage der Heere vor der Entscheidung 331. Stellungen am 4. Oktober 332. Napoleon wendet sich gegen Blücher 333. Er sammelt seine Armee bei Würzen 334. Blücher will auf Leipzig marschieren, erkennt aber rechtzeitig die Gefahr 334. Er weicht hinter die Saale aus 335. Blücher und die Nordarmee an der Saale 336. Murat wird von der Hauptarmee langsam auf Leipzig zurückgedrängt; Gefechte von Penig, Eschefeld, Frohburg, Borna, Flößen, Wethau und Stößen 336. Die Verbündeten westlich und südlich Leipzig 337. Stellungen am 12. Oktober 337. Napoleon in Düben. Sein Plan eines Elbüberganges 338. Er wird wieder unschlüssig 337. Sein Abmarsch nach Leipzig 339. Das Reitergefecht von Liebertwolkwitz am 14. Oktober 1813 339 Des Kaisers Entschluß zur Schlacht in der Ebene von Leipzig 339. Das Reitergefecht 340. Vorbereitungen am 15. Oktober 341. Entwicklung der beiderseitigen Streitkräfte zur Schlacht 341. Napoleons gefährdete Lage 343. Die Völkerschlacht. 16. Oktober. 1. Tag.....343 Beginn des Angriffs 343. Angriffspläne der beiden Oberbefehlshaber 345. Die Schlacht von Wachau am 16. Oktober 1813 346. Vorgehen der Verbündeten 347. Napoleons Gegenstoß 347. Die Verbündeten müssen weichen 348. Ihre Reserven bringen des Kaisers Angriff zum Stehen 348. Sein halber Erfolg bleibt ohne Bedeutung 349. Die Schlacht von Möckern am 16. Oktober 1813 349. Gyulai und Bertrand bei Lindenau 349. Blüchers Vorgehen gegen Marmont zwischen Lindenthal nnd Wahren 350. Marmont will zu Napoleon abmarschieren 350. Er wird von Dorck bei Möckern Inhalt XVII Scit- eingeholt und geschlagen 361. Blücher wirst den Feind auf die Tore von Leipzig zurück 351. Große Verluste 352. Der 17. Oktober ^ . . ............352 Schwarzenberg will angreifen, aber seine Reserven treffen zu spät ein 352. Die Nordarmee kann am 17. Oktober nicht mitwirken 352. Blücher setzt sich an Parthe und Pleiße fest 352. Unterbrechung des allgemeinen Kampfes 353. In der Nacht verläßt Napoleon sein Hauptquartier, um die Stellungen seiner Armee zu besichtigen 354. Er bereitet den Rückzug vor 354. Der letzte Kampf vor Leipzig am 18. Oktober 1813. 2. Tag 354 Starke Regengüsse 354. Die böhmische Armee geht östlich der Pleiße in drei großen Kolonnen vor 356. Von Norden kommt der Kronprinz von Schweden heran 35k. Blücher verstärkt ihn durch zwei seiner Korps 356. Blücher auf der Nordseite von Leipzig 356. Gyulai am linken Elsterufer 356. Allgemeiner Angriff der Verbündeten 357. Hartnäckige Verteidigung von Probstheida durch die Franzosen 357. Entscheidendes Eingreifen der Nordarmee 358. Der Ausweg zur Saale bleibt den Franzosen offen 359. Napoleon gibt seine Sache in Deutschland auf 359. 19. Oktober. Die Erstürmung der Stadt Leipzig . . . . 359 Macdonald soll den französischen Rückzug decken 359. Leipzig wird schon am frühen Nachmittag genommen 359. Schwieriger Abzug der letzten französischen Truppen 859. Borzeitige Sprengung der Elsterbrücke 360. Die Verluste 360. Bedeutung des großen Schlages von Leipzig 360. Die unmittelbaren Folgen der Völkerschlacht 360. Napoleons Rückzug hinter den Rhein........361 Rückzug der Franzosen bis Erfurt 361. Gefecht von Freyburg am 22. Oktober 1813 362. Der Vertrag von Ried 362. Bedrohung des französischen Rückzuges durch Wrede 362. Die Schlacht von Hanau am 30. und 31. Oktober 1813 . 363 Wrede bei Hanau 363. Er stellt sich quer über die Anmarjchlinie der Franzosen auf 363. MacdonaldS Angriffe werden zurückgewiesen 364. Napoleon durchbricht WredeS Schlachtlinie 365. Er verläßt am 31. Oktober die Gegend von Hanau 365. Die Verluste 365. Napoleon geht am 2. November bei Mainz über den Rhein zurück 365. Die Ereignisse an der Niederelbe.........366 Wallmoden und Davout 366. Das Gefecht an der Göhrde am 16. September 1813 367. Die Verbündeten bis zum Jahresschluß von 1813 .... 368 Einzug der Hauptarmee in Frankfurt a. M. 368. Bündnisverträge Frhr. v. d. Golh, Kriegsgeschichte L XVIII Inhalt Seite mit den Rheinbundfürsten 363. Blücher will den Rhein sofort überschreiten 369. Er dringt mit seiner Meinung nicht durch 369. Friedensvorschläge an Napoleon 369. Ein Stillstand tritt ein 370. Verteilung der Heere auf dem Kriegsschauplatze 371. Bernadotte besetzt Holstein 371. Bülow erobert Holland 371. Die Hauptarmee marschiert an den Oberrhein ab 372. 4. Der Kampf um die Festungen....... . 373 Dresden und Torgau 374. Wittenberg 37S. Magdeburg, Erfurt, Wesel, Castel und Kehl 376. Stettin, Küstrin, Glogau, Zamoscz, Modlin 377. Danzig 377. Hartnäckiger Widerstand Danzigs 373. Hamburg 379. Davout behauptet sich bis zum Friedensschluß 380. Seine Leistungen in Hamburg 380. 5. Der Feldzug in Italien ........ . . 381 Vizekönig Eugen bildet eine Armee von 50000 Mann 381. Hiller bei Klagenfurt und Agram 331. Er will sich auf des Vizerönigs Rückzugslinie setzen und den Krieg in Feindesland tragen 381. Vizekönig Eugen und Hiller bei Caldiero 383. 6. Der Feldzug in Frankreich 1814........383 Napoleons verzweifelte Lage 333. Der Typhus in der französischen Armee 384. Allgemeine Erschöpfung Frankreichs 385. Scheinverteidigung von Holland bis zum Jura hinab 385. Paris bleibt unbefestigt 386. Stimmungen und Pläne der Verbündeten 387. Schwarzenbergs gekünstelter Feldzugsplan 383. Streitkräfte 388. Napoleon antwortet auf die Friedensvorschläge durch unannehmbare Bedingungen 389. Der Einmarsch in Frankreich...........389 . Übergang der Verbündeten Hauptarmee über den Rhein 389. Übergang der schlesischen Armee 390. Die Franzosen weichen langsam vor ihnen zurück 390. Bülow geht auf Antwerpen vor 391. Wintzingerode bei Düsseldorf über den Rhein 391. Napoleon überrascht 301. Er beschließt den Angriff 392. Blüchers Sorglosigkeit und Vertrauen 392. Das Gefecht von Brienne am 29. Januar 1314 . . . . 392 Blücher hat nur wenig Streitkräfte bei sich 393. Der Kaiser ihm überlegen 393. Hartnäckiger Kampf um die Stadt 393. Blüchers Abzug nach Trannes 393. Die Verluste 393. Napoleon folgt bis La Rothiere 394. Die Hauptarmee trifft ihm gegenüber ein 394. Bedenklichkeit seiner Stellung 395. Er trotzt der Gefahr 395. Die Schlacht von La Rochiere am 1. Februar 1814 . . .395 Blücher übernimmt den Oberbefehl über die angreifenden Truppen 395. Der Angriff 395. Napoleon geht ihm mit Kavallerie entgegen 395. Wrede bringt die Entscheidung 395. Der Kampf dauert bis in die Nacht hinein 397. Die Verluste 397. Blücher überschätzt seinen Inhalt XIX Seite Erfolg 397. Napoleon gibt trotz der Niederlage seine Sache nicht auf 397. Erste Trennung der schlesischen von der Hauptarmee 398. Napoleons Ausfall gegen die schlesische Armee. 10. bis Napoleon in Sezanne 399. Stellung der schlesischen Armee am 10. Februar 491. Napoleon zwischen Blüchers getrennten Korps 401. Das Gefecht von Champaubert am 19. Februar 401. Das Treffen von Montmirail am 11. Februar 401. Das Gefecht von Chkteau Thierry am 12. Februar 1814 402. Sacken und Dorck geschlagen 402. Napoleon wendet sich gegen Blücher 403. Das Treffen von Vauchamps und Etoges 403. Die Hauptarmee 405. Friedensverhandlungen zu Chktillon-sur- Seiue 405. Oudinot und Victor der Hauptarmee gegenüber 406. Vormarsch der Hauptarmee gegen Paris 407. Nachrichten von Blücher, Rückzug 407. Napoleons Zug gegen Schwarzenberg vom 15. bis 27. Februar 1814...............407 Napoleons Besorgnis für die Sicherheit der Hauptstadt 408. Er wendet sich gegen die Hauptarmee 408. Schwarzenberg will die Vereinigung mit Blücher abwarten 409. Das Treffen von Montereau vom 18. Februar 1814. . . 409 Der Kronprinz von Württemberg geschlagen 410. Schwarzenbergs Rückzug auf Troyes 410. Blücher erscheint bei Mery-sur-Seine 411. Zweite Trennung der schlesischen von der Hauptarmee 412. Blüchers zuversichtliche Stimmung 412. Napoleon in Troyes 413. Zweiter Marsch der schlesischen Armee gegen Paris 414. Bülows und Wintzingerodes Anmarsch vom nördlichen Kriegs- Wintzingerode am 2. Februar in Namur 415. Vor Soissons 415. Blüchers Aufforderung, zur schlesischen Armee heranzurücken 415. Die Engländer vor Antwerpen 416. Das 3. deutsche Bundeskorps nähert sich den Niederlanden 416. Gorkum kapituliert 416. Bülow rückt auf die Nachricht von den Unfällen der schlesischen Armee aus den Niederlanden ab 416. Vereinigung der ganzen schlesischen Armee bei Soissons 417. Die Schlacht von Craonne am 7. März 1814.....418 Blüchers Hoffnung, Napoleon zu vernichten 418. Sein Entwurf dazu 418. Erzwungene Änderung des Schlachtplanes 420. Beabsichtigter großer Reiterangriff 421. Mißlingen durch Wintzingerodes Schuld 421. Napoleons Angriff bei Craonne 422. Abmarsch der 14. Februar 1814 399 schauplatze 415 XX Inhalt Siil- schlesischen Armee auf Laon 422. Verluste 423. Nachhutgefechte am 8. März 423. Blüchers Aufstellung bei Laon 423. Die Schlacht von Laon am 9. und 10. März 1814 . . .424 Napoleons Angriff am 9. März 424. Kampf um die Vororte 424. Blüchers Gegenstoß 425. Voraus nächtlicher Angriff auf Athies 426. Marmonts Niederlage 426. Blüchers Täuschung 427. Verzicht auf die Verfolgung 427. Dorck ist scharssichtiger 427. Blüchers schwere Erkrankung 428. Napoleons ungehinderter Rückzug hinter die Aisne 429. Zustände bei Blüchers Truppen 429. Erwägungen allgemeiner Natur 43V. Untätigkeit der schlesischen Armee 431. Napoleon wendet sich gegen St. Priest 431. Das Gefecht von Reims am 13. März 1814.....432 Macdonald und die Hauptarmee vom 26. Februar bis zum 17. März............... 432 Macdonalds Vorgehen gegen die Aube 432. Oudinots Stellung am rechten Ufer nördlich von Bar-sur-Aube 433. Die Schlacht von Bar-sur-Aube am 27. Februar 1814 434. Macdonalds Rückzug hinter die Seine 435. Das Hauptquartier der böhmischen Armee in Troyes 435. Napoleon bei Fere Champenoise 435. Schmarzenberg will seine Armee zunächst rückwärts versammeln 435. Die Schlacht von Arcis-sur-Aube am 20. und 21. März 1814 436 Schwarzenberg beabsichtigt den entscheidenden Angriff 436. Napoleon bei Arcis 437. Beginn des Kampfes am 20. März 433. Fortdauer bis in die Nacht 438. Napoleons gefährliche Lage 433. Der 21. März 439. Die Verbündeten versammelt 439. Napoleon beschließt die Schlacht abzubrechen 439. Es gelingt ihm, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen 439. Verluste 44V. Napoleons Rückzug von Arcis und Marsch nach Osten 44V. Seine Entwürfe 441. Die fchlesische Armee hat sich wieder in Bewegung gesetzt 442. Allgemeiner Beschluß der Verbündeten, auf Paris zu marschieren 443. Marmont, Mortier und Pacthod abgeschnitten 444. Stellungen am 24. März 1814 abends 444, Marmonts und Mortiers Umkehr 445. Der Kronprinz von Württemberg und Blücher kommen heran 445. Das Gefecht von Fere Champenoise 446. Die Niederlage der Marschälle 446. Uorck läßt sie bei La Ferte Gaucher entkommen 447. Die Ereignisse auf den Nebenkriegsschauplätzen . . . . . 447 Augereau auf dem südöstlichen Kriegsschauplatze 443. Bildung der Südarmee durch die Verbündeten 449. Gefecht von St. Georges de Reneins 449. Die Schlacht von Limonest 45V. Augereau hinter die Jsere 45V. Der Erbprinz von Hessen-Homburg folgt bis Vienne 45V. Der Feldzug in Italien 450. Die Schlacht am Mincio 451. Murats zweideutiges Verhalten 452. Der Krieg in den Niederlanden 452. Inhalt XXI Seite Verwirrung im Oberbefehl auf Seiten der Verbündeten 453. Herankommen der schwedischen Armee aus Westfalen 454. Unternehmen der Engländer gegen Bergen-op-Zoom 455. Der Herzog von Weimar und Bernadotte 455. Vom spanischen Kriegsschauplatze 456. Schlacht von Vittoria 456. Die Vorgänge an den Pyrenäen 457. Die Vorgänge im Rücken der verbündeten Heere . . . .457 Mainz 457. Saarlois, Luxemburg und die lothringischen Festungen 458. Die Festungen am Oberrhein, in der Pfalz nnd im Elsaß 458. Der Aufstand in Lothringen 458. Unternehmungen von den französischen Festungen aus 459. Napoleons letzter Zug im Rücken der Verbündeten . . .459 Napoleon in Doulevant 459. Unklare Nachrichten 459. Gefecht von St. Dizier 460. Am 27. März erlangt Napoleon die Gewißheit, daß die Verbündeten auf Paris marschiert sind 460. Er gibt die Befehle zur Umkehr nach Troyes 461. Die Katastrophe ...............461 Die Masse der schlesischen Armee bei Montmirail 461. Überfall von Claye 462. Die schlesische Armee bei Meaux, die Hauptarmee dahinter 462. Die schlesische Armee muß sich auf die Straße von Gonesse setzen und den geraden Weg auf Paris der Hauptarmee freilassen 462. Die Hauptarmee kommt mit der Spitze bis Pantin 462. Marmont nnd Mortier erreichen die Hauptstadt 462. Die Verbündeten vor Paris 463. Verteidigungsmaßregeln in der Hauptstadt 463. König Joseph 463. Die Schlacht von Paris am 30. März 1814.....464 Die Verbündeten gehen in drei großen Kolonnen vor 464. Mangel an Übereinstimmung dabei 464. Der Kampf beginnt bei Pantin 464. Hartnäckige Verteidigung von La Billette durch die Franzosen 466. Angriff der schlesischen Armee und des Prinzen Eugen von Württemberg 466. Eintreffen des Kronprinzen von Württemberg 467. Ernster Kampf in der Mitts 467. Die Franzosen weichen auf die Höhen von Belleville zurück 467. Wegnahme des Montmartre 468. Räumung von Paris durch die Franzosen 468. Einzug der Monarchen in die Hauptstadt 469. Napoleons Umkehr nach Paris..........469 Beginn des Rückmarsches am 28. März 469. Napoleon am PostHause La Cour-de-France 470. Die aus Paris abziehenden Truppen kommen ihm entgegen 470. Provisorische Regierung in Paris 470. Die Marschälle bei Napoleon 470. Seine Abdankung 471. Abschluß des Krieges auf den Nebenkriegsschauplätzen und vor den Festungen 471. Der erste Pariser Friede 472. Der Wiener Kongreß 472. Napoleon auf Elba 472. Ursachen von Napoleons Niederlage 472. Betrachtungen 473. Preußen und sein Heer hatten sich wiedergefunden 476. XXII Inhalt Seite 7. Der Feldzug von 1815 in den Niederlanden . . 475 Vorbereitungen und Einleitung..........475 Landung Napoleons bei Cannes 476. König Ludwig XVIII. entflieht nach Gent 476. Napoleons Zug nach Paris 476. Augenblickliche Stellung der Verbündeten 476. Die allgemeine Umkehr nach Frankreich wird beschlossen 476. Napoleons Ächtung 476. Murats unbesonnener Losbruch in Italien 477. Wellingtons Entwurf für den Einmarsch in Frankreich 477. Streitkräfte und Maßregeln der Verbündeten 477. Napoleons Pläne 473. Seine Streitkräfte 478. Stellungen am 14. Juni 479. Napoleons Absicht, die feindlichen Heere zu trennen 480. Truppenstärken zu Anfang Juni 48». Geist der neuen preußischen Armee 481. Napoleon trifft am 14. Juni beim Heere ein 482. Dessen Zusammensetzung 482. Charakteristik 482. Beginn des Vormarsches am 15. Juni 484. Napoleon am Abend in Charleroi 484. Gegenmaßregeln der Verbündeten 485. Napoleons Lage günstig 436. Er entsendet Ney gegen Wellington und wendet sich selbst gegen die Preußen 486. Napoleon unterschätzt Blüchers Stärke 487. Die Schlacht von Ligny und das Treffen von Quatre-Bras am 16. Juni 1815............ 437 Das Schlachtfeld von Ligny 487. Blüchers Schlachtordnung 489. Napoleon versäumt kostbare Stunden beim Angriff 489. Dieser erfolgt erst 2 Uhr 30 Min. nachmittags 489. Ney soll herankommen 496. Erlon erhält direkten Befehl dazu 496. Blücher zur Schlacht entschlossen 496. Wellington sagt seine Unterstützung zu 491. Kampf um die Dörfer am Lignybach 491. Erlon wird für Feind gehalten, der Angriff unterbrochen 491. Ausklärung wegen des Korps Erlon 492. Ligny von den Franzosen genommen 492. Thielmann läßt sich täuschen 492. Napoleon durchbricht Blüchers Stellung 492. Großer Reiterkampf 492. Ney bei Quatre-Bras im Kampfe, ruft Erlon zurück 493. Blüchers Pferd erschossen; er selbst in Gefahr, gefangen genommen zu werden 493. Rückzug auf Tilly 493. Fortsetzung des Rückzuges nach Wavre zur Vereinigung mit Wellington 494. Blüchers Zusage an Wellington 494. Verluste 494. Die Schlacht von La Belle Alliance am 18. Juni 1815. . 494 Napoleons Aufgabe nach der Schlacht von Ligny 495. Er versäumt die unmittelbare Verfolgung 495. Entsendet Grouchy gegeu Blücher 495. Fährt zu Ney hinüber 495. Wellingtons Rückzug nach Mont St. Jean 496. Napoleon folgt 496. Erkundung der englischen Stellung während der Nacht 496. Wellingtons Besorgnisse 497. Seine Aufstellung zur Schlacht 497. Napoleon läßt den Vormittag des 18. Juni verstreichen 498. Eröffnung der Schlacht 498. Blüchers erneutes Versprechen an Wellington 499. Sein Aufbruch von Wavre 500. Schwieriger Anmarsch der Preußen 501. Napoleons erster großer Inhalt XXIII Scite Angriff 501. Die Spitze der Preußen erscheint 501. Zweiter Angriff 502. Neys Reiterangriffe auf die Höhen von Mont St. Jean 502. Wellingtons Ruhe und Besonnenheit 502. Biilows Flankenangriff gegen die Franzosen 503. Plancenoit genommen und verloren 503. Der letzte Angriff der Franzosen 503. Plancenoit endgültig von Bülow erobert 503. Zusammenbruch der „großen Armee" 504. Begegnung der siegreichen Feldherren 504. Blücher leitet die Verfolgung ein 504. Sein Dank an seine „unüberwindlichen Soldaten" 504. Das Treffen bei Wavre am 18. und 19. Juni 1815 . . .505 Thielmann bei Wavre durch Grouchy festgehalten 505. Kampf an der Dyle 505. Ungewißheit am 19. Juni früh 505. Grouchy erfährt die Niederlage des Kaisers 506. Sein geschickter Rückzug und Entkommen 507. Napoleon eilt nach Paris voraus 507. Er will sich nach Amerika einschiffen 507. Seine Gefangenschaft 507. Blüchers und Wellingtons Einmarsch in Frankreich 507. Verlustreicher Kampf um Namur 508. Anstalten zum Widerstande in Paris 508. Der Kronprinz von Württemberg im Elsaß 509. Gefecht bei Surburg 509. Gefechte bei Suffel- weiersheim, Nieder- und Oberhausbergen 509. Rückzug Lecourbes und Suchets 509. An den Pyrenäen 509. Der Aufstand in der Bendee 510. Der Feldzug in Italien.............510 Murats unüberlegtes Vorgehen 510. Zersplitterung seiner Kräfte 510. Frimont umgeht ihn 512. Seine Niederlage von Tolentino am 2. und 3. Mai 1815 512. Seine Flucht 512. Ferdinand IV. nimmt von Neapel Besitz 512. Die zweite Einnahme von Paris. .........512 Blüchers Erscheinen vor der Südseite der Hauptstadt 513. Der Überfall von Versailles am 30. Juni 513. Angriff auf Paris am 2. Juli 513. Der Vorstoß der Franzosen am 3. Juli früh wird abgewiesen 514. Kapitulation 514. Der Widerstand der französischen Festungen 515. Ende des Wiener Kongresses 515. Neue politische Gestaltung Europas 516. Der zweite Pariser Frieden 516. Okkupation bis zum 30. November 1818 516. Napoleon auf St. Helena 516. Kartenbeilage und Skizzen Übersichtskarte für die Feldzüge bis 1815. Texts^en Slizze Seite 1. Vormarsch der französischen Armee bei Beginn der Operationen im Jahre 1806 .................. 29 2. Stellungen am 13. Oktober 1806 abends......... 39 3. Plan der Schlacht von Jena am 14. Oktober 1806 ...... 41 4. Plan der Schlacht von Auerstedt am 14. Oktober 1806..... 48 5. Skizze'zum Rückzüge Hohenlohes vom 23.-27. Oktober 1806 . . 64 6. Stellungen der Preußen und Franzosen am 28. Oktober 1806 . . 70 7. Stellung der Preußeu und Franzosen bei Lübeck am 5. November 1806 abends.................. 83 8. Skizze der preußisch-russischen Grenzgebiete im Jahre 1806 ... 91 9. Stellung der Russen und Franzosen am 3. Februar 1807 abends . 108 10. Die Schlacht bei Preußisch-Eylau am 7. und 8. Februar 1807. Lage am 8. Februar früh............... 116 11. Lage am 2. Schlachttage von Pr.-Eylau den 8. Februar 1807, etwa 3 Uhr morgens................. 123 12. Skizze zur Belagerung von Danzig im Jahre 1807 ...... 135 18. Skizze der Stellungen der beiden Armeen am 6. Juni 1807 . . . 152 14. Die Schlacht von Heilsberg am 10. Juni 1807 ....... 159 15. Anmarsch der Franzosen zur Schlacht von Heilsberg am 10. Juni 1807 164 16. Stellung der Armeen am 13. Juni 1806 abends....... 167 17. Die Schlacht von Friedland am 14. Juni 1807 ....... 169 18. Stellung der Heere bei Beginu des Krieges in Rußland am 23. Juni 1812....................... 207 19. Übersichtsskizze zu den Operationen des preußischen Hilfskvrps im Jahre 1812.................. 208 20. Skizze zu den Gefechten vom 28. September bis 2. Oktober 1812 (Schlacht bei Bauske)............... 214 21. Truppenstellungen am 25. Dezember 1812......... 221 22. Mitteleuropa im Jahre 1812............. 235 23. Die Schlacht bei Groß-Görschen, Stellungen am 1. Mai abends. . 247 24. Die Schlacht bei Groß-Görschen am 2. Mai 1813...... 249 25. Die Schlacht bei Bautzen, Sielluugen am 19. Mai abends . . . 261 26. Die Schlacht bei Bautzen am 20. und 21. Mai 1813, Lage am 21. Mai früh.................. 263 27. Stellungen am 19. August 1313............ 284 28. Stellungen am 21. August 1813 am Bober........ 285 29. Die Schlacht von Dresden am 26. und 27. August 1813 .... 289 30. Die Schlacht von Kulm am 29. und 30. August 1313..... 298 31. Die Schlacht von Groß-Beeren am 23. August 1813..... 301 Kartenbeilage und Skizzen , XXV Skizze Sene 32. Skizze zum Treffen von Hagelberg am 27. August 1813 .... 304 33. Die Schlacht an der Katzbach am 26. August 1813...... 307 34. Die Schlacht von Dennewitz am 6. September 1813...... 313 35. Treffen von Wartenburg am 3. Oktober 1313........ 327 36. Stellungen am 4. Oktober 1813............ 332 37. Stellungen am 12. Oktober 1813............ 337 38. Die Schlacht von Leipzig, I. Tag; am 16. Oktober 1313 .... 344 39. Die Schlacht von Leipzig, 2. Tag; am 13. Oktober 1813 . . . . 8öS 40. Die Schlacht von Hanau am 30. und 31. Oktober 1813 .... 363 41. Hamburg und Umgebung............... 379 42. Übersichtsskizze zum Feldzuge 1813 in Italien........ 382 43. Stellungen vom 31. Januar 1814............ 394 44. Die Schlacht von La Rochiere am 1. Februar 1314...... 396 45. Übersichtsskizze für die Tage vom 10.—14. Februar 1814 .... 400 46. Die Umgegend von Montereau............. 409 47. Die Schlacht von Craonne am 7. März 1814........ 419 48. Die Schlacht von Laon am 9. und 10. März 1814...... 425 49. Die Schlacht von Bar-sur-Aube am 27. Februar 1814..... 434 50. Die Schlacht von Arcis-sur-Aube am 20. und 21. März 1814. Lage am 21. März nachmittags............. 437 51. Stellungen am 24. März 1814 abends, Hauptkriegsschauplatz . . 444 52. Übersichtsskizze des südöstlichen Kriegsschauplatzes in Frankreich 1814 448 53. Übersichtsskizze des südwestlichen Kriegsschauplatzes in Frankreich 1814 456 54. Die Schlacht von Paris am 30. März 1814........ 465 55. Feldzug 1815 in den Niederlanden, Stellungen am 14. Juni . . 479 56. Die Schlacht von Ligny am 16. Juni 1815........ 488 57. Die Schlacht von Belle-Alliance am 18. Juni 1815...... 497 58. Die Umgegend von Wavre.............. 506 59. Übersichtsskizze für den Feldzug in Italien 1815....... 511 60. Zweite Einnahme von Paris am 3. Juli 1815....... 514 Der II. Teil dieses Werkes wird eine chronologische Tafel und eine Übersicht über die Zusammensetzung der kriegführenden Heere enthalten. Einleitung Die Kriegsgeschichte Deutschlands im 19. Jahrhundert ist lehrreich nicht nur für das eigene Volk, sondern für alle Völker, die ihren Platz an der Sonne behaupten wollen. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts Konnten das preußische und das österreichische Heer fü r die besten Europas gelten. Wenn sie auch jahrelang einander feindlich gegenüberstanden und das Deutsche Reich, dem beide zum Teil angehörten, nur ein Schattendasein fristete, so ist es doch keine Frage, daß sie vereint damals die deutsche Welt inmitten Europas gegen jeden Angriff von Ost oder West siegreich hätten schützen können. Allein die Aufmerksamkeit auf die Verfassung und den Wert beider Heere, sowie die Anspannung im Kriegsstaate minderten sich nach der großen überstandenen Probe. Der Gedanke an die Möglichkeit freiheitlicher und friedfertiger Entwickelung, bei der die Völker dauernd ohne Kampf und Streit nebeneinander leben könnten, erfüllte die Menschheit und ließ die Bedeutung einer starken kriegerischen Rüstung zur Zeit der großen französischen Revolution in den Nachbarländern verkennen. Zumal die preußische Armee, die allen anderen bis dahin als Muster gedient hatte, ließ die Notwe ndigkeit dauernder Weiterbildung ^und die fahren Be- d ingungen des Erfolges allmählich außer acht^ So ward sie überflügelt, ohne es zu merken, und das neue, das 19. Jahrhundert, begann für sie mit einer Niederlage unerhörter Art. Auch Österreich war nicht imstande, den Stürmen erfolgreich zu trotzen, welche von Frankreich aus über Europa hinwegzogen, seit ein großer Feldherr die französischen Heere führte. Das Deutsche Reich löste sich auf, und um seine Zukunft schien es im Zeitalter Napoleons geschehen zu sein. Selbst der Name Deutschlands, als eines staatlichen Begriffs, war verschwunden. Aber unter dem harten Druck einer sechsjährigen Fremdherrschaft, während deren Preußen sogar dem Sieger kriegerische Gefolgschaft xxvm Einleitung leisten mußte, erwachten die Geister aus einem traumhaften Genußleben und stärkten sich die erschlafften Charaktere wie in einem Stahlbade. Die Einsicht, daß mannhafte Tugend, Waffentüchtigkeit und bewußte Entschlossenheit den Völkern allein Sicherheit und den Anspruch auf Anerkennung ihrer Rechte gewähren, durchdrang das deutsche Volk. So kam es früher, als selbst die kühnsten Erwartungen es ursprünglich für möglich hatten erscheinen lassen zu dem großen Aufschwünge in den Befreiungskriegen. Die Errungenschaften Preußens während dieser Kriege haben ein für allemal vorbildlich gezeigt, was ein Volk vermag, das gewillt ist, seine Selbständigkeit und seine Größe zu behaupten oder nach vorübergehendem Verlust wieder zu gewinnen. Und das besonders Lehrreiche dabei war, daß nicht ein großes, gottbegnadetes Genie, wie die Geschichte sie in Jahrhunderten nur einmal hervorzubringen pflegt, die Befreiung vom fremden Joche bewirkte, sondern daß dies durch den Ernst, die Pflichttreue, den Mut und die UnVerzagtheit einfacher deutscher Männer geschah. Blüchers Beispiel lehrte, daß auch solche Männer durch die Wahrheit und Nachhaltigkeit ihres Strebens zu wirklicher historischer Größe emporzusteigen vermögen. Der Wille, Großes zu leisten, vermag viel. Die Hoffnungen auf das Wiedererstehen eines geeinigten und starken Deutschen Reiches, welche ein großer Teil des deutschen Volkes an den glücklichen Ausgang der Befreiungskriege knüpfte, haben sich damals nicht verwirklicht. Sie konnten sich nicht verwirklichen, weil der jeden Widerspruch ausschließende, überragende Einfluß einer einzigen Macht fehlte. Die Vorherrschaft teilte sich zwischen Österreich und Preußen, welche innerhalb des nunmehr ins Leben gerufenen Deutschen Bundes etwa gleich stark dastanden. An diesem Dualismus mußten am Ende alle Einheitsbestrebungen und alle Versuche, dem unbefriedigenden Gebilde eines locker zusammengefügten Staatenbundes kräftigeres Leben einzuhauchen, scheitern. Zugleich folgte der übermäßigen Anstrengung, welche die Vernichtung der Fremdherrschaft gefordert hatte, naturgemäß eine Abspannung. Auch materiell mußte Deutschland sich erholen. Einleitung XXIX Der Niedergang in dieser Beziehung überdauerte die Kriege. So traten Jahrzehnte politischer und militärischer Stagnation ein. Ganz allmählich kam das Land erst um die Mitte des vorigen Jahrhunderts wieder zu Kräften. Auch die Wehrverfassungen waren unter dem Druck des eisernen Gebotes größter Sparsamkeit entstanden und ließen nur einen verhältnismäßig geringen Teil der männlichen Bevölkerung durch die heilsame Waffenschule des Heeresdienstes gehen. Als in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts Volkszahl und Wohlhabenheit wieder stiegen, wurde dieser Mangel doch nicht sogleich erkannt und beseitigt. Österreich mußte die Folgen davon im Kriege gegen Frankreich um seine Herrschaft in Oberitalien bitter empfinden. Anders erging es in Preußen. Auch dort war das Heerwesen nicht mit der Zeit fortgeschritten. Während die Einwohnerzahl beinahe auf das Doppelte gestiegen war, wurden doch immer noch nur soviel junge Mannschaften ins Heer eingereiht, wie 1816. Die Last des Kriegsstaates ruhte auf einem geringen Teil der Bevölkerung, und dieser vermochte bei weitem nicht soviel für den Krieg vorbereitete Streiter aufzustellen, als es die politische Rolle, zu der Preußen berufen war, erforderte. Das hatte sich in der nationalen Einheitsbewegung von 1848 besonders deutlich gezeigt. Eine praktische Bedeutung hätte sie nur gewinnen können, wenn Preußen imstande war, seinen Anspruch auf die erste Führerstelle in Deutschland nötigenfalls mit den Waffen in der Hand geltend zu machen. Aber dazu fehlten die vorbereiteten Kräfte. Preußens Kriegsminister hatte in entscheidender Stunde erklären müssen, daß das Heer nicht imstande sei, einen Kampf mit Öster reich aufzunehmen. Die kleinen Feldzüge gegen Dänemark und in Baden ließen noch andere Mängel wahrnehmen. Mit weitschauendem Blicke aber erkannte Preußens weiser Monarch dieses Grundübel für die Entwicklung seines Vaterlandes und des ganzen Deutschlands. Als Prinz Wilhelm von Preußen 1858 die Zügel der Regierung ergriff, bahnte er das Werk der Heeresreform, mit dem er sich längst schon beschäftigt hatte, ohne Zögern XXX Einleitung an und führte es als König Wilhelm I. trotz des leidenschaftlichen Widerspruchs der Volksvert r etungen gl üMch.^duxA. So schuf er für den größten Staatsmann des Jahrhunderts, den er sich an die Seite stellte, das Werkzeug zur Durchführung einer großartigen Politik. Was wäre aus Preußen geworden, wenn es in die schweren Kämpfe um die Einigung Deutschlands und die Wiedererrichtung des Reiches mit dem Heere von 1850 hätte eintreten wollen? Das rechtzeitig erneuerte und verstärkte allein war imstande, dem unheilvollen Dualismus in Deutschland ein Ende zu machen und die feindselige Nebenbuhlerschaft Frankreichs siegreich zu überwinden. Alle Einheitsschwärmerei und alle moralischen Eroberungen hätten das neue Deutsche Reich von 1871 ohne ein waffenstarkes und den Anforderungen der Zeit gerüstetes Preußen nimmermehr aufgerichtet. Durch die Schärfe des Schwertes, nicht durch die Schärfe des Geistes ist am Ende der Traum aller Deutschen verwirklicht worden. Tann folgte auch ein materieller Aufschwung, der durch seine Schnelligkeit Bedenken erregen kann; denn er mehrt das Gefühl der Sicherheit und das Streben nach Genuß. Beide sind den Völkern in der Geschichte immer gefährlich gewesen. Nur solange die Förderung des kriegerischen Geistes bei ihnen gleichen Schritt hielt mit der allgemeinen Kulturentwicklung, haben sie einen festen Stand in der Geschichte behauptet. Diesen Gang der Dinge in großen Zügen darzulegen und dem Gedächtnis des lebenden Geschlechtes einzuprägen, ist der Zweck der nachfolgenden Arbeit. Sie soll nicht nur zum Studium der Kunst des Krieges anregen, sondern vor allen Dingen den Sinn für das kriegerische Leben der Nation in weiten Kreisen auf kraftvolle Betätigung hinweisen. Dies ist notwendig, wenn dem verflossenen für Deutschland so glänzend abgeschlossenen Jahrhundert ein neues ebenso rühm- und ehrenvolles nachfolgen soll. I. Das preußische Heer in der zweiten Hälfte des ^8. Jahrhunderts König Friedrich II. erhob Preußen durch die Schlesischen Kriege zu einer Großmacht, ehe die natürlichen Mittel des Staates für eine solche Rolle hinreichten. Aber die politische Lage in Europa beim Tode Kaiser Karls VI. hatte ihm keine Wahl gelassen. Die Gelegenheit, das reiche Schlesien für Preußen zu erwerben und dieses in Wahrheit erst aus einen: Kurfürstentums in ein Königreich umzugestalten, wäre nicht wieder gekommen, wenn Osterreich den Frieden mit seinen Feinden geschlossen hätte. Die Geschichte läßt den Monarchen und Feldherrn nur selten die Zeit, alle Vorbedingungen für den Erfolg zu erfüllen. Wer darauf wartet, läuft Gefahr, nur verlorene Gelegenheiten zu betrauern. Die wahre Größe rechnet mit unvollkommenen Mitteln. Viel war auch schon vor ihm geschehen. Sein Vater hinterließ ihm ein Heer, das an Stärke weit über das Maß hinausragte, welches die Kräfte des noch armen Landes ihm bei gewöhnlichem Laufe der Dinge gesteckt hätten. Durch eine weise und überaus strenge Verwaltung hatte er es verstanden, sie gleichsam zu verdoppeln. Ein tief gegründetes Pflichtgefühl beseelte dieses Heer, und eine eiserne Disziplin beherrschte es. Die Infanterie war die bestausgebildete der Welt. Sie allein entschied Friedrichs ersten Sieg bei Mollwitz. Mit einem so vorbereiteten Werkzeuge ließ sich das große politische Unternehmen deS >VchiiM wagen. Gleich nach dem ersten Schlesischen Kriege aber nahm er die Vermehrung nnd Umbildung der Truppen in die Hand und setzte diese Arbeit in rastloser Tätigkeit bis zu dem entscheidenden Siebenjährigen Kriege fort. Die Grundlagen der Heeresverfassung, wie er sie von seinem Vater übernommen hatte, vermochte er nicht wesentlich zu ändern. Preußen war damals noch zu dünn bevölkert und das Land viel zu wenig entwickelt, als daß es möglich gewesen wäre, ein nur aus Landeskindern gebildetes Heer von ansehnlicher Stärke aufzustellen. Der Nährstand konnte seiner Wirksamkeit noch nicht auf längere Zeit entzogen.werden. Frhr, v. d. Goltz, Kriegsgeschichte 1 2 I. Das preußische Heer in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Die dauernd im Dienste befindliche Mannschaft mußte dem Heere von außen zufließen. Dazu war die Werbung da. Es vollständig durch diese zu ergänzen, wäre aber wieder zu kostspielig gewesen. Werbegeld und Sold hätten des Königs Kassen schnell erschöpft. So war Friedrich Wilhelm I. dazu gelangt, Werbung und Aushebung zu vereinigen, die Geworbenen als Lehrmeister und als das Gerüst des Heeresbaues zu verwerten, diesem aber die notwendige Ausdehnung und Stärke durch Einstellung von Staatsangehörigen zu geben. Die Geworbenen dienten meist so lange sie gesund und kräftig waren. Freilich wurde für die Werbung eine bestimmte Dauer, nämlich anfangs sechs, später zehn bis zwölf Jahre festgesetzt. Nach Ablauf dieser Frist war aber eine Wiederholung zulässig, die auch der Regel nach eintrat. Der Hintergedanke, ,die Fremden mit der Zeit zu guten Preußen zu machen, sie nach ihrem Ausscheiden im Lande anzusiedeln und auf diese Weise dessen Volksmenge zu mehren, spielte dabei eine Rolle. Viele Soldaten kannten irgend ein Gewerbe und brachten in der Ferne erlernte Fertigkeiten nach Preußen hinüber. Dies ließ noch weiteren Nutzen von ihnen erhoffen. Ihr Sold war karg, ihre Versorgung dürftig. Aber es war ihnen erlaubt, während der langen Friedensdienstzeit in allen Freistunden dem Erwerbe nachzugehen. Bekleidung und Ausrüstung wurden auf das billigste durch ein ausgedehntes Unternehmerwesen beschafft. Die Kapitäns, die an der Spitze der Kompagnien und Eskadrons standen, waren die Generalunternehmer für diese und hatten dabei einen erlaubten Gewinn. Die Jnhaberschaft einer Kompagnie wurde in älteren Tagen dem Besitze eines Rittergutes gleichgeachtet. Dies bildete das Lockmittel für die adlige Jugend, die ohne Erbteil und Vermögen war. Dem Offizierkorps fehlte demnach trotz der großen Verluste, welche die Schlachten forderten, der Zuwachs in hinreichendem Maße erst während der letzten Zeiten des Siebenjährigen Krieges. Der aus dem Offizierkorps und den Geworbenen gebildete ständige Rahmen des Heeres wurde durch die leicht und billig zu beschaffenden dienstpflichtigen Inländer ausgefüllt. Jedes Regiment — mit ganz vereinzelten Ausnahmen — hatte seinen Kanton, aus dem es die Rekruten nach Bedarf anforderte. Diese sollten anfänglich ein Lehrjahr durchmachen, das aber mit der Zeit aus Sparsamkeit gekürzt wurde und allmählich bis auf drei Monate Werbung und Kantonpflicht 3 zusammenschmolz. Später erschienen sie nur im Frühjahr und Herbst zur Zeit der Revuen und größeren Übungen im Dienste, auch dieses aber bald nicht mehr alljährlich, sondern erst nach einem Zeitraum von zwei oder drei Jahren. Im Sommer sowohl als zur langen Winterszeit wurden sie ihrem bürgerlichen Berufe überlassen. So stellte sich die Armee während eines großen Teiles im Jahre dar als eine Reihe vereinzelter Wachtkommandos und Pferde- Pflegertrupps, d. h. etwa so, wie es heute in den größeren Garnisonen aussieht, nachdem die Regimenter zu den Herbstmanvvern abgerückt sind. Zur Zeit der Revuen und im Kriege hatte sie ihren vollen Stand, verwandelte sich nun aber in eine Mischung von altgedienten Berufssoldaten mit einer Landmiliz, die nur eine flüchtige Ausbildung im Waffendienste erhalten hatte. Neben dem weißhaarigen Veteranen stand der junge Bauernbursche in Reih und Glied. Alle Lebensalter vom zwanzigsten bis zum sechzigsten Jahre und darüber sogar hinaus waren vertreten. Unter den Geworbenen fanden sich alle Schichten und Klassen der Gesellschaft zusammen, denn mit dem ungebildeten Söldner, dem Strolch und Abenteurer, der gar manches auf seinem Kerbholz hatte, diente der verlorene Sohn aus guter Familie und der junge Phantast, dem das Waffenhandwerk als Ideal erschienen war. Die ausgehobenen Inländer gehörten gleichmäßig der untersten Klasse der Bevölkerung an. Dem Buchstaben des Gesetzes nach waren freilich alle Untertanen des Königs der Kantonpflicht unterworfen. Aber mit Rücksicht auf die materielle Lage des Landes war die Zahl der Ausnahmen für ganze Gesellschaftsschichten, Berufsklassen, Stände, Städte und Bezirke derart zahlreich, daß die Last am Ende ausschließlich auf den völlig Besitzlosen ruhte. Geradezu staunenswert ist es, was unter diesen Umständen von den Truppen geleistet worden ist. Daß ein Heer, welches aus so ungleichartigen Elementen besteht, hierzu nur durch die strengste Manneszucht zu bringen war, begreift sich leicht. Die Strenge wieder hatte die Fahnenflucht als ein weitverbreitetes Übel im Gefolge. Diesem wirkten drakonische Gesetze entgegen. Die härtesten Strafen, Tod und Spießrutenlaufen, ahndeten das Verbrechen. Die Fuchtel spielte eine bedeutsame Rolle im Leben der Truppe. Der Soldat sollte seinen Offizier mehr als den Feind fürchten. 1* 4 I. Das preußische Heer in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts Einer so beschaffenen Heeresverfassung wohnen natürlich große Schwächen inne. Es war eben ein künstlicher Bau, der nur durch die Energie und Klugheit des großen Soldatenkönigs und des ihm blind ergebenen Offizierskorps erhalten werden konnte. Aber es hatte kein anderes Mittel gegeben, dem kleinen und geldarmen Lande, das weder eine einträgliche Industrie, noch gewinnbringenden Handel besaß, die Armee einer Großmacht zu geben. Man irrt übrigens, wenn man annimmt, wie es oft geschehen ist, daß der Stock allein ihr inneres Bindemittel bildete. Aus der Gewohnheit pünktlichster Pflichterfüllung erwuchs ihr ein dienstliches Ideal, welches Offiziere, Unteroffiziere und Soldaten mit Stolz auf ihre Angehörigkeit zum besten Heere der Welt erfüllte. Am guten Rufe der preußischen Armee, an ihren Erfolgen und Siegen besaßen sie ihren Anteil, und das erfüllte sie mit Freude. Die ruhmgekrönte Gestalt des großen Königs an ihrer Spitze riß die Truppe zur Begeisterung und einer Anhänglichkeit fort, die sich in den Leiden des Krieges und den Schreckensszenen der Schlachtfelder oft genug in rührender Art und Weise dartat. -i- -i- ->- Friedrich der Große war darauf angewiesen, schnelle Entscheidungen zu suchen. Ein geldarmes Land hält lange Kriege nur schwer aus. Darauf war Erziehung und Durchbildung seiner Truppen berechnet. Über den Sieg entschied das Feuer langer geschlossener Jnfanterielinien. Auf die Treffsicherheit des einzelnen Schusses kam dabei aber nur wenig an. Der primitive Zustand der Gewehre machte es hinfällig, auf das Zielen großen Wert zu legen. Die Masse der gleichzeitig und schnell abgefeuerten Waffen sollte den Ausschlag geben. So wurde das Ringen um die Überlegenheit in den Heeren zu einem Wettstreit in der Feuergeschwindigkeit. Friedrich hatte seine erste Schlacht durch das Schnellfeuer seiner Bataillone gewonnen, und es lag kein Grund für ihn vor, diese Bahn zu verlassen, es mit einer anderen Taktik zu versuchen. Er strebte jedoch danach, die Mängel der Schlachtordnung in dreigliedrig geschlossenen Linien, die aus dem Heere ein schwerfälliges längliches Viereck machten, nach Kräften zu beseitigen. Nach dem vollendeten Aufmarsche war eine Änderung der Front nahezu unmöglich. Trat Unerwartetes ein, so fehlten die Mittel zur Abhilfe; denn das Ganze besaß nur geringe Tiefe. Es konnten keine Die schräge Schlachtordnung 5 Truppen von rückwärts herangeholt werden, um sich der Gefahr entgegenzustellen. Dem half der König in einfacher aber genialer Art durch die Staffelung feiner Linien ab. Er hielt einen Flügel treppenförmig gebrochen zurück. Dadurch kam dieser später mit dem Feinde in Berührung als der andere, und der Führer konnte noch während der Krisis des Kampfes über ihn verfügen. Stets war der König darauf bedacht, mit dem Schwergewicht der Masse auf den schwachen Punkt des Feindes zu fallen. Das war Flügel und Flanke. Dorthin fchob er sich mit seinen gestaffelten Linien seitswärts zusammen. So vereinigte er in seiner bekannten schrägen Schlachtordnung die beiden Gedanken eines Flügelangriffs und planmäßiger Reserveverwendung. Damit allein konnte eine Minderzahl die Übermacht schlagen. Und dies war unausgesetzt seine Aufgabe. Sollte es gelingen, einen Flügel des Feindes zu vernichten, ehe der andere herumschwenkte und ihm zu Hilfe kam, so war bei dem ganzen Manöver überraschende Schnelligkeit notwendig. Der Feind mußte zu spät erkennen, worum es sich handelte. Damit stieg die Manövrierkunst im Werte. Die Preußen allein hatten es ferner vermocht, die alte Schwierigkeit, Vorwärtsbewegung und Gewehrfeuer zu vereinigen, durch ihre Exerzierausbildung in einigermaßen befriedigender Weise zu lösen. Mit kurzen Schritten vorwärts rückend und haltend, feuerten die einzelnen Abteilungen der Linie, nach bestimmtem Systeme miteinander wechselnd. Schlag auf Schlag fielen Kommandowort und Salve, ineinander eingreifend. Das war freilich ein sehr künstlicher Mechanismus, der schon wegen des Verlustes an Offizieren nicht regelmäßig arbeitete. Aber dieses war doch mindestens zu Anfang der Fall, und später genügte es, wenn das dem Feinde entgegenschlagende Feuer nicht abriß. Wie eine kugelsprühende Mauer kamen die preußischen Bataillone an ihn heran. Ein österreichischer Zeuge aus der Schlacht von Mollwitz schreibt: „Ich kann wohl sagen, mein Lebtag nichts Süperberes gesehen zu haben; sie marschierten mit der größten Kontenance und so schnurgleich, als wenn es auf der Parade gewesen wäre; ihr Feuer ging nicht anders wie ein stetes Donnerwetter." Friedrich und seine Generale waren sich ohne Zweifel über die Künstlichkeit dieser Fechtweise klar. Sie handhabten sie auch je nach den Umständen mit großer Freiheit. Ihnen war die Gewandtheit der Truppen im Manövrieren und ihre Fertigkeit im 6 I. Das preußische Heer in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts Schnellfeuer nur Mittel zum Zweck und niemals Selbstzweck. Oft hat der König den angreifenden Flügel durch ein voraufgehendes Treffen verstärkt, ihm auch Reserven folgen lassen und seinen Stoß durch die zusammengefahrene schwere Artillerie vorbereitet. Er brauchte die Mittel, wie er sie im Augenblick für zweckmäßig erkannte, um den Sieg an seine Fahnen zu fesseln. ^' Generale und Offiziere arbeiteten einmütig daran, die Truppe nach dieser Richtung zum geeigneten Werkzeuge für ihren König zu machen. Bei aller Strenge im kleinen fehlte doch die zwecklose Pedanterie. Friedrichs scharfes Auge überwachte den ganzen Betrieb auf das sorgfältigste und erkannte die Auswüchse, die der König dann wieder beschnitt. Den Truppen wurde vor allen Dingen ein ungestümer Offensivgeist anerzogen. Diese Fechtweise kam durch den Angriff im offenen und ebenen Gelände am glänzendsten zur Geltung, aber die damalige preußische Infanterie verstand es auch, sich iu der Verteidigung zu schlagen. Ebenso wie sie in schnurgeraden Linien vorrückte, wußte sie dieselben zu brechen und sich zu teilen, truppweise in Wäldern und Dörfern zu fechteu, steile Abhänge zu ersteigen, Schluchten und sumpfige Niederungen zu durchschreiten. Sie stellte das Muster eines Fußvolkes dar, soweit es die Mittel ihrer Zeit erlaubten. Neu war im Vergleich zu dem, was sein Vater geschaffen, Friedrichs Art, seine Kavallerie zu verwenden. Schärfer noch als in der Infanterie wurde bei der Reiterei der Trieb zu unwiderstehlichem Angriff erzogen, ihre Ausbildung sogar einseitig auf den entscheidenden Stoß während der Schlacht gerichtet. Die preußische Kavallerie sollte allemal zuerst attackieren. So hatte es der König befohlen, und so geschah es. Als Schlachtenkavallerie hat die friderizianische Unerreichtes geleistet. Wie ein Sturmwind brausten die geschlossenen Schwadronen daher, wenn sie sich aus den Feind warfen. Diesem blieb selten die Zeit, seine Gegenmaßregeln zu treffen. Kein Zögern oder Stutzen stellte die Entscheidung in Frage. Dabei wurde sie stets in Masse, meist auf den Flügeln gegen die Flanke des Feindes verwendet, oft sogar kühn bis in dessen Rücken geführt.^ Weniger tat Friedrich für die Artillerie. Zwei moderne Grundsätze aber hat er dennoch schon zum Ausdruck gebracht: die Einleitung des Kampfes, zumal des Angriffs, durch Geschützfeuer, und die Massenverwendung. Soldatenerziehung 7 Unvergleichlich war das Zusammenwirken und Ineinandergreifen der drei Waffen, worin er bei Roßbach wohl das Höchste erreicht hat. Die Erziehung des einzelnen Soldaten und seine Entwickelung zum selbständigen Kämpfer kam in Friedrichs Heer freilich zu kurz. Sie ward nur soweit betrieben, als es galt, jeden Mann geschickt im Gebrauch seiner Waffe und tauglich als Glied im große» Truppenkörper zu machen. Der Pflege der moralischen Eigenschaften, auf die wir jetzt so viel Sorgfalt verwenden, ward wenig Wert beigemessen. Und die Entfaltung der Persönlichkeit, heute das vornehmste Ziel der Soldatenerziehung, war unbekannt, ja ein dem Massengebrauche feindliches Prinzip. Sie blieb dem einzelnen überlassen. Wie sollte auch bei der großen Verschiedenheit des Soldatenmaterials, dem selbst die nationale Einheit fehlte, eine gleiche Moral ermöglicht werden? Mehr als eine festgefügte und geschickte Masse brauchte der König nicht. Mit dieser Armee hatte er die Schlachten des Siebenjährigen Krieges gewonnen, und er hätte sie auch mit keiner anderen gewinnen können. Wäre es denkbar und er geneigt gewesen, die Heeresverfassung auf einer nationalen Grundlage aufzubauen, so würden auch seine Gegner zum gleichen veranlaßt worden sein, und Preußen mit seiner kleinen Volksmenge hätte notwendigerweise dem Aufgebote der zahlreichen Feinde erliegen müssen. Der König hatte daher auch in den Friedensjahren nach dem Kriege keinen Anlaß, die Grundlagen für sein Heerwesen zu ändern. Die Ergebnisse des Siebenjährigen Krieges waren so erstaunliche, daß sich das ganze Europa die Preußen fortan zum Vorbilde nahm. Ein Heer suchte dabei das andere, jeder General seinen Nebenbuhler zu übertreffen. Als in Preußen der belebende Einfluß des großen Königs mit seinem Tode schwand, blieb eine bis aufs höchste hinaufgeschraubte Kunst der Truppenbewegung übrig. Der Exerziermeister ersetzte allmählich den Feldherrn. Die Epigonen, deren Pflichtgefühl es alle Ehre macht, daß sie nicht ruhen wollten, sannen mit grillenhafter Mühe nach, wie sich die Schnelligkeit in der Bewegung der Heeresmaschine noch steigern, die Ordnung noch erhöhen, die Schönheit des Anblicks noch vermehren ließe. Was Mittel zum Zweck gewesen war, ward mit der Zeit zum Selbstzweck. Stundenlang wurde zwischen den Offizieren mit heiligem Ernste über die Betonung eines Kommandowortes, 8 I. Das preußische Heer in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Ausführung einer Wendung usw. gestritten. Die abenteuerlichsten Erfindungen wurden gemacht, um ein paar Sekunden zu sparen oder eine Bewegung noch straffer und genauer auszuführen. So glückte es denn, die langen Linien von 20 und 30 Bataillonen nach Kanonenschüssen avancieren und retirieren, antreten, halten und feuern zu lassen, wie auf Kommandowort. Mit der Regelmäßigkeit eines Uhrwerkes arbeiteten alle Teile der lebenden Maschine. Das geschah auch noch, als der Feind nicht mehr in starren Linien dastand, sondern in beweglichen Kolonnen herankam oder auswich. Wie man es trieb, so meinte man, hatte es der große König getrieben und seine Siege erfochten, so allein konnte man auch in Zukunft siegen. Daß für diesen Sieg der Gegenstand, eine Phalanx, fehlte, deren Kraft gebrochen war, wenn man ihre Ordnung störte, entging dem verschleierten Blick der Exerzierkünstler. Und doch wird in der Literatur der Zeit dem preußischen Heere noch immer nachgerühmt, daß bei ihm nichts geschähe und nichts geübt würde, was keine Beziehung zum Kriege besäße. Das Schwerste für den Soldaten ist es, sich die Unbefangenheit im Urteil über die natürlichen und nach den Umständen ewig wechselnden Bedingungen des Erfolges im Kriege zu erhalten. Hauptsächlich lief die Exerzierkunst auf den Aufmarsch großer Truppenmassen in bestimmter Front hinaus. Der äußerste Scharfsinn wurde darauf verwendet, ihn schnell und sicher durchzuführen. Klar ist allerdings, daß das Eintreffen der Bataillone in der richtigen Front von großer Wichtigkeit war, da die einmal aufmarschierte Masse dieselbe nur noch schwer verändern konnte. Die höchste Vollkommenheit ist darin erreicht worden, und die ungeteilte Bewunderung des militärischen Europas lohnte die unendliche Mühe, die sich die preußischen Generale damit gaben, aus den anrückenden Marschkolonnen die Schlachtlinie wie eine durch geheimen Mechanismus bewegte Theaterdekoration mit überraschender Geschwindigkeit zu entfalten. Aber abgesehen von der Verschwendung von Zeit und Kraft, führte die Übung dieser Kunst eine Erziehung zur Unselbständigkeit herbei, welche alle Glieder des Offizierkorps durchdrang. Vom Leutnant bis hinauf zum Brigadekommandeur kam es immer nur darauf an, im rechten Augenblick am rechten Fleck und auf den richtigen Fuß ein Kommando hervorzustoßen. Gespannteste Aufmerksamkeit und große Anstrengung waren dazu notwendig, nicht aber Nachdenken, Urteil und selbständiger Ent- Übertreibung der Manövrierkunst 9 Muß. Unter einem tüchtigen General stellte man sich einen Mann vor, der mit unfehlbarer Sicherheit und maschinenartiger Gleichmäßigkeit dem Treffenkommandanten das Kommando abnahm und es ebenso weitergab. Tag für Tag, jahraus, jahrein wurde das gleiche wiederholt. So tötete man allmählich die Geisteskraft zu eigener Betätigung. Man hat der alten Armee meist zum Vorwurf gemacht, daß sie das zerstreute Gefecht nicht annahm, und darin den entscheidenden Grund für ihre Niederlage gesucht; indessen war dies nur eine, und bei weitem nicht die wichtigste der Ursachen. Das „Tiraillement" war ihr keineswegs unbekannt. Die leichten Truppen zeichneten sich darin sogar aus, wenn es auch nur für Nebenzwecke geübt, nicht im Großen als Mittel zum Siege verwendet wurde. — Weit schlimmer waren andere Übel. Das Überraschendste von allem, was später in dem unglücklichen Kriege hervortrat, ist die geradezu unglaubliche Unselbständigkeit der Führer. Wir können uns heute nur noch schwer hineindenken in die vollkommene Hilflosigkeit, in welche brave, ihren Anlagen und ihrer Vergangenheit nach tüchtige Männer auch in den einfachsten Gefechtsverhältnissen gerieten, sobald sie aus dem großen gewohnten Gefüge der von einem Einzigen kommandierten Truppenmasse herausgerissen und auf sich selbst gestellt waren. Mit der glänzenden Außenseite geriet die innere Dürftigkeit des Heerwesens in einen immer schärfer sich ausprägenden Gegensatz. Im Lande schritt die Wohlhabenheit vorwärts, gute Ernten folgten um die Wende des Jahrhunderts aufeinander. Die Preise aller Getreidesorten stiegen und mit ihnen der Wert des Grund und Bodens. Der des Geldes dagegen sank. Jedes Erzeugnis der Industrie wurde teurer und die Versorgung der Armee von Jahr zu Jahr schwieriger. Sie auf der alten Höhe zu erhalten, war unmöglich. In der Ausrüstung und Bewaffnung konnte zuletzt nur noch das äußere Ansehen gewahrt werden. Die dringend erforderliche Neubewaffnung der Infanterie wurde zwar in Angriff genommen, aber mit einer Langsamkeit durchgeführt, als habe man ein halbes Jahrhundert sicheren Friedens vor sich. Die Bekleidungswirtschaft der Truppen warf immer knapperen Ertrag ab, und wenn die Kapitäns ihre Einnahmen nicht völlig verlieren wollten, so mußten sie zu einer Sparsamkeit greifen, welche 10 I. Das preußische Heer in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts schließlich über das Maß des Erträglichen hinausging. Der Zweck kam im Vergleich zum Scheine überall zu kurz. Die Löhnung wurde bei der beginnenden Teuerung der Lebensmittel allmählich ganz unzureichend, und der Soldat mehr und mehr darauf angewiesen, durch bürgerliche Arbeit Nebenverdienst zu suchen. Die beiden Nachfolger des großen Königs empfanden eine gründliche Aufbesserung als durchaus notwendig. Um Abhilfe zu schaffen, hätte aber der Staatssäckel geöffnet werden müssen. Noch wurde der Staatshaushalt jedoch in der Art guter Familienväter geführt, welche die Ausgaben nach den vorherigen Einnahmen bemessen. Neue Geldquellen suchte man nicht. Dem Volke vermehrte Lasten aufzuerlegen, scheute man sich im Hinblick auf die große umstürzende Bewegung in Frankreich. Vermehrte Schulden durfte der Staat nur mit Zustimmung der Landstände machen. Es hat aber bei König Friedrich Wilhelm IH. augenscheinlich die Sorge geherrscht, durch deren Einberufung eine Erregung in Gang zu bringen, wie sie der großen Revolution voranging. So blieb es denn nach vielen Anläufen immer wieder beim alten, oder die Verbesserung war eine vollkommen unzulängliche. Im Stande des Heeres hatte König Friedrich Wilhelm II. nützliche Neuerungen eingeführt. König Friedrich Wilhelm III. machte einzelnes davon wieder rückgängig. Ihm lag die Schönheit der. Truppe am meisten am Herzen. Gern hätte er größere Reformen durchgeführt, deren Notwendigkeit er wohl einsah. Aber sie sollten nichts kosten, um im Lande keine Unzufriedenheit zu erregen, und die Durchführung einer solchen Aufgabe ist unmöglich. So wurde denn eingeschränkt, wo sich irgend etwas ersparen ließ. Die wirkliche Dienstzeit der Einländer bei der Fahne kürzte sich mehr und mehr. Sie kam zuletzt vor dem unglücklichen Kriege für den Infanteristen auf höchstens noch ein und dreiviertel Jahre. Die Ausländer saßen zum großen Teile während aller dienstfreien Stunden in Spinnstuben und Werkstätten. „Der Krieg und dessen Erlernung scheinen gar nicht mehr unser Zweck zu sein; wir existieren nur für die wenigen Tage, wo uns der König und der Inspekteur sieht," schreibt ein denkender Soldat jener Zeit. Gewiß soll der Krieger es lernen, Entbehrungen zu ertragen, aber ein System der Dürftigkeit und Knauserei, das nicht auf wirklicher Not, sondern auf übertriebenem Sparsamkeitssinne beruht, muß am Ende entwürdigend wirken. Dies zeigte sich zunächst Gedrückte Stellung der Armee im Staate 11 darin, daß die Stellung der Armee im Staate tiefer und tiefer sank. Nicht nur die Mannschaft, sondern auch der größte Teil der Offiziere führte am Ende in der Sülle eine dürftige Existenz, und der Zwiespalt zwischen Schein und Wirklichkeit erzeugte eine weitgehende Mißstimmung. Friedrich des Großen Grundsatz war es gewesen, daß der Bauer und Bürger womöglich vom Kriege nichts spüren solle, und diese Sorge wurde immer mehr übertrieben, dem Lande am Ende gar nichts mehr zugemutet. Selbst im Felde und vor dem Feinde wagten die Truppenbefehlshaber es nicht, in Privatrechte einzugreifen. Wo eine Hütte im Interesse der Landesverteidigung abgebrochen werden sollte, traten langwierige Verkaufsverhandlungen ein. Hungernde Truppen in reichen Ortschaften waren ein gewöhnliches Bild. Die Sorge vor Konflikten mit der Zivilautorität, bei der sie fast immer den kürzeren zog, herrschte bei den Kommandeuren überall. Noch im Jahre 1805 wurde die alte Vorschrift befolgt, daß Kompagnien und Eskadrons sich von den Dorfschulzen, in deren Ortschaften sie gelagert hatten, Zeugnisse über ihr Wohlverhalten erbitten mußten. Gerade der Verdruß über ihre gedrückte Stellung hat bei den Offizieren wohl viele von den zahlreichen Exzessen hervorgerufen, über die aus jenen Zeiten geklagt wird. Auf dem Gebiete der Fechtweise und der Kriegführung vollzog sich zu gleicher Zeit eine sonderbare Bewegung. Dem Zeitalter der Aufklärung zu Ende des 18. Jahrhunderts entsprach der Zug, das Wesen beider zu mildern und zu vergeistigen. Die großen Verluste der friderizianischen Schlachten erschienen den weichlicher werdenden Gemütern als der Ausdruck von Barbarei und Mangel an Kunst in der Kriegführung. Es sollte im Kampfe die Überlegenheit sich mehr und mehr aus dem Manöver ergeben. Beim Einbrüche in den Feind, in Dörfer, Wälder und andere Örtlichkeiten hat man wohl auch gefürchtet, die herrliche, mit so großer Mühe hergestellte Ordnung der Truppen zu stören. So kam die unselige Manier auf, die vorrückende Infanterie, ehe sie an den Feind heran war, sich durch Aufrücken der nachfolgenden Staffeln wieder alignieren und ihre Salven in den Feind hineinschleudern zu lassen. Durch das Streben nach Feuergeschwindigkeit wurde die Treffsicherheit mehr und mehr beeinträchtigt. Um so schnell, wie es verlangt wurde, laden zu können, rissen die Mann- 12 I. Das Preußische Heer in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts schaften die Waffen noch während des Abfeuerns herunter, und zahlreiche Geschosse gingen hoch über den Feind hinweg. Trotzdem hielt man an der Überzeugung fest, daß der Feind vor diesem Feuer „wackeln" und endlich davongehen müsse. Es mit dem Bajonett zu erreichen, ließ man daher zuletzt ganz außer Betracht. Die alte Energie des Stoßes der friderizianischen Bataillone schwand, und dem Stoße selbst fehlte die Spitze. Die Lehre vom Kriege sollte zugleich wissenschaftlicher werden und nicht mehr die rauhe Tat, sondern der tiefsinnige Gedanke siegen. Das geometrische Element wurde in der Truppenbewegung herrschend, und eine neue Wissenschaft dieser Art, die „Logistik", erfunden. Daneben stieg die Geländekunde in der allgemeinen Achtung. Die Truppe wurde gewissermaßen wie mit dem Boden vermählt gedacht, auf den: sie kämpfte. Vom Geiste der Kombination, als der höchsten Feldherrneigenschaft, war viel die Rede. Durch Nachdenken sollte jede Überraschung und jeder Unfall verhütet werden. Das führte zu einem umständlichen und weitschweifigen System der Vorsicht, dessen Folge eine Kräftezersplitterung war, die wir sich wie eine Seuche durch die gesamte Truppenführung der preußischen Armee in den Unglücksjahren verbreiten sehen. Das Verfahren des großen Königs im Siebenjährigen Kriege erschien den Epigonen mehr und mehr als eine Art roher Empirik. Das Drohen, das Umgehen, das Abschneiden, Täuschen und Ermüden des Gegners schien der Zeit höher zu stehen als das brutale Zuschlagen. Ferdinand von Braunschweig und Prinz Heinrich wurden die Feldherrnideale der Zeit. Aus der Kriegführung verschwand jede Leidenschaftlichkeit, deren sie doch zum Erfolge so dringend bedarf. Das Militärbildungswesen und die Militärliteratur kamen freilich um die Jahrhundertwende zu einer Blüte, wie sie bis auf die Gegenwart nicht wieder erreicht wurde. Es fehlte aber die Verbindung mit dem praktischen Leben und die Einwirkung auf dieses. Ein geistreicher Dilettantismus machte sich breit, der sich äußerlich in einer schwülstigen und blumenreichen Redeweise kundgab. Überall sproßten die Vereine von Kriegskunstverehrern und Förderern der Militärwissenschaft aus dem Boden, und manche trieben sonderbare Blüten. Zu der neuen Art der Kriegführung, wie sie sich gegen Ende des alten Jahrhunderts entwickelte, paßte das altvaterische In- Entartung der Kriegführung 13 strument, die im Hergebrachten festgebannte Armee, durchaus nicht mehr. An Kriegserfahrung fehlte es dem Heere nicht. Neun Jahre nach dem Bayrischen Erbfolgekriege kam es zu dem schnellen und glänzenden Siegeszuge in Holland von 1787. Das Feldherrntalent des Herzogs von Braunschweig erstrahlte in neuem Glänze. Die Geschicklichkeit und Tüchtigkeit der Truppen erregten allgemeines Staunen. Daß es sich um keinerlei ernsten Widerstand von feiten des Feindes gehandelt hatte, wurde übersehen. Der Feldzug in der Champagne von 1792, der mit der Kanonade von Valmy endete, erschütterte freilich das Vertrauen in das alte Heer, aber die folgenden Feldzüge von 1793 und 1794 brachten vereinzelte glänzende Erfolge und wurden dadurch zum Nachsommer des preußischen Waffenruhmes. Daß das Ergebnis im großen ein unbefriedigendes war, erklärte sich leicht aus dem Mangel an ernstem politischen Willen und an Einmütigkeit im Handeln der verbündeten Mächte. Der klägliche Verlauf des Feldzuges gegen die aufständischen Polen in den neuerworbenen Gebieten von 1794 fand nicht hinreichende Beachtung. So war die erworbene Kriegserfahrung dem Heere eher schädlich als nützlich, denn sie hat nur die Selbsttäuschung gefördert, die noch zwölf Jahre nach diesen Ereignissen anhielt. Weder die Siege der französischen Republik, noch selbst die Feldzüge Bonapartes öffneten den maßgebenden Persönlichkeiten in Preußen die Augen. Freilich wurden die Schnelligkeit der Operationen und die rasch aufeinanderfolgenden glücklichen Waffentaten des neuen Sternes am militärischen Himmel vielfach besprochen nnd bewundert. Aber es ließ sich dagegen geltend machen, daß die Kräfte, mit denen sie ausgeführt worden waren, sich in bescheidenen Grenzen hielten, daß die Wucht der kriegerischen Ereignisse hinter denen des Siebenjährigen Krieges erheblich zurückblieb. Sogar Marengo war Leuthen, Zorndorf und Torgau nicht gleichgekommen, und ein Beweis, daß die französischen Truppen sich den Preußen überlegen zeigen würden, anscheinend nicht gegeben. Der Ruhm des Herzogs von Braunschweig hatte den Schatten von Valmy in den folgenden Jahren wieder überwunden; neben ihm war Fürst Hohenlohe als glücklicher und ruhmreicher Feldherr aufgetreten. Beide galten als Heerführer mehr, wie diejenigen, die Bonaparte geschlagen hatte. Mit ihnen mußte sich dieser erst 14 I. Das preußische Heer in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts messen, ehe er den unwiderleglichen Beweis seiner Feldherrnbegabung erlegte. Das Jahr 1805, die Kapitulation von Ulm und die Dreikaiserschlacht von Austerlitz änderten freilich das Bild, und von da ab macht sich im preußischen Heere auch die Sorge fühlbar, ob man den Franzosen gewachsen sein würde. Allein jetzt war es schon zu spät, um noch Wesentliches zu ändern. -I- q- -I- Jnzwischen hatte sich in Frankreich seit langen Jahren eine vollständige Umwandlung der gesamten Kriegführung vorbereitet. Die französische Militärliteratur beschäftigte sich schon vor den ersten Anfängen der Revolution mit der Beschleunigung der kriegerischen Operationen und nicht minder mit der Verwendung selbständiger gemischter Truppeneinheiten. Die Übung der ganzen Armee im kleinen Kriege, die Errichtung von Jägerkompagnien, welche aufgelöst vor den nachrückenden Sturmkolonnen fechten sollten, die unabhängige Tätigkeit aller einzelnen Teile des Heeres zum gemeinsamen Zweck gehörten damals bereits zu den Wünschen denkender Soldaten. Bedeutende Militärschriftsteller hatten dergleichen gelehrt. Die Fechtweise in den festgeschlossenen prächtigen Linien, wie die preußische Armee sie zeigte, konnte wohl bewundert, aber nicht nachgeahmt werden. Dazu fehlten die geschulten straffen Exerziermeister und die natürliche Anlage im Volke. So hatte sich die Kolonne, d. h. der geschlossene viereckige Haufe, neben den Linien als Kampfform schon seit Beginn des Jahrhunderts erhalten und das Streben sich geltend gemacht, seine Anwendung mit der preußischen Feuertaktik zu verbinden. Die Vorteile davon waren ersichtlich. Die Notwendigkeit, die Truppen vor dem Kampfe in lange, sorgfältig gerichtete Linien zu bringen, womit ungeschickte Generale ehedem ganze Nächte vor der Schlacht verloren hatten, schwand. Ebenso wurde es überflüssig, den Aufmarsch weit vom Feinde entfernt vorzunehmen; denn er brauchte ja nicht mehr so regelmäßig wie in alten Zeiten vor sich zu gehen. Die Kolonnen konnten an den Feind geführt werden, wie sie eintrafen. Sie vermochten sich auch in durchschnittenem Gelände zu bewegen, und wenn man auf die starre Schlachtordnung verzichtete, so kam es auf große Regelmäßigkeit nicht mehr an. Die starken Truppenvermehrungen und Neuschöpfungen während der Revolutionskriege machten die sorgfältige Exerzierausbildung überhaupt unmöglich. Neue Fechtweise in Frankreich IS So trat die Kolonnentaktik mehr und mehr in den Vordergrund, und die Führer lernten es, mit der Unregelmäßigkeit, ja selbst mit der Unordnung zu rechnen. Die Artillerie begann eine ganz veränderte Rolle zu spielen. Was Friedrich in vielen Fällen, ja seit Leuthen fast durchweg, mit genialem Scharfblicke schon ergriffen, wurde zur Regel, nämlich die Verwendung von Geschützmassen zur Einleitung der Entscheidung. Dazu mußten sie beweglicher gemacht werden, und es kam dahin, daß die Artillerie ohne Schwierigkeit überall dorthin gelangte, wohin man sie einst nur langsam und mit Mühe gebracht hatte. Manövrierfähige Batterien entstanden und gewährten den Truppenführern das Mittel, Kräfte und Anstrengungen auf einen Punkt zu vereinigen, wie es bei den überall gleich starken angreifenden Linien nicht möglich gewesen war. Die Artillerie lernte, im Galopp schon mit denjenigen Zwischenräumen aufzufahren, welche ihre Geschütze in der Schlachtlinie haben mußten. Dadurch wurden Tätigkeit, Schnelligkeit und die Lust zum Angriffe angeregt. Die schwere Artillerie, die Zwölf- und Vierundzwanzigpfünder, Haubitzen und Mörser, die unter dem großen Könige trotz ihrer mangelhaften Bespannung schon zum Feldheere gehörten, verschwanden damals im Interesse der Beweglichkeit aus demselben und blieben ihm fern bis auf die neuesten Zeiten. Für die Operationen im großen ward statt des einheitlichen Schlachtkörpers die Gliederung der Armee in selbständige Teile eingeführt. Anfänglich fand dies noch schematisch statt: in Vorhut und Nachhut, Reserven rechts und links, sowie den eigentlichen Schlachtkörper. Allmählich indessen stellte sich größere Freiheit ein, und während der Revolutionskriege ergab sich diese aus der Notwendigkeit, die Streitkräfte an verschiedenen Punkten des Landes aufzustellen. Der Gliederung entsprach die Ausbreitung in der Bewegung. Das Verschwinden des wohlgeregelten Verpflegungsapparates machte diese notwendig, um die Truppe vom Lande leben zu lassen. Die Scheu, dessen Mittel in Anspruch zu nehmen, und die Ängstlichkeit gegenüber dem Privateigentum, die den königlichen Armeen überall so hinderlich war, schwand durch die Revolution von selbst. So umspannten die Heere das ganze Operationsgebiet, um sich dahin zusammenzuziehen, wo die Entscheidung herannahte. Hieraus ging von selbst das Streben nach Umfassung hervor, und die festen Positionen, vor denen man 16 I. Das preußische Heer in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ehedem Wochen- und monatelang gelegen hatte, verloren ihre Bedeutung. Die Truppe wurde zugleich unabhängiger von ihren rückwärtigen Verbindungen. In Träumen, Wünschen, Lehrschriften und mancherlei Versuchen sproßten die Elemente für eine neue vervollkommnete Art der Kriegführung. Freilich waren sie noch zerstreut und nicht immer logisch entwickelt. Aber sie ließen doch in ihrer Gesamtheit schon das Bild einer Schlacht der Zukunft entstehen, die ganz anders geschlagen werden würde, wie zur friderizianischen Zeit. Sie ist längst vor Bonapartes Auftreten von dem Schriftsteller Guibert geschildert worden: Eine unregelmäßige Front von Truppen, die in kleinen Kolonnen von 2000 bis 4000 Mann das Schlachtfeld betreten, sich hier in Linien, dort in Bataillonskolonnen entwickeln, wie es die Umstände erfordern. An anderer Stelle Tirailleur- schwärme am Rande eines Dorfes, eines Holzes, oder den Angriffskolonnen voraufgehend — ziemlich weit rückwärts zahlreiche, in Massen geformte Reserven. Die Infanterie sich zusammenballend, um die Kräfte an einem Punkte aufzuhäufen, wo der Einbruch in die feindliche Linie stattfinden sollte, oder sich ausdehnend, um sie auf den Flügeln zu überragen und zu umfassen. Dazu tritt eine mächtige und bewegliche Artillerie, die dort erscheint, wo Bresche in die feindliche Front zu legen ist, während leichte Batterien im Galopp vorwärtseilen, um den Gegner aus nächster Nähe mit Geschossen zu überschütten. Die Kavallerie aber vereint sich mit der stürmenden Infanterie, um den Sieg zu vervollständigen und die Verfolgung aufzunehmen. Es fehlte nur der Mann, der Macht und Talent genug hatte, um dieses Phantasiegemälde zu verwirklichen, und als solcher trat Vonaparte auf die historische Bühne. Sein umfassender Geist vereinigte alle die vorhandenen Bruchstücke eines neuen Kriegssystems und fügte sie in genialer Art aneinander. Mit feinen selbständigen Heeresabteilungen legte er Beschlag auf das Kriegstheater, ohne die Möglichkeit der schnellen Vereinigung aus dem Auge zu verlieren. Er dehnte seine Armee hinreichend aus, um den Feind zu täuschen und zu überflügeln. Er vereinigte dann alle Anstrengungen auf einen Angriffspunkt, überraschte den Gegner und hielt das ganze Heer in ununterbrochener Bewegung. Aus der einfachen Umfassung wurde durch ihn der geschlossene Stoß gegen Flanken und Rücken des Feindes. Dem dadurch erfochtenen Umwandlung der Kriegführung. Bonaparte 17 Siege reihte sich unmittelbar die unermüdliche Verfolgung an. Den manövrierenden Artilleriemassen stellte er Reiterscharen zur Seite, die ebenso unabhängig und selbständig in der Schlacht, wie in der Aufklärung waren, die aber doch immer mit dem übrigen Heere in engem Verein handelten. So war es also nicht bloß eine Hinzufügung von Einzelheiten zur alten Fechtweise, was sich in Frankreich zur Revolutionszeit vollzog, sondern eine vollkommene Umwandlung der Kriegführung in Geist und Mitteln. Das Wertvollste darin war, daß sie das Heer in allen seinen Teilen selbständig machte und die Führer, vom jüngsten bis zum höchsten hinauf, auf die eigene Umsicht und Tätigkeit verwies. So ließ sie eine Fülle von moralischen und intellektuellen Kräften frei und lebendig werden, während diese in Preußen durch strenge und starre Form mehr und mehr gebunden wurden. Das war es, was man übersehen hatte und mit Schrecken erst in einer großen Katastrophe erkennen sollte. Frhr. v. d. Goltz, Kriegsgeschichte 2 II. Der Arieg von M6 und X. Einleitung Durch den Frieden zu Basel hatte sich Preußen im Beginn des Jahres 1795 von den gegen Frankreich Verbündeten Mächten getrennt und in die Neutralität Norddeutschlands zurückgezogen. Eine Scheidelinie, welche den Rhein hinauf bis nach Mitteldeutschland führte und dann gegen Osten quer durch das Vaterland lief, sollte den nördlich gelegenen Teil von den Kriegswirren trennen und unter dem Schutze Preußens ein friedliches Dasein führen lassen. Wir erkennen heute, daß dies eine nahezu unlösbare Aufgabe war. Deshalb Pflegen wir den Baseler Frieden scharf zu verurteilen. Trotzdem würde er Gutes gewirkt haben, wenn die preußischen Staatsmänner sich der Einsicht nicht verschlossen hätten, daß die friedliche Durchführung der Neutralität der vorwärts stürmenden und ganz Europa bedrohenden Macht Frankreichs gegenüber auf die Dauer eine Unmöglichkeit sei. Daß auch Preußen zum Entscheiduugskampfe gezwungen werden würde, ließ sich aus den Zeichen der Zeit deutlich erkennen. Darauf hätte es sich vorbereiten sollen. Sein Rücktritt von der ersten Koalition gegen Frankreich erscheint erklärlich durch das Mißtrauen, das Österreich und Rußland ihm entgegenbrachten und das sich bei der Teilung Polens fast zu einem feindlichen Bündnis verdichtete. Die Geldnot des Staates drängte überdies zur Rückberufung des Heeres aus den ergebnislosen Kriegen am Rhein, wo eine versteckte und vielverschlungene Politik von Hause aus eine größere Rolle als die Heerführung gespielt hatte. Nun aber mußte Preußen, nachdem es sich freie Hand geschaffen, sofort mit der Zusammenfassung aller Kräfte Norddeutschlands sowie mit der Umwandlung und Verstärkung seines Heeres beginnen. Diese hätte immerhin einer Rüstung gleichkommen und Aufsehen erregen können; das hätte die Lage in nichts verschlimmert. Wenn nur rechtzeitig ein starkes kriegstüchtiges Heer erstand, das am Ende mit entscheidenden Siegen gegen den gemeinsamen Feind hervortrat, so wäre alles wieder gut gewesen. Freilich erschwerten die polnischen Erwerbungen im Osten die Aufstellung einer Waffenmacht auf nationaler Grundlage; selbst Der Friede zu Basel. Neutralitätspolitik 19 die Durchführung der allgemeinen Dienstpflicht für das Heer wäre bei der ständischen Gliederung des Staates schwierig gewesen. Aber vieles konnte doch geschehen. Die Gebiete, aus denen Prenßen seine „Ausländer" hauptsächlich zog, waren zum großen Teil verloren gegangen. So lag es nahe, die Werbung bis auf das notwendigste Maß einzuschränken, das für die Masse der jungen Soldaten die alten lang dienenden und erfahrenen Lehrmeister zu liefern vermochte. Hand in Hand damit hätte natürlich die Aufhebung einer großen Zahl von Ausnahmen und Befreiungen vom Dienste gehen müssen. Die Rekrutierung mußte höher hinauf in die gebildeteren Schichten des Volkes greifen, die Zulassung zum Offizierkorps den emporstrebenden bürgerlichen Kreisen mehr als bisher geöffnet werden. Eine mildere Handhabung der Mannszucht und des Strafgesetzes wäre die natürliche Folge davon gewesen. Der innere Halt in den Truppen würde durch die große Idee, daß Preußen sich zu einem gewaltigen Entscheidungskampfe für den eigenen Bestand und die Freiheit Europas rüste, gekräftigt worden sein. Das Verschwinden der vielen Geworbenen und grauhaarigen Veteranen würde die Annahme einer neuen Fechtweise erleichtert haben. Das Bewußtsein, daß es sich um eine unvermeidliche, aber vorübergehende Anstrengung handele, hätte auch die ängstliche Sparsamkeit im Staatshaushalte schwinden lassen. Mit der besseren Versorgung wäre die soziale Stellung der Armee eine andere geworden. Eine beträchtliche Vermehrung der Feldtruppen konnte dadurch erzielt werden, daß man sämtliche kleinen norddeutschen Staaten zum engsten Anschlüsse an Prenßen nötigte. Das Bewußtsein der gemeinsamen Gefahr hätte bei einer klaren und kräftigen Politik, die einen gelinden Zwang nicht scheute, die Ausführung erleichtert. Wären die großen Ereigniffe in Europa fortgeschritten, wie es später in Wirklichkeit geschah, so hätte der Staat Friedrichs elf Jahre Zeit gehabt, um sich zu regenerieren. Es blieben ihm nach seiner großen Katastrophe nur deren sechs, um sich von dein tiefen Fall und der gänzlichen Verarmung zu erholen. Wieviel mehr hätte sich also vorher leisten lassen. Doch nichts von alledem geschah. Der unglückselige Wahn, durch Zurückhaltung den Frieden unter allen Umständen erkaufen zu können, gebar eine klägliche, würdelose, und dabei gefährliche Neutralitätspolitik. Friedrich Wilhelm III., der im November 1797 2* 20 II. Der Krieg von 1806 und 1807 den Thron bestieg, liebte den Frieden und die Ruhe über alles. Jede schnelle und kräftige Entschließung war seinem Temperament zuwider. Im Bewußtsein des eigenen redlichen Willens, kriegerische Verwickelungen mit den Nachbarn zu vermeiden, gab er sich der trügerischen Hoffnung hin, daß diese gleiches mit gleichem vergelten würden. Bonaparte verstand es, ihn lange zu täuschen und ihn an seine Loyalität glauben zu machen. Der König hielt ihn bis zum Winter vor dem unglücklichen Kriege noch für einen aufrichtigen Freund Preußens. So konnte es dahin kommen, daß Preußen bei der ersten ernsten Probe, auf welche die Sicherheit der norddeutschen Neutralität gestellt wurde, einen Beweis kläglicher politischer Schwäche gab. Seit 1801 hielten seine Truppen das Kurfürstentum Hannover besetzt, um es gegen fremde Beschlagnahme zu schützen. Das war nicht nur das gute Recht, sondern auch die Pflicht des Schirmherrn der norddeutschen Neutralität. Es entsprach zudem vollkommen den Festsetzungen des Baseler Friedens. 1803 aber verlangte Bonaparte das Einrücken französischer Streitkräfte und Preußen fügte sich unter Hinnahme belangloser Zu- sicherungen. Es duldete die Besetzung und entschied damit sein eigenes Schicksal. Bonaparte wußte von nun ab, mit wem er es zu tun habe. Er sah den Staat Friedrichs des Großen mehr und mehr als eine Beute an, die ihm zufallen werde, wann es ihm beliebte. Sein Gesandter in Berlin berichtete ihm damals: „Der König ist furchtsam und umgeben von furchtsamen Leuten." Dies war nicht in einfachem Sinne des Wortes zu verstehen. Der König hat sich oft genug in der Folgezeit als braver Soldat gezeigt. Aber seine unbesiegbare Abneigung, über das eigene Volk die Leiden des Krieges zu verhängen, leitete ihn irre und ließ ihn auch den dürftigsten Ausweg benutzen, um die Fortdauer des Friedens zu fristen. Preußen hatte sich von der zweiten Koalition gegen Frankreich ferngehalten und schloß sich auch der dritten von 1805 nicht an, trotzdem der dem Königshause persönlich befreundete Kaiser Alexander von Rußland lebhaft drängte, und sogar zu der Drohung schritt, seine Heere ohne weiteres durch preußisches Gebiet marschieren zu lassen. Diese Drohung machte zwar nicht er, wohl aber der zum Kaiser gekrönte Bonaparte gleich darauf wahr, als er seine in Hannover stehenden Streitkräfte unter Marschall Bernadotte durch das Preußische Ansbach in den österreichischen Krieg marschieren ließ. Friedrich Wilhelm III. Friedensliebe. 1806 21 Im ersten Zorn über die Verletzung seiner Würde und seines Gebietes hatte der König freilich dem französischen Gesandten die Pässe zustellen lassen wollen, und damit wäre der Krieg entschieden gewesen. Diesmal aber beschwichtigte ihn zum Unglück des Landes sein vornehmster Berater Hardenberg und brachte es dahin, daß der König sich nur verpflichtete, an der Spitze seines Heeres für den Abschluß eines allgemeinen Friedens eintreten zu wollen. Auch das persönliche Erscheinen Kaiser Alexanders in Berlin änderte nichts daran. Während sich die preußischen Truppen aus allen Provinzen und in größerer Zahl wie zu dem Entscheidungskampfe im Jahre darauf gegen den Kriegsschauplatz hin in Bewegung fetzten, reiste Friedrich Wilhelms III. Bevollmächtigter, Graf Haugwitz, zögernd und langsam mit Forderungen zu Napoleon, von denen er im voraus überzeugt war, daß sie abgewiesen werden würden. Darüber ward am 2. Dezember 1806 die Dreikaiserschlacht von Austerlitz geschlagen und ging für Österreich und Rußland verloren. Österreich bequemte sich dazu, den siegreichen Imperator um Frieden zu bitten, und Kaiser Alexander zog sich mißmutig von seinem Heere zurück, das er gegen die heimischen Grenzen in Bewegung setzte. Nun stand Preußen, das durch seine Unentschlossenheit die Verbündeten aufs tiefste verstimmt hatte, dem Gewaltigen allein gegenüber. Dahin hatte es die unselige bewaffnete Vermittlung gebracht. Graf Haugwitz glaubte nichts Klügeres tun zu können, als seinen Auftrag zu verschweigen und den ihm von Napoleon diktierten Schönbrunner Vertrag zu unterzeichnen, der Preußen an Frankreich kettete und es durch die Forderung, daß es Hannover besetzen solle, noch mehr als bisher von den übrigen Mächten trennte. Die Ratifikation blieb freilich dem Könige vorbehalten, und er verweigerte sie. Aber Graf Haugwitz reiste nach Paris, begriff dort feine unerhörte Verblendung und mußte sich vor des Kaisers Drohungen zur eigenmächtigen Unterzeichnung des noch ungünstigeren Vertrages vom 15. Februar 1806 bequemen. Dieser verlangte die unverzügliche Besitzergreifung Hannovers, die Schließung der Elbe- und Wesermündung sowie des Hafens von Lübeck und raubte so dem Könige die letzte Aussicht auf fremde Unterstützung durch England. Leider war in Preußen inzwischen das Unglaubliche geschehen und die Armee zum großen Teile wieder auf Friedensfuß gesetzt worden. Im Spätherbst 1805, von der frohen Hoffnung erfüllt, daß es endlich 22 II. Der Krieg von 1806 und 1807 zur Waffenentscheidung und zur Wiederherstellung des alten Ruhmes kommen werde, kehrte sie jetzt mißmutig und niedergeschlagen in die Friedensgarnisonen zurück. Auch die Truppen, die Kaiser Alexander am Schlüsse des Krieges von 180S in Norddeutschland stehen ließ und dem Könige zur Verfügung stellte, marschierten in die Heimat zurück. So blieb denn im Augenblicke nichts übrig, als sich zu unterwerfen. Am 25. Februar ward der unerhörte Vertrag zu Berlin ratifiziert. Am 1. April erfolgte die förmliche Besitzergreifung Hannovers. England antwortete mit der Beschlagnahme von einigen hundert preußischen Schiffen und am 2. Juni mit Blockade, Kriegserklärung und Ausstellung von Kaperbriefen; auch mit Schweden trat der Kriegszustand ein. Preußen ließ es sich dafür gefallen, daß der französische General Rapp die zur Sperrung der Strommündungen und Häfen getroffenen Maßregeln einer Besichtigung unterwarf und herablassend seine Zufriedenheit mit der angewandten Strenge äußerte. So weit war es mit der stolzen Monarchie Friedrichs des Großen ohne einen Schwertstreich gekommen. Aber man glaube nicht, daß des Königs leidenschaftliche Friedenspolitik von seinem Volke gemißbilligt worden sei. Nur wenig klar blickende Männer erkannten die darin liegende Gefahr. Die große Menge jubelte ihr zu. Auch Köpfe, die für erleuchtet galten, billigten nicht nur, sondern priesen eine Staatskunst, die es verstanden habe, Gebietserweiterungen ohne einen Kanonenschuß zu ermöglichen. Das leichtlebige, genußsüchtige Geschlecht, das aus der französischen Revolution gelernt hatte, für Menschenrechte zu schwärmen, darunter aber vor allen Dingen das eigene Behagen verstand, war zufrieden, wenn ihm jegliche große Anstrengung erspart blieb, und erblickte hierin aller Weisheit letzten Schluß. Am preußischen Hofe freilich vollzog sich im Verlaufe des Winters und Frühjahrs von 1806 eine Umwandlung der Stimmung. Man empfand, daß die Politik der Neutralität weder ehrenvoll noch weise gewesen sei. Allmählich reifte der Entschluß, bei nächster Gelegenheit auf der betretenen Bahn inne zu halten und sich von der Gefolgschaft Frankreichs loszusagen, ja es selbst auf einen Krieg ankommen zu lassen. Die Einsicht, daß ein solcher auf die Dauer unvermeidlich sei, begann sich zu befestigen. Noch am 13. Februar hatte der preußische Gesandte Lucchesini aus Paris nach Berlin berichtet: „Wenn der Kaiser noch etwas auf seine Französische Herausforderungen. 1806 2Z Minister hört, wird er dem Kontinent einen soliden Frieden geben." Am 24. desselben Monats aber berichtete der klarblickendere Legationsrat Roux bereits über die kriegerische Stimmung am französischen Hofe. Bald folgten auch die Herausforderungen. Durch ein Patent vom 28. März ergriff Murat, der neuernannte Herzog des 1805 von Preußen aufgegebenen Cleve und Berg, Besitz von Preußischen Herrschaften unter dem Vorwande, sie hätten früher zu Cleve gehört. Der Rheinbund wurde gegründet, ohne daß Preußen vorher davon verständigt worden wäre. Zur Bildung des Norddeutschen Bundes unter preußischer Führung forderte Napoleon offen auf, hinderte sie aber zu gleicher Zeit insgeheim. Am 25. Mai riet er Preußen an, das schwedische Pommern zu besetzen und Stralsund zu nehmen. Sein Zweck war natürlich nur, den König noch mehr mit denjenigen Mächten zu verfeinden, welche seine natürlichen Bundesgenossen hätten sein können. Endlich erfuhr man auch, daß er in vertraulichen Friedensverhandlungen mit England ohne die mindeste Scheu vor dem preußischen Recht die Rückgabe Hannovers angeboten habe. Die „große Armee", die 1805 gegen Österreich und Rußland gefochten, blieb in Süddeutschland stehen. Zwar suchte Lucchesini die Negierung durch den Hinweis zu beruhigen, daß es sich nur um eine Drohung gegen Rußland handele, mit dem Napoleon über den Friedensschluß wegen der orientalischen Angelegenheiten noch nicht einig sei. Das änderte aber nichts an der Tatsache, daß sie sich in jedem Augenblicke nach Norden in Bewegung setzen konnte. Endlich mußten auch dem Verblendetsten die Augen aufgehen, und am 17. Juni gestand Lucchesini ein, daß der Wille Napoleons die einzige Regel des Rechts sei und seine Gunst Schiedsrichter über die Politische Existenz der von ihm abhängigen Staaten. Nun erschrak sogar Haugwitz: „Sucht er mit uns Streit, bedarf er neuer Nahrung für einen neuen Krieg? Mit Sorge gebe ich mich einer solchen Erwägung hin." Lucchesini verhehlte sich schon gegen Ende Juli nicht mehr, daß der Kaiser wirklich den Krieg wünsche. „Die Erinnerung an das Übel, welches die preußischen Armeen ihm im letzten Winter haben antun wollen und können, ist noch ganz laut, ganz feindselig in ihm, völlig das Verlangen nach Rache atmend." Preußen befand sich in des Kaisers Hand und mußte sich entweder zum willenlosen Werkzeuge Frankreichs herabwürdigen oder kämpfen. „Wenn Napoleon mit London verhandelt, so will 24 H. Der Krieg von 1806 und 1807 er mich verderben," schrieb der König an den Zaren. Der Entschluß zur erneuten Mobilmachung des Heeres wurde gefaßt, und diese am 9. August tatsächlich befohlen. Der Grundgedanke dabei war ein offensiver. Wie wenig aber entsprachen die ergriffenen Maßregeln einer solchen Absicht. Großer Überlegenheit an Volkszahl und Streitern ging Preußen entgegen; doch nicht einmal sein ganzes Heer wurde auf Kriegsfuß gesetzt. Ein bedeutender Teil der Truppen im Osten blieb im Friedensverhältnis. Daraus ergab sich sogleich die weitere Folge, daß man Rußland nicht zur unmittelbaren Unterstützung auffordern konnte. Russische Heere dursten nicht durch Städte marschieren, in denen preußische Truppen noch dem Friedensdienste nachgingen. Der größte Teil der Festungen blieb gleichfalls ohne Kriegsbereitschaft. Kein Schritt wurde getan, die norddeutschen Staaten zur Teilnahme am Kriege zu zwingen. Dem zweideutigen Verhalten Kurhessens, das dessen Souveränität später dennoch nicht retten sollte, begegnete der König mit unglaublicher Nachsicht. Nur Sachsen und der Herzog von Weimar stellten sich dem Schutzherrn Norddeutschlands zur Verfügung. Sogar Braunschweig, dessen Herzog den Oberbefehl gegen Frankreich übernahm, blieb neutral. Kein Aufruf an das Volk zur Teilnahme am Verzweiflungskampfe erfolgte, keine außergewöhnliche Maßregel zur Vermehrung der Truppen wurde getroffen. Man tröstete sich mit der Überlieferung der friderizianischen Zeit, daß die Zahl nicht entscheide. Es blieb lediglich bei den langatmigen Vorbereitungen für die fchon vor dem Kriege beabsichtigte Aufstellung von Reservebataillonen. Augenscheinlich herrschte der kleinlich spießbürgerliche Wunsch vor, auch den Kampf um den Bestand des Staates so billig wie möglich abzumachen. Politisch sah es ähnlich aus; nichts Ernstes geschah, um sich mit England und Schweden zu verständigen, Rußlands Hilfe in bestimmter Art zu regeln und ihm wenigstens die Richtung anzuweisen, in welcher später das Eingreifen seiner Kräfte erwünscht wäre. Man gab sich der dunklen Hoffnung hin, daß ein erster Sieg ganz Norddeutschland und die Russen, vielleicht sogar auch Österreich mit Süddeutschland zum allgemeinen Kampfe gegen die französische Vorherrschaft fortreißen werde. Das lebende Geschlecht war keines großen Aufschwunges fähig. Der Krieg galt für des Königs Angelegenheit. Seine Pflicht war es, Volk und Staat Mobilmachung. Ungenügende Vorbereitungen 25 vor Ungemach zu bewahren. Darein hatte sich kein Unberufener zu mischen. Wie der ersehnte Sieg unter den augenblicklichen Bedingungen mit schwächeren Kräften, die zudem nur eine Exerzierplatzausbildung besaßen, gegen eine kriegserfahrene Übermacht erfochten werden sollte, war vollkommen unklar. Man getröstete sich der trefflichen Eigenschaften der von ganz Europa noch immer bewunderten Armee. Vielleicht wäre ein Zurückweichen an die Elbe, ja sogar weiterhin zur Oder, um sich der russischen Unterstützung zu nähern, das Sicherste gewesen. Aber die ganze Tendenz des Krieges, das Ansehen des preußischen Staates und der Heeresmacht des großen Königs widersprachen dem. Vorwärts mußte gegangen werden. Der Herzog von Braunschweig schlug die Bildung einer einzigen großen Armee vor, die sich um Naumburg versammeln und südlich in der allgemeinen Richtung auf Bayreuth vorgehen sollte. Es war der beste Vorschlag, der in dem unglücklichen Kriege gemacht worden ist; denn an Einsicht gebrach es dem Herzog nicht. Er war auch nicht unbekannt geblieben mit den Erscheinungen der neueren Kriegführung; er besaß den richtigen Blick für seines Gegners Größe. Was der preußischen Armee fehle, wußte er nur zu gut. Leider aber erfüllte seine Einsicht ihn nicht mit verwegenem Entschlüsse und festem Willen, fondern nur mit Unsicherheit. Er suchte in seiner und vornehmlich in des Königs Umgebung nach Beifall für seine Pläne, und was er vorgeschlagen hatte, erschien der Gelehrtenstrategie der Zeit zu wenig kunstvoll. Man vergesse nicht, daß selbst ein Scharnhorst in seiner Studie über die Schlacht von Marengo schrieb: „Je mehr eine Armee ihre Zuflucht zu den Künsten der Strategie nahm, um desto mehr stand sie in Korps verteilt" — als ob das Teilen Hauptsache sei. Und weiter heißt es: „Der General, dem es an Kenntnis des Landes, an der Kunst, geschickte strategische Entwürfe zu machen, auch vorzubereiten und auszuführen, fehlt, wird immer mehr beim Detachieren, beim Verteilen der Armee gegen einen anderen, der ihm überlegen ist, den Kürzeren ziehen und vielleicht am besten tun, sich konzentriert zu halten und gerade darauf zu gehen. Die Kaiserlichen scheinen zu diesem verzweifelten Entschluß, bei welchem alle Strategie aufhört, am Ende des Krieges gekommen zu sein." Persönliche Rücksichten, die auch in den ernstesten Augen- 26 II. Der Krieg von 1806 und 1807 blicken des staatlichen Lebens leider nie ganz beiseite gesetzt werden, machten sich fühlbar. Fürst Hohenlohe galt für einen großen Feldherrn; der König hatte ihn als solchen bezeichnet. Von Nüchels soldatischer Begabung erwartete die Armee sehr viel. Beide Generale sollten nicht ohne ein selbständiges Kommando bleiben, in dem sie ihre Gaben betätigen konnten. Es wurden also statt einer drei Armeen gebildet. Statt eines einzigen Hauptquartieres standen drei an der Spitze. Dazu kam noch ein Reservekorps unter dem Herzog von Württemberg; denn die strategischen Reserven trieben in der derzeitigen sublimen Auffassung von der großen Kriegführung ihr Wesen. Nun war aber auch der König noch bei der Armee — wie er erklärte, um die Energie ihres Handelns zu erhöhen. Selbstverständlich aber wurde er bei dem monarchischen Zug, der Staat und Heer erfüllte, als der eigentliche Oberbefehlshaber angesehen. Der Herzog tat nichts, ohne seine und seiner Umgebung Zustimmung. Friedrich Wilhelm III., der selbständige Handlungen seiner Generale überhaupt nicht gern sah, behielt sich auch, ohne selbst Befehle zu geben, die Entscheidungen vor. Galt es, solche zu treffen, so zog er seine Vertrauensmänner zu Rate. Am Ende war es nicht ein Einzelner, der die Operationen leitete, sondern ein Kongreß — und dies gegenüber dem einheitlichen starken Willen eines Napoleon. — Während der Versammlungsmärsche wurden die von Scharn- horst längst vorgeschlagenen und auch 1805 schon einmal gebrauchten, aus den drei Waffen gemischten Divisionen als selbständige Truppeneinheiten geschaffen. Diese Maßregel war im Sinne einer fortschreitenden Kriegführungslehre wohl gut, ihre Durchführung im Augenblicke aber verderblich. Woher sollten die Generale genommen werden, die zur Führung solcher großen selbständigen Körper befähigt waren und die es verstanden, trotz der Trennung einheitlich zum gemeinsamen Zwecke zu handeln? Es fehlte ihnen nicht weniger als Einsicht, Erfahrung und Übung darin. So blieb nur die Teilung, d. h. die Zersplitterung der Kräfte als wirkendes Element von der Neuerung übrig. Die Hauptarmee unter dem Herzog von Braunschweig zerfiel in sechs, die Armee Hohenlohes in fünf, diejenige Rüchels in drei Divisionen. Eine jede von ihnen besaß eine Vorhut leichter Truppen, zwei Jnfanterie- brigaden zu fünf Bataillonen, zwei Batterien und eine Kavalleriemasse, deren Stärke zwischen 10 und 2S Schwadronen nebst Unklarheit im Oberbefehl. Kriegspläne 27 reitender Artillerie schwankte. Die Division zählte etwa 9000 Mann, die ganze Armee 126 800. Des Herzogs einfacher Entwurf wurde zunächst von der Umgebung des Königs durch einen anderen ersetzt. Ihm zufolge sollten nur die Hauptarmee sich bei Naumburg, die des Fürsten Hohenlohe bei Chemnitz, das Korps Rüchels sich mit den Hessen bei Fritzlar und Blüchers Truppen in Westfalen sammeln, während Kalckreuth bei Leipzig und der Herzog von Württemberg mit der Reserve bei Torgau, Tauentzien aber mit den fränkischen Regimentern und einigen sächsischen Truppenteilen bei Hof, hier also dem Feinde nahe gegenüber, stehen würden. Das lag ganz im Geschmack der Zeit. Leicht erkennt man, daß im Falle eines baldigen Losbruches höchstens die Hauptarmee, Hohenlohe und Tauentzien zur Schlacht gegen die gesamte französische Macht vereinigt werden konnten. Am 25. September trat an Stelle dieser abenteuerlichen Erfindung der Plan eines Vormarsches über den Thüringer Wald, als dessen Urheber Scharnhorst anzusehen ist. Hiernach sollten die Heere sich zunächst am Nordfuße des Waldgebirges versammeln und dann gemeinsam durch dasselbe vorgehen, um die Franzosen in Süddeutschland zu überraschen. Für Rüchel und Blücher wurde die Straße über Eisenach gewählt. Die Hauptarmee sollte im allgemeinen über Erfurt und Weimar, Hohenlohe über Jena und Gera vorgehen, das dazwischen liegende Straßennetz aber gleichfalls ausgenutzt werden, um die Bewegung möglichst schnell zu vollziehen. Das vorbereitende Zusammenschieben der drei Armeen bedingte natürlich einen Zeitverlust, und es wurde berechnet, daß die Armee am 12. Oktober aus dem Thüringer Walde mit vielen Spitzen in das offenere Gelände nach Franken hinein heraustreten könne. Dieser Entwurf erfreute sich lange Zeit hindurch eines großen Ansehens; selbst ein Clausewitz hat ihm Beifall gezollt. Blickt man auf die Ereignisse, wie sie sich hinterdrein in Wirklichkeit abspielten, so muß man sich aber fragen, woher die Hoffnung gekommen sei, am 12. Oktober, also nach 18 Tagen, noch den Gegner zu überraschen. Es scheint, daß man stillschweigend angenommen habe, er werde sich bis dahin untätig verhalten, und diese Annahme war bei einem Napoleon nach allen Erfahrungen, welche Europa bis dahin mit ihm gemacht hatte, nicht berechtigt. Einige L8 II. Der Krieg von 1306 und 1807 Verschiebungen der Kolonnen waren allerdings vorgesehen. Aber das Richtige wäre gewesen, vorauszusetzen, daß der französische Kaiser, vom Vormarsche der preußischen Armee nach einiger Zeit unterrichtet, dieser entgegengehen würde. Dann wäre es zunächst zu zahlreichen Teilgefechten gekommen; denn die preußische Armee hätte in vielen Kolonnen, wie die Gebirgsstraßen es erforderten, vom Thüringer Walde her angreifen müssen. Wo sollten sich dann aber die an Selbständigkeit und eigenen Entschluß gewöhnten Generale finden, um die so vielfach geteilten Kräfte einsichtsvoll zu führen und einander zu unterstützen. Das lag nicht in der Natur der Armee, die gewohnt war, als geschlossene Phalanx aufzutreten. Und dennoch wäre ein solches Unternehmen immer noch besser gewesen, als die Ratlosigkeit und Verwirrung, das Hin und Her, das leider bald im großen Hauptquartier des Königs Platz greisen sollte. Ein Teilerfolg gegen die linke der drei großen Kolonnen, in denen wir alsbald Napoleon aufbrechen sehen werden, hätte im Bereiche der Möglichkeit gelegen, und ein erstes glückliches Gefecht bedeutet meist viel im beginnenden Kriege. Der Kaiser wußte, als er sich zum Aufbruch rüstete, nur wenig über die Bewegungen der Preußen und Sachsen, die noch nicht vereinigt, sondern auf vielen Straßen im Anmarsch gegen Thüringen waren. Sein Plan in dieser ungewissen Lage ist der einfachste von der Welt. Die große Armee stand auf breiter Front zwischen dem Fichtelgebirge und dem Rhein auseinandergezogen und reichte tief nach Süddeutschland hinein. Eine Verteidigung wäre daher weiter rückwärts aufzunehmen gewesen, und eine solche Operation lag nicht in Napoleons Charakter. So war sür ihn nur der schnelle und energische Angriff möglich. Diesen aber gedachte er sogleich derart zu führen, daß die Verbündeten sich ihm zur Schlacht stellen und daß diese Schlacht unter allen Umständen entscheidend ausfallen müsse. Daraus ergab sich die Zusammenziehung der Streitkräfte nach dem rechten Flügel bei Bayreuth und Bamberg und von dort aus der Vormarsch auf Berlin. Um dieses zu schützen, war die preußische Armee gezwungen, wo sie auch immer sei, herbeizueilen und sich ihm in den Weg zu stellen. Das entsprach ganz seinen Wünschen. Drei Straßen (S.Skizze 1) wählte er: Von Bayreuth über Hof, Plauen und Gera; von Bamberg über Kronach, Lobenstein und Schleiz; von Bamberg über Coburg und Saalfeld. Napoleons Vormarsch 29 Auf der ersten sollten die Marschälle Soult und Ney, auf der zweiten Bernadotte, Davout und die Garden, auf der dritten 8k>??e 6ss Vor'msl'scfies cikf' k>sn?ö5>sc>'isli Hi'mss bei öe y mn ciei' llvesstiokilzn im ^stis-e 1S06 , Skizze 1 ^ o Preußen und Sachsen — M Franzosen — k Garden — I — 1. Korps Bernadotte — III 3. Korps Davout — IV ^ 4. Korps Soult —^ V ^ S. Korps Lannes — VI k. Korps Ney — VII ^ 7. Korps Augereau ^ H --^ Murats Kavallerie Lannes und Augereau vorrücken. Die gesamte Kavallerie der großen Armee unter Murats Befehl, 6 Divisionen und 2 leichte Brigaden eilten den Korps der Marschälle voraus, mischten sich 30 H. Der Krieg von 1806 und 1807 aber in der ersten Zeit noch vielfach mit deren Kolonnen. Die ganze Heeresmasse zählte 160000 Mann. Sie blieb in naher Vereinigung, so daß sie nach vorwärts in 3, nach der Seite in 2 Tagen auf einem Schlachtfelde zusammengezogen werden konnte. Am 8. Oktober begann sie von Bayreuth und Bamberg aus ihren Marsch, den Kaiser in der Mitte. Den gelehrten Strategen der Zeit erschien dieses Hindurchgehen zwischen der Saale und der nahen böhmischen Grenze als ein gefährliches Beginnen. Sie mochten daran nicht glauben, und um so unerwarteter kam es. Ein Blick auf die Karte genügt, um zu erkennen, daß Napoleon vom ersten Schritt an, den er tat, die rückwärtigen Verbindungen der preußischen Armee auf das ernsteste bedrohte, und daß die wahrscheinliche Folge davon die Schlacht mit verkehrten Fronten sein würde. Diese aber endet in der Regel mit der völligen Niederlage des einen Teiles. — Inzwischen hatte die preußische Armee begonnen, sich nördlich des Thüringer Waldes zu sammeln. Am 4. Oktober standen nur noch die Sachsen und Tauentzien, beide zur Armee Hohenlohes gehörig, östlich der Saale. Schon aber dämmerten die ersten Zweifel herauf, ob es noch gelingen könne, Napoleon jenseits des Thüringer Waldes zu überraschen, oder ob man ihn nicht dort schon in starker Stellung versammelt finden werde. Der Herzog von Braunschweig scheute jeden gewagten Schritt. So trat er denn auch jetzt mit der eigenen Meinung nicht hervor, und im Herzen leitete ihn der verderbliche Wunsch, sich schieben zu lassen, statt mit kräftiger Hand in das Rad der Geschichte zu greifen. Er tat, was der Unentschlossene in solcher Lage zu tun pflegt und berief im Hauptquartier zu Erfurt am 4. Oktober die angesehenen Generale und höheren Offiziere der Armee zu einer Versammlung. Statt zu handeln, wurde beraten, und mit oder ohne Geist und Sachkunde über das zu Beginnende gestritten. Drei kostbare Tage gingen darüber verloren, und endlich kam nur etwas Halbes zustande. Recht lebendig bewahrheitete sich des großen Königs Wort: „Bei einem Kriegsrat kommt niemals etwas anderes heraus, als daß die timide Partei am Ende den großen Haufen ausmacht." Eine Bereitschaftsstellung nördlich des Gebirges wurde beschlossen. Rüchel mit Blücher sollten bei Eisenach und Langensalza, die Hauptarmee bei Gotha und Erfurt, Hohenlohe südlich von Weimar Die Erfurter Beratungen ZI der Dinge warten, die da kommen würden. Ging der Feind über den Thüringer Wald vor, so wollte man ihm angriffsweise entgegengehen oder vereinigt Widerstand leisten. Erschien er dagegen rechts der Saale, dann sollte diese überschritten werden. Von hier ab teilten sich die Meinungen. Es scheint, daß der Herzog von Braunschweig dann weiterhin anzugreifen gedachte, Hohenlohe in eine Stellung einrücken wollte, um den Franzosen den Vormarsch zu verlegen. Der Angriff über die Saale hinweg wäre für ein Heer Friedrichs gegen die Franzosen von Roßbach nichts Außergewöhnliches gewesen, uud der große König würde nicht einen Augenblick davor zurückgeschreckt sein. Für die Preußen von 1806 war es einem Napoleon gegenüber höchst gefährlich, denn der Linksabmarsch erforderte Zeit, das Durchschreiten des Saaletales und die Entwickelung zum Angriff große Gewandtheit der Truppen uud Entschlossenheit aller Führer. Beides fehlte der Armee. Man berechnete auch, daß der Angriff erst am 11. Oktober werde stattfinden können, und bis dahin hätte Napoleon Zeit genug gefunden, sein Heer zu vereinigen und mit Überlegenheit aufzutreten. So war das Vorlegen weniger gefährlich. Aber es eröffnete nur geringe Aussicht auf einen Sieg. Dieser konnte jedenfalls kein entscheidender sein. Eines solchen aber bedürfte man, um die zaudernden Bundesgenossen, die noch immer von Mißtrauen gegen Preußen erfüllt waren, mit kräftigem Schlage fortzureißen. Deutschlands großer Kriegslehrer Clausewitz hat dem Abwarten in einer Flankenstellung hinter der Saale, um nötigenfalls über den Feind herzufallen, wenn er an dieser vorüberging, das Wort geredet. Aber es wäre dabei unzweifelhaft zur Schlacht mit verkehrter Front gekommen, und diese hätte aller Wahrscheinlichkeit nach zur Vernichtung der Verbündeten geführt. Nachdem der Gedanke an das Vorgehen über den Thüringer Wald aufgegeben worden war, wäre es jedenfalls das beste gewesen, die Bewegung über die Saale sogleich anzutreten, denn das Abwarten konnte die ungünstigen Verhältnisse nicht ändern. Je früher man jenseits der Saale eintraf, desto mehr Hoffnung war vorhanden, auf Teile der französischen Armee, nicht aus die ganze zu stoßen. Man hätte denken und handeln sollen, wie Napoleon es in denselben Tagen tat. Aber das Zögern erklärt sich aus der Scheu vor dem Kampfe mit dem gefürchteten Gegner, und jeder 32 II. Der Krieg von 1806 und 1807 Anlaß, denselben hinauszuschieben, ward vom Herzoge von Braunschweig leider willig ergriffen. Um die gewünschte Klarheit über die Lage zu gewinnen, war bei den Beratungen in Erfurt beschlossen worden, die Kavallerie durch das Gebirge vorgehen, ihr aber auch starke Abteilungen an Infanterie nnd Artillerie folgen zu lassen. Diese unzweckmäßige Maßregel, die nur zur Zersplitterung der Kräfte geführt haben würde, verwarf der König. Er nahm statt dessen den Vorschlag an, einen tüchtigen Generalstabsoffizier, den Hauptmann v. Müffling, nebst einigen Reitern mit der gleichen Aufgabe zu betrauen. Das bewährte sich, und am L. Oktober hatte man im Hauptquartier die Gewißheit, daß der Kaiser die große Armee nach Bayreuth und Bamberg zusammenberufen habe, daß nicht einmal seine rückwärtigen Verbindungen durch aufgestellte Truppen gesichert wären. Nun konnte über seine Absichten kein Zweifel mehr herrschen. Der Fall, den man für den wahrscheinlichsten gehalten, nämlich daß Napoleon rechts der Saale vorgehen werde, war eingetreten. Dennoch schritt man mit unglaublicher Langsamkeit an die Ausführung der für diesen Fall vorgesehenen Bewegungen. Am 9. Oktober sollten sich die Armeen zusammenziehen und am 10. an der Saale bereitstellen. Das weitere barg der Herzog in seinem Innern. Hohenlohe und seinen Stabschef Massenbach zog es von Hause aus nach dem rechten Saaleufer hinüber. Sie hatten es immer für vorteilhafter gehalten, dort vorzugehen, und da es nicht dazu gekommen war, so dachten sie jetzt noch von ihrem Plane zu retten, soviel davon zu retten war. Hohenlohe hatte die Sachsen nicht nach der Saale herangezogen und die Überschreitung des Flusses mit den übrigen Truppen schon sür den 10. Oktober angeordnet. An diesem Tage beabsichtigte er, seine ganze Armee in der Gegend von Mittel-Pöllnitz zu vereinigen und dort, wenn nötig, vereinzelt gegen Napoleon zu schlagen, das heißt in Wirklichkeit wohl von ihm geschlagen zu werden. Die Gefechte von Schleiz und Saalfeld am 9. und ^0. Oktober IMS Glücklicherweise hatte General Graf Tauentzien bei Hof das Anwachsen der Feinde vor seiner Front zeitig bemerkt und war Schleiz. Der Herzog von Braunschweig und Hohenlohe 33 schon am 7. Oktober abends 10 Uhr aus der gefährdeten Stellung abgerückt. Nach zwei geschickten Märschen stand er am 9. früh bei Schleiz, als dort die Spitze der mittleren französischen Kolonne erschien. Leider zögerte er zu lange mit dem weiteren Rückzüge; seine Nachhut wurde am Nachmittage mit Überlegenheit angegriffen; die Schwerfälligkeit der unteren Führung machte sich fühlbar, und eine ziemlich empfindliche Schlappe war die Folge des allzu langen Wartens. Die Verluste beliefen sich auf 12 Offiziere, 554 Mann. Nach einem abermaligen Nachtmarsche vereinigte sich Tauentzien mit den Sachsen. Zu den Anstrengungen hatte sich inzwischen ein uuliebsamer Gast gesellt, nämlich der Hunger. Seit dem Abmärsche von Hof fehlte das Brot, das aus den Magazinen nicht herangekommen war, und sich das Nötige aus den wohlhabenden Dörfern zu nehmen, die man durchzog, war gegen den Brauch der Armee. Es hätte als Plünderung oder Raub gegolten. So begann der 10. Oktober mit wenig erfreulichen Aussichten. Der Herzog hatte dem Plane Hohenlohes seine Genehmigung versagt. Er mahnte von neuem zur Versammlung aller Kräfte an der Saale, und schweren Herzens entsagte Hohenlohe seiner Lieblingsidee. Er hielt nun das Gros des Heeres an der Saale fest, benachrichtigte aber die Avantgarde, die bei Nudolstadt stand, nicht von der Änderung, vielleicht in der stillen Hoffnung, es könne doch noch zu der ersehnten Versammlung bei Mittel-Pöllnitz kommen. Diese sollte durch die Avantgarde im Saaltale gesichert werden; denn der Übergang wäre natürlich unmöglich geworden, wenn der Feind schnell saaleabwärts vordrang. Um es zu verhindern, marschierte Prinz Louis Ferdinand, der Führer der Avantgarde, am 10. Oktober früh nach Saalfeld ab und stellte sich dort mit dem Rücken gegen die Saale auf. Er gedachte nur so lange zu warten, bis der Übergang vollzogen sein werde oder die nachfolgende Hauptarmee heran sei, um ihn abzulösen; dann wollte auch er auf Mittel-Pöllnitz abmarschieren. Sollte der Feind erscheinen, so hoffte er, einen ersten Angriff siegreich abzuweisen und die Nachricht von einem Erfolge dem übrigen Heere mitzubringen. Allein es ist immer gefährlich für den Truppenführer, sich vom Gange der Dinge im voraus ein sicheres Bild zu machen. Der Feind, das Korps Lannes, kam, aber es griff nicht an, sondern umging an den gegenüberliegenden Waldrändern des Prinzen Stellung nach Norden hin, ihn so mehr und mehr mit der Trennung Frhr, v, d> Goltz, Kriegsgeschichte 3 34 II. Der Krieg von 1806 und 1807 vom übrigen Heere bedrohend. Inzwischen scheint Louis Ferdinand die Nachricht erhalten zu haben, daß der Saaleübergang aufgegeben sei, und er sah nun die Notwendigkeit eines schnellen Rückzuges aus seiner gefährdeten Lage ein. Um ihn zu ermöglichen, verfiel er dabei leider auf die so allgemein übliche, von der herrschenden Meinung der Zeit in Preußen bevorzugte Zersplitterung seiner Truppen in mehrere einzelne gemischte Abteilungen, die den Abmarsch stufenweise sichern sollten. Der herzhafte und an sich richtige Entschluß, sich durch einen Vorstoß Luft zu machen, lag viel zu sehr in seinem Temperament, als daß er ihn hätte übergehen können. Allein es fehlte die hinreichende Kraft dazu. Mit nur 3^/2 von seinen 10 Bataillonen trat er unter klingendem Spiel und in den üblichen Echelons gegen den an den überhöhenden Waldrändern wohlgeborgenen und stärkeren Feind zum Angriffe an. Natürlich ward er geschlagen. Bei dem Versuch, die bedrängte Infanterie durch einen Kavallerieangriff zu retten, fand er den Heldentod, und seine führerlose Division wurde zum größten Teile gesprengt. Sie verlor 29 Offiziere, 1800 Mann und fast alle ihre Geschütze. Aber dieser Verlust wog nicht so schwer, als der des ritterlichen Prinzen, auf den die Armee große Hoffnungen gesetzt hatte. Lange hat ihn fälschlich der Vorwurf eines unbesonnenen Angriffs auf feindliche Übermacht belastet. Sowohl sein Vorgehen nach Saalfeld als der Angriff waren in den Verhältnissen durchaus begründet, und sein Fehler allein der, daß auch er schließlich in der Ausführung auf dem Schlachtfelde nichts Besseres zu tun wußte, als was er auf den Revueplätzen gelernt hatte. Die Schuld trifft vor allem das Hohenlohesche Hauptquartier, von dem er entweder gar nicht oder doch nicht rechtzeitig benachrichtigt wurde, daß die Sicherung des Flußtales zwecklos geworden sei. Leider verbreiteten Flüchtlinge im ganzen Heere die Nachricht von einer großen Niederlage und schufen den Boden für düstere Stimmungen, sowie die Ahnung des kommenden Unheils. » 4- 5 Augenscheinlich nahte die Entscheidung heran. Dennoch geschah weiteres, um nicht einmal die ganze, an der Saale versammelte Kraft in den Kampf um die Existenz des preußischen Staates eintreten zu lassen. Der Hauptmann v. Müffling hatte seiner Meldung den Vorschlag hinzugefügt, die Reiterei auf Saalfeld. Zug des Herzogs von Weimar 35 Napoleons rückwärtige Verbindungslinien vorzutreiben, um zu sehen, ob die französische Armee dort wirklich so unempfindlich sei, wie es vielfach behauptet wurde. Der Herzog, an seinem System der Vorsicht festhaltend, hielt Reiter allein ohne Rückhalt für gefährdet und schlug dem Könige vor, die ganze Avantgarde der Hauptarmee sowie diejenige Rüchels über das Waldgebirge zu entsenden. Erst am 14. Oktober sollten sie wieder zum Heere stoßen. Mehr als 12000 Mann der besten Truppen wurden auf diese Art am entscheidenden Tage vom Schlachtfelde ferngehalten. Fast wäre ähnliches auch auf der anderen Seite rechts der Saale geschehen; denn als der Herzog von Braunschweig Hohenlohe den Befehl gab, zur Saale zurückzukehren, trug er ihm auf, die Division Tauentzien auf Dresden abrücken zu lassen, als ob die Sicherheit der sächsischen Hauptstadt von der Aufstellung einer so geringen Truppenzahl und nicht vielmehr vom Ausfall der entscheidenden Schlacht zwischen den beiden großen Heeren abhinge. Die unheilvolle Maßregel kam indessen nicht zur Durchführung. Tauentzien mußte am 10. wohl oder übel mit den Sachsen vereint den Rückzug auf Jena antreten, den der persönlich bei Mittel-Pöllnitz erschienene Fürst Hohenlohe, beunruhigt durch das von Saalfeld herübertönende Geschützfeuer, endlich anordnete. Zu selbständigen Operationen gegen einen weit überlegenen Feind waren die Truppen nicht mehr imstande. Am 11. Oktober hätte nun der Saaleübergang der vereinigten Armeen stattfinden sollen, aber der Herzog von Braunschweig hat ihn wohl nur pflichtmäßig, ohne Vertrauen auf einen guten Ausgang, eingeleitet, und die Unfälle von Schleiz und Saalfeld brachten seinen Entschluß vollends zu Fall. Er gedachte sich nunmehr ganz auf passive Abwehr zu beschränken, und mit Genehmigung des Königs wurde dazu die schnelle Versammlung der Hauptarmee um Weimar, der Hohenloheschen zwischen Weimar und Jena, sowie die Heranziehung Rüchels gegen Weimar befohlen. Der Herzog von Weimar und General v. Winning, die mit den beiden entsendeten Avantgarden nach dem Thüringer Walde aufgebrochen waren, wurden wieder zurückgerufen, doch kamen sie schon zu spät. Auch der 11. Oktober wurde für das Heer ein unheilvoller Tag. Die Unentschlossenheit der Führung blieb niemandem mehr verborgen. Sie gab sich kund in dem anstrengenden Hin und Her der Märsche, in der allgemeinen Ungewißheit über das, was geschehen sollte, und nicht minder in dem immer herber einreißenden 3* Z6 II. Der Krieg von 1806 und 1807 Mangel an Ernährung, der Zeugnis für die geringe Voraussicht der Hauptquartiere ablegte. Beim Heere Hohenlohes kam es in Jena aus geringfügigen Anlässen zu einer Panik, die wenig von einer völligen Auflösung zu unterscheiden war. Das Vertrauen der Truppen war geschwunden und mit ihm die kostbarste und am schwersten wiederherzustellende Grundlage für den Sieg. Der Hunger tat das übrige, um die Mannschaft zu entkräften. Wohl lagerten in Jena reiche Vorräte. Aber man wagte es nicht, sie anzutasten, sondern überließ sie dem Feinde. ->- 5 Wie anders sah es drüben bei der großen Armee aus. Napoleon war im Vormarsche geblieben. Trotz des Gefechtes von Schleiz hatte er bis zum 10. noch keinerlei sichere Nachricht über den Feind. An diesem Tage erfuhr er, ohne sich im mindesten darum zu kümmern, das Eindringen des Herzogs von Weimar in den Thüringer Wald, sowie die Anwesenheit Hohenlohes bei Jena. Nun glaubte er die Preußen in zwei großen Kolonnen durch das Gebirge und an der Saale entlang im Vorgehen. Vorübergehend tauchte bei ihm die Besorgnis für seine linke Marschkolonne auf, die er am schwächsten gemacht hatte, weil er den Feind vor sich, nicht zur Seite annahm. Aber trotzdem gedachte er unbeirrt in der einmal eingeschlagenen Richtung zu bleiben, und der Ausgang des Gefechts von Saalfeld beruhigte ihn vollends. „Mag der Feind machen, was er will" — so schrieb er an Soult. „Greift er mich an, werde ich hocherfreut fein; läßt er sich angreifen, werde ich nicht verfehlen, es meinerseits zu tun. Ich wünsche sehr eine Schlacht." Das war mustergültig gedacht. Der Tüchtigkeit seines Heeres gewiß, ersehnte er den Waffengang, der ihm den Sieg verhieß. Für die Strategie des Feldherrn wird immer das Entscheidende sein, wie er sich zu dieser großen Frage stellt. Es war ein Glück für die Verbündeten, daß Napoleon auch am 11. Oktober noch in der falschen Richtung gegen Gera verblieb und ihnen nicht auf Jena folgte. Sonst würde eine Katastrophe vielleicht schon jetzt eingetreten sein. Erst in der Nacht zum 12. erhielt er die Gewißheit, daß die Preußen noch am linken Saaleufer stünden und daß ihre Führer unausgesetzt beratschlagten. Er nahm den Feind vereinigt bei Erfurt an, und die große Linksschwenkung der Armee gegen die Saale wird sofort von ihm eingeleitet. Napoleons Einschwenken gegen die Saale 37 Dabei sollten die rechte und mittlere Kolonne ihre Rolle tauschen, um die Wege zu kürzen, die mittlere den rechten Flügel bei Naum- burg erhalten, die rechte gegen Jena ausbiegen und die linke eben- dorthin heranrücken. Während sich dies vollzog, waren die Preußen und Sachsen mit der Einrichtung ihrer Lager beschäftigt, denen die wunderliche Front gegen Südwesten gegeben wurde. Nichts war am rechten Saaleufer zurückgeblieben, um die französischen Bewegungen zu überwachen, trotz der zahlreichen Reiterei, die dem Heere zur Verfügung stand. Es scheint, daß man die Masse der französischen Armee zwischen Jlm und Saale erwartete. So mußte die Einschwenkung der großen Armee nicht die Front, sondern die linke Flanke der Verbündeten treffen, und diese der natürlichen Rückzugslinie berauben. Wohl wäre es noch an der Zeit gewesen, sich durch einen schnellen Abmarsch nach der Elbe mit der Armeereserve unter dem Herzog von Württemberg zu vereinigen und sich der Gefahr zu entziehen. Aber der Tag blieb ungenützt, weil die Lage nicht erkannt wurde und weil das Abwarten zum Schicksal des Hauptquartieres geworden war. In der Nacht zum 13. Oktober erfuhr Napoleon, das königliche Hauptquartier sei von Erfurt nach Weimar gegangen. „Der Schleier ist zerrissen, der Feind zieht ab," rief er aus. Aber dann kamen wieder Zweifel, ob es sich nicht vielleicht um einen Angriff gegen die linke Kolonne handele, ehe die anderen ihr zu Hilfe kommen konnten. Am Vormittage des 13. endlich meldete Lannes, daß 30 000 Preußen bei Jena im Lager stünden. Nun nimmt der Kaiser die Armee des Königs in voller Stärke geschlossen bei Weimar an und ordnet demgemäß seinen Angriff mit völliger Umfassung der linken feindlichen Flanke. Lannes soll über Jena, Soult rechts von ihm, Augerau links von ihm, Bernadotte über Dornburg, und Davout über Naumburg vorgehen, das gemeinsame Ziel Weimar sein. Ney und die Garden rückten als Rückhalt nach Jena heran. Der Kaiser glaubte seiner Sache vollkommen gewiß zu sein; aber auch er sollte sich täuschen. In elfter Stunde noch brach die preußische Hauptarmee wirklich nach der Elbe hin auf. Am 12. Oktober nachmittags hatte sich bei ihr die Nachricht verbreitet, daß Naumburg vom Feinde besetzt, die Armee also umgangen und vom Lande abgeschnitten sei. Anfangs bezweifelt, wurde die erschreckende Kunde durch Flüchtlinge bestätigt. Der Herzog berief von neuem seine Umgebung und die Generalstabs- Jg II. Der Krieg von 1806 und 1807 chefs zur Beratung; der Abmarsch gegen die umfassende Spitze der französischen Armee in der Richtung auf Naumburg wurde beschlossen, und dies war, wie die Umstände nun einmal lagen, vielleicht das beste, das sich überhaupt noch tun ließ. Aber leider tat es der Herzog wieder nur nach alter Weise mit pedantischer Langsamkeit. Nicht in einem Zuge, sondern nach und nach sollte die Bewegung sich vollziehen, Hohenlohe am 14. noch in seiner bedenklichen Stellung stehen bleiben, Rüchel nur bis Weimar ins alte Lager der Hauptarmee folgen. Auch so aber noch schuf die wunderliche Laune des Schicksals für die preußische Armee zum letzten Male eine unerwartet günstige Lage. (S. Skizze 2.) Leider wurde sie verkannt. Fünf Divisionen und eine leichte Brigade der preußischeu Hauptarmee mußten am 14. Oktober auf die drei Divisionen des von Naumburg herankommenden Marschall Davout stoßen und hätten ihn erdrücken können, wären sie ihrer Übermacht inne geworden. Hätte nun, wie es natürlich war, der Herzog Rüchel am 14. noch gleich der Hauptarmee folgen lassen, statt daß er bei Weimar wartete und wäre Hohenlohe die Freiheit geblieben, hinter die Jlm zurückzuweichen, so würde sich auf dem Schlachtfelde von Auerstädt fast die ganze preußische Armee zusammengefunden haben, und ein Sieg wäre gleichsam unvermeidlich geworden. Die Welt hätte nicht verfehlt, das überlegene Feldherrntalent des Herzogs, der den richtigen Augenblick zum Handeln abgewartet habe, in lauten Tönen zu preisen. Dies würde ihm Vertrauen zu sich selbst und dem Heere, sowie dem Lande Vertrauen zur Führung gegeben haben. Aber Preußens Schicksal wollte eine solche Wendung nicht. Das schlimmste von allem war die Weisung an Hohenlohe, jeden Kampf zu vermeiden; denn dies hing nicht von ihm, sondern vom Feinde und den Umständen ab. Nie soll der entfernte Oberbefehlshaber dem an Ort und Stelle handelnden Unterführer derart die Hände binden. Tauentzien hatte in der richtigen Erkenntnis, daß er sich großer Überlegenheit gegenüber befände, Jena schon am 13. Oktober früh geräumt und war nach dem Dornberge auf der Hochfläche des linken Saaleufers zurückgegangen. Leider hatte er es verabsäumt, an den steilen Talrändern Beobachtungsposten zurückzulassen, und von nun ab erfuhr weder er noch Hohenlohe, was drunten bei Jena vorging. Ihm folgend erstieg Marschall Lannes mit seiner Vorhut den weit gegen Süden hin vorspringenden Der Vorabend der Entscheidung 39 Landgrafenberg und begann seine übrigen Truppen dahinter zu entwickeln. Dies führte Tauentzien auf die richtige Bahn; es reizte ihn, die vor ihm stehenden einstweilen noch schwachen Kräfte anzugreifen und die Berghänge hinabzuwerfeu. Wäre das geschehen, Zfellutiyön sm 13. Oittobel'Hbeti^Z. Skizze 2 ^ Preußen u. Sachsen — ^> H Franzosen — K ^- Garden — I Berna- dotte — »l ^ Davout — IV ^ Soult V Lannes VI Ney — V» — Augereau — Die Kavalleriedivisionen sind mit den Namen ihrer Führer bezeichnet. so Würde er den Anmarsch der französischen Kolonnen auf allen Straßen gegen Jena entdeckt und die drohende Gefahr erkannt haben, in der die Armee schwebte. Im entscheidenden Augenblicke kam auch Hohenlohe noch mit seiner Reservedivision, Freiwilligen und zahlreicher Kavallerie heran. 40 II. Der Krieg von 1806 und 1807 Er hatte am Morgen die Unzufriedenheit der Sachsen wegen der immer höher steigenden Not im Lager beschwichtigen müssen und wollte die dann von ihm wieder hergestellte gute Stimmung zu einer Waffentat benutzen. Dies war der Anlaß für sein Vorgehen gewesen. Als er Freiwillige aufforderte, trat jubelnd sein ganzes Regiment aus den Reihen. Es hätte sich wohl etwas ausführen lassen. Aber als er eben die Lage auf dem Landgrafenberge übersehen, seine Anordnungen für den Angriff erteilen wollte, kehrte sein Quartiermeister Massenbach von Weimar zurück und brachte die uns schon bekannten Befehle des Herzogs mit. Das Verbot, sich mit dem Feinde in einen Kampf einzulassen, war ein bestimmtes, und leider fügte sich ihm der Fürst. Er uahm von der Wiedereroberung des Landgrafenberges Abstand, zog unwillig mit seinen Truppen weiter gegen Dornburg hin und übertrug dem nächstältesten anwesenden General v. Holtzendorff die ihm selbst aufgegebene Sicherung der Saaleübergänge von Camburg und Dornburg. In ganz ungenügender Weise sorgte Holtzendorff hierfür und verteilte seine Truppen dann in weitläufige Unterkunft, als geschähe es am Ende eines Friedensmanövers. Hohenlohe kehrte ins Lager zurück. Das Schicksal des Heeres war damit entschieden. Denn der Kaiser, der auf Lannes' Meldung sofort von Gera herbeigeeilt war, hatte nun freie Hand, seine Truppen die Hochflächen ersteigen zu lassen und die Entfaltung feiner großen Überlegenheit vorzubereiten. Hinter dem Korps Lannes betrat die Garde den Landgrafenberg. Ein schmaler Weg wurde schleunigst zum Heraufführen von Geschützen erweitert. Mit einer Fackel in der Hand leitete Napoleon selbst die Arbeit und verblieb die Nacht über auf der Höhe in einem Karree seiner Garde. Er hatte ein großes preußisches Lager in der Richtung auf Weimar erkannt. Freilich war das nicht die ganze preußische Armee, die er dort vermutete. Sehr wohl aber konnten die vorliegenden Höhenzüge ihm andere in den Tiefen aufgeschlagene Lager verbergen. Er blieb also bei seiner Vorstellung; die Beute war vor ihm, und er zögerte nicht, sich auf dieselbe zu stürzen. Mit der Dunkelheit erlosch auch das Schützenfeuer, das tagüber am Landgrafenberge fortgedauert hatte, und eine lange, ruhige Oktobernacht begann — die Stille vor dem Sturm. Die Doppelschlacht. Jena 41 2. Die üoxxelschlacht vom ^. Oktober M6 Die Schlacht von Jena (S. Skizze 3) Fürst Hohenlohe scheint die Mahnung des Herzogs, sich auf kein Gefecht einzulassen, wörtlich dahin aufgefaßt zu haben, daß er Skizze 3 -cki Preußen und Sachsen — M Franzosen — ^ Lager der Armee des Fürsten Hohenlohe in der Nacht vom 13. zum 14. Oktober — k Tauentziens Stellung am Dornberge — S—k Holtzendorffs Angriff gegen das Lohholz — lZ—v Entwicklung der Hauptkräfte Hohenlohes bei Vierzehnheiligen — v—v Die Sachsen an der Schnecke überhaupt keine Bewegung ausführen solle. So blieb er denn in seinem wunderlichen Lager zwischen der Schnecke von Jena und Kapellendorf stehen, unverwandt die Front gegen Südwesten behaltend, obschon der Feind östlich von ihm und fast in seinem Rücken stand. Graf Tauentzien, der das Bedrohliche seiner Lage am Dornberg herausfühlte, entschloß sich, zu tun, was er am Tage 42 II. Der Krieg von I30K und 1807 vorher mit größerer Aussicht auf Erfolg hätte tun können. Er ging zum Angriff gegen den Landgrafenberg vor. Die Franzosen kamen ihm entgegen, aber jetzt nicht mehr Lannes und die Garden allein, sondern rechts von diesen schon eine Division Soults durch das Rauhtal, links durch das Lieskauer Tal eine Division von Augereau. 44 französische Bataillone standen am Ende gegen 13 preußische im Gefecht, deren Schwäche ein dichter, auf den Höhen lagernder Nebel verbarg. Drei Stunden lang hielten sie wacker aus, ein Beweis, daß sie trotz aller Mängel der Revuetaktik tüchtig zu kämpfen verstanden. Dann endlich war ihre Kraft gebrochen und die Munition verschossen. Die eine Hälfte lag tot und verwundet auf der Walstatt, die andere zog sich gegen die Armee hin auf verschiedenen Wegen zurück. Das Feuer erscholl zuletzt schon im Rücken des großen Lagers, das endlich in Bewegung kam. Ein erster unglücklicher Akt der Schlacht war vorüber. Ein zweiter sollte bald danach folgen. General v. Holtzen- dorff, durch den Kampfeslärm vom Dornberge her aufgescheucht, hatte seine Truppen allmählich nordöstlich des Lohholzes zwischen Lehesten und Rödigen versammelt, um Tauentzien zu unterstützen. Schon waren die vor ihm hoch gelegenen Waldränder vom Feinde besetzt, da der Marschall Soult nach und nach sein ganzes Korps von Jena her dort heraufsteigen ließ. Hinter Holtzendorffs Stellung lag der tiefe Grund von Nerkwitz. Trotzdem trat er, um den Waffengefährten am Dornberge zu Hilfe zu kommen, zum Angriff an. Aber der Vorstoß kam bald zum Stehen. Rechtzeitig erkannte er noch die große Überlegenheit der Franzosen und kehrte durch den Grund von Nerkwitz wieder zurück. Ohne Unfall ging es dabei nicht ab. Die feindliche Kavallerie brach in sein kleines Korps ein und brachte es zum Teil in Verwirrung. Aber in leidlichem Zustande erreichte er mit demselben noch die Höhen südöstlich Apolda und hätte sich von dort dem Hauptkampfplatze bei Vierzehnheiligen zuwenden sollen. Aber solch eigenmächtiges Handeln lag nicht im Geist der Armee. Ein Befehl war ihm nicht zugegangen, und so ließ er denn Schlacht Schlacht sein und zog über Apolda davon. Hohenlohe war früh in Kapellendorf verblieben. Es sollte heute ja nicht gefochten werden. Als er dann in das Lager hinaufritt, war er unwillig, die preußische Division Grawert in Bewegung zu finden. Sie hatte die Zelte abgeworfen, das Gewehr Dornberg. Lohholz. Vierzehnheiligen 4-! aufgenommen und war links abgeschwenkt, angetreten und nun noch einmal imHaken links aufKlein-Romstädt marschiert. Der Fürst wollte sie anhalten, aber General Grawert bestand darauf, daß er wenigstens die Front nach dem Feinde nehmen dürfe. Bald kamen auch Versprengte und dann Tauentziens Bataillonsreste über die Felder daher. Der Feind folgte und warf sich nach Vierzehnheiligen hinein. Damit war ein Ziel gegeben, und die preußische Linie trat mit Echelons in höchster Ordnung zum Angriff gegen das Dorf hin an. Die Kavallerie setzte sich auf den linken Flügel. Tauentziens, von Hohenlohe belobte und mit frischem Schießbedarf versehene, Bataillone, sowie Teile der Reserve, die am Nachmittag zuvor nicht mit ausgerückt waren, schlössen sich dem Vorrücken an. Auch der Fürst begleitete es. Seinem feurigen Wesen gelang es, die Truppen in kampffreudige Stimmung zu versetzen. Jetzt hätte er erkennen müssen, daß es sich nicht mehr um Befolgung gegebener Befehle, nicht mehr um Zurückhaltung oder leichtes Gefecht, sondern um eine entscheidende Schlacht handele. Noch wäre es Zeit gewesen, alle irgend verfügbaren Truppen, zumal die zahlreiche Kavallerie heranzuholen, sie alle zu einer großen Masse zu vereinigen und mit dieser einen wuchtigen Schlag zu führen, wie es Friedrich bei Leuthen getan. Ohne Mühe hätte er 22 Bataillone und 30 Schwadronen, soviel wie Friedrich und Seydlitz bei Tagewerken, zusammenbringen können. Aber leider verlor er das Ganze vollkommen aus dem Auge und beschäftigte sich nur mit der Division Grawert. Bei den Franzosen drüben war ein starker Teil der Truppen durch Holtzendorffs Angriff abgelenkt worden. Weder die Hinteren Divisionen von Soult und Ney noch die nachfolgende Reservekavallerie waren eingetroffen. Von Augereaus Korps steckte die eine Division in der Jsserstädter Forst, die andere im Mühltal. Der Kaiser verfügte einstweilen bei Vierzehnheiligen nur über den größten Teil des Korps Lannes, über die Garde, Neys Avantgarde und einige Kavallerie. Er verhielt sich auch zurückhaltend trotz der Mahnung zum Angriff, die ihm aus den Reihen seiner Bataillone entgegen schallte. Es wäre Hohenlohe wohl nicht mehr möglich gewesen, das Schicksal des Tages überhaupt zu wenden, aber ein vorübergehender Erfolg konnte errungen werden und hätte ihm die Freiheit für einen glücklichen Abzug gewährt. Die vordersten Schwärme des Feindes wichen vor der stolzen daherkommenden 44 II. Der Krieg von 1806 und 1807 preußischen Linie. Schon kam General Grawert zum Fürsten heran und beglückwünschte ihn zur gewonnenen Bataille, was dieser bescheiden ablehnte. Nun wäre der Stoß nach Vierzehnheiligen hinein zu führen gewesen. Aber das lag nicht mehr in der Kampfweise von Friedrichs Epigonen. Nicht wildes Handgemenge, sondern die Macht der Bewegungen und des Feuers sollte entscheiden. Vierzehnheiligen gegenüber machte die Linie halt, schwenkte allmählich, zumal mit dem linken Flügel, bei der Mühle von Krippendorf herum und schleuderte ihre Salven gegen den hinter Mauern, Hecken und Unebenheiten fast verdeckten Feind. Sie gaben wohl ein prächtiges Schauspiel ab, aber ihre Wirkung war gering. Der Waffe hatte die tödliche Spitze gefehlt. Massenbach will den Vorschlag gemacht haben, die ganze Kavallerie zu versammeln und einzusetzen, um den Feind zu durchbrechen und zu werfen. Wenn das wahr ist, so hatte er recht: „Stillstehen und Abwarten mußte uns den Tod bringen." Aber der letzte kräftige Schlag unterblieb. Der Fürst hatte Nüchel zum Herankommen aufgefordert; man sah sich nach Rüchel um, und von Rüchel war nichts zu sehen. Die Zeit verstrich, die Verluste wurden groß, die Munition begann zu mangeln. Vierzehnheiligen blieb in der Hand der Franzosen, deren geschlossene Truppen hinter dem Dorfe gegen das preußische Feuer Schutz suchten. Die Tirailleurs schössen in die als Scheiben nahe vor ihnen stehenden preußischen Bataillone hinein, in denen die Lücken sich bedenklich mehrten. Das Kartätschfeuer wirkte mit. Zwei Stunden lang hielt die brave preußische Infanterie aus, ohne zu weichen. Rüchel war immer noch nicht zur Stelle. Der Kaiser aber hatte seine Verstärkungen mittlerweile herangezogen. Marschall Soult, durch das Verschwinden Holtzendorffs frei geworden, wendete sich dem Kampfplatz auf dem rechten Flügel zu, Augereau tat es links bei Jsserstädt und an der Schnecke. Hinter der Mitte gesellte sich das Korps Ney zu den Garden. Lannes hielt noch immer die vordere Linie. Auch die Kavalleriedivisionen trafen eine nach der anderen ein. Damit war die Schlacht für Preußen unrettbar verloren. Es wurde 1 Uhr nachmittags, und noch immer konnte sich Hohenlohe zum Rückzüge nicht entschließen; er wartete weiter auf Rüchel. Da brach die Flut der Feinde über ihn herein, und an ein Halten war nicht länger zu denken. Die Reste der zusammen- Die Katastrophe. Rüchel bei Kapellendorf 45 geschossenen Bataillone wichen; die französische Kavallerie fiel über sie her, nur wenige bewahrten eine gute Haltung; die meisten wurden zersprengt oder gefangen. Der dritte vereinzelte Akt der Schlacht war vorüber. Der Schrecken, der sich der großen Mehrzahl der Truppen jetzt bemächtigte, ist leicht erklärlich. In dem würdigen Marschtempo jener Zeit waren die Bataillone tadellos avanciert und hatten mit der vorzüglichsten Ruhe und großer Schnelligkeit ihr Salvenfeuer abgegeben. Sie waren stets gelehrt worden, daß dieses Mittel unfehlbar zum Siege führe. Jetzt hatten sie erfahren, daß das eine bittere Täuschung war und daß sie auf einen Gegner getroffen seien, bei dem es nicht anschlug. Sie erlitten die größten Verluste, ohne ihm Gleiches mit Gleichem vergelten zu können. „Die Unmöglichkeit, etwas gegen das verheerende Feuer der feindlichen Tirailleure zu tun, brachte die Mannschaft außer Fassung." Die Armee war fast schon zu einem Strome von Flüchtlingen aufgelöst, als jetzt — nachmittags 2 Uhr — General v. Nüchel mit seinem Korps bei Kapellendorf eintraf. Der Grund der Verspätung ist ein Rätsel geblieben, wie die Kriegsgeschichte sie mit sich bringt. Vom frühen Morgen ab hatte er den Kanonendonner von den beiden Schlachtfeldern dieses Tages gehört, und um 9 Uhr die erste Aufforderung Hohenlohes erhalten. Er will sogleich aufgebrochen sein. Trotzdem wurde die Spitze seiner Truppen erst um 1 Uhr nachmittags westlich von Kapellendorf sichtbar. Der Weg dahin hatte kaum eine deutsche Meile betragen. An eine absichtliche Zögerung ist bei Nüchels ritterlichem Charakter nicht zu denken. So bleibt zur Lösung nur übrig, daß er die Zeit mit umständlichen Anordnungen und unnützem Beiwerk der Truppenbewegung verloren hat. Zu retten war die Schlacht nicht mehr. Vielleicht hätte eine Aufstellung auf den Höhen hinter Kapellendorf den Rückzug der Armee in geordnete Bahnen lenken können. Aber ein solches Verhalten lag nicht im Temperament Rüchels und nicht in der Erziehung seiner Truppen. Sie kannten nur ein Vorwärts. Es ging also durch das tiefgelegene und enge Kapellendorf hindurch gegen die jenseitigen Höhen, auf denen die siegreichen Franzosen zu erscheinen begannen. Aber der Versuch wurde nicht einmal mit ganzer Kraft unternommen. Schon bei Weimar hatte Rüchel eine gemischte Abteilung unter General v. Wobeser zurückgelassen, um die Verbindung mit dem Herzog von Weimar 46 II. Der Krieg von 1806 und 1807 und Winning aufrecht zu erhalten. Jetzt blieben westlich Kapellendorf nicht weniger als drei gemischte kleine Reserven stehen. Auch Kapellendorf blieb besetzt. Nur 11 schwache Bataillone stiegen von dort die östlichen Höhen hinan mit großer Entschlossenheit und in prächtiger Ordnung, aber dennoch vergeblich. Der Stoß scheiterte an der breiten, schon entwickelten französischen Front und ihrem heftigen Geschütz- und Gewehrfeuer. Nach einer halben Stunde flutete auch Rüchels Korps zertrümmert wieder über Kapellendorf zurück. Der General selbst war durch einen Schuß in die Brust schwer verwundet, blieb aber zu Pferde. Ein Erfolg, den die sächsische Kavallerie rechts neben Nüchel um dieselbe Zeit erfochten hatte, blieb unter diesen Umständen ohne Wirkung. Noch immer aber hielt die sächsische Division, die an der Schnecke gelagert, diese besetzt und verteidigte sie beharrlich gegen Augereau. Sie konnte sich nicht ohne einen höheren Befehl zum Rückzüge entschließen, und dieser begann erst, als das Getümmel der Schlacht sich längst in ihrem Rücken bewegte. Nun versuchte sie auf Weimar abzumarschieren, aber sie vermochte ihrem Schicksal nicht mehr zu entgehen. Bald von allen Seiten umringt und angegriffen, fiel sie dem Feinde in die Hand. Nur der kommandierende General v. Zeschwitz, der sich bei ihr befand, schlug sich mit einigen Schwadronen durch, wie Fürst Hohenlohe sich im Karree des sächsischen Grenadierbataillons Winkel die Bahn durch den Feind gebrochen hatte. Das waren die beiden Schlußakte des wunderlichen Dramas. Einige preußische Abteilungen, die am Schwabhäuser Grunde gestanden hatten, teilten das Los der Sachsen, ohne vorher zum Kampfe gekommen zu sein. Die Schlacht war vollständig beendet, als ein letzter Überfall die Flüchtlinge sprengte, die sich unter dem Schutze der Abteilung Wobesers und zweier am Webichtholz bei Weimar verbliebener Bataillone wieder gesammelt hatten. Erst 8000, dann 5000, dann 25 000, zuletzt 12000 oder vielleicht 15 000 Mann hatten je eine besondere Schlacht für sich geschlagen, ohne Zusammenhang, ohne gemeinsames Ziel und waren eine Gruppe nach der anderen trotz aller Tapferkeit dem jedesmal stärkeren Feinde erlegen. Das war die Folge von Planlosigkeit und Zersplitterung der Kräfte. Napoleon scheint von den 96000 Mann, die er bis zum Mittag auf dem Schlachtfelde versammelte, noch nicht zwei Drittel wirklich verwendet Niederlage der Sachsen. Auerstedt 47 zu haben. An entscheidender Stelle aber traten sie vereint und überlegen auf. Die Verluste waren schwere. Sie sind auf preußischer Seite, wegen der nachfolgenden Auflösung der Armee, nicht festzustellen. Auf französischer kennt man sie bis jetzt nur von einigen der beteiligten Truppen. Danach kann man sie auf 6000 Mann veranschlagen. Die Schlacht von Auerstedt (S. Skizze 4) Die Hauptarmee setzte sich am 14. Oktober um 6 Uhr in dichtem Morgennebel in Bewegung. Der Herzog von Braunschweig wollte die Enge von Kösen a./Saale durch eine starke Vorhut besetzen, zugleich die Unstrut überschreiten, „womöglich über die Saale bei Weißenfels oder Merseburg kommen und dem Feinde Bataille liefern." Die Vorhut sollte an Stelle des Herzogs von Weimar Blücher aus den leichten Truppen und zahlreicher Kavallerie neu zusammensetzen. Allein die Truppen waren zum Teil erst in der Nacht und gegen Morgen eingetroffen, lagerten irgendwo an der Straße und vermochten das von Menschen, Fahrzeugen und Pferden vollgepfropfte Auerstedt nicht rechtzeitig zu durchschreiten. Nur sechs Schwadronen mit einer reitenden Batterie trabten voraus. Zwei von ihnen wurden gleich rechts und links entsendet, die übrigen trieben feindliche Reiter bis Hassenhausen vor sich her und eilten auch durch dieses Dorf hindurch. Jenseits des Dorfes wurden sie von Kartätschfeuer überrascht; die schnell auffahrende Batterie erwiderte dasselbe, vor ihr aber tauchten gleich darauf Jnfanterie- schützen und französische Chasseurs auf und drangen zwischen die Geschütze ein. Nur zwei davon retteten sich. Warum die vier Schwadronen, die noch bei der Batterie gewesen, sie nicht heraushieben, ist unaufgeklärt. Ein Unfall hatte die Schlacht eingeleitet. Bald danach näherte sich die Division Schmettau dem Schlachtfelde. Ihre 14 Schwadronen wurden vorgeholt. Indessen verwendete der an die Spitze des Heeres geeilte Herzog von Braunschweig 5 davon sogleich zu Nebenzwecken, 2 andere ließ Blücher bei Poppel zurück, mit den ihm noch verbleibenden 7 ging er gegen den Ranzenhügel nördlich Hassenhausen vor. Dort stieß er auf eine feindliche Jnfanterie- linie, bemühte sich, noch mehr Kavallerie heranzuziehen, konnte aber 48 II. Der Krieg von 1806 und 1807 nur 3 Schwadronen und 1 Batterie auffinden. Mit diesen Kräften suchte er dem Feinde die rechte Flanke abzugewinnen. Er verlor indes die Geduld und griff, noch ehe die eigene Infanterie heran war, zweimal lebhaft an. Der noch gar nicht erschütterte Feind wies ihn zurück, sein Pferd wurde ihm unter dem Leibe erschossen, und mit Mühe rettete er sich auf dem eines Trompeters. Die wacker unterstützende Batterie ging verloren. flsn clel' Zclilsclil von ^ues'sfecit sm 14, Oktober 1306. ^ Lager der preußischen Hauptarmee in der Nacht vom 13. zum 14. Oktober — mW Preußen in der Schlacht — I. 2. 3. VIv. ---- Schmettau, Wartensleben, Oranien — Kv8si'vo — Div. Kunheim und Arnim — M H Franzosen Anders als bei Jena nehmen sich diese ersten Gefechtsakte aus; es fehlte keineswegs an schnellem und dreistem Zugreifen, wohl aber an Einheit der Handlung, und die Verzettelung .der Kräfte tat auch hier ihr verhängnisvolles Werk. Drüben hatte Marschall Davout früh um 3 Uhr den Befehl zum Vorgehen auf Apolda erhalten. Wir wissen, daß er sich dort gegen die linke Flanke der verbündeten Armee wenden sollte, die Der Kampf um Hassenhausen 49 Napoleon vereinigt bei Weimar annahm. Um 6 ^ Uhr überschritt die vorderste Division, Gudin, die Saale bei Kösen, und ihre schwache Avantgarde focht den ersten glücklichen Zusammenstoß dicht östlich von Hassenhausen aus. Sie besetzte das Dorf, marschierte mit einem Regiment südlich, mit den übrigen nördlich davon auf. Hassenhausen spielt hier sehr bald eine ähnliche Rolle wie Vierzehnheiligen bei Jena. Die beiden anderen Divisionen Friant und Morand sollten unmittelbar darauf folgen, trafen aber erheblich verspätet nacheinander auf dem Kampfplatze ein. Dort erschien jetzt von Tauchwitz her die preußische Division Schmettau und marschierte nördlich der Landstraße auf. Voreilig riß der alte Feldmarschall Möllendorff, sich an Schwerins Beispiel bei Prag erinnernd, sie zum Angriff fort. Der Herzog von Brauuschweig sandte zur Division Wartensleben und bezeichnete ihr die überragende Höhe südlich von Hassenhausen für den Aufmarsch. Mit dem Beginn des Kampfes waren Feuer und Tatkraft in alter Weise bei ihm erwacht. Aus seinen Äußerungen läßt sich schließen, daß ihm das Richtige vorschwebte, nämlich, mit den beiden vorderen Divisionen solange abzuwarten, bis die Armee im ganzen heran sei, um dann zum großen einheitlichen Angriff zu schreiten. Allein das Schicksal wollte nicht, daß ihm die Ausführung vergönnt sei. Bald stürzte er tödlich verwundet vom Pferde, und die Leitung der Schlacht hörte schon in ihrem Anfang auf. Der Angriff der Division Schmettau ging anfangs gut vorwärts. Sie allein vermochte jedoch den Feind nicht zu werfen und Hassenhausen zu nehmen. Dem Dorfe gegenüber kam sie zum Stehen. Dort verlängerte die Division Friant nebst der Kavalleriebrigade Vialannes Gudins Schlachtlinie nach rechts hin und ging gleichzeitig auch mit einem Teil ihrer Kräfte gegen Spielberg vor, die preußische Linke umfassend. Vergeblich suchte eine kleine Abteilung preußischer Königin-Dragoner diese bedrohliche Bewegung durch einen glänzenden, der Väter von Hohenfriedberg würdigen Angriff aufzuhalten. Die kleine Schar vermochte nur den Beweis zu liefern, was eine große Kavalleriemasse, rechtzeitig eingesetzt, hier hätte ausrichten können. Inzwischen marschierte rechts von Schmettau die Division Wartensleben auf und schritt gleichfalls zum Angriff. Anfangs kam auch sie glücklich vorwärts und drängte die Ketten der feind- Frhr, v. d, Goltz, Kriegsgeschichte 4 50 II. Der Krieg von 1806 und 1307 lichen Tirailleurs gegen Hassenhausen zurück, das Dorf mehr und mehr auf der Südseite umfassend. Jene nisteten sich indes in Hecken, Hohlwegen und hinter Mauern ein und empfingen die aufrecht stehenden preußischen Linien mit heftigem Feuer. Marschall Davout zog einen Teil der Truppen des rechten Flügels nach dort hinüber, und es entspann sich ein stehendes Feuergefecht, bei dem südlich der Straße von Auerstedt nach Hassenhausen die Preußen, nördlich davon die Franzosen im Vorteil waren. Eine Entscheidung blieb aus; auf preußischer Seite fehlte auch hier, wie bei Jena, der letzte Stoß. Hassenhausen wurde von den Franzosen vorübergehend verlassen, aber auch dies scheint unbemerkt geblieben zu sein. In schneller Folge krachten dafür die so oft bewunderten preußischen Bataillonssalven. Die Wendung mußte eintreten, als die letzte Division Davouts hinter Hassenhausen eintraf. General Morand warf sein vorderstes Regiment sofort in das Dorf hinein, zog sich mit den übrigen links aus der Straße heraus, verlängerte dort die französische Schlachtlinie und begann nun seinerseits, die preußische zu umfassen. Hier war ihm gegenüber zahlreiche preußische Kavallerie vorhanden, und es winkte ihr ein schöner Siegespreis. Von einem Seydlitz geführt, hätte sie sich in Massen zusammengeballt und die kämpfende französische Linie von links her aufgerollt. Das hätte auch der Infanterie neue Tatkraft eingehaucht und hätte sie, das gefällte Gewehr in der Faust, zum Sturme fortgerissen. Aber der Seydlitz fehlte. Nur zusammenhanglose Angriffe vereinzelter Regimenter fanden statt und wurden abgewiesen. Jedermann schickte nach Befehlen aus, niemand fand sich, diese aus eigenem Entschluß zu erteilen. Vergeblich ritt Prinz Wilhelm von Preußen an der Spitze der Blücher-Husaren in den Feind hinein. Sein Beispiel wirkte nicht weit genug. Zudem ward er verwundet und sein Pferd ihm erschossen. Ratlos standen die Schwadronen hier und dort herum, gaben endlich die Versuche auf, gingen über den Ems- bach zurück und kehrten dem Schlachtfelde den Rücken. Während vorn bei Hassenhausen um das Schicksal des Vaterlandes gekämpft wurde, hatten zahlreiche Truppen der Armee, die das immer noch verstopfte Defilee von Auerstedt nicht zu passieren vermochten, mit Gewehr bei Fuß gewartet, was Gott weiter verfügen wolle. Selbständig auszubiegen und rechts oder links am Dorfe vorbei den Emsbach zu durchschreiten, lag nicht in der Natur Kavallerieangriffe. Untätigkeit der Reserve 51 der Armee, die gewohnt war, alles nur auf Befehl oder Kommandowort zu tun. Tropfenweise und durch weite Lücken getrennt, kamen die einzelnen Abteilungen an. Dem Könige hatte die Unordnung mißfallen, und er mühte sich, sie zu beseitigen, doch nur in der engeren Auffassung, daß er die einzelnen Divisionen geschlossener auf das Gefechtsfeld bringen wollte. Die Lage im großen hat sich seinem Blicke wohl entzogen. Er schickte zur Division Oranien, sie solle in Ruhe heranrücken und aufmarschieren. Das kostete natürlich Zeit. Als sie endlich Gernstedt erreichte, traf sie ein erster Befehl, den linken Flügel der fechtenden Linie zu verstärken. Bald darauf folgte ein zweiter, beide Flügel zu unterstützen. Die epidemische Krankheit der Kräftezersplitterung wirkte fort. Unfehlbar hätten hier alle Kräfte nach rechts eingesetzt werden müssen. Als die beiden Halbdivisionen getrennt sich der Feuerlinie näherten, zeigte diese schon bedenkliche Lücken und flatternde, schwankende Bataillone, keine geschlossene Front. Sie wirkten nur noch als Ersatz der Verluste und vermochten den vorher so nahen Sieg jetzt nicht mehr zu erringen. Bald fluteten die geschlagenen drei Divisionen gegen Auerstedt hin zurück. Noch waren indes zahlreiche Reserven vom Kampfe unberührt geblieben, nämlich die beiden Divisionen Arnim und Kunheim und die leichte Brigade Oswald. Diese hatte eigentlich bei General v. Blücher an der Spitze der Armee sein sollen, sich aber nicht zu ihm hindurch arbeiten können. Weil nach Meinung ihres Generals sonst gerade nichts zu tun war, stellte sie sich bei Sulza im Winkel zwischen Ems und Saale auf, und auch die zur Division Kunheim gehörige Garde marschierte dorthin ab. Die übrigen Truppen taten nicht viel anderes, als dem Schauspiele der Schlacht auf 4000 Schritt Entfernung beizuwohnen. Ihr Führer, General Graf Kalckreuth, trabte auf des Königs Befehl: „Wer fertig wäre, möchte machen, daß er vorkäme," mit der noch zurückgebliebenen Kavallerie gegen das Schlachtfeld hin und fandte der Infanterie und Artillerie die Weisung, die Höhen von Eckartsberga nördlich Auerstedt zu krönen. Dort bildeten sie weiter die untätigen Zuschauer, trotzdem der Feind die Umgehung des linken Flügels weiter und weiter ausgedehnt hatte und einmal schon aus Poppel, wo er die Straße nach Auerstedt erreichte, wieder hinausgeworfen werden mußte. Auf dem äußersten rechten Flügel, wo die leichten Truppen 4» 52 II. Der Krieg von 1306 und 1807 des Generals Oswald den Sonnenberg vor und die Garde den Höhenrand an der Mühle hinter Sulza besetzt hielten, kam es noch zu einem besonderen Gefecht. General Morand umfaßte zunächst die ersteren an der Jlm und drängte sie zurück. Dann wandte er sich gegen die Garde. Im Grunde des Ems- baches aber kam sein Angriff zum Stehen, da preußische Füsiliere und Weimarische Scharfschützen sich in zerstreutem Gefecht den Franzosen völlig ebenbürtig erwiesen. Die Garden blieben auf ihrem Platze, bis der Befehl zum allgemeinen Rückzüge sie erreichte. Aber immerhin war es auch hier geschehen, daß ein Teil der Truppen vom Feinde in ein nachteiliges Gefecht verwickelt wurde, während der andere untätig in der Nähe stand. Welch eine Gelegenheit war hier versäumt worden. Wenig mehr als die Hälfte der Armee hatte vorn bei Hassenhausen ge- gefochten, der Feind aber gegen sie seine Kräfte bis zum letzten Bataillon erschöpft. Auch seine Verluste waren sehr schwere gewesen. Ein einheitlich geleiteter Vorstoß der noch frischen 2^ Divisionen hätte das Schicksal des Tages wenden müssen, gleichgültig, ob er hier oder dort, so oder so geführt wurde. Wäre General Graf Kalckreuth der Mann gewesen, für den ein großer Teil der Armee ihn hielt, so hätte er die Gunst dieses Augenblickes nimmer vorübergehen lassen, ohne den Lorbeer unvergänglichen Ruhmes um seine Stirn zu winden. Der König, dessen Gemüt leicht dazu neigte, die Dinge schwarz zu sehen, gab zu früh die Hoffnung auf den Sieg auf. Damit war die Schlacht verloren. Versuche, wie derjenige Blüchers, der noch einmal mit der vorhandenen zahlreichen Kavallerie in die französischen Linien hineinfahren wollte, änderten nichts mehr daran. Zudem waren die Regimenter zerstreut und stießen sich tatenlos irgendwo auf einem Teile des Schlachtfeldes oder hinter ihm herum. Auch der Kavallerieangriff unterblieb, und der König ließ den Rückzug gewähren. Über dessen Richtung sprach er sich zunächst nur zu seinem Generaladjutanten Zastrow aus, und doch war diese Richtung bei der strategischen Lage der Armee von der höchsten Wichtigkeit. Noch wäre der Weg über Artern zur Elbe frei gewesen. Der Feind vermochte ihn nicht zu verlegen, denn die Schlacht hatte alle seine Kräfte nach dem Kampfplatze herangerufen und die Umfassung aufgehoben. Hohenlohe und Rüchel sowohl als auch das Reservekorps des Herzogs von Württemberg hätten Der Rückzug von Jena und Auerstedt bis Magdeburg 55; die gleiche Richtung gewinnen und sich auf der geraden Straße nach Magdeburg vereinigen können. Aber auch darauf glaubte der König nicht mehr hoffen zu dürfen und traf die unglücklichste Wahl, die sich im Augenblicke treffen ließ, nämlich die auf Weimar. Von Hohenlohes Niederlage hatte er noch keine Nachricht. Er wollte sich daher mit ihm vereinigen, um den Kampf zu erneuern. Wohl hielt das brennende und von Fahrzeugen versperrte Auerstedt den Abmarsch noch beträchtlich auf, doch auch des Feindes Kräfte hatten sich erschöpft. Sie vermochten nicht mehr nachzudrängen. Nur die rührige französische Kavalleriebrigade, 8 Schwadronen, die einzige Reiterei, die Davout besaß, folgte bis Buttstedt und hielt eine reiche Ernte an Gefangenen und Geschützen. Daß Hohenlohe bei Jena geschlagen wurde, ist nicht zu verwundern; auch einem besseren Feldherrn als ihm wäre es nicht anders ergangen. Es hatte aber Kunst dazu gehört, auch die Schlacht von Auerstedt zu verlieren. Gegen 50000 Mann mit 230 Geschützen waren verfügbar gewesen, um Davout zu schlagen, der ihnen nur 27 000 mit 44 Geschützen entgegenstellte. Aber die Führung hatte es fertig gebracht, im Kampfe selbst nicht nennenswert stärker aufzutreten, als die Franzosen, ja an der entscheidenden Stelle bei Hassenhausen — wenigstens an Infanterie — schwächer zu sein. Die großen Verluste des Davoutschen Korps, 258 Offiziere und 6794 Mann, sprechen dafür, wie tapfer die Preußen gefochten hatten und wie nahe man dem Siege war. Wieviel diese verloren, ist aus denselben Gründen, wie bei Jena, nicht mit Sicherheit zu berechnen. — Marschall Bernadotte, der früh mit Davout bei Naumburg gestanden, war auf keinem der beiden Schlachtfelder erschienen. Von rechts und links den Kanonendonner vernehmend, marschierte er entschlußlos über Dornburg nach Apolda. Dort veranlaßte sein Erscheinen am Abend die preußische Hauptarmee zum Ausbiegen am nördlichen Jlmufer. 5. Von Iena und Auerstedt bis Magdeburg Die unheilvolle Doppelschlacht des 14. Oktober war beendet. Die Trümmer des Hohenloheschen Heeres und der in wachsender Unordnung zurückflutende Strom der Hauptarmee vereinigten sich nachts in der Gegend von Sömmerda, Sondershausen und Langen- 54 II. Der Krieg von 1806 und 1807 salza. An 60 000 Mann mögen dort beisammen gewesen sein. Ein starker Wille hätte mit diesem Nest der preußischen Macht immerhin noch Tüchtiges leisten können, aber ein solcher Wille fehlte. Das Geschehene war so unerwartet gekommen, hatte die düstersten Vorstellungen so weit übertroffen, daß Führer und Truppe darüber die Fassung verloren. Unerhörte Verzagtheit herrschte überall. Im Herzen der Soldaten regte sich zudem der Groll über das harte Los, das ihnen in ihrem Friedensdienstleben beschieden war; die Mannszucht löste sich; die Furcht vor der Strenge der Offiziere schwand, Herumtreiber und Nachzügler mehrten die Verwirrung durch Abfeuern ihrer Gewehre, um die im Stiche gelassenen Gepäckwagen ungestört plündern zu können. Waffen wurden fortgeworfen — Vorgänge, die sich niemals sonst im preußischen Heere ereignet hatten, selbst nicht nach den schwersten Niederlagen des Siebenjährigen Krieges. Am 15. Oktober früh 7 Uhr traf der König in Sömmerda ein und befahl den Rückzug über Nordhausen auf Magdeburg. Damit war der Gedanke, die mittlere Elbe noch vor dem Feinde zu erreichen und sich mit dem in die Niederlage nicht verwickelten Korps des Herzogs von Württemberg zu vereinigen, endgültig aufgegeben, obwohl die Wege dorthin noch offen standen. Die Sorge vor jedem weiteren Zusammenstoß mit dem Feinde beherrschte die Gemüter und umflorte den Blick der Generale. Ein ansehnlicher Strom von Flüchtlingen hatte sich nach Erfurt gewendet, um unter den Mauern dieses festen Platzes Schutz zu suchen. In den gelehrten strategischen Auseinandersetzungen der Preußischen Generalstabsoffiziere hatte Erfurt eine große Rolle gespielt. Da auch die vom Thüringer Walde her zurückkehrende Division des Herzogs von Weimar, die mit dem Feinde noch nicht zusammengetroffen war, sich Erfurt näherte, so hätte bei gutem Willen sich auch dort noch ein beträchtliches Korps von 20000 Mann bilden können. Allein auch an dieser Stelle gab sich kein energischer Entschluß kund. Ja, als Murats Kavallerie am 15. Oktober vor der Stadt erschien, regte sich sofort der landesverräterische Gedanke der Übergabe. Für eine Sache, die er verloren gibt, blutet niemand gern. Der kleinmütige Trost, daß fernerer Widerstand doch vergeblich sei, weil die Feldarmee gegen alles Erwarten so völlig geschlagen worden war, übte seinen entnervenden Einfluß. Der höchste Befehlshaber, der 81jährige Generalfeldmarschall v. Wollen- Die Kapitulation von Erfurt 5S dorff, war gänzlich erschöpft in seine Wohnung gebracht worden und zu jedem Eingreifen unfähig. Des Königs Schwager, der Divisionskommandeur Prinz von Oranien, der die doppelte Pflicht tapferer Gegenwehr hätte empfinden sollen, unterzeichnete die ihm angebotene schmähliche Kapitulation. Der schwache Kommandant von Erfurt fügte sich; keiner der anwesenden Generale widersprach, und die Reihe der ohne Not vollzogenen Waffenstreckungen, die Preußens alten Kriegsruhm verdunkeln sollten, war eröffnet. Truppen, die schon zum Abmärsche nach Langensalza bereit standen, wurden unbegreiflicherweise in die Übergabe eingeschlossen. Der Herzog von Weimar aber zog vorüber, ohne Ernsthaftes zur Verhütung des Unheils getan zu haben. An 10000 Kampffähige fielen widerstandslos in Feindes Hand. Ein guter Teil derselben wurde freilich am 18. Oktober auf dem Marsche in die Kriegsgefangenschaft durch einen kühnen Handstreich des Leutnants v. Hellwig vom preußischen Regiment Pletz- Husaren wieder befreit. Aber nur wenige haben später die Armee erreicht, da in der allgemeinen Verwirrung keinerlei Maßregeln getroffen waren, vereinzelte Mannschaften dem Heere zuzuführen. So blieb auch diese schöne Tat zwar ein rühmliches Beispiel, aber sast ohne praktischen Nutzen für König und Vaterland. Der Name des Helden ist heute beinahe vergessen, während er in Hellem Ruhmesglänze strahlen sollte als Mahnung, daß sich von unerschrockenem Mute auch in Zeiten des schwersten Unglücks Großes leisten lasse. Die Führung des Heeres hätte, wenn der König sie nicht selbst übernehmen wollte, dem Fürsten Hohenlohe zufallen müssen. Auch dieser war im Augenblick durch das ungewohnte Gefühl, besiegt zu sein, völlig gebrochen. Er hatte in der Nacht einige Stunden in Schloß Vippach gerastet, bis wohin ihn noch mehrere Kavallerieregimenter begleiteten. Dann waren in der Dunkelheit auch diese vom Wege abgekommen, und der Fürst sah sich bald nur noch von wenig Reitern begleitet. Er wollte umkehren, doch hinderte ihn seine Umgebung daran. Mit der erschütternden Selbstanklage: „Ein Feldherr, der ohne Armee davonreitet", ergab er sich in sein Geschick und erreichte auf der verzweifelten Suche nach seinem Heere am 16. nachmittags Sondershausen, wo er am 16. früh 9 Uhr mit dem Könige zusammentraf, der seinen Weg ebendahin genommen hatte. Auch in der französischen Armee machte sich nach den großen 56 II. Der Krieg von 130k und 1807 Anstrengungen der letzten Tage die Erschöpfung geltend. Sie war in der Nähe der Schlachtfelder, in zwei Gruppen geteilt, stehen geblieben, nämlich die Korps von Davout, Bernadotte, Lannes, Augereau, sowie die Garden im Dreieck Naumburg—Jena—Weimar, Ney, Soult und Murat nnt ihrer Reiterei in der Gegend von Erfurt und Sömmerda. Napoleon ging am 15. nach Weimar. Sein scharfer Blick übersah sogleich die ganze Größe des ihm durch die Doppelschlacht zugefallenen Vorteils. Er wies daher die vom Könige an ihn gerichteten friedlichen Eröffnungen barsch zurück. „Er hoffe, dem Kriege früher in Berlin als in Weimar ein Ende zu machen." Dennoch verschmähte er es nicht, durch Überredung Sachsen von dem verbündeten Preußen zu trennen. Selbst Weimar erkaufte seine Selbständigkeit durch einen ähnlichen Schritt. An die fruchtlose Friedensverhandlung knüpfte sich noch der unselige Befehl für die preußischen Truppen, dort, wo sie auf die Franzosen träfen, nicht zuerst zu feuern. Als dann gar der König zu Sonderhausen die Armee verließ, galt es für ausgemacht, daß der Frieden unmittelbar bevorstünde, daß jedes fernere Blutvergießen ein unnützes Opfer bedeute. Wo alle Kräfte des Landes zur Wiederaufnahme des Kampfes aufs äußerste hätten angespannt werden sollen, ergab sich das mattherzige, aller gesunden Leidenschaft bare Geschlecht willig in die Unterwerfung unter ein widriges Geschick. Daß der Krieg noch acht Monate fortdauern und Verwickelungen herbeiführen würde, die selbst den siegreichen Kaiser an den Rand des Abgrundes führten, ahnte niemand. Man hätte den Gedanken daran als eine Tollheit verlacht. Erst spät und widerstrebend begriffen die Besiegten, daß das Glück der Waffen wetterwendisch ist, daß der Sieg auf die schwerste Niederlage folgen könne, und daß die Feinde in der eigenen Brust, Kleinmut und Verzagtheit, für den Soldaten gefährlicher sind, als die Gegner, die vor ihm mit dem Schwerte stehen. Die Gelegenheit zur Vergeltung in kleinem Maßstabe winkte schon in den ersten Unglückstagen. General Kalckreuth, der die beisammengebliebenen Truppen der Hauptarmee am 16. Oktober von Sömmerda dem Könige auf Nordhausen nachführen wollte, traf auf dem Wege dahin bei Weißensee eine schwache französische Reiterdivision an, die den tief gelegenen Ort besetzt hatte. Um das fünffache war er ihr überlegen. Er Hütte sie also vernichten und Heer und Land durch die Nachricht von einem ersten preußischen Der Marsch durch den Harz 57 Erfolge mit Mut und Hoffnung erfüllen können. Statt dessen umging er sie. Ja, es scheint nicht viel gefehlt zu haben, daß auch er in eine Kapitulation willigte. Und doch haben wir es mit dem später berühmt gewordenen Verteidiger von Danzig zu tun. Vor der Abreise hatte der König den Fürsten Hohenlohe beauftragt, die Armee bei Magdeburg zu sammeln und die Hauptstadt zu decken, oder die Verbindung mit den Truppen im Osten der Monarchie aufzusuchen. Aber weder der Oberbefehl, noch das Verhältnis der Generalstäbe wurde bestimmt geordnet. Kalckreuth behielt sein Sonderkommando, und Massenbach blieb Hohenlohes Berater, während Scharnhorst, bisher Stabschef der Hauptarmee, diese Stelle hätte einnehmen müssen. Nur ganz vorübergehend trat er dem Fürsten zur Seite und entwarf die Anordnungen für den Rückmarsch über den Harz. Die Hauptkräfte schlugen die Richtung dorthin über Nordhausen ein. Allein der ganze Raum zwischen Halle und Mühlhausen war am 16. Oktober abends von stärkeren und schwächeren Heertrümmern bedeckt. Die Unordnung wuchs. Aus übertriebener Sorge vor dem Feinde wurde vielfach zu früh aufgebrochen, andererseits ebenso nutzlos bis in die Nacht hinein marschiert. Den erschöpften Truppen fehlte so die Ruhe, um wieder zu Kräften zu kommen. Unbeholfenheit und Entschlußlosigkeit lähmten die rettenden Maßregeln. Von alteingewurzelter falscher Friedensgewohnheit macht sich ein Heer auch unter solchen Umständen nicht los. Viele Mannschaften zerstreuten sich; Vorräte wurden zurückgelassen, Fahrzeuge und Kanonen blieben stehen. Erst mit dem Erreichen des Gebirges kam wenigstens insofern einiges System in den Rückzug, als sich die zurückflutende bunte Truppennlenge in vier durch dasselbe nach Norden führende Engwege einfädeln mußte, um die Bergpässe nicht an einer Stelle zu verstopfen. Der am weitesten westliche und beste Weg führte um den Harz herum. Er wurde der schweren Artillerie zugewiesen, deren Rettung am wichtigsten war, weil sie, wenn sie verloren ging, in Eile nicht ersetzt werden konnte. Blücher und Scharnhorst schloffen sich ihr an, und unter der Leitung dieser Männer kam Ordnung in den Marsch. Den einen hatte die militärische Welt bis dahin nur für einen altmodischen Haudegen, den anderen für einen pedantischen Schulmeister angesehen. Jetzt ward ihr Name in wenig Tagen weithin bekannt. Er sollte sich mit unvergänglichem 58 II. Der Krieg von 1806 und 1807 Ruhm an die Wiedererhebung Preußens knüpfen. So führte das Unglück wenigstens eine für das Vaterland segensreiche Wendung herbei. Am 17. Oktober erreichten die vordersten Truppen schon den Nordfuß des Harzes. Der Feind drängte zum Glück nicht lebhaft nach. Dennoch sollte dieser Tag an zwei Stellen neues Unheil bringen. Bei Aschersleben trennten sich die Sachsen vom Heere und kehrten, den unglücklichen Bundesgenossen verlassend, in die Heimat zurück. Bei Halle kam es unversehens zu neuem verlustreichem Kampfe. Das Gefecht von Halle am 1^7. Oktober ^806 Dort stand zur Zeit der Doppelschlacht Herzog Eugen von Württemberg mit dem von Fürstenwalde herangeführten Reservekorps. Seine Aufgabe, den Feind im Marsche gegen Berlin solange aufzuhalten, bis die geschlagene Armee neuen hinreichenden Vorsprung gewonnen und ihre Reihen wenigstens einigermaßen geordnet hatte, war ihm durch die Umstände deutlich vorgezeichnet. Mit seinem wenig zahlreichen Korps vermochte er sie nur zu erfüllen, wenn er dem Feinde den Übergang über den Strom erschwerte. Zeitgewinn war möglich, und damit viel gewonnen; bei dem schnellen Vormarsche hatten die Franzosen ihr Brückengerät nicht mitführen können. Erbeutete preußische Pontons reichten nicht aus. Der Herzog selbst aber wußte sich nicht zu raten, und im Hauptquartier vergaß man ihn. So verblieb er untätig in seiner gefährdeten Stellung, die nicht einmal für die örtliche Verteidigung von Vorteil war. Das Hauptkorps stand auf den Höhen am rechten Saaleufer südöstlich der Stadt, den Rücken gegen Leipzig gekehrt. Die Vorhut hielt das im Tale gelegene Halle mit dem Flusse im Rücken. In der Vorstellung befangen, daß die ganze französische Armee dem zertrümmerten preußischen Heere nach dem Harze folgen müsse, sah der Herzog für sich und seine Truppen keine Gefahr, obgleich sein Quartiermeister, Leutnant v. Bergen, ihn warnte und zum Abmärsche nach der Elbe mahnte. Die Franzosen hatten inzwischen die Bewegungen wieder aufgenommen, aber nicht bloß hinter den fliehenden Truppen her. Nur Murat mit seiner Reiterei, sowie Soult und Ney mit ihren Armeekorps schlugen die Richtung gegen den Harz ein. Davout, Abfall der Sachsen. Gefecht von Halle Ü9 Bernadotte, die Garden und Lannes machten sich auf den Weg nach Berlin. Augereau stand noch weit zurück bei Weimar. Der Kaiser befahl die unermüdlichste Verfolgung, bis der letzte Mann der geschlagenen Armee aus dem Felde verschwunden sein werde. Fast wörtlich ist dieser Befehl durchgeführt worden. Bernadotte, der den linken Flügel dieser zweiten Gruppe innehielt, hatte am 16. Oktober Querfurt erreicht und wollte von dort am 17. über Halle weitermarschieren. So stieß er auf den noch immer unschlüssig dort stehenden Herzog. Zuerst wurde dessen Vorhut am linken Saaleufer angegriffen. Der General, der sie befehligte, wagte nicht, rechtzeitig hinter den Fluß zurückzugehen; seine weithin zersplitterten schwachen Kräfte erlagen der feindlichen Übermacht, er selbst wurde gefangen. Nun wollte der Herzog endlich abmarschieren, aber es war schon zu spät. Auch tat er nichts, um dem Feinde das Vordringen durch die Stadt zu verwehren. So ward er während der Bewegung in der Flanke angegriffen und sein Korps in Unordnung teils auf Bitterfeld, teils auf Dessau geworfen. Ein Regiment, das verspätet am linken Ufer heranrückte, lief den Franzosen ge- radewegs in die Arme, wurde gesprengt und zum größten Teile gefangen genommen. Das zweck- und sinnlose Gefecht kostete die preußischen Truppen 87 Offiziere, 11 Geschütze und etwa 5000 Mann. Doch damit nicht genug. Statt mit dem Rest, so gut es anging, die Straßen nach Berlin zu decken, zog der Herzog die Trümmer seines kleinen Heeres am nächsten Tage durch einen Gewaltmarsch bis in die Nähe von Magdeburg heran und verlor dabei an Ermatteten und Nachzüglern fast ebensoviel als tags zuvor im Gefecht. So war auch das Reservekorps, das bei guter Führung in dieser Unglücksstunde rettende Dienste hätte leisten können, durch die Maßregeln des eigenen Führers nahez- Am 18. Oktober erreichte das Wrack der Hauptarmee mit den letzten Teilen den Nordfuß des Harzes bei Wernigerode und Quedlinburg. Nur Blücher und hinter ihm der Herzog von Weimar waren noch weiter zurück. Kalckreuth hatte der König mittlerweile nach dem Osten der Monarchie abberufen, und Hohen- lohe hatte die einheitliche Führung des Heeres übernommen. 60 II. Der Krieg von 1806 und 1807 Um Mitternacht zum 19. Oktober berief er in Quedlinburg seine Umgebung zu einer Art Kriegsrat. Der Weitermarsch nach Magdeburg und zur Oder wurde beschlossen, obschon man dem Feinde die näheren Wege dorthin offen gelassen hatte. Der Plan, sich in die westlichen Provinzen zu werfen, den Feind dadurch abzulenken und so dem Könige die Zeit zur Bildung eines neuen Heeres zu verschaffen, ward verworfen und wohl mit Recht; denn in seiner augenblicklichen Verfassung besaß das Heer nicht die Anziehungskraft, um den Feind zum Nachfolgen zu zwingen. Der Eindruck der Niederlage mußte erst einigermaßen verwunden sein. Am 19. und 20. Oktober strömten die Heerestrümmer in Magdeburg zusammen. Aber sie fanden dort die ersehnte Ruhe nicht. Es herrschte eine heillose Verwirrung. An langsame, nach den Ansichten der Zeit stilgerechte Vorbereitung der Werke für eine Verteidigung war wohl gedacht worden, aber an nichts Außergewöhnliches. Keine Anordnung war getroffen, den ankommenden Strom der Flüchtlinge zu ordnen, diese nach ihrer Angehörigkeit zu den größeren Truppenverbänden zu sammeln, sie mit Lebensmitteln, Waffen und Schießbedarf zu versehen; nichts war geschehen, den fliehenden Troß von der sich mehr und mehr zusammendrängenden Menschenmasse abzulenken. Es war verabsäumt worden, Brücken ober- und unterhalb der Stadt zu schlagen, auf denen er die Elbe hätte überschreiten und sich in Sicherheit bringen können. Alles mußte durch die engen Straßen ziehen. Brücken und Tore waren bald verstopft. Auf dem Glacis der Festungswerke stand Fuhrwerk an Fuhrwerk ohne Möglichkeit, sich zu bewegen. Nicht eine Kanone konnte gelöst werden; denn ihr Geschoß wäre in die unfreiwillig davor errichtete Wagenburg geschlagen. Selbstredend hörte die Mannszucht mehr und mehr auf; der Gehorsam beruhte bald nur noch auf dem guten Willen der Mannschaft. Wer in Magdeburg bleiben wollte, der blieb; wer die Neigung verspürte, weiter zu marschieren, zog wieder davon. Der Gouverneur, General v. Kleist, einst eine der besten Erscheinungen der preußischen Armee, war der eigenartigen Aufgabe, die hier an ihn herantrat, nicht gewachsen. Er bangte um die Sicherheit des Platzes, verwünschte im Herzen die unglückliche Armee und sprach offen aus, daß sie sich so schnell wie möglich Von Magdeburg bis zur Oder «1 auf und davon machen solle. Die innere Ratlosigkeit verbarg er unter barschen Formen, und da er von jeher ein gefürchteter Vorgesetzter gewesen war, hemmte er durch sein Ansehen die Selbsttätigkeit seiner Untergebenen, wo diese sich etwa regen wollte. Auch die Einwohnerschaft zeigte sich der geschlagenen Armee nur wenig willfährig. Hohenlohe, der, seit er aus der ersten Betäubung nach der Niederlage erwachte, wieder unermüdlich tätig war, sah schnell ein, daß nichts übrig blieb als der fortgesetzte Rückzug nach Stettin hinter die Oder. Der nähere Weg über Berlin auf Küstrin hätte gewählt werden können, wenn die Truppen noch großer Marschleistungen fähig gewesen wären, ohne die Ordnung zu verlieren, sie auch ein Zusammentreffen mit den Verfolgern nicht zu scheuen brauchten. Aber beides mußte vermieden werden. Weg und Ziel waren danach richtig gewählt. Der übereilte Abmarsch brachte natürlich große Übelstände mit sich. Zahlreiche Truppentrümmer blieben willkürlich oder aus Unkenntnis zurück. Auf 9000 Mann hatte der Fürst die nur schwache Besatzung verstärken wollen. Statt dessen fanden sich später bei der Übergabe des Platzes 24000 Mann darin vor. Um 15 000 Mann stärker, als es wirklich geschah, hätte das Heer abmarschieren können, und diese Vermehrung der Kräfte wäre von Bedeutung gewesen. Sie hätte durch ihr Gewicht die Besorgnis vor neuen Kämpfen gemindert. Blücher führte inzwischen seinen Marsch um den Harz herum rüstig fort; langsamer folgte ihm der Herzog von Weimar. Beide hatten in Wolfenbüttel eine Zusammenkunft und beschlossen, da sie Magdeburg vor dem Feinde nicht mehr erreichen konnten, über Stendal zu marschieren und die Elbe bei Sandau zu überschreiten. Von Magdeburg bis zur Oder Der Marsch Hohenlohes am rechten Elbufer ging anfänglich gut vonstatten. An der Magdeburger Brücke hatte ein General- stabsoffizier die vorüberziehenden Truppenteile notiert und ihnen Marschrichtung und Unterkunft angewiesen. Einige Ordnung kam in den Wirrwarr. Vom Feinde war nichts mehr zu sehen. Murat mit seiner Kavallerie und die Korps von Soult und Ney waren «!2 II. Der Krieg von 1806 und 1807 jenseits Magdeburg zurückgeblieben; die Hauptkräfte der großen Armee, welche nach der Doppelschlacht den geraden Weg auf Berlin eingeschlagen hatten, sahen sich durch die Elbe oberhalb Magdeburg ausgehalten. Des Kaisers Unwillen darüber war groß, aber im Gruude genommen lag die Schuld an ihm selber. Noch fehlte in den Heeren die peinliche Sorgfalt der Kriegsvorbereitungen unserer Zeit. Es waren keinerlei Übergangsmittel zur Stelle. Der Zeitverlust wäre noch größer geworden, wenn nicht ein Zufall den Franzosen die Brücke von Wittenberg fast unversehrt in die Hände gespielt hätte. Eine kleine Preußische Abteilung, die dort gestanden hatte, steckte sie freilich beim Abmärsche in Brand, überwachte aber die Zerstörung nicht, und die Einwohnerschaft löschte das Feuer, dem Feinde so den Weg bahnend. Die erste französische Kriegsbrücke bei Roßlau scheint nicht vor dem 23. Oktober früh vollendet und dann noch wenig sicher gewesen zu sein. Inzwischen aber waren die Marschkolonnen über Wittenberg ausgebogen. Auch Murat kam, den Gedanken an ein Abdrängen des Herzogs von Weimar aufgebend, zur Elbe nach Barby heran, schloß sich Bernadotte an und vermehrte die Schwierigkeit des Stromüberganges. So konnte Hohenlohe am 21. Oktober die Gegend von Burg ungehindert erreichen. An 60 Bataillone, 121 Eskadrons und Batterien hatten sich zusammengefunden, alle sehr geschwächt, aber doch immerhin noch ein Korps von mehr als 25 000 Mann bildend. Für den Weitermarsch der Hauptkräfte wurde der Weg über Genthin, Rathenow, Friesack, Ruppin, Zehdenick und Prenzlau gewählt. Die Nachhut, das ehemalige Reservekorps des Herzogs von Württemberg, sollte dort folgen, zur Rechten aber, dem Feinde zugewendet, General v. Schimmelpfennig mit den leichten Truppen marschieren, während der Kavallerie, die größtenteils unterhalb Magdeburg über die Elbe gegangen war, die sichere innere Seite zugewiesen wurde. Am Tage marschierte man kampfbereit, obwohl man nicht fechten wollte, zerstreute sich abends in weitläufige Quartiere und sammelte sich morgens wieder durch längere Anmärsche. Offiziere und ein Beamter wurden vorausgeschickt, um für Unterkunft und Verpflegung zu sorgen. Schwerfällig genug war diese Anordnung immer noch. Wie anders, wenn sich die zahlreiche Kavallerie auf die Seite nach dem Feinde hin hegeben hätte, um weithin aufzuklären und seine Be- über Rathenow nach Neustadt a./D. 63 wegungen zu überwachen. Dann konnten alle übrigen Truppen in Sicherheit und in größerer Breite durch das Land marschieren. Dies hätte ihr Fortkommen beschleunigt und ihre Ernährung erleichtert. Daß man die Oder so schnell wie möglich erreichen müsse, war allen Führern klar, aber dennoch verfielen sie nicht auf die einfachsten Mittel zum Ziele. Die unheimliche Macht der eingewurzelten Gewohnheiten und anerkannten „Regeln der Kunst" hielt die Geister gefangen. Am 22. wurde Genthin, am 23. Rathenow erreicht. Vom Feinde war immer noch nichts zu sehen, denn wie wir wissen, hielt die Elbe noch den ungeduldigen Kaiser auf. Die Truppen hatten mehr Ruhe gehabt als in den Tagen vor Magdeburg; einiges Vertrauen kehrte in ihre Reihen zurück. Der Fürst faßte einen vortrefflichen Entschluß. Er gedachte am 24. Oktober einen Gewaltmarsch zu machen. Bei Friesack sollte keine Nachtruhe gehalten, sondern die Bewegung sogleich bis Ruppin fortgesetzt werden. Am 24. abends hätte die Armee dort in voller Sicherheit gestanden. (S. Skizze 5.) So nahe war man der Rettung, und dennoch sollte es nicht dazu kommen. Gerade als Hohenlohe seine Befehle gab, erschien Massenbach und stimmte ihn um. Er hielt den beabsichtigten Marsch für zu gefährlich, obschon keinerlei Gefahr drohte, er hielt ihn auch für falsch, weil er mit seinen wunderlichen Theorien nicht übereinstimmte. Der Marsch sollte durch die Sumpfstreifen des Rhinluchs gegen den Feind geschützt vor sich gehen und die Armee zunächst nördlich auf Neustadt ausbiegen. Treffend bemerkte Hohenlohe, daß der Feind noch gar nicht da sei; aber er wagte es doch nicht, sich von dem falschen Propheten loszusagen, dem er bis dahin gefolgt war. Er traute dem eigenen gesunden Sinn zu wenig, der Afterweisheit des konfusen Doktrinärs zu viel — und gab nach. Man bog also nordwärts aus, um einem Feinde aus dem Wege zu gehen, dessen vorderste Streifparteien am nämlichen Tage erst, aufs höchste ermüdet, die 70 Kilometer entfernte Gegend von Potsdam und Spandau erreichten. Am 24. abends aber stand die Armee nach kurzem Marsche bei Neustadt an der Dosse nicht näher der Oder, als sie es tags zuvor bei Rathenow gewesen war. Ein ganzer Tag war verloren — und welch ein kostbarer Tag! Ein Blick auf die Karte genügt, um zu erkennen, daß die bei Neu- und Alt-Ruppin stehende Armee die Oder mit Sicherheit selbst 64 II. Der Krieg von 130S und 1807 vor den bei Spandau aufgetauchten Franzosen erreicht hätte, daß die bei Neustadt zurückgebliebene aber ihren Weg verlegt finden 8ki??e ?um stückige ^olienlolies vomMöbel-M6. Ma^/,-5,/-s//>- ^s/--Ns^ »////-?/dc« /L^/snös/^ ^/^5/>S/> Z7s/n/>//>? ?/!S//?-Hs/?q S/'s^ZSSV ^s/>a?s/?/c5 »vs/c/s ^>KL?UI^ /Xs^-/sS 7 7^SSSS Skizze 5 mußte, wenn der Feind sie rechtzeitig entdeckte. Fast ebenso schlimm aber erscheint, daß die Richtung verlassen wurde, in der die Vorbereitungen für die Versorgung und Ruhe der Truppen getroffen waren. Blücher übernimmt die Nachhut 65. Welche Bedeutung die Nachricht, Fürst Hohenlohe habe die Armee durch alle Fährnisse hindurch glücklich zur Oder zurückgeführt, für den weiteren Kriegsverlauf hätte haben können, ist heute schwer zu ermessen. Von großer Wirkung wäre sie sicher gewesen. Nie ist von selbstgefälligen Wichtigtuern größeres Unheil angerichtet worden, als am 23. Oktober 1806 in Rathenow von Massenbach. In Neustadt erschien spät abends Blücher, der seiner Artilleriekolonne vorausgeeilt war, beim Fürsten und übernahm von nun ab die Führung der Nachhut, bei der die Gefahr auf dem Weitermarsch besonders groß werden mußte. Gefährdeter noch war die Division des Herzogs von Weimar, der au diesem Tage erst die Gegend von Gardelegen jenseits der Elbe erreichte. Auf sie konnte nicht gewartet, sondern sie mußte ihrem guten oder bösen Geschick überlassen werden. Am 25. ging es also weiter, langsam, schwerfällig und schleppend. Hohenlohe kam wohl bis Lindow, aber ein Teil der Seinen folgte noch weit rückwärts nach, und Blücher gelangte mit der Nachhut nicht viel über Wusterhausen hinaus; die Seitenhut Schimmelpfennigs erreichte Falkenthal. Auf dem neu eingeschlagenen Wege, wo für den Marsch keine Vorsorge getroffen war, wurden die Truppen noch mehr als bisher auf die seitlich entfernten Dörfer verteilt, um ihren Unterhalt bei den Landleuten zu finden. Das erhöhte die Anstrengung und kürzte die in der ersehnten Hauptrichtung überwundene Strecke. Lebensmittel mit Güte oder gewaltsam beizutreiben und nach der Marschstraße heranschaffen zu lassen, wagte man nicht. Es wäre gegen die Gewohnheit der Zeit gewesen, hätte dem preußischen Sinne für Raub gegolten und wäre ganz gegen den Geist der Armee gewesen — diesen Geist, der seit dem Gefecht von Schleiz schon so viel Unheil gestiftet hatte. Als ob der Kräftezersplitterung noch nicht genug sei, blieb eine gemischte Abteilung an der Elbe stehen, um dem Herzog von Weimar die Hand zu reichen. Trotzdem hätte die Rettung noch immer gelingen können, wäre das launische Kriegsglück den Preußen nur ein wenig hold gewesen. Aber es verließ seine ehemaligen Lieblinge, weil sie nicht mehr verstanden, es durch Kühnheit und Selbstvertrauen zu fesseln. Napoleon hatte die Preußen an der Elbe aus dem Auge verloren und glaubte nicht mehr, sie noch erreichen zu können. Seine Frhr. v. d, Goltz. Kriegsgeschichte S 6V II. Der Krieg von 1806 und 1807 vorauseilenden Gedanken begannen sich mit dem in der Ferne drohenden russischen Feldzuge zu beschäftigen. Bei Berlin und Potsdam wollte er der großen rechten Gruppe seines Heeres Ruhe gönnen, um sich auf denselben vorzubereiten. Da traf das falsche Gerücht sein Ohr, eine starke preußische Kolonne sei eben noch durch Brandenburg marschiert. Ähnliches wurde auch an anderen Stellen erzählt. Solche Gerüchte entstehen im Kriege aus der Erkenntnis des Möglichen und führen auf die Spur des wirklich Geschehenen. Der Kaiser mißachtete dergleichen Zeichen nicht. Noch in der Nacht zum 25. Oktober nahm er die Verfolgung Hohenlohes wieder auf. An dem eben verflossenen Tage hatte der schwache Kommandant von Spandau die Tore der starken Zitadelle auf eine leere Drohung hin dem Marschall Lannes geöffnet und ihm Bewegungsfreiheit gegeben. Dieser sollte der schon vorausgeeilten Kavallerie in der Richtung auf Zehdenick folgen, Bernadotte über Brandenburg die Preußen zu erreichen fuchen. Soult, dem es nicht gelungen war, dem Herzog von Weimar den Weg zu verlegen, erhielt die Erlaubnis, die Elbe zu überschreiten und sich an der Verfolgung zu beteiligen. Ney allein blieb vor Magdeburg; Davout hielt seinen Einzug in Berlin, Augereau folgte bis dicht an die Hauptstadt heran, die Garden gingen nach Potsdam. Nun war Hohenlohes Weitermarsch von Lindow aus schon ernsthaft bedroht. Der Fürst blieb nicht ohne Nachricht davon. Ja, die Gerüchte vergrößerten die Gefahr. Bedeutende französische Reitermassen sollten schon über Oranienburg und Liebenwalde im Anmärsche sein, Lannes und Davout ihnen in Eilmärschen folgen. In den Morgenstunden des 26. Oktober brachten Landleute sogar die einstweilen verfrühte Nachricht, daß der Kolonne des Generals v. Schimmelpfennig ein Unglück zugestoßen sei. Aber statt daß diese Hiobsposten zur Eile angespornt hätten, um wenigstens so schnell als möglich die obere Havel und die Brücke von Zehdenick hinter sich zu lassen, veranlaßten sie das Gegenteil. Unschlüssig blieb Hohenlohe auf seinem Marsche in der Nähe von Gransee halten. Drei unwiederbringliche Stunden gingen verloren. Der Fürst sprach seine Truppen an. Sie zeigten keine Spur von Mißvergnügen. Einige waren vom besten Geiste beseelt. Aber die gute Stimmung ward nicht benutzt, nicht einmal das Notwendige getan, Kapitulation von Spandau. Weitermarsch 67 um sich über die Wahrheit oder die Unwahrheit der Unglücksnachricht Gewißheit zu verschaffen. Das Ende war ein neuer Akt von Zaghaftigkeit, neues Ausbiegen nach Norden und damit eine neue Verlängerung des Weges zur Oder. Hohenlohe marschierte nach Fürstenberg. Wäre er seinem ersten Vorsatz getreu auf dem Wege nach Zehdenick geblieben, so hätte er dort nur schwache feindliche Reiterei angetroffen und sich leicht Bahn gebrochen, da General v. Schimmelpfennig noch an der Havelbrücke stand. Durch sein Ausbleiben trug er zu dessen Unfall, der am Nachmittage wirklich eintrat, bei. Lange hatte der General vergeblich auf ihn gewartet; dann kam statt seiner Murat. Doch auch jetzt noch zögerte Schimmelpfennig mit den: Rückzüge und ward endlich nach einem ersten glücklichen Widerstande von der wachsenden Übermacht geworfen, sein kleines Korps gesprengt. Ein Teil desselben wendete sich nach Schwedt, ein anderer über Prenzlau nach Stettin. Die Armee war fortan ohne Flankenschutz. Blücher hatte unmöglich bis Fürstenberg folgen können. Er blieb bei Alt-Nuppin, der Herzog von Weimar überschritt bei Sandau die Elbe, und seine Nachhut wies unter Aorcks unerschrockener Führung beim nahen Dorfe Altenzaun einen Vorstoß der Franzosen gegen die Fährstelle kräftig zurück. Es war das erste für die preußischen Waffen glückliche Gefecht in diesem unheilvollen Kriege. Am 27. Oktober setzte Hohenlohe seinen Marsch in der Richtung auf Prenzlau zunächst bis zum Städtchen Lychen fort. Dort wurde wieder Halt gemacht. Kavallerie sollte herangezogen werden, um die rechte Flanke gegen den Feind zu sichern. Zu der naheliegenden Einsicht, daß es hier nicht mehr auf die strenge Befolgung taktischer Regeln ankam, sondern darauf, schnell so viel Truppen als möglich hinter den starken Uckerabschnitt bei Prenzlau zu retten, scheint sich weder Hohenlohe noch Massenbach durchgerungen zu haben. Endlich traf das Regiment Gendarmen ein, und es ging weiter. Ein Offizier war nach Boitzenburg vorausgeeilt, und der Schloßherr, Graf Arnim, hatte in umsichtiger Weise Maßregeln getroffen, die hungernden und ermatteten Truppen auf dem Durchmarsche zu stärken. Als man dort ankam, war der Feind da — schwache Kavallerie nur, aber sie genügte, um einen neuen Halt zu verursachen. Wieder wurde nach Reiterei herumgesucht, um den KL II. Der Krieg von 180S und 1807 Feind zu vertreiben, aber sie erschien nicht. Nach zwei Stunden entschloß sich der Fürst zu dem allein Richtigen. Einige Bataillone gingen mit klingendem Spiele vor, und der Feind wich. Man machte Gefangene und befreite preußische Offiziere, die zuvor in französische Gewalt geraten waren. Die erste Anwandlung von Energie hatte sofort einen Erfolg gezeigt. Nun war nichts zu tun, als die hungernden Regimenter heranzuführen, zu verteilen, was noch vorhanden war und dann den kurzen Marsch nach Prenzlau zurückzulegen. Aber nichts davon geschah, sondern ein neues Ausweichen wurde beschlossen, um Prenzlau auf Nebenwegen über Schönermark zu erreichen. Das war zu viel für die überanstrengten Truppen. Zweimal hatten sie bei dem ersten Anzeichen von der Nähe des Feindes sofort ihre Straße verlassen, und die gute Stimmung, die sich noch bei Gransee gezeigt, war schon von tiefer Niedergeschlagenheit verdrängt worden. Jetzt steigerte sich diese Empfindung zur Hoffnungslosigkeit. Konnte dort noch als Entschuldigung ein wahrscheinlich in der verhängnisvollen Stunde eingetroffener königlicher Befehl angeführt werden, einen Zusammenstoß zu meiden, so fehlte hier jeder ähnliche Grund. Kleinmut und Verzweiflung führten das Wort. Man wollte sich aus den Händen des Feindes schleichen. Dem Mattherzigen aber wendet das Glück den Rücken. Die Hiobspost kam, daß das Regiment Gendarmen, statt den Marsch zu sichern, ahnungslos mitten in die französische Division Grouchy hineingeritten und in Gefangenschaft geraten sei. Der Weg nach Schönermark, den benachbarte Förster für benutzbar geschildert hatten, erwies sich als höchst schwierig; der Marsch vollzog sich in stockfinsterer Nacht. Man hatte den geraden Weg zur Rettung vermieden, um die „Armee" nicht durch einen Zusammenstoß mit dem Feinde der Auflösung nahe zu bringen, und löste sie nun durch die eigenen furchtsamen und unzweckmäßigen Maßregeln auf. Zahlreiche Mannschaften blieben ermattet liegen, viele benutzten die Dunkelheit, um sich auf und davon zu machen; andere verirrten sich. Nur Trümmer kamen in Schönermark an. Der Marsch dieses Tages hatte 44 Kilometer betragen — nicht gar zu viel für eine tüchtige Truppe, aber vernichtend für eine entmutigte und durch zaghafte Führung entnervte. Was der Feind nicht getan, hatte die Ängstlichkeit und Umständlichkeit der Die Kapitulation von Prenzlau 69 Führung vollbracht; die letzte Widerstandskraft der einst so unerschütterlichen Truppe war gebrochen. Mögen die Ereignisse dieser Nacht eine ewige Warnung für deutsche Soldaten bilden und sie lehren, daß die Gefahr eines ehrenvollen Unterganges im Kampfe nicht die schlimmste und selbst ein Ende mit Schrecken glücklicher ist, als der Schrecken ohne Ende. Auch jetzt noch, so nahe dem Ziel, wurde nicht gehandelt, sondern beratschlagt. Wachend brachten die Führer die Nacht im erleuchteten Schlosse des Grafen Schlippenbach zu, statt Geist und Mut wenigstens durch eine kurze Ruhe zu stärken. 5 -» 5 - Die Aavitulation von prenzlau In breiter, sumpfiger Niederung zieht die Ucker sich, vielfach von tiefen Gräben begleitet, in gleicher Richtung wie die Oder zum kleinen Stettiner Haff nordwärts hin. (S. Skizze 6.) Nur wenige Dämme führten zu jener Zeit darüber hinweg; eine Seenreihe auf der Talsohle vermehrte die Hindernisse. Einmal dahinter angekommen, hatte man viel gewonnen. Außer bei Prenzlau gab es 12 Kilometer südlich bei Seehausen einen Übergang. Aber Schimmelpfennigs abziehende Reiter hatten dort der eigenen Sicherheit halber die Brücke zerstört. Weiter nördlich führte, nach einer 15 Kilometer langen, ganz ungangbaren Flußstrecke, ein schlechter Wiesenweg von Nechlin bis Rieden hinüber. Dem folgte der Übergang bei Pasewalk, auf den, als den am sichersten erscheinenden, die Kavallerie und die sie begleitenden leichten Truppen verwiesen wurden. Nach Prenzlau war bereits eine kleine Reiterabteilung unter dem Leutnant Grafen Nostiz vorausgeeilt — und hatte die Stadt frei gefunden. Der vor derselben eintreffende französische General Lasalle wagte nicht, sie anzugreifen. Mit ängstlicher Spannung erwarteten die Einwohner die Ankunft der geschlagenen Armee. Lebensmittel wurden zusammengebracht. Endlich kam die Kolonne langsam heran. Südlich auf der Heerstraße von Prenzlau nach Templin zu sah man nur zwei Haufen französischer Kavallerie. Noch war der Durchzug offen. Ein zwei Kilometer langer Damm, an dem damals nur einzelne Häuser und Gärten lagen, bildete den Zugang zur Stadt von Westen her. Ein ansehnlicher Bach, Hohenlohe und Massenbachs Täuschung 71 der „Strom", begleitete ihn. Der Damm wurde auch noch besetzt, das Einrücken begann. Aber Lasalle hatte Murat benachrichtigt, und dieser eilte mit zwei Kavalleriedivisionen herbei; Lannes folgte ihm mit seinem Armeekorps, so schnell er konnte. Das lange gehetzte Wild war endlich gestellt. Der Fürst, statt alle Kräfte aufzubieten, um den Durchzug zu beschleunigen, ließ sich unverantwortlicherweise durch einen Parlamentär aufhalten, der ihm vorzuspiegeln suchte, daß er bereits umringt sei. Man kanonierte, Zeit ging verloren. Es gelang der französischen Kavallerie inzwischen über den „Strom" zu kommen und das noch heranziehende Ende der preußischen Kolonne abzuschneiden. Einige Schwadronen schlugen sich durch, warfen sich aber in die eigenen, auf dem Damme zusammengedrängten Reihen hinein. Französische Reiter folgten ihnen, ritten neben denselben her und riefen ihnen die Aufforderung zu, die Waffen niederzulegen. In dem allgemeinen Wirrwarr ging selbst die Stadt an ein Voltigeurbataillon Lannes' verloren — die einzige französische Infanterie, die hatte herankommen können. Fast wäre der Fürst in den Straßen gefangen genommen worden. Mit Mühe brachte seine Umgebung ihn zu den hinter Prenzlau schon aufmarschierten Truppen. Vom Rückzüge abgeschnitten waren diese nicht. Noch stand kein Franzose östlich der Ucker. Aber die Ratlosigkeit beherrschte auch diesen verhängnisvollen Augenblick. Der Fürst ward nicht inne, daß er frei sei, auf Stettin abzumarschieren, und daß der Feind ihm dann nur durch die Stadt hätte folgen können. Er glaubte sich verloren, und sein Berater Massenbach bestärkte ihn darin. Diesen hatte er während der Verhandlungen jenseits der Stadt abgesandt, um sich in Begleitung eines französischen Offiziers von der wirklichen Lage zu überzeugen. Außergewöhnlichen körperlichen Anstrengungen nicht gewachsen, vom Reiten leicht ermüdet, war der unglückselige Phantast in einen Zustand geraten, der an Unzurechnungsfähigkeit streifte. Als er über den „Strom" kam, glaubte er die Ucker zu überschreiten und nahm an, daß die französischen Truppen, die er weiter südlich sah, sich bereits östlich des schützenden Flußabschnitts befänden. Seine Erregtheit spiegelte ihm das vollendete Verderben vor; er versicherte Hohenlohe, daß der Feind schon nahe an der Stettiner Straße stände und diese beherrsche. Es gehört viel dazu, einer Verwechselung des von West nach Ost fließenden Strombaches mit 72 II. Der Krieg von 1806 und 1807 dem von Süd nach Nord gerichteten, weit größeren Uckerflusse zu verfallen, und doch geschah es hier in der kritischsten aller Lagen, welche die Aufmerksamkeit aufs äußerste hätte anspannen müssen. Wenn je die Geschichte eine denkwürdige Lehre gegeben, daß gesunde und nüchterne Klarheit, tüchtige Kraft und Ausdauer im Kriege unendlich viel mehr wert sind, als hochtrabende Gelehrsamkeit und ungezügelte Phantasie, so ist es hier geschehen. Was jeder junge Reiteroffizier, der seiner Sinne mächtig war, leicht erkannt hätte, blieb dem vor kurzem noch in so großem Ansehen stehenden Chef des Generalstabes verschleiert. Hohenlohe, zugleich auch durch trügerische Versicherungen des Feindes getäuscht, rief wohl noch einen Rat der Seinen zusammen; aber bei der herrschenden, aufs tiefste herabgedrückten Stimmung regte sich kein energischer Wille, um an seiner Statt die Führung der vom Schicksal verratenen Schar zu übernehmen. Die Kapitulation von Prenzlau ward zur Tatsache. Wohl sind es nur noch 10 000 Mann gewesen, welche hier die Waffen niederlegten; aber das Ereignis wurde von einer weit über seine materielle Bedeutung hinausgehenden Wichtigkeit. Die Nachricht, der Fürst habe mit der „Armee" kapituliert, durcheilte als Schreckenskunde das Land. Die elende Vorstellung, daß alles vorüber, der Frieden unvermeidlich und jeder weitere Widerstand sinnlos wäre, gewann nun über die Mehrzahl der Gemüter Gewalt, weil der Mann, den man für den besten gehalten hatte, sich ihr Untertan zeigte. 5 -I- 5 Die folgenden Tage ließen die verhängnisvollen Folgen der Prenzlauer Vorgänge verspüren. Das Grenadierbataillon Prinz Angust, das die Nachhut der Kolonne gebildet hatte, von den Franzosen aber gegen die suinpfige Uckerniederung gedrängt wurde, leistete zwar heldenmütigen Widerstand und wies hintereinander sieben Reiterangriffe ab, ehe es unter dem Kartätschfeuer herangeholter Geschütze zusammenbrach. Aber dies ruhmvolle Beispiel fand leider keine Nachahmung. Die Kavalleriekolonne, die am Abend des Unglückstages bis Pasewalk gelangten und deren ratlose Führer den Weg nach Stettin schon für verlegt hielten, ergab sich am 29. früh widerstandslos einer weit schwächeren Reiterschar von Milhauds über Boitzenburg gefolgter Kavalleriedivision. Folgen der Kapitulation von Prenzlau. Stettin ?!! Mit ihr legte auch die Füsilierbrigade die Waffen nieder. 185 Offiziere und 4000 Mann mit 2000 Pferden gerieten in schmähliche Gefangenschaft. Ein Teil der preußischen Reiterei, die nach Schönermark hatte herankommen sollen, um die Sicherung der Hohenloheschen Hauptkolonne zu übernehmen, von dieser aber durch die Franzosen schon getrennt worden war, erreichte freilich auf nördlichen Umwegen Stettin und begehrte Einlaß. Aber das Unerhörte geschah, daß der preußische Gouverneur, der 31jährige General v. Romberg, den Truppen der eigenen Armee den Durchzug verwehrte, da er schon mit den Franzosen in Unterhandlung getreten sei. So bog denn die Kolonne vor den eigenen Waffenbrüdern aus, um in Vorpommern Schutz zu suchen, traf mit anderen Heertrümmern an der Peene zusammen und hielt den Flußlauf einen Tag lang gegen die nachfolgenden Feinde, benutzte aber die Zeit nicht, um sich auf die Insel Usedom zu retten. Als dann die Nachricht eintraf, Stettin sei an die Franzosen übergegangen, da entschlossen sich auch ihre Führer, die Waffen zu strecken, und am 1. November legten 1100 Infanteristen und 1078 Reiter vor einer kleinen Schar französischer Kavallerie, mit der General Beker ihnen gefolgt war, die Waffen nieder. Auch die Artilleriekolonne, welche Blücher und Scharnhorst so glücklich um den Westfuß des Harzes herum geführt und vor den Verfolgern gerettet hatte, erlag dem gleichen Geschick. Von Massenbach nördlich ins Mecklenburgische entsendet, stieß sie dort auf passiven Widerstand. Die Bevölkerung verweigerte ihr, wie den Angehörigen einer fremden Macht, die Lieferung von Futter. Nach Anklam heranzurücken verbot ihr General von Bila, und der Führer wußte sich nicht anders zu helfen, als am 30. Oktober Geschütze, Fahrzeuge und 600 Pferde an den Feind auszuliefern. Nur die kleine Bedeckung von Kürassieren, die sie bei sich gehabt hatte, ritt auf und davon. Erfreut berichtete Marschall Bernadotte über die unerwartete Beute an den Kaiser und lobte das prächtige Aussehen sowie die Ordnung der Truppe, die so widerstandslos in seine Hand fiel. Weit ärger als alles dieses war, daß der Gouverneur von Stettin den ihm anvertrauten Platz, der mit Geschütz, Kriegsbedarf und Lebensmitteln reich versehen war und eine lange Belagerung hätte aushalten können, nach kurzer Verhandlung in der Nacht vom 29. zum 30. Oktober an die französischen Husaren des Generals 74 II. Der Krieg von 1806 und 1807 Lasalle übergab, die über Prenzlau bis vor die Wälle der Festung streiften. Das starke Küstrin folgte ohne jeden Zwang diesem schmählichen Beispiele schon am 1. November. Der Kommandant, Oberst v. Jngersleben, heftig gedrängt durch den Kammerpräsidenten v. Schierstaedt, sandte, um das angedrohte Bombardement zu verhüten, am Ende selbst einen Kahn über die Oder, um Feinde herüberzuholen, die seine starken, vom Strome geschützten Festungswerke besetzten. Nur eine Woche später öffnete General v. Kleist dem Feinde die Tore von Magdeburg, und 24 000 Mann kampftüchtiger Truppen legten auf Befehl ihres Führers die Waffen vor dem weit schwächeren Korps Ney bedingungslos nieder. Als dann am 20. November das starke Hameln mit dem mobilen Korps des Generals Lecoq und sechs Tage darauf die kleine Festung Nienburg an ganz unbedeutende feindliche Abteilungen übergingen, waren, von Schlesien abgesehen, alle festen Plätze westlich der Oder in Feindes Hand. » » » Schier unbegreiflich erscheinen uns heute diese Vorgänge. Sie durch persönliche Feigheit oder Verrat der Schuldigen erklären zu wollen, wäre ungerecht, so schwer sie sich auch an König und Vaterland versündigt haben. Sie konnten alle auf eine ehrenvolle, zum Teil auf eine ruhmreiche Vergangenheit hinweisen. Der Kleinmut und die Verzweiflung aber hatten sich einer ansteckenden Krankheit gleich mit reißender Schnelligkeit im Heere verbreitet: so allgemeinen Übeln liegen immer auch allgemeine Ursachen zugrunde. Der Krieg war in der Vorstellung der alten Schule zu einem Spiel geworden, bei dem es galt, Geist und Scharfsinn, nicht Kraft zu entfalten, und bei dem das überlegene Kombinationstaleut am Ende die Oberhand über den einfachen geraden Sinn gewinnen müsse. Das hatte ganz gepaßt zu dem allgemeinen Zuge der Zeit, der die Aufklärung, die Befreiung von alten Vorurteilen, die Humanität der Gesinnung, eine urbane Lebensart und am Ende den Genuß, den materiellen sowohl als das Schwelgen in Schöngeisterei und Vergnügen zum Endziel alles Strebens machte. Sie hatte die rauhe Tugend längst im Preise sinken und ritterliche Aufopferung zur abgestandenen Narrheit werden lassen. Der Gedanke, in den Tagen des großen Unglücks den Tod der Schande Küstrin. Magdeburg. Hameln. Nienburg. Betrachtungen 75 vorzuziehen, fand keinen Boden mehr in den Gemütern. Der Aufopferung von Leben und Gut hatte man sich entwöhnt, und nun, da auf feindlicher Seite ein gewaltiger Kriegsmann auftrat und ohne Ehrfurcht vor der vielgepriesenen Kunst und Wissenschaftlichkeit der Kriegführung mit dem scharfen Schwerte drein- schlug, da gab es dem verwöhnten mattherzigen Geschlecht kein Mittel mehr, sich aufzuraffen und in verzweifeltem Widerstande das Heil zu suchen. Da die herrliche, von Europa so oft bewunderte Armee nicht vermocht hatte, den Dämon auf seinem Siegeszuge aufzuhalten, so erschien die Ergebung in das Schicksal und die Unterordnung unter den Willen des Gewaltigen als das allein Verständige und des ernsten Mannes Würdige. Wie der Spieler nach einer verlorenen Schachpartie seine Figuren in den Kasten wirft, fo dachten die meisten Männer in Heer und Volk jetzt an einen billigen Frieden, nachdem sie Bonapartes Überlegenheit willig anerkannt hatten. Dazu kam die entsetzliche Unselbständigkeit, die im Heere bei hoch und niedrig durch Ausbildung und Fechtweise, und die im Volke durch ein System unaufhörlicher Bevormundung großgezogen worden war. Alles wurde von oben her erwartet, und jetzt, wo dort die Kraft versagte, blieb nur eine willenlose Masse übrig, die sich noch dadurch vor allem Ungemach zu bergen trachtete, daß sie vor der Größe des Unglücks die Augen schloß und tat, als sei der Untergang von Heer und Staat allein Sache des Königs und seiner Räte. Unzweifelhaft hat vieles von solchen Empfindungen auch in der Seele der pflichtvergessenen Kommandanten mitgewirkt, um sie ihre Schmach unterzeichnen zu lassen. Sie glaubten einer vernünftigen, ihrer Stellung allein angemessenen Politik zu folgen, wenn sie kapitulierten. Sie taten es, um größerem Unglück vorzubeugen, um dem Könige Truppen und Städte zu erhalten. Nur unbesonnene Tollköpfe durften es auf deren Zerstörung ankommen lassen, nicht kluge und erfahrene Männer. Alle diese Ausflüchte nüchterner Seelen und schwacher Gemüter finden sich in ihren Verteidigungs-Reden oder -Schriften wieder, — und wahrlich nicht sie allein dachten in jenen Tagen so. Es hat damals unzweifelhaft mehr Leute im Vaterlande gegeben, die mit ihnen fühlten, als die Geschichte es jetzt verzeichnet, wo der Volksgeist wieder erwacht ist und die Nemesis ihr Werk getan hat. 76 H. Der Krieg von 1806 und 1807 Wie eine Warnung für ewige Zeiten soll das Andenken jener düsteren Tage vor der Seele des deutschen Volkes stehen und es nie vergessen lassen, daß der Krieg eine ernste heilige Sache ist, und daß er notwendig wird, wenn es gilt, Selbständigkeit, Ansehen, Recht auf eigenartige Entwickelung im großen Widerstreit der nationalen Interessen zu vertreten. Unvergessen sei auch, daß dieses nur gelingt, wenn alle seine Glieder bis zum geringsten von der Notwendigkeit mannhafter Behauptung vollkommen durchdrungen und bereit sind, ihr alles, Ruhe, Wohlergehen, Habe und Leben zu opfern. Nie möge sich im Herzen des deutschen Volkes wieder, wie vor dem Unglücksjahre, die süße vertrauensselige Hoffnung einnisten, daß es seine geschichtlichen Bahnen auch ohne so ernste Prüfungen erfüllen könne. Diese bleiben niemals aus; denn nur durch sie wird das Recht auf ein selbständiges Dasein erworben. Sie werden auch uns nicht erspart bleiben. Mehr noch: sie sind notwendig, um die Lebenskraft des Volkes zu erhalten und ihm in der Geschichte ein lange dauerndes und ehrenvolles Dasein zu gewährleisten. Wie der von Glück und Genuß verwöhnte Weichling nur selten zu einem so rüstigen Alter kommt, als der in harter Arbeit und im Kampfe mit einem widrigen Geschick erprobte Mann, so sehen wir auch, daß in der Geschichte nicht diejenigen Völker, die auf einem gesegneten Boden ein müheloses Dasein führen, am längsten währen, sondern diejenigen, die sich in schwerem Ringen emporarbeiten und unter Stürmen behaupten. In einem tüchtigen Volke stählen selbst Niederlagen die sittliche Kraft. Von den Segnungen des Friedens ist immerfort die Rede; man sollte aber auch den Segen nicht vergessen, der für ein Volk aus ernsten Kämpfen hervorgehen kann. Auch die Kriege bilden ein Erziehungsmittel der göttlichen Vorsehung. Preußen hätte in der Zeit nach des großen Friedrichs Tode unzweifelhaft am klügsten gehandelt, wenn es in seinem politischen Auftreten stets gezeigt hätte, daß es die Gefahr nicht scheue, unter der es groß geworden war, und das gleiche gilt auch für das junge Deutschland nach Kaiser Wilhelm dem Siegreichen. Daß der preußische Heldensinn aus den Tagen von Roßbach und Leuthen noch nicht bei allen Epigonen erloschen war, sollten übrigens schon die nächsten Kriegstage erweisen. Aber er wurde nicht bei den Männern gefunden, auf welche vorher die Hoffnung des Landes vornehmlich gesetzt war. Blüchers schneller Entschluß. Umkehr zur Elbe 77 5. Lübeck Blücher war, Hohenlohes Spuren folgend, in der Nacht vom 27. zum 28. Oktober in Lychen und Fürstenberg eingetroffen. Ein Teil der Truppen hatte einen starken Marsch von 46 Kilometern hinter sich. Die Kavallerie vom Lannesschen Korps folgte ihnen auf den Fersen. In voller Frühe wurde am nächsten Morgen wieder aufgebrochen. Die französischen Reiter setzten hitzig nach, «ine leichte Beute witternd, aber da kehrten die preußischen Husaren vom Blücherschen und Usedomschen Regiments bei Lychen noch einmal um, griffen den Feind herzhaft an, warfen ihn über den Haufen und nahmen ihm eine ansehnliche Zahl von Gefangenen ab. Das war eine derbe Lektion, die preußische Truppen ihren Verfolgern erteilten, und machte diese behutsamer. Gegen Abend traf die Kolonne vor Boitzenburg ein, das der Feind genau wie tags zuvor bei Hohenlohes Ankunft befetzt hatte — nur daß er diesmal stärker war. Blücher zögerte nicht einen Augenblick, ihn anzugreifen, und er wich. Am 29. um 4 Uhr morgens stand alles im nächtlichen Nebel zum Abmärsche nach Prenzlau bereit. Dort hoffte man allgemein, sich mit Hohenlohe zu vereinigen und so ein Heer zu bilden, das den Namen eines solchen wenigstens einigermaßen verdiente. Die Oder war nahe und damit auch die Aussicht auf kurze Ruhe und Sicherheit. Da kam die Hiobspost von dem Unerhörten, was tags zuvor geschehen war. Nun war guter Rat teuer. Hohenlohe hatte sich vom Feinde abgeschnitten geglaubt, Blücher war es wirklich. Vor ihm standen Murat und Lannes, durch den großen Erfolg von Prenzlau mächtig zu weiteren Taten angespornt, hinter ihm Bernadotte, den leider die Aussagen der Einwohner von Brandenburg a. H. auf die richtige Fährte gesetzt hatten, ähnlich wie Landleute bei Weimar und Erfurt Murats Kavallerie den Rückzug der preußischen Armee nach dem Harz verrieten. Im Süden wußte er die Masse der französischen Armee in der allgemeinen Bewegung auf Berlin; nur nach Nordwesten stand ihm noch ein Ausweg offen, und er entschied sich sofort für den Marsch auf Strelitz. Dieser einfache, schnelle Entschluß war der allein richtige. Eine lange Überlegung des schärfsten Geistes hätte einen besseren nicht finden können und sicher nicht die pseudowissenschaftliche Grübelei eines Massenbach, der doch vordem an strategischer Einsicht Himmel- 78 II. Der Krieg von 1806 und 1807 hoch Über Blücher gestellt worden war. Dann besprach Blücher das Weitere mit Scharnhorst. So handelt ein Mann von Herz und Pflichtgefühl. Was hier in Eile zwischen den beiden Freunden verabredet wurde, war nichts Geringeres, als einer der kühnsten Pläne, die jemals in ähnlich verzweifelter Lage gefaßt worden sind. Er bestand darin, umzukehren, sich mit dem noch weiter rückwärts heranmarschierenden Weimarschen Korps zu vereinigen, die Elbe wieder zu überschreiten und in Verbindung mit Magdeburg und Hameln den Krieg nach dem Westen zu verlegen, damit der König die Zeit gewänne, neuen Widerstand an der Oder vorzubereiten. An eine Erhebung in Hessen und Westfalen, selbst an eine englische Landung wurde gedacht. Dem Kühnen lächelt das Glück. Unbehelligt gelangte Blücher am 29. nach Feldberg und am 30. Oktober nach Dambeck, auf dem Wege nach Waren hin. An Neu-Strelitz, wo der Vater der Königin Luise residierte, war er vorbeimarschiert. Keiner seiner hungernden Soldaten hatte das blühende Städtchen betreten dürfen, um Nahrung zu suchen. Auch Blücher huldigte noch der ängstlichen Rücksicht auf das Privatrecht. Mit seiner Zeit ist jedermann durch irgend eine Schwäche verbunden. Nur Dork tadelte bitter, daß man die eigenen Leute hungern ließe, um mit den geschonten Vorräten den Feind zu füttern. Am Abend in Dambeck kam die Freudenbotschaft, daß das bis dahin vergeblich gesuchte Weimarsche Korps ganz in der Nähe beim Dorfe Speck stände. An Stelle des Herzogs, der nach einem Abkommen mit Napoleon und mit Genehmigung des Königs die Armee verlassen hatte, befehligte es der alte, stets unerschrockene General v. Winning, der für einen tüchtigen Exerziermeister galt, aber auch ein braver Krieger war. Er hegte die Absicht, nach Rostock zu marschieren, um seine Truppen zu Schiff dem Könige wieder zuzuführen. Nun übernahm Blücher, als der im Range Ältere, den einheitlichen Oberbefehl und sah sich so an die Spitze eines Heeres von etwa 22 000 Mann gestellt. Mehr hatte auch der große König nicht beisammen gehabt, als er die Franzosen bei Roßbach schlug. Eine Aufforderung, die Waffen niederzulegen, wies er mit Ernst und Würde zurück. Dafür keimte in ihm der Entschluß, eine Schlacht zu wagen. Mit richtiger militärischer Empfindung fühlte Blücher heraus, daß Blüchers Gedanke an eine Schlacht 79 den unaufhörlichen Rückzugsmärschen, dem ewigen Ausweichen ein Ende gemacht werden müsse, sollte der Soldat nicht allen Glauben an sich selbst verlieren und die Truppe völlig entnervt werden. Er hielt seine Gegner sür überlegen, da er glaubte, daß nicht nur Bernadotte, sondern auch die bei Prenzlau versammelt gewesenen französischen Truppen, also Murat und Lannes ihm auf den Fersen folgten. Dennoch hoffte er, sich selbst, der Bravheit seiner Truppen, dem Zauber eines heroischen Entschlusses und seiner mutmaßlichen Überzahl an Reiterei vertrauend, auf den Sieg. Leider aber fügte ey sich dieses Mal noch der, wie er meinte, höheren Einsicht seiner Umgebung und verzichtete darauf, sich dem Feinde zum Kampfe zu stellen. Das alte Preußen ist hierdurch vermutlich um einen Ruhmestag gekommen. Tatsächlich war nur Bernadotte allein hinter ihm und dieser noch dazu erheblich geschwächt, nämlich mit nicht mehr als 12000 Mann, 800 Pferden und 18 Geschützen, da er zahlreiche Ermüdete und einen großen Teil seiner Artillerie in Neu-Brandenburg gelassen hatte, bis wohin er auf der irrigen Suche nach Blücher gelangt war. Blücher wäre also bei Dambeck der Überlegene gewesen und hätte dennoch darauf rechnen können, daß der französische Marschall ihn ohne Zögern angriff. So wäre den übermütigen Siegern, die schon in dem Glauben befangen waren, daß es genüge, sich zu zeigen, um die vom panischen Schrecken ergriffenen Preußen zur Waffenstreckung zu bringen, eine schlimme Niederlage nicht erspart geblieben. Hier, wie so oft im Kriege, bestätigt sich die alte Erfahrung, daß die Kühnheit die günstigsten Zufälle auslöst, die sonst nicht zur Geltung gekommen sein möchten. Es hat indessen nicht sein sollen. Noch waren des Vaterlandes Geschicke nicht so weit erfüllt, daß das Glück ihm seine Gunst wieder zuwenden konnte. Als Bernadotte am 31. Oktober weiter auf Waren marschierte, da fand er die Preußen, wie üblich in diesen Tagen, auf dem Rückzüge vor sich und folgte ihnen. Aber Ordnung und eine festere Haltung war in ihre Reihen gekommen. Blücher hatte sein kleines Heer in zwei Korps geteilt, von denen ein jedes aus einer Nachhut leichter Truppen und zwei gemischten Divisionen bestand. Das erste befehligte Winning, das zweite er selbst. So marschierte er auf zwei, gleichlaufend in der Richtung auf Schwerin hin, zur Stör führenden Wegen ab. Seinen 80 II. Der Krieg von 1806 und 1807 Marsch aber begleiteten heftige Kämpfe, wie die Franzosen sie nicht mehr erwartet hatten Die Nacht vom ZI. Oktober zum 1. November brachte Blücher in der Gegend von Waren am Nordende des Müritzsees zu. Er wollte sich seinen Feinden nicht entziehen. Im Gegenteil dachte er, sie zu verleiten, daß sie sich an seine Fersen hefteten und nach Westen hinter ihm her marschierten. Das entsprach dem Plane, den Krieg wieder bis in die Gebiete jenseits der Elbe zu verlegen und soviel französische Truppen als möglich von der Oder abzulenken. Aber es war ein gefährliches Spiel, das damit begonnen wurde. Es galt, den Feind dauernd an der Klinge zu behalten, also ihn herankommen zu lassen, zu fechten und doch im rechten Augenblicke den allgemeinen Rückzug wieder fortzusetzen. Das erfordert große Geschicklichkeit der Führung, große Festigkeit, einen guten Zustand und unerschütterliches Selbstvertrauen bei den Truppen. Hier fiel die Aufgabe einer zum Teil durch schwere Niederlagen und durch einen langen Rückzug schon erschütterten Heeresabteilung zu, die wenig geeignet für eine so aufreibende Tätigkeit war. Zudem war das Land arm an größeren Ortschaften. Um Unterkunft zu finden, die sie dringend nötig hatten, mußten die Truppen sich für jede Nacht wieder weithin zerstreuen. Dafür hatten sie am nächsten Morgen einen um so längeren Weg zum Sammelplatze zurückzulegen. Das vermehrte die Anstrengung bedeutend. Am 31. Oktober war Bernadotte bis nahe an Waren herangekommen. Am 1. November vereinigten sich zwei von Süden kommende Reiterregimenter unter Savary mit ihm. Das war eine sehr willkommene Verstärkung, und die Verfolgung wurde lebhafter. In Waren gelang es, einen schwachen preußischen Nachtrab zu überraschen und gefangen zu nehmen. Dann ging es im Jagdeifer schnell durch das Städtchen hindurch hinter der preußischen Arriere- garde her. Diese aber befehligte General v. Pletz, eine prächtige Soldatennatur aus alter Zeit, und unter ihm Jorck, der schon bei Altenzaun gezeigt, daß er die Sieger nicht fürchte. So mußte es zum harten Strauße kommen. Pletz- und Köhler-Husaren machten Kehrt, warfen sich den Franzosen entgegen, ritten sie über den Haufen und jagten sie wieder nach Waren hinein, ihnen zahlreiche Gefangene abnehmend. Großer Jubel herrschte ob dieses Erfolges, der gezeigt hatte, daß die Franzosen nicht unbesiegbar seien. Auch Gefecht von Waren öl auf dem Weitermarsche gab es lebhafte Gefechte; Pletz hielt wacker stand, obschon ihn Blücher aus der sich mühsam weiterschleppenden Hauptmacht nicht unterstützen konnte. Noch einmal machte ein Teil des braven Regimentes Pletz-Husaren den Abziehenden durch eine glänzende Attacke Luft. Der sie befehligte, war Major v. Katzler, der später so berühmt gewordene Avantgardenführer der Freiheitskriege. Vier Männer führte hier auf dem Zuge nach Lübeck das Geschick zusammen, die sich sechs Jahre später Ruhm erwarben: Blücher, Scharnhorst, Jorck und Katzler. So war im ganzen der 1. November noch ein glücklicher Tag für die Preußen geworden. Allein die Wolken zogen sich rings um sie zusammen. Murat, der hartnäckig an dem Gedanken festgehalten hatte, daß Blücher nach der Oder und Vorpommern zu entkommen suchen würde, begann in seiner Meinung irre zu werden, lenkte gegen Westen ein und gelangte am 2. November bis Malchin. Soult, von Magdeburg, wo er mit Ney vereint gestanden, durch den Kaiser abberufen, näherte sich gleichfalls von Rathenow her und stand abends bei Plau. Alles in allem waren etwa 50 000 Mann auf Blüchers Spuren, der an diesem Tage die Gegend östlich des Schweriner Sees erreichte. Er war nicht gedrängt worden; denn der verflossene Tag hatte den Verfolgern Respekt eingeflößt. Was aber der Feind nicht tat, verrichteten Müdigkeit, Hunger und Not. Ein kleiner Unfall blieb auch nicht aus; ein verspätetes Bataillon ließ sich vom Feinde überraschen. Am 3. November ging der Rückzug nur bis hinter die Stör. Blücher dachte daran, den unaufhörlichen Märschen und dem Ausweichen ein Ende zu machen. Die starke Stellung hinter dem Flusse lud dazu ein. Abends aber gelang es den Franzosen, sich durch entschlossenen Vorstoß eines der Übergänge zu bemächtigen. Auch andere Verluste an zurückgebliebenen Abteilungen traten ein — die natürliche Folge langer Rückmärsche zerstreuter Kolonnen. Nun war auch hier an ein Halten nicht mehr zu denken. Es mußte über die Richtung entschieden werden, die der Rückzug endgültig nehmen, und über das Ziel, an dem er enden sollte. Noch war der ursprünglich gewählte Weg zur Elbe bei Boizenburg frei und der Übergang vorbereitet. Allein ein eigentümlicher Unstern waltete in diesen Tagen über allem, was Preußen unternahm. Falsche Nachrichten ließen Blücher glauben, er sei von dem rettenden Strome bereits abgeschnitten. Soult hätte dies tun Frhr, v, d, Golp, Kriegsgeschichte 6 82 II- Der Krieg von 1306 und 1807 können — ein Umstand, der die Annahme wahrscheinlich machte. Daß dieser Marschall nach Norden zn Bernadotte herangerückt sei, wußte man nicht. Eine kleine Abteilung, die von Hameln kam, verließ das Städtchen Wittenburg zwischen Schwerin und Boizen- burg, um sich der südlichen Kolonne Blüchers anzuschließen, und das irrtümliche Gerücht verbreitete sich, sie sei bereits von ankommenden Franzosen vertrieben worden. Sodann waren Blüchersche Truppen östlich des Schweriner Sees nach Norden abgedrängt worden; sie wären aufgegeben worden, wenn die Hauptmacht sich südwestlich wendete. Die Wahl fiel daher auf den Marsch nordwestlich nach Gade- busch. Dort dachte Blücher zunächst an einen Kampf, dem auch das Gelände günstig erschien. Aber 4—5000 Mann waren bereits auf dem fortgesetzten Rückzüge verloren gegangen, die übrigen aufs höchste erschöpft. Im preußischen Hauptquartier wähnte man, zudem sogar bei Gadebusch schon auf drei Seiten vom Feinde umstellt zu sein. Das Entgegengesetzte war der Fall. Die Haltung der zurückgehenden Preußen in den Nachhutgefechten hatte ihren Eindruck nicht verfehlt. Noch östlich der Stör war die verfolgende französische Reiterei, ähnlich wie bei Waren, kräftig zurückgeworfen worden. Murat berichtete an den Kaiser, daß Blücher über 25 000 Mann verfüge, darunter S000 Reiter, und daß diese Truppen in guter Verfassung wären. Er hielt es für nötig, erst über alle Kräfte sicher zu verfügen, ehe er angriff, und versammelte sie sämtlich in der Gegend von Schwerin. Allein drüben wurde man dessen nicht inne und beschloß den Abmarsch nach Lübeck. Dort hofften Blücher und die Seinen dasjenige zu finden, was ihnen jetzt am notwendigsten war — einige Ruhe und Stärkung für einen letzten Entscheidungskampf. Am 5. November wurde Lübeck ohne ernsthaften Zwischenfall von dem größten Teile der Truppen erreicht. (S. Skizze 7.) Blücher war dorthin vorausgeeilt. Der Magistrat mußte ihm liefern, was er für seine Truppen zunächst bedürfte. General Ewald, der nahe hinter der Stadt die dänische Grenze besetzt hielt, erklärte, daß er keine Verletzung derselben durch die Kriegführenden dulden werde. Dadurch wurde das von Blücher zu verteidigende Gebiet auf einen schmalen Raum am Traveflufse beiderseits Lübeck beschränkt. Die alten Wälle der Stadt und breite davor gelegene Der Kampf um Lübeck 8!Z Wasserflächen erleichterten die Abwehr. Der General entschloß sich, standzuhalten. Zum ersten Male seit dem großen Unglück fanden seine Truppen gute und nahe beieinander gelegene Quartiere. Am 6. November ordnete Blücher die Einzelheiten der Verteidigung. Die Truppen wurden an den Stadteingängen verteilt, die Tore mit Geschützen versehen, an den verschiedenen Punkten Befehlshaber eingesetzt. Alles schien aufs beste vorbedacht zu sein. Ein Fehler Skizze 7 ^ Preußen — >ti H Franzosen aber war doch gemacht worden, und er sollte verhängnisvoll werden. Blücher hatte von seinem eigenen Korps die leichten Truppen noch vor der Stadt stehen lassen. Das lag freilich in der Methode der Zeit. Man glaubte so die dahinter liegende Enge zu schützen. Aber die Maßregel barg die große Gefahr, daß der herankommende Feind mit diesen Truppen zugleich in die Stadt eindrang. Die Franzosen waren am 5. über Gadebusch gefolgt. Am 6. vormittags griff Bernadotte Blüchers leichte Truppen an und e* 84 II. Der Krieg von 1806 und 1807 drängte sie gegen das auf der Nordseite gelegene Burgtor zurück. Freund und Feind mischten sich dabei. Der Herzog von Braun- schweig-Öls, dem dort die Verteidigung anvertraut war, ging mit einem Teil der Besatzung nach preußischer Art dem Feinde entgegen, vermehrte dadurch aber nur den Wirrwarr. Die Artilleristen der Torgeschütze wagten nicht, in das Durcheinander hineinzufeuern, was schonungslos hätte geschehen sollen, und ehe Hilfe möglich war, drangen die Franzosen in die Stadt ein. Blücher, der erst durch das Schießen in den Straßen auf das Geschehene aufmerksam wurde, warf sich schnell auf ein bereitstehendes Pferd, sammelte von der überraschten Besatzung so viel er konnte, und stellte sich den Eingedrungenen entgegen. Ein wütender Straßenkampf folgte, in den selbst die Kavallerie eingriff. Die Überzahl und die größere Gewandtheit der Franzosen im Häuserkampse machten sich dabei nach und nach geltend. Die anderen noch wacker verteidigten Tore wurden von rückwärts her genommen, und Blücher mußte sich schweren Herzens entschließen, Lübeck zu verlassen. Während in der Stadt noch immer gefeuert wurde, sammelte er den Nest seines Heeres, noch etwa 10 000 Mann, nördlich von Lübeck bei Ratkau. Er dachte daran, die Stadt noch einmal wiederzunehmen oder sich nach dem befestigten Travemünde hiuein- zuwerfen. Aber der erste Gedanke siel, weil die Infanterie ihm zu schwach und zu ermattet schien, der zweite ward aufgegeben, als der Herzog von Braunschweig-Öls die irrige Nachricht brachte, daß die kleine Feste bereits in französischen Händen sei. Blücher schwankte. Der treue Berater Scharnhorst fehlte ihm in diesem kritischen Augenblick; denn er war in einem Gasthose bei Ausgabe der Befehle überrascht worden und in französische Gefangenschaft gefallen. So entschloß denn auch Blücher sich, die Waffen niederzulegen. Nicht alle, die mit ihm waren, teilten die Überzeugung, daß dies unvermeidlich sei. Auch jetzt noch war die Kampflust nicht völlig bei ihnen erloschen, und die Meinung unter den Offizieren verbreitet, daß hier dem wackeren Kämpen, der sie führte, einmal Kraft und Entschlossenheit versagt hätten. Selbst der Stärkste kann von einem Augenblick der Schwachheit übermannt werden. Mag dem sein wie ihm wolle. Seinem Untergange fehlte der heldenhafte Zug nicht. Hell leuchtete inmitten all der Schwäche und Verzagtheit, die sich ringsumher kund gaben, das Beispiel des Die Kapitulation von Ratkau 85. kleinen Heeres von Lübeck. Des Vaterlandes Hoffnung auf eine bessere Zukunft trieb hier den ersten schüchternen Keim. In anderer Stimmung als die Gefangenen von Prenzlau gingen die Soldaten des Blücherschen Heeres davon. Viele entkamen der Gefangenschaft und fanden sich bei den preußischen Fahnen wieder ein. Drei braven Wachtmeistern von den Blücher-Husaren gelang es, 300 Mann geschlossen über die Weichsel zu bringen? wohl nur wenige von diesem Regiments dagegen sind bis nach Frankreich gekommen. Blücher hatte trotz des Einspruchs seiner Besieger unter die Kapitulatiousurkunde die Worte gesetzt: „Ich kapituliere, weil ich kein Brot und keine Munition habe." Nun war auch dieser Akt der großen Tragödie vorüber. Die Schuld an dem unglücklichen Ausgange trug ein innerer Zwiespalt. Für den beabsichtigten kühnen Zug über die Elbe gegen Westen, um den Krieg dorthin zu versetzen, war Blüchers Heer nicht geeignet. Den Alten hatte ein durchaus richtiges Gefühl geleitet, als er bei Dambeck schlagen und nicht zurückgehen wollte. Zum ersten waren seine Truppen noch fähig, das zweite mußte sie allmählich, aber sicher zugrunde richten. Wer mit Erfolg ausführen wollte, was ihm seine Umgebung vorschlug, der hätte handeln muffen wie ein Mansfeld oder Christian von Braunschweig, die, mit ihren Truppen vom Lande lebend, den Krieg durch den Krieg ernähren ließen. Truppen, die an eine eiserne Disziplin und pedantische Zucht gewöhnt waren, deren Führer es für Raub erachteten, wenn sie sich der Mittel des Landes bedienten, um ihre hungernden Soldaten zu ernähren, die aus höfischen Rücksichten nicht einmal wagten, wohlhabende Städte zur Unterkunft zu benutzen, nur weil ein deutscher Fürst dort residierte, mußten bei einem solchen Unternehmen der Überanstrengung erliegen. Sie würden es wohl verstanden haben, sich selbst zu helfen, wie es alle diejenigen bewiesen, die sich allein und verlassen bis zur Weichsel durchschlugen. Aber die Bevormundung von oben her und die mit Strenge erzogene Furcht vor der eigenen Verantwortung hinderte ihre Führer noch, die Fesseln des Hergebrachten mit kräftigem Ruck zu sprengen. Bis es dahin kam, mußte noch manche Prüfung überstanden werden. Unheimlich ist die Macht eingewurzelter Überlieferung und falscher Theorien selbst auf dem ganz dem praktischen Leben angehörigen Gebiete des Krieges. 86 II. Der Krieg von 1806 und 1807 6. Von der Oder bis zur ZVeichsel Napoleon wandte, wie wir wissen, längst die Blicke nach Osten, von woher er die Russen erwartete. Preußen hatte er so leicht und so vollständig niedergeworfen, wie er selbst es zuvor wohl nicht geglaubt und nicht zu hoffen gewagt hat. Augenscheinlich war er bis zum Kriege von einer gewissen Scheu beherrscht worden, den Waffengang mit dieser Macht zu wagen, die noch immer als die militärisch tüchtigste von Europa gegolten hatte. Er schob ihn mehrfach auf. Der geheime Ärger darüber, sich so in Preußens Stärke getäuscht zu haben, gibt sich deutlich in dem Höhne kund, den er jetzt über den unglücklichen Staat, seinen König und seine Königin ausgoß. Zu Jena hatte er am IS. Oktober als das Ergebnis der Schlacht vom Tage vorher die Eroberung aller preußischen Länder bis zur Weichsel verkündet, die Provinzen westlich der Elbe mit einer Kriegsentschädigung von 90 und die Hauptstadt Berlin, die noch gar nicht in seiner Gewalt war, mit einer solchen von 10 Millionen belegt, Ostfriesland dem Könige von Holland und alle englischen Waren im Norden seinen Truppen zugesprochen. Der Kurfürst von Hessen wurde trotz seiner neutralen Haltung des Thrones entsetzt, und sein Land mit Beschlag belegt. Die Unterhändler, die der König gleich nach der Schlacht zu ihm entsendet hatte, hielt er hin und steigerte seine Bedingungen für den Frieden mit jedem Schritte vorwärts. Augenscheinlich wollte er es sich nach dem Gange der Ereignisse vorbehalten, wie weit er Preußen demütigen und für immer schwächen solle. Zuvor mußte Rußland zurückgewiesen und zum Verzicht auf jede Unterstützung Preußens veranlaßt werden. Der Kaiser hoffte dies durch einen kurzen kräftigen Schlag zu erreichen. Schon sah er sich im Geiste der glorreichen und für die Welt überraschend schnellen Beendigung des großen Krieges nahe. Dennoch verließ ihn auch in dieser anscheinend so glänzenden Lage die Umsicht nicht, mit der er von jeher seine Erfolge vorbereitet hatte. Er erkannte, daß die ihm augenblicklich zu Gebote stehenden Mittel für einen ernsten entscheidenden Krieg gegen Rußland nicht hinreichten. Die Kräfte seiner Bundesgenossen eingerechnet, verfügte er alles in allein über etwa 190000 Mann. Diese hatten das ganze Norddeutschland zu besetzen, insbesondere eine 100 Meilen lange Nachschubstraße bis Mainz zu decken, die Küsten zu sichern, Napoleons Borbereitungen gegen die Russen 87 Schweden zu überwachen und demnächst einen neuen Feldzug an der Weichsel aufzunehmen. Die Aufgabe wäre unlösbar geworden, wenn sich das Volk im Rücken des französischen Heeres erhoben und sich ein Mann gefunden hätte, die Massen in Bewegung zu bringen. Auch ohne dies wurde sie schwierig genug. Seit Mitte September waren Ersatzmannschaften zum Ausgleich der Verluste von Frankreich her im Marsch, aber sie vermochten bei dem schnelleu Fortschreiten des Feldzuges die Armee zunächst nicht zu erreichen. Die Truppen aus Holland wurden herangerufen, ein neues Grenadierkorps gebildet, die Bundesgenossen zur Beschleunigung ihrer Hilfe angetrieben, eine große Aushebung für 1807 vorbereitet. Die Dragoner zu Fuß, die bei der Armee waren, sollten auf Beutepferden beritten gemacht werden. Die aufständischen Polen, die durch Dombrowski ihre Hilfe anbieten ließen, erhielten die Aufforderung zur Bewaffnung, ohne daß Napoleon eine bestimmte Verpflichtung gegen sie übernahm. Kavallerie wurde selbst aus weiter Ferne heranbefohlen; denn der Kaiser lebte in der irrigen Vorstellung, daß der Krieg in Polen, worunter er weite sandige Ebenen verstand, hauptsächlich mit dieser Waffe geführt werden müßte. Er stimmte seine Anforderungen an die Vorbereitung und Ausrüstung der nachgesandten Verstärkungen erheblich herab. Es genügte ihm, wenn sie bekleidet und für den bevorstehenden Winter- seldzug mit Mänteln versehen waren. Trotzdem konnten die angeordneten Maßregeln erst allmählich wirksam werden. Die unerwartet großen Entfernungen, über die der Krieg sich ausdehnte, hatten dies zur Folge. Dennoch zögerte Napoleon keinen Augenblick, den neuen Feldzug einzuleiten. Am 2. November, also zu einer Zeit, da das Schicksal des Blücherschen Unternehmens noch ungewiß war, schob er Davout von Berlin her auf Posen vor, am 6. folgte Augereau, am 8. Lannes von Stettin aus. Sorgfältige Maßregeln wurden für die Verpflegung des Heeres während des Weitermarsches nach Osten getroffen. Als die Nachricht einging, daß die russischen Truppen die preußische Grenze überschritten hätten und in Bewegung blieben, hielt er seine Streitkräfte vorübergehend bei Posen an. Er schmeichelte sich noch mit der Hoffnung, daß der neue Gegner nahe herankommen und sich durch den beabsichtigten energischen Stoß schnell aus dem Felde schlagen lassen werde. 88 II. Der Krieg von 1806 und 1807 Dann ging es nach kurzem vergeblichem Warten weiter gegen die Weichsel. Allmählich begannen ungünstige Meldungen einzutreffen. Das Land, welches die französischen Heersäulen durchzogen, bot nichts für deren Ernährung. Lannes verglich seinen Marsch von Stettin nach Schneidemühl mit demjenigen, den Bonaparte einst von Ägypten nach Syrien gemacht habe, nur sähe es hier des Sandes wegen noch schlimmer aus. Ähnlich stand es überall. Die Kunde kam, daß sämtliche Brücken über die Weichsel zerstört seien. Die Russen waren also diesseits der Weichsel auf keinen Fall zu erwarten; die Aussicht auf einen sich immer weiter von den heimischen Hilfsquellen entfernenden Kampf begann sich zu eröffnen. Regenwetter trat ein; die Wege wurden grundlos, der Marsch ging langsamer vorwärts. Am 17. November traf Lannes Thorn gegenüber ein, wo General v. L'Estocq mit der Vorhut der preußischen Truppen stand. Wie es überall geschehen, so erging auch hier zunächst eine Aufforderung zur Übergabe. Sie wurde zwar abgelehnt, aber der preußische Befehlshaber ließ sich doch auf Verhandlungen mit dem Marschall ein, welche diesem manchen wertvollen Aufschluß über die Verhältnisse jenseits der Weichsel gaben. Augereau erreichte auf fürchterlichen Wegen am 20. November mit seinen ermüdeten Truppen Bromberg. Davout stand bereits seit dem 18. bei Sompolno halbwegs Posen und Warschau und vor ihm Murats Kavallerie. Aber die Garden und Ney waren noch in und bei Berlin, Bernadotte und Soult erst auf dem Wege dahin, Mortier bei Hannover. -p 5 5 Wären auf preußischer Seite die seit der großen Niederlage verstrichenen fünf Wochen zu einer großen Anstrengung benutzt worden, so hätte an der Weichsel ein starker Widerstand der Flut der feindlichen Eroberung den ersten lange dauernden Halt gebieten können. Leider hatte aber die unglückselige Hoffnung, durch bereitwillige Anerkennung der eigenen Niederlage und der Überlegenheit Napoleons zu einem billigen Ausgleich zu kommen, alle Energie gelähmt. Die Sehnsucht nach Frieden verbreitete sich wie eine ansteckende Krankheit. Die Weisheit kleinmütiger Herzen, daß alles Friedenssehnsucht in Preußen 89 umsonst und jeder Gedanke an Fortsetzung des Kampfes gegen das Genie Napoleons eine Lächerlichkeit wäre, kam zu unheilvoller Geltung. Es ist als ein Glück für das Vaterland zu bezeichnen, daß Napoleon nicht bei seinen ersten mäßigen Forderungen blieb, sondern mehr und mehr verlangte. Sonst wäre es zum Abschlüsse gekommen und das geschwächte Preußen, an den Triumphwagen des Korsen gespannt, für immer zur Rolle eines Staates von zweitem Range verurteilt worden. Nationale Liebe und nationalen Haß kannte das kosmopolitisch angekränkelte Geschlecht überhaupt nicht. Es hätte sich mit geist- reichelnder Leichtlebigkeit in die bescheidene aber bequeme Trabantenrolle gefunden. Gott hat es zum Heile des Vaterlandes anders gewollt. Er verblendete den Eroberer, daß er durch schrankenlose Ausbeutung seiner Übermacht Herrscher und Volk zur kraftvollen Wiedererhebung zwang. Eine glühende Fürsprecherin fand die mutvolle Gegenwehr in der herrlichen Königin, die in Preußens trübster Stunde sein Schutzgeist für immer geworden ist. Sie war zunächst nach Stettin gegangen, von wo sie dem Könige schrieb: „Nur um Gottes willen keinen schändlichen Frieden." Dann eilte sie an dessen Seite, um das große Leid getreulich mit ihm zu teilen. Der König befand sich vom 20. Oktober ab in Küstrin. Dort traf Lucchesini, den er von Magdeburg aus an Napoleon gesendet hatte, mit der Nachricht ein, daß der Kaiser die Abtretung des linken Elbufers außer Magdeburg und der Altmark sowie 100 Millionen Frank Kriegskostenentschädigung verlange. Die kriegsscheue Umgebung des Königs riet zur Nachgiebigkeit; General Zastrow geleitete Lucchesini mit der grundsätzlichen Zustimmung Friedrich Wilhelms nach Berlin. Am 26. verließ der König Küstrin und erreichte am 3. November Graudenz. Die Neste des stolzen Heeres, das sechs Wochen vorher noch die Bewunderung Europas erregt hatte, etwa 8000 Mann, sammelten sich bei Marienwerder. In Graudenz erreichten den König erst die Hiobsposten von der Übergabe der Festungen, dann von der Unterzeichnung der Friedenspräliminarien, obschon Napoleon bereits mehr gefordert hatte — unter Umstünden selbst die Teilnahme am Kriege gegen Rußland. Die hoffnungslose Lage machte sogar die Königin anfangs schwankend; doch fand sie ihre Zuversicht auf einen besseren Ausgang wieder. Der König hieß die Präliminarien gut. Es 90 II. Der Krieg von 1806 und 1807 sollte nur noch in Berlin durch Prinz Ferdinand ein Versuch gemacht werden, bessere Bedingungen zu erlangen. Dann ging der Hof nach Osterode. Noch war nichts von Bedeutung geschehen, ein neues Heer aufzustellen, dessen Kern die oft- und südpreußischen Truppen hätten bilden können. Keine allgemeine Aushebung war angeordnet worden, ja nicht einmal die Aufhebung der zahlreichen Ausnahmen von der Kantonpflicht der Einländer erfolgte. Der außergewöhnlichen Gefahr dachte man immer noch mit den gewöhnlichen Mitteln wehren zu können. Keinerlei Neuschöpfungen von Truppenteilen fanden statt. Es blieben sogar Linienregimenter in den Festungen zurück, die man durch Besatzungsbataillone sehr wohl hätte ablösen können. Leicht wären 13 gute Bataillone zu gewinnen gewesen, um die zunächst unter Kalckreuth östlich der Weichsel sich versammelnden Truppen, nur noch 19^2 Bataillone, S5 Eskadrons und 3 Batterien zu verstärken und so wieder ein ansehnliches Korps im freien Felde zu bilden. Man ließ es sich genügen, die in den Friedensgarnisonen verbliebenen Mannschaften und Vorräte nach rückwärts in Bewegung zu setzen und eine Rekrutenaushebung nach alter Art anzuordnen, die bei der Überschwemmung des Landes durch den Feind vielfach nicht einmal zur Ausführung kam. So war im Augenblicke nichts vorhanden als eine schwache Besatzung der Weichsellinie. Vier russische Divisionen, welche die erste Hilfe brachten, hatten soeben erst, am 29. Oktober, bei Jurburg, Olita, Grodno und Jalowka die preußische Grenze überschritten. (S. Skizze 8.) Am 20. November erreichten sie Warschau sowie die Gegenden an der unteren Wkra und dem unteren Narew. Ihr Führer, General v. Bennigsen, übernahm den Oberbefehl auch über die preußischen Truppen. Diese zogen sich bei Osterode zusammen. Dort ward sogleich eine schwere Entscheidung notwendig. Napoleon hatte seine Forderungen von neuem gesteigert und am 16. November die Einräumung des gesamten Staatsgebietes bis zur Weichsel mit den an diesem Strome gelegenen Festungen verlangt. Erst nach Erfüllung dieser unerhörten Bedingung wollte er einen Waffenstillstand schließen. Nichts verriet, welche Verpflichtungen er anerkenne, falls die dann folgenden Friedensverhandlungen sich zerschlugen. Der König sollte auch noch Sorge dafür tragen, daß seine russischen Bundesgenossen wieder in die Erscheinen der russischen Hilfsarmee 91 Heimat zurückkehrten. Das wäre schnöder Lohn für deren Hilfsbereitschaft gewesen, und es lag zudem ganz außer Friedrich Wilhelms Macht. Nach schweren inneren Kämpfen, gestärkt durch ein freundschaftliches Schreiben Kaiser Alexanders und gestützt durch den Rat Steins, Beymes und unzweifelhaft auch den der Königin, entschied sich der König am 22. November für die Zurückweisung der unglaublichen Zumutung. 81> 5 Bennigsen und Buxhöwdeu waren indessen, einander grollend und sich meidend, narew- und bobrabwärts, durch den Fluß getrennt, unbelästigt abgezogen. Sie wollten bis über die preußische Grenze auf russisches Gebiet zurückgehen; doch gelang es dem preußischen Hauptmann v. Schüler, den der König zu ihnen gesandt, sie davon abzubringen. In Goniondz erhielt Bennigsen zum Lohne für seinen halben Erfolg von Pultusk die Ernennung zum Oberbefehlshaber und führte nunmehr die ganze Armee wieder westlich nach Bialla vor, während Buxhöwdeu sie verließ. General v. Essen übernahm die Sicherung der russischen Grenzen in der Richtung auf Warschau. Zu seiner Unterstützung ließ Bennigsen bei Goniondz die 6. Division des Generals Sedmoratzki stehen. 7. Von der Weichsel bis Pr.-Eylau Am 1. Januar gab Napoleon die endgültigen Befehle für die Winterruhe. Die Armee durfte sich hinter dem Omulef und der Passarge vom unteren Bug und Narew bis zum Frischen Haff hin ausdehnen. Das war Raum genug, um den Truppen nach den großen Anstrengungen gute Unterkunft zu gewähren. Von besonderem Werte wurde dabei das durch den Krieg noch nicht stark berührte Land um das Weichseldelta herum. In vorderer Linie sollten die Korps von Davout, Soult, Ney und Bernadotte lagern, dahinter Lannes und Augereau, sowie die Garde, die in der Nähe von Warschau noch die nächsten Bezirke am linken Weichselufer einnahmen. Dorthin wurde auch die neu gebildete Grenadierdivision Oudinot herangezogen, während der Marschall Lefebvre mit dem ebenfalls jetzt erst zusammengestellten 10. Armeekorps die Belagerung von Graudenz und Danzig zu übernehmen bestimmt wurde. Die Kavalleriedivisionen lagen meist im Weichseltale, zum Teil auch im Narewgebiet in vorderer Linie. Sogleich begann der Kaiser mit umfassenden Maßregeln zur Verstärkung und Versorgung seines Heeres. Für ihn selbst gab es keine Ruhe. Er hatte eingesehen, daß ein Feldzug in den pol- Winterquartiere. Bennigsens Offensive 103 nischen Landesteilen Preußens weit schwieriger sei, als er zuvor glaubte. Um so mehr gedachte er alles vorzubereiten, was eine kräftige Durchführung im beginnenden Frühling zu fördern imstande sei. An eine Störung von seiten der Russen dachte er nicht. Wie in der Natur des Landes und des östlichen Winters, so täuschte er sich indessen auch in der Zähigkeit seiner Gegner. Nach dem Gefecht von Soldau war Ney, dessen Umsicht bei Beurteilung der Führung des Krieges im großen mit feiner Tapferkeit und Unternehmungslust nicht gleichen Schritt hielt, eifrig dem abziehenden Korps L'Estocq gefolgt. Auch der Wunsch, die durch den Krieg schon völlig ausgesogeneu polnischen Landstriche zu verlassen und seinen Truppen in den noch unberührten Teilen Ostpreußens Erholung zu gewähren, trieb ihn vorwärts. Seine Truppen weit ausdehnend, ging er bis Bartenstein vor und plante sogar einen Handstreich gegen Königsberg. Die Warnungen Bernadottes, der in vorderer Linie den Oberbefehl führen sollte, überhörte er und bot so dem L'Estocqscheu Korps die herrlichste Gelegenheit, die Schlappe von Soldau zu rächen. Mit seinen vereinigten Truppen hätte der preußische Geueral in das weit zerstreute Korps seines Gegners hineinfahren und es sprengen können. Aber solche Unternehmungen lagen weder im Geist der Zeit, noch in demjenigen des vorsichtigen L'Estocq, der nichts aufs Spiel jsetzen wollte, obwohl nur die äußerste Kühnheit noch den Rest von jPreußen zu retten vermocht hätte. Als der Hof am 6. Januar Königsberg verließ und er den Befehl erhielt, diese Stadt zu schützen, ging er nicht mit der ganzen Kraft, sondern nur mit einem Teil seiner Truppen und auch nicht weit, sondern lediglich bis zu dem nahen Drengfurt vor. Nicht vertreiben wollte er den Gegner, sondern verscheuchen. Ernstere Gefahr drohte von den Russen. Der neue Oberbefehlshaber Bennigsen hatte seines Kaisers Befehl erhalten, die Franzosen wieder über die Weichsel zurückzuwerfen, und ohne Ruhe setzte das russische Heer seine Bewegungen fort. Bennigsens Plan war, gegen die untere Weichsel vorzudringen, das Korps Ney sowie das links von ihm bis zum Haff reichende Korps Bernadotte anzugreifen, Graudenz zu befreien, sich mit Danzig in Verbindung zu setzen, dort in dem wohlhabenderen Gebiete Winterquartiere zu beziehen und die Verstärkungen, die ihm aus Rußland zufließen sollten, abzuwarten. Sodann beabsichtigte er, das ganze Korps 104 II. Der Krieg von 1806 und 1807 L'Estocq nach Danzig zu entsenden, von wo aus es am linken Weichselufer selbständig hätte operieren dürfen. Man hat diesen Plan als eines großen Generals würdig bezeichnet. Er konnte aber nur gelingen, wenn der Feind sich ruhig überfallen und schlagen ließ, um später untätig zuzusehen, wie sich die Russen des errungenen Erfolges freuten. Das war einem Napoleon gegenüber eine gewagte Annahme. Wenn Bennigsen Kraft und Entschlossenheit besessen hätte, die von ihm zuerst erstrebten Vorteile durch eine große Schlacht mit dem Kaiser zu behaupte::, dann war sein Gedanke gut, sonst aber nicht. Zudem hätte er das Korps L'Estocq nicht nach Danzig entsenden, sondern im Gegenteil von dort noch alles heranziehen sollen, was irgend entbehrlich war. Nie kann ein Feldherr vor der Schlacht stark genug sein. Auch Essen und Sedmoratzki hätten den Zug mitmachen müssen, nicht bloß die sieben Divisionen, die Bennigsen bei sich behalten hatte. Aber auch so wie Bennigsens Entwurf nun einmal war, mangelte in der Ausführung das wichtigste Element, die Schnelligkeit. Am 16. Januar, als seine letzten Truppen eben erst heran kamen, war er von Bialla wieder aufgebrochen und ging mit zwei großen Kolonnen über Rhein und Nikolaiken in der Richtung auf Heilsberg und Guttstadt vor. Das war viel zu weit nördlich, um wirksam zu sein. Zum mindesten hätte Allenstein sein Ziel sein sollen; dann wäre Aussicht vorhanden gewesen, wenigstens einen Teil von Bernadottes eiligst nach Süden hin abziehenden Truppen zu erreichen. Schleppend vollzogen sich die Märsche. Die Preußen begleiteten den rechten Flügel. Mit dem Vorrücken der Russen war Napoleons gemessener Befehl au Ney zur Rückkehr in die vorgeschriebenen Kantonnements zusammengetroffen. So ward der Marschall vor einer Niederlage bewahrt. Mit einem verhältnismäßig ganz geringen Verluste kam er glücklich nach Gilgenburg davon. Nicht ganz so leicht wurde es Bernadotte. Dennoch rettete auch er sich. Über Liebstadt vorgehend kreuzten die Russen seinen Weg von Elbing und Pr.-Holland her in der Gegend von Mohrungen. Doch er erkannte rechtzeitig die große Gefahr, sammelte, was sich an Streitkräften bei Mohrungen vorfand, und ging dem Feinde entgegen, um den noch weiter nördlich befindlichen Truppen den Durchzug möglich zu machen. Seine Kühnheit täuschte die Russen. Die Avantgarde unter General Markow ward sogar am 25. Jannar nordöstlich Mohrungen in ein Napoleons Gegenoffensive 105 ungünstiges Gefecht verwickelt, und Bennigsen hielt es für geraten, seine Armee am nächsten Tage zusammenzuziehen. So vermochte Bernadotte in der Richtung auf Löbau abzumarschieren. Im Bogen nach links herum schwenkend folgten ihm der russische Vortrab bis Deutsch-Eylau und das preußische Korps, das bis in die Gegend von Freystadt, mit der Spitze sogar bis Lessen, kam. Die Verbindung mit Graudenz wurde aufgenommen. Bennigsen dachte der Hauptmasse seiner Truppen nunmehr die ersehnte Ruhe zu gewähren; allein er rechnete dabei ohne seinen großen Gegner. -!- -i- Napoleon hatte den ersten Nachrichten vom Wiedervorgehm der Russen und Preußen keine Wichtigkeit beigemessen. Er konnte sich nicht denken, daß seine Feinde weniger ruhebedürftig sein sollten als die große Armee und hielt die eingeleiteten Bewegungen nur für Gegenmaßregeln gegen Neys verwegenes und bedrohliches Vordringen. Mit dem unwilligen Befehl zur Rückkehr an diesen glaubte er anfänglich genug getan zu haben. Erst am 27. Januar, als die ihm zugehenden Nachrichten nicht mehr bezweifeln ließen, daß die Verbündeten wirklich mit starken Kräften den Feldzug wieder eröffnet hatten, bequemte er sich dazu, die Lage für ernst zu nehmen. Auf sein Verhalten von diesem Augenblicke ab paßt aber vortrefflich das Bild von dem erwachenden Löwen. Sofort war er entschlossen, auch die große Armee zu versammeln, und zwar sogleich in der Richtung gegen Willenberg, die dein Gegner unter allen Umständen verderblich werden mußte. Hatte er einmal die so lange ersehnte Ruhe unterbrechen müssen, so sollte diese Unterbrechung auch mit einer völligen Niederlage des Feindes enden. Zwar übersah er im Augenblick nicht klar, wo die Russen stünden. Seine Nachrichten besagten, daß Bennigsen letzthin mit 80000 Mann zwischen Pr.-Eylau und Mühlhausen gewesen sei. Von dort konnte er sich weiter gegen die untere Weichsel gewendet haben, vielleicht Thorn bedrohen, auf dessen Behauptung dem Kaiser viel ankam. Für wahrscheinlicher hielt Napoleon es freilich, daß der russische Feldherr sofort nach den ersten Meldungen über die Bewegungen der Franzosen an und über die Alle zurückkehren werde. Für alle Möglichkeiten aber, sogar für diejenige, daß die Russen im Rücken gefaßt, nach Westen über die Weichsel getrieben würden, 106 II. Der Krieg von 1306 und 1807 bereitete er seine Maßnahmen vor. Diese griffen weithin zurück, selbst die Garnisonen von Stettin und Berlin sollten nötigenfalls in Tätigkeit treten. Des Kaisers Energie und Arbeitskraft zeigt sich in diesem Augenblick auf voller Höhe. Nicht weniger als 29 Dokumente, die er am 28. Januar allein aus seinem Hauptquartier beförderte, sind erhalten geblieben. Mehr und mehr befestigte sich der Glaube an Bennigsens Rückkehr zur Alle und damit der Plan bei ihm, rechts dieses Flusses vorzudringen, um gleich im Beginn der Operationen den Feind zu umgehen und von seinen rückwärtigen Verbindungen zu trennen. So hatte er es im Oktober mit den Preußen an der Saale getan. Bis zum 31. Januar war die Versammlung um Willenberg vollendet. Voran in der Richtung auf Passenheim stand Murat mit seiner Kavallerie, hinter ihm Soult bei Willenberg, dem die Garde und Augereau folgten, zur Rechten Davout bei Myszyniec. Links sollte von Gilgenburg her Ney herankommen. Von Bernadotte, der weiter über Neumark auf Strasburg auswich, fehlten die Nachrichten. Eines war aber doch anders als sonst in den Anordnungen des Kaisers beim Aufbruch zur entscheidenden Schlacht. Die Vorgänge im Dezember, die Not seiner Armee hatten ihn unsicher gemacht. Was er bis dahin nie getan, begegnete ihm jetzt. Er fürchtete für seine rückwärtigen Verbindungen, deren Schutz er sonst nur im entscheidenden Siege über das feindliche Heer gesucht hatte. Marschall Lannes mit der Kavalleriedivision Beker und der später heranrückenden Division Oudinot blieb am Narew stehen, um Warschau zu schützen. Für Thorn sollte Lefebvre eine ähnliche Rolle übernehmen. Nur wenig über zwei Drittel seiner gesamten Kräfte führte Napoleon vorwärts und minderte dadurch sein Anrecht auf einen großen Erfolg. Am 1. Februar begann der Vormarsch. Napoleon hatte richtig vorausgesetzt, daß sein Herannahen für die Russen das Signal zur Umkehr gegen Osten sein werde. Allein er ahnte nicht, daß ein Zufall diese Bewegung beschleunigen werde. Der von ihm am 31. Januar an Bernadotte abgesandte Befehl, den Vormarsch der Armee auf dem äußersten linken Flügel zu begleiten ^ war in die Hände der Kasaken gefallen. Bennigsen erkannte daraus mit Klarheit die ihm drohende Gefahr. Sogleich ließ er seine Divisionen in der Richtung auf Allenstein abrücken. Benntgsens Umkehr. Johnkendorf und Bergfriede 107 Er sagt, es sei seine Absicht gewesen, noch bis Wartenburg zu marschieren, um dort die große Straße nach Königsberg hinter sich zu haben, indessen ist zweifelhaft, ob dieser Gedanke nicht erst nach den nun folgenden Ereignissen entstand. Am 2. Februar bewegten sich die beiden Heere, das französische von Südost und Süden, das russische von Nordwesten her gegen Allenstein. Um die im tiefen Flußtale gelegene Stadt entbrannte ein heftiger Kampf. Langsam wichen die russischen Vortruppen auf ihre Armee zurück. Napoleon hoffte am 3. Februar die heiß ersehnte Schlacht schlagen nnd den Feind gegen die Weichsel werfen zu können. Während der Morgenstunden fehlten ihm indessen die Kräfte, den Gegner ernsthaft anzugreifen. Bennigsen hatte seine Armee nordwestlich Allenstein bei Johnkendorf auf bedeutenden Höhen versammelt. Ein tief eingeschnittener Bach floß vor der Front seiner Stellung hin. Die linke Flanke an der Alle bei Bergfriede war von ihm durch eine halbe Division gesichert. Es scheint, daß er vorübergehend der Stärkere gewesen ist und durch einen kräftigen Vorstoß gegen Allenstein dem Kaiser böse Stunden hätte bereiten können. Aber es fehlte ihm dazu der Entschluß und seinem Heere wohl auch die nötige Gewandtheit. So beschränkte er sich auf das Abwarten. Napoleon traf inzwischen seine Vorbereitungen für die Umfassung. In der Front standen Murat und zwei Divisionen von Soult den Russen gegenüber. Die Artillerie kanonierte über den trennenden Bachlauf hinweg. Von rückwärts kamen allmählich Augereau und die Garde heran. Zur Rechten ging eine Division von Soult auf Bergfriede vor, noch mehr nördlich hinausgeschoben Davout in der Richtung auf Guttstadt, seine Kavallerie weithin vortreibend. (S. Skizze 9.) Zur Linken kam Ney über Hohen- stein heran. Der Tag verging indes, ehe Kräfte genug vorhanden waren, um zugreifen zu können. Der Schlag mußte auf den nächsten Morgen verschoben werden, und im Lager bei seineu Truppen gab Napoleon die Befehle dazu aus. Bei Bergfriede im Alletal war es zum hin und her wogenden Kampfe zwischen den Russen und Soults Division Leval gekommen. Mit Einbruch der Dunkelheit gelang es dieser, die Verteidiger nach hartnäckiger Gegenwehr aus ihrer Stellung auf dem hohen Talrande zu verdrängen. Gleichzeitig rückte auch Davouts Reiterei in Guttstadt ein und überfiel dort russisches Fuhrwesen. Die Nach- 108 II. Der Krieg von 1806 und 1807 richt davon kam noch am Abend an Bennigsen und ließ den Entschluß zum Ausweichen in seinem Geiste reifen. Die Lage, die sich hier an der Alle herausgestellt hatte, besitzt eine große Ähnlichkeit mit der des 13. Oktober an derSaale. Wir haben nur an Stelle des russischen Lagers von Johnkendorf das der Preußen bei Weimar, statt Allenstein Jena und für Bergfriede etwa Dornbnrg zu setzen, während Guttstadt die Rolle von Naumburg spielt, und es entrollt sich uns das gleiche Bild der in einer Flankenstellung stehenden und von ihren Verbindungen bereits abgeschnittenen Armee. Auch die Entschlüsse derOber- befehlshaber, Bennigsens und des Herzogs von Braunschweig, kommen überein. Aber der russische General führte den Abmarsch entschlossener und einheitlicher aus, als sein unglücklicher Vorgänger. Er ließ keinen Teil seines Heeres zurück, sondern setzte die ganze Armee in nördlicher Richtung auf Wolfsdorf in Bewegung, da er den Abmarsch über Guttstadt schon für unmöglich hielt. Mit Unwillen sah Napoleon am 4. Februar früh den Feind bereits im vollen Abzüge. Wieder war ihm die Beute entgangen. Aber sogleich sollte sie bis aufs äußerste verfolgt werden: rechts an der Alle entlang durch Davout, in der Mitte zwischen Alle und Passarge durch die Kavallerie, Soult, Augereau und die Garden, Helllili g ciel- sili55kli u ^3liio5en am Z, fevs-us^ 1LtZ7 Hd, Skizze 9 ^ Russen — M Franzosen Rückzug der Verbündeten 109 links sollte Ney an der Passarge entlang vorgehen. Der ganze Tag wurde durch Gefechte ausgefüllt. Eine Heeresmasse wie die russische kommt nicht leicht davon, wenn sie den Feind dicht sich gegenüber hat. Bergiges Gelände, tiefer Schnee, enge fürchterliche Landwege und Wälder verzögerten die Bewegung. Am Morgen standen russische Truppen noch wartend bei Johnkendorf, denn die Masse der Armee folgte einer einzigen Straße. Bald wurden sie angegriffen, andere Truppen, die in der Nähe waren, mußten herbeieilen, um sie zu unterstützen. Langsam wichen sie dann unter mehr oder minder heftigen Kämpfen auf Wolfsdorf zurück, wo sie erst in der Nacht eintrafen. Einer der merkwürdigsten Rückzüge der neueren Kriegsgeschichte hatte damit begonnen. Bennigsen fuhr in seiner Kutsche voraus, ein Teil der älteren Generale tat das Gleiche. Die jüngeren, die bei der Truppe verblieben, erwehrten sich, ohne einheitliche Leitung, so gut es ging, der nachdrängenden Franzosen. Um die Anordnungen für den Marsch und die Unterkunft der Truppe scheint sich niemand gekümmert zu haben. Aber die Zähigkeit des russischen Soldaten trotzte allem Ungemach. In die übelste Lage geriet durch den Rückzug das am weitesten nach vorwärts gelangte preußische Korps. Es hatte am 2. Februar zu Freystadt die Nachricht jerhalten, daß Napoleon im Vorrücken sei und war noch am nämlichen Tage nach Deutsch-Eylan marschiert. Leider blieben starke Kräfte wiederum von der Hauptmasse getrennt. Gemischte Kolonnen unter den Generalen Rouquette und Esebeck, sowie eine Reiterabteilung unter Major v. Borstell, die am weitesten gegen die Weichsel standen, sollten auch fernerhin das Tal dieses Flusses sichern. Am 3. erreichte L'Estocq die Gegend von Osterode, wo ihn der Besehl Bennigsens ^zum Heranrücken nach Johnkendorf traf. Um diesen Marsch ohne Zusammenstoß mit dem Feinde ausführen zu können, bog das Korps nördlich aus und erhielt im Laufe des 4. die weitere Nachricht vom Rückzüge der Russen, so daß es nunmehr die Richtung auf Währungen nahm. Dort traf es spät in der Nacht und stark ermüdet ein. Seine leichten Truppen, in Vorpostenbrigaden zusammengezogen, erhielten den Auftrag, den Abmarsch an der oberen Passarge zu decken. Der Überbringer dieses Befehls aber verspätete oder verirrte sich in der winterlichen Landschaft. So standen sie denn auf den verschneiten Feldern wartend und frierend bis 7 Uhr abends und rückten dann erst nach ihren Bestimmungsorten in der Dunkelheit 110 II. Der Krieg von 1806 und 1807 ab. Sie wurden es deshalb nicht inne, daß weiter unterhalb der Passargeübergang von Deppen schon von den Franzosen besetzt und der Weg am Flusse entlang ihnen verlegt war. Auch der Franzosen Kräfte waren durch die eiligen Versammlungsmärsche schon stark erschöpft. Der Kaiser kam mit der Masse seiues Heeres nur bis in die Gegend von Schlitt. Dort ging ihm die für ihn erfreuliche Kunde zu, daß preußische Truppen sich noch links hinter ihm an der oberen Passarge entlang zögen, und die Hoffnung flammte in ihm auf, diesen verhaßtesten seiner Gegner nun endlich völlig vernichten zu können. Ney erhielt den Befehl dazu nnd sollte am 5. westlich über die Passarge gehen, um die Preußen aufzusuchen und zu sprengen. Inzwischen sah die Nacht abermals den Rückzug der russischen Armee sich mühsam fortschleppen. Er nahm die Richtung über Freimarkt auf Landsberg. L'Estocq erhielt Befehl, mit einer halben Meile Abstand zu folgen und sah sich in Mohrungen in die üble Lage versetzt, entweder die Verbindung mit dem russischen Heere zu verlieren oder seine Vorpostenbrigaden ihrem Schicksale zu überlassen. Nach längerem Schwanken entschloß er sich für das letztere. Es scheint aber auch, daß die leichten Truppen sogar ohne Nachricht geblieben sind; denn als sie am 5. Februar das Korps über Waltersdorf erreichen wollten, liefen sie dort der langen Marschkolonne Neys in die Arme. Zwar griffen sie unerschrocken an, doch wurden sie von der großen Übermacht bald mit schwerem Verluste auf Mohrungen zurückgeworfen. Sorgenvoll aber vergeblich warteten L'Estocq und Scharnhorst am Abend in ihrem Hauptquartier Schlodien an der Passarge auf sie, ohne eine Meldung von ihrem Verbleiben zu erhalten. Als der Kaiser, der den Russen auf dem Fuße gefolgt war, am 6. Februar Neys Bericht über das Gefecht von Waltersdors erhielt, befahl er diesem sogleich, weiter auf der Verfolgung der Preußen zu bleiben und sie Bernadotte in die Arme zu treiben. Zwei Korps der großen Armee wurden so einem Nebenzwecke zugewendet, dem des Kaisers Haß im Augenblick die Wichtigkeit verlieh. Heftiger und heftiger wurden inzwischen die Nachhutgefechte bei den Russen. Südlich von Landsberg bei dem Dorfe Hof auf Hügeln und in Waldstücken entbrannte am 6. nachmittags ein so ernster Kampf, daß Napoleon glaubte, es werde dort am nächsten Tage schon zur allgemeinen Schlacht kommen. Er befahl die Ver- Nachhutgefecht von Hof. Benntgsens Entschluß zur Schlacht 111 sammlung seiner Truppen. Auch Davout sollte von Heilsberg aus herankommen. Aber der Morgen des 7. Februar täuschte nochmals seine Erwartungen. Bei Tagesanbruch standen nur noch wenig russische Truppen vor ihm. Die Masse war in der Nacht von neuem verschwunden. Davout erhielt Befehl, wieder über Bartenstein auszuholen. Alles übrige folgte fechtend in der Richtung auf Pr.-Eylau. Der Kaiser sah wohl ein, daß er mit der Entsendung Neys einen Fehler begangen habe, denn sein Heer schmolz bedenklich zusammen, und er schrieb dem Marschall, der übrigens am 6. die Spuren der Preußen verloren hatte, diese Bernadotte zu überlassen und auf Kreuzburg vorzugehen. Er wollte nunmehr den Russen den Rückzug nach Königsberg verlegen. Deren nächtlicher Marsch war auch diesmal wieder ohne Sorgfalt und Umsicht angeordnet. Die marschierenden Kolonnen stockten. Jedes kleine Hindernis auf dem Wege, ein gefallenes Pferd, ein umgestürzter Karren, ein liegengebliebenes Geschütz hielt sie auf, denn niemand bemühte sich, sie beiseite zu schaffen. Näher und näher kamen die Franzosen heran und drängten lebhaft. Langsam und schwerfällig wälzten sich die beiden Heeresmassen in nördlicher Richtung fort. Da entstand endlich bei Bennigsen der Entschluß, in der Gegend von Eylau stehen zu bleiben und die Schlacht zu wageu. Der Zustand, in dem die russische Armee dort ankam, war ein bedrohlicher. Die Auflösung begann ihre Schatten vor sich her zu werfen. Seit dem Abmarsch von Johnkendorf hatte sie bei Tage gefochten, um nachts zu marschieren. Die Fälle werden in der Kriegsgeschichte selten sein, wo ein ganzes Heer ohne Unterbrechung vier Nachtmärsche hintereinander bei Winterkälte und auf verschneiten Wegen ausgeführt hat, ohne auseinander zu laufen. Die Nachhut stand frierend auf kaltem Schneefelde ohne Feuer und Nahrung vom Abend bis zum Morgen unter dem Gewehr, um dann erst dem Rückzug zu folgen. Das dünn bevölkerte Land bot den eng gedrängten Menschenmassen nur wenig zur Ernährung. Die Not war auf den Gipfel gestiegen, dazu kamen die trostlosen Wege, welche die Truppe aufs äußerste ermüdeten. „Der arme Soldat schleicht wie ein Gespenst einher, sich stützend auf seinen Nachbar, sieht man ihn während des Marsches schlafen. Ich selbst bin halb schlafend, halb wachend hierher gekommen, und die ganze Retirade kommt mir mehr wie ein Traum als Wirklichkeit vor." So schreibt ein Teilnehmer jenes denkwürdigen Zuges. Mit Sorge 112 II. Der Krieg von 1806 und 1807 mag der Feldherr auf die Reihen seiner ankommenden Streiter geblickt und sich wohl die Frage vorgelegt haben, ob es überhaupt noch möglich sei, weiter zu marschieren. Auch die Schlacht scheute er. Aber im Kriege kommen immer einmal Augenblicke, wo zwischen zwei Katastrophen gewählt werden muß. Dann verdient der Untergang im Kampfe schon darum den Vorzug, weil er das ehrenvollere ist. Auch andere Gründe sprachen für das Standhalten. Das bergige, waldige Land mit seinen wenig übersichtlichen Gefilden war durchzogen. Bei Eylau wird die Gegend freier und offener; sie war der damaligen russischen Fechtweise günstig. Die Armee näherte sich auch dem Punkte, wo sie sich entscheiden mußte, ob der weitere Rückzug nach Königsberg oder zur russischen Grenze über die Memel gehen solle. Die große Heerstraße von Warschau nach Königsberg ließ damals das Städtchen Pr.-Eylau zur Linken und führte auf eine Meile Abstand hinter demselben von Bartenstein nach Mühlhausen vorüber. Beim Dorfe Lampasch, wo der Weg von Eylau sie erreichte, zweigte sich gen Nordosten die Straße nach Friedland, Jnsterburg und Tilsit ab. Bei Lampasch also lag der Scheideweg. Wollte Bennigsen sich die Wahl noch freihalten, so mußte er sich davor bei Pr.-Eylau aufstellen. Auch Königsberg, nach Berlin und Breslau die volkreichste Stadt des preußischen Staates und seine zweite Hauptstadt mit 50000 Einwohnern, durfte nicht ohne Schwertschlag preisgegeben werden. So sollte es denn gewagt und Napoleons Angriff hier erwartet werden. Die französische Armee war in nicht minder trauriger Verfassung. „Das Feuer und der Rauch der Biwaks hatten den Soldaten braun, dürr, unkenntlich gemacht. Seine Augen waren gerötet, seine Kleider voll Unrat und verräuchert. Er war abgemagert, traurig, Träumer geworden. Oft war der Zuhörer ergriffen von den Flüchen und Verwünschungen, welche die Verzweiflung und die Ungeduld ihm entrissen." So Percy, der Chefchirurg der großen Armee. Aber die Verwüstung, die sich hier dem Auge darbot, war selbst den an vieles gewöhnten französischen Generalen überraschend. „An der Straße ist alles zerstört, alles verlassen; nimmermehr haben die Vandalen so gehaust. Die Wege bedeckten sich mit Kadavern von Menschen und Pferden, Trümmer von Heergerät und Ausrüstungsstücke lagen überall umher. Welch eine Jahreszeit, welch eine Kälte, welch ein Land!" In den dichten Wäldern Eintreffen der Franzosen vor Pr.-Eylau 113 hätte man sich ohne Führer verirrt, wenn nicht die Kette der Nachzügler und verspätete Karren die Spuren des Heerzuges gekennzeichnet hätten. Je weiter nördlich, desto ärger wurde es. Das Gefechtsfeld von Hof machte einen furchtbaren Eindruck. „Nie haben so viel Kadaver einen so kleinen Raum bedeckt." Noch lebende, aber völlig erschöpfte Pferde standen am Wege und harrten des Augenblicks, wo der Hunger sie niedersinken ließ. War ein Kampfplatz überschritten, so traf der Blick schon den anderen. Wie es bei der vorn marschierenden Truppe unter diesen Umständen aussah, ist leicht zu ermessen. Die Menschen wankten mechanisch vorwärts, und die Pferde glichen Skeletten, die sich unter ihren Reitern nur noch mühsam bewegen, aber nicht mehr traben konnten. Auch der Kaiser hat sich dieser harten Tage noch mehrfach mit leichtem Schauer erinnert. Dergleichen hatte die große Armee bis dahin noch nicht durchlebt. Mehrfach war die russische Nachhut, die Fürst Bagration am 7. Februar führte, gezwungen gewesen, Halt zu machen, um Murats herankommende Reiterei abzuwehren. Hinten bei Eylau stauten sich die Truppenmassen am engen Stadteingange. Bennigsen ließ einige Reiterregimenter und Infanterie wieder umkehren und zur Nachhut stoßen. Diese nahm zuletzt eine Stellung auf den flachen Höhen südwestlich von Eylau hinter dem Tenknitter und Waschkeiter See ein. Um 2 Uhr nachmittags trafen die Franzosen mit den vordersten Truppen vor ihrer Frontlinie ein. Die Schlacht von Pr.-Eylau am 7. und 8. Februar (S. Skizze 10) Unter solchen Umständen begann die zweitägige Schlacht von Pr.-Eylau. Sie war eine der blutigsten aller Feldzüge des vorigen Jahrhunderts. Dennoch sind manche ihrer Vorgänge uns nur wenig bekannt, wie es sich aus dem Zustand der beteiligten Heere erklärt. Den ersten Angriff Murats und Soults wies Fürst Bagration erfolgreich ab. Glücklich griff seine Kavallerie auf dem Eise des Tenknitter Sees ein französisches Infanterieregiment an, sprengte es und eroberte einen Adler. Frhr, v. d. Goltz, Kriegsgeschichte 8 114 II. Der Krieg von 1806 und 1807 Aber die Angriffe wiederholten sich mit stärkeren Kräften. Die russischen Flanken wurden umfaßt, und obwohl hinter Ba- gration noch die 8. russische Division nebst zahlreicher Kavallerie auf ihren Flügeln aufmarschiert war, sahen die Verteidiger sich doch gezwungen, langsam gegen Pr.-Eylau zurückzuweichen. Dort hielt Fürst Barclay de Tolly mit seinen leichten Truppen die Stadt besetzt, während die Armee sich langsam auf den Höhen hinter derselben in Schlachtlinie ordnete. Der Angriff auf die Stadt scheint gegen Napoleons Willen in Gang gekommen zu sein. Von einem hohen Berge am Waschkeiter See beobachtete er den Kainpf, als Marschall Augereau bei ihm eintraf. „Man hat mir den Vorschlag gemacht, Eylau noch heute abend zu nehmen," wendete er sich zu diesem, „allein einmal bin ich kein Freund von Nachtkämpfen, und dann will ich auch mein Zentrum nicht zu weit vortreiben, ehe nicht Davout, der meinen rechten, und Ney, der meinen linken Flügel bildet, eingetroffen sind. Ich werde sie daher auf diesem Plateau erwarten, das, von Artillerie gekrönt, der Infanterie eine ausgezeichnete Stellung bietet. Dann, wenn Neh und Davout in der Linie sind, werden wir alle zusammen gegen den Feind vorgehen." Der Gang der Dinge war indessen stärker als sein Wille. Ein Gefecht schloß sich an das andere, und als die Angreifer von der schlecht bewachten Nordwestseite her in die Stadt einzudringen begannen, da war kein Aufhalten mehr möglich. Auch zur Rechten gegen die Kirche setzten sich die Sturmkolonnen in Bewegung und nahmen sie nach heftigen: Kampfe gegen 5 Uhr nachmittags. In den Straßen dauerte der Kampf noch mit großer Heftigkeit fort. Auf kaum 50 Schritt Entfernung beschossen russische und französische Geschütze einander über den kleinen Marktplatz hinweg. Endlich ordnete Barclay, selbst schwer verwundet, die Räumung an. Als er aber Eylau auf der Nordostseite verließ, kam ihm dort Bennigsen mit der 4. russischen Division entgegen, um die Stadt noch einmal zurückzuerobern. Das gelang. Etwa um 6 Uhr war sie von neuem in russischer Hand, doch nur, um eine halbe Stunde später abermals verlassen zu werden. Schwer ist aufzuklären, was der Feldherr mit diesem wunderlichen Vorstoße bezweckt hat. Wahrscheinlich ist, daß er irgend einer der vielen augenblicklichen Regungen folgte, die im Verlauf eines so wütenden Kampfes auf das Herz des Oberbefehlshabers einstürmen, sich aber später nicht folgerichtig aufklären lassen. Als das Getöse Kämpfe um die Stadt 115 schwieg, nahm Napoleon sein Qartier in einem damals noch wohlerhaltenen großen Patrizierhause an der Landsberger Straße und traf die Anordnungen für den kommenden Morgen. Die Nacht brach herein. Sie war bitter kalt. Die Temperatur sank bis auf 12 und 14 Grad Reaumur herab. Die Franzosen fanden in Eylau und nächster Umgebung noch ein dürftiges Unterkommen. Übler war die Lage der Russen auf den kahlen Höhen nordöstlich der Stadt. Bennigsen hatte befohlen, daß keine Feuer angezündet werden dürften, und die Truppen litten unter diesem widersinnigen Verbot, das in einem neuen Beispiel die unheilvolle Macht herrschender Theorien lehrt. Die Stellung der Russen war dem dicht gegenüber lagernden Feinde längst bekannt, und es hätte wohl einen Sinn gehabt, zahlreiche Wachtfeuer zu unterhalten, wenn die Armee durch einen fünften Nachtmarsch sich nochmals der Schlacht hätte entziehen wollen. Zwecklos aber war es, die armen frierenden Truppen ohne Feuer zu lasten, trotzdem man zum Entscheidungskampfe entschlossen war. Viel wichtiger wäre es gewesen, ihnen eine ordentliche Nachtruhe am warmen Feuer und möglichst reichliche Kost zu verschaffen, ehe der Kampf wieder anhob. Für die Disziplin des russischen Heeres spricht es, daß trotz aller Not Bennigsens Anordnung wirklich befolgt wurde. Die in jener Zeit vorhandenen zahlreichen Feldzäune standen am anderen Morgen unversehrt da. Wenn Augenzeugen vom Eylauer Kirchturme aus in der Nacht unzählige russische Lagerfeuer gesehen haben wollen, so war ihre Phantasie allzu tätig oder die Erinnerung hat sie getäuscht. In begreiflicher Unruhe mag der Kaiser diese Nacht vollbracht haben. Der langersehnte, den Feldzug mit einem glänzenden Siege für ihn abschließende Waffengang stand nunmehr, wie er überzeugt war, vor ihm. Eine heftige russische Kanonade gegen Pr.-Eylau leitete das Drama des nächsten Tages, eines Sonntages, im Morgengrauen ein. Die französischen Korps eilten in die ihnen zugewiesenen Stellungen. Die große Armee war indessen bei weitem nicht vollzählig anwesend und durch die vorangegangenen Verluste arg gelichtet. Murat mit seinen vier, je vier Regimenter starken Reiterdivisionen, Milhaud, Klein, Hautpoul und Grouchy, sodann die Korps Soult, Augereau und die Garde hatten die Nacht in Eylau und nächster Nähe verbracht. Marschall Davout sollte auf der 8* 116 II. Der Krieg von 1806 und 1807 Bartensteiner Straße bis zu einer deutschen Meile Entfernung heranrücken und war auch tatsächlich bis in die Gegend von Bartenstein und nördlich gekommen. Ney, der nach des Kaisers Geheiß auf Kreuzburg marschieren sollte, stand bei Orschen. Berna- 8clilöctif bei pl'kusL^cli Lv!-m sm 7u,3. skbl'usl'M? I-Zv e sm 3, febl'USl'fs'üti. Skizze 10 H s« Russen — k Hauptschlachlstellung Bennigsens — S—k Drei Divisionen und Kavallerie in der Reserve — iIgclitt3 cie von s>.lvlgu cisn 8. sebl-u-^ 1307 sw3 3° ^lor- qens. p?itt^it^^l.'^wcq ^ ?Iöt^^ MFo/'/7^>?Äx >^e>"" //o////°o/q/ Skizze 11 Preußen und Russen ^ H Franzosen Truppen gefolgt. Durch geschickt geleitete Gefechte verstanden die beiden preußischen Generale es, ihn bis Kreuzburg hinter sich her zu ziehen. Nur schwächere Teile seines Korps waren der Kolonne L'Estocqs gefolgt und wurden durch die Reste der Nachhut und 124 II. Der Krieg von 1306 und 1807 ein verstärkendes Grenadierbataillon am Pasmarflüßchen bei der Mühle von Drangsitten aufgehalten. Um 1 Uhr nachmittags war L'Estocq bei Althof eingetroffen. Ein merkwürdiger Anblick bot sich ihm und seinen Waffengefährten dar. Man überblickte den rechten Flügel der Russen, den linken der Franzosen bis Eylau hin, sah jeden Kanonenschuß aufblitzen und hörte keinen Ton. Lautlos schien die furchtbare Schlacht vor sich zu gehen. Von allen Teilen der russischen Linie kamen Adjutanten, um Verstärkungen zu erbitten, aber der General gab nichts mehr her, sondern wollte die kleine Macht vereinigt an einem Punkte einsetzen. Waren ihm doch nur noch 8 Bataillone, 28 Schwadronen und 2 Batterien verblieben, etwa 6000 Mann stark. Der Strom der Flüchtlinge wies ihm den einzuschlagenden Weg; er deutete an, daß auf dem linken russischen Flügel ein Unglück geschehen sei. Die Bewegung wurde daher über Schmoditten fortgesetzt; von dort aus vermochten L'Estocq und Scharnhorst den verzweifelten Stand der Schlacht zu erkennen. Sogleich war der Entschluß gefaßt, Kutschitten wiederzunehmen. Gegen dieses Dorf wendete sich das kleine Korps. Von der Artillerie unterstützt, entwickelte es sich gegen den West- und Nordrand und drang in entschlossenem Angriffe ein, während 10 Schwadronen es östlich umgingen und auf der Südseite die Reste der geworfenen französischen Besatzung in Empfang zu nehmen. Ein Adler ward dabei genommen, der der Königin Luise zum 10. März, ihrem nächsten Geburtstage, als Geschenk des Heeres überreicht wurde. Nach der Wegnahme von Kutschitten ordneten die Bataillone sich von neuem und rückten dann, beleuchtet von den Strahlen der sinkenden Sonne, lind unter klingendem Spiel mit fliegenden Fahnen, geordnet wie auf dem Exerzierplatze, gegen das südlich Kutschitten gelegene Birkenwäldchen vor, vom Feuer der Geschütze unterstützt und vou der Masse der Kavallerie gefolgt. Nach kurzem Kampfe war auch das Birkenwäldchen genommen, Auklappen von den Franzosen geräumt und deren umfassender rechter Flügel bis auf die Kreegeberge zurückgeworfen. Dort erst kam der Angriff vor der starken französischen Artilleriestellung zum Halten. L'Estocq stand vor der schwierigen Frage, ob er den Versuch machen sollte, diese zu nehmen. Ein Gelingen war nicht unmöglich, aber unwahrscheinlich, und der Rückschlag hätte über das Schicksal des Tages entschieden. Ob die russischen Generale ihre Unter- Wiederherstellung der Schlacht durch die Preußen 125 stützung für einen letzten Stoß zusagten oder verweigerten, ist nicht mit Sicherheit festzustellen. Der Zustand der Truppen des geschlagenen linken Flügels wird jedenfalls ein derartiger gewesen sein, daß ihnen eine einheitliche große Anstrengung nicht mehr möglich war. Der Oberbefehlshaber, der entscheiden sollte und bei der Wichtigkeit des Augenblicks auch hätte entscheiden müssen, war nicht aufzufinden. Der bei der Armee anwesende General Knorring traf Anordnungen zur Bildung von Sturmkolonnen. Aber die Sonne sank unter den Horizont hinab, ehe seine Befehle sich in die Tat umsetzten. Auch des Preußischen Korps hatte sich nach den vorangegangenen Märschen, nach den Leistungen dieses Tages und dem zweimaligen energischen Angriff endlich die Ermüdung bemächtigt. Die Natur verlangte ihre Rechte. Daß L'Estocq mit seinen geringen Kräften die Kreegeberge nicht stürmen wollte, war gerechtfertigt. Marschall Davout hatte dort in Person den Widerstand geordnet, die zurückflutenden Truppen des französischen rechten Flügels wieder zum Stehen gebracht und ihnen zugerufen, daß der Augenblick gekommen sei, um mit Ehren zu fallen: „Die Tapferen werden hier einen glorreichen Tod finden, die Feiglinge allein die Bekanntschaft der Wüsten Sibiriens machen." Ohne Zweifel hätte er das äußerste gewagt, um die Kreegeberge zu halten und dem schwachen preußischen Korps gegenüber war er wohl noch immer der weit stärkere. Bennigsen scheint nach dem rechten Flügel geritten zu sein, um dort einen Gegenangriff einzuleiten, doch führte er diese Absicht nicht mehr aus, und der günstige Augenblick sür das Eingreifen an den Kreegebergen war verstrichen. Um 7 Uhr abends, schon in der Dunkelheit, traf Marschall Ney auf dem Schlachtfelde ein. In dem Augenblicke, als er des Kaisers Befehl bei Kreuzburg erhielt, hatte er seinen Irrtum selbst schon erkannt und schlug nun auf demselben Wege, den L'Estocq marschiert war, die Richtung gegen Eylau ein. Nachdem er sich den Übergang über den Pasmarfluß eröffnet hatte, ging er weiter auf Althof vor, wo ihm das dorthin zurückgewichene Grenadierbataillon erneut Widerstand leistete. Als er auch dieses Dorf genommen, ging sein Vortrab noch nach dem von Verwundeten überfüllten Schloditten vor und nahm es gleichfalls nach leichtem Gefecht. Aber die russischen und die auf dem rechten Flügel aufgefahrenen schweren preußischen Batterien verhinderten durch Kartätschfeuer in die Dunkelheit hinein jedes weitere 126 II. Der Krieg von 1306 und 1807 Vordringen. Unerschütterlich hatte bis dahin der russische rechte Flügel seinen Platz behauptet; jetzt war er ernsthaft bedroht. Bennigsen beschloß daher Schloditten wieder zu nehmen, und dies gelang. Die Franzosen wichen auf Althof zurück, wo mittlerweile die Masse des Neyschen Korps eingetroffen war. Um 10 Uhr abends ruhte der Kampf vollständig, und zahllose Wachtfeuer erleuchteten neben den brennenden Dörfern die weiten schneebedeckten Felder. Fünftägige Gefechte, das zweitägige Ringen bei Eylau selbst, vier Nachtmärsche und eine Biwaksnacht ohne Feuer, scharfer Frost, Hunger, Anstrengung, Beschwerden aller Art hatten die russischen Truppen entsetzlich mitgenommen, diese sich aber trotzdem mit starrer Tapferkeit geschlagen. Aber auch die größte menschliche Zähigkeit hat eine Grenze. Die Auflösung scheint am Abend des 3. Februar schlimm gewesen zu sein. Zahlreiche Leute begleiteten, wie es in jeder Schlacht geschieht, die Verwundeten; viele trieb der Huuger aus den Gliedern in die umliegenden Dörfer. Regimenter und Bataillone schmolzen zu schwachen Häuflein zusammen. Eine ganze Division, die des Generals Ostermann, die auf dem linken Flügel gefochten hatte, zählte nur noch 2700 Mann unter dem Gewehr. Mit Schrecken empfing Bennigsen die Berichte von den verschiedenen Teilen des Schlachtfeldes, die ihn überzeugten, daß er höchsteus noch über etwa 30000 Mann wirklich verfügte. Die Verluste zählten an 26000 Mann; das übrige hatte sich im Dunkel verloren. Aber drüben bei den Franzosen stand es nicht anders. Bennigsen hatte es in der Hand, zu bleiben oder zu gehen; eine der schwierigsten Entscheidungen, die an den Feldherrn herantreten können, sollte jetzt von ihm getroffen werden. Der Feldherr, der eine Schlacht zuerst verloren gibt, hat sie auch in Wirklichkeit verloren. Im Gegensatz zu einem Teil seiner Umgebung und dem preußischen Hauptquartier entschloß er sich zum Rückzüge. Abermals folgte für die Überreste des Heeres ein Nachtmarsch. Und dieser ging in der Richtung auf Königsberg, dessen Nähe die erste Hilfe und Unterstützung verhieß. L'Estocq ruhte im Augenblick nach den Anstrengungen und Erregungen des Tages; der Entschluß, was steim preußischen Korps geschehen sollte, fiel Scharnhorst zu. Sein Schmerz darüber, daß das Schlachtfeld verlassen werden sollte, war tödlich. Er hielt dies für ein großes Unglück. Auf keinen Fall aber wollte er zugeben, Bennigsens Rückzug auf Königsberg 127 daß sich die Russen gänzlich von ihren rückwärtigen Verbindungen trennten, was geschehen wäre, wenn auch er nach Königsberg folgte. Wir würden heute vielleicht anders darüber denken und dem verbündeten Heere in einer solchen Lage nicht den freien Abzug ermöglichen, sondern es lieber zum Verzweiflungskampfe ohne Rückzug zwingen. Gaben die Russen der Versuchung nach und marschierten auf Tilsit ab, so wäre der Krieg vielleicht zu Ende gewesen. Aber wir dürfen nicht vergessen, daß dieser heute eine absolutere Gestalt als damals angenommen hat. Schloß Napoleon mit dem, was von der großen Armee noch übrig war, die Russen und Preußen bei Königsberg ein, so hätte dies vielleicht den sofortigen Frieden bedeutet, der allein die russische Armee vor der Schmach einer Waffenstreckung oder der Flucht über See zu retten schieil. Man kann Scharnhorst nicht unrecht geben, daß er den Weg über Domnau nach Friedland einschlug. Auch Verstärkungen für das Heer waren unterwegs, und ihr Herankommen mußte gesichert werden. Gegen einen ernsten Angriff Napoleons Hütte die kleine preußische Schar freilich die russischen Verbindungen nicht schützen können, aber ein solcher war vorerst nicht zu erwarten. Bennigsens Entschluß hat Eylau zur unentschiedenen Schlacht gestempelt. Daß sie kein entscheidender Sieg geworden ist, daran trägt er trotzdem nicht die Hauptschuld. Wie anders hätten auch unter seiner Führung sich die Dinge gestaltet, wenn am Nachmittage bei Kutschitten nicht 6000, sondern 20 000 oder 25000 Mann frischer preußischer Truppen erschienen wären, und das war möglich, wenn der große Augenblick ein großes Geschlecht fand, das der ungeheuren Gefahr mit äußerster Kraft begegnet wäre und sich nicht der trügerischen Hoffnung hingegeben hätte, sie mit den kleinen alltäglichen Mitteln zu bannen. Wäre nur nach dem Abmarsch von Freystadt alles zusammengehalten, die unselige Zersplitterung vermieden worden, so war schon viel geholfen. Hätte ein genialer Führer die 28 Schwadronen, die bei Kutschitten ankamen, zu einer großen Masse zusammengeballt, und ein anderer Seydlitz diese, ähnlich wie bei Tagewerken, in die schwachen feindlichen Linien geführt oder die Flanke umgangen und den Rücken angegriffen, so wären am Abend die Kreegeberge mit zahlreichem französischem Geschütz in preußischer Hand gewesen. Aber man besaß außerdem 19 frische Reservebataillone und nicht weniger als sechs fertige neue Kavalleriebrigaden mit 24 Schwadronen, 128 II. Der Krieg von 1806 und 1807 welche nördlich des Pregel untätig den großen Dingen znsahen, die sich südlich desselben vollzogen. Sie hätten schon beim Vorbrechen Bennigsens aus der masurischen Seenkette im Monat Januar als Rückhalt vereint werden sollen und konnten am Schlüsse der Eylauer Schlacht mit L'Estocq gemeinsam den Ausschlag geben. Auch das wäre noch bei weitem nicht das äußerste gewesen. Friedrich von der Marwitz hat berechnet, daß Preußen vollkommen in der Lage gewesen sei, aus den geretteten Trümmern des Heeres ein Korps von 37 000 Mann ins Feld zu stellen und dies noch dazu ohne ungewöhnliche Maßregeln, ohne allgemeines Aufgebot aller Wehrfähigen, sogar ohne Aufhebung der unberechtigten Ausnahmen vom Kriegsdienst. Allein der Geist kleinlicher Pedanterie, des Festhaltens am Hergebrachten, des Fortwirtschaftens im gewohnten und ängstlich beachteten Geleise war noch immer nicht überwunden. 5 » Napoleon hatte es nicht gewagt, am Abend des zweiten Schlachttages in Eylau zu bleiben. Er suchte kümmerliche Unterkunft im Hause eines Ziegelbrenners nahe Grünhöfchen auf, wo ein paar elende Hütten für seine Umgebung in der Nähe standen. Dort brachte er die Nacht zu. Auch körperlich erschöpft, lag er auf einer am Boden ausgebreiteten Matratze. Seine Hoffnungen waren wiederum bitter getäuscht, die Schlacht wohl geschlagen, aber ohne den erwarteten Erfolg. Noch wußte er nicht, ob Sieg oder Niederlage sein Los sei. Statt des ganzen Schlachtfeldes, welches der große umfassende Angriff in seine Gewalt hatte bringen sollen, war mit ungeheuren Opfern am Ende nur der Besitz der Kreege- berge erkauft worden, die erstrebte Abdrängung der Russen von ihren natürlichen Verbindungen nicht erreicht. Alle Korps hatten am 7. oder 8. schwer gelitten, das von Augereau aufgehört zu bestehen. Die Verluste waren denen der Russen mindestens gleich. Sie werden heute auf nahe an 30000 Mann berechnet. Kavallerie und Artillerie konnte nicht mehr vorwärts. Die natürlichen Umstände zeigten sich hier wie in den Dezembertagen an der Wkra und dem Narew stärker als die menschliche Energie. Niemals zuvor war die große Armee auf einen solchen Widerstand gestoßen. Verwendbar waren außer der Garde, die nicht mitgefochten, nur die drei leichten Kavalleriebrigaden des linken Das französische Heer nach der Schlacht 129 Flügels und das eben eingetroffene Korps Ney. Ob das genügte, um den Kampf am Morgen wieder aufzunehmen, mußte auch dem stolzen Selbstvertrauen des Kaisers zweifelhaft erscheinen. Unter den Marschällen gab sich Unzufriedenheit mit dem Gang der Dinge kund. Die Mannszucht im Heere hatte sich bedenklich gelockert. Scharen von Nichtverwundeten verließen das Schlachtfeld; der Hunger und wohl auch Mißmut über die ungewöhnlichen Strapazen, Verdruß über die geringen Erfolge, trieb sie aus Reih' und Glied. Vor den Marodeuren waren selbst die eigenen Offiziere nicht mehr sicher; bis auf das linke Weichselufer hin zerstreuten sie sich bandenweise, raubten und plünderten. Die Not hatte schon die gewohnten Fesseln gesprengt. Ein bedenklicher Vorgang, Plötzlich ausbrechende Panik, wie sie Hohenlohes eine Division von Jena ergriffen, hatte sich auch in der französischen Armee bei Eylau spüren lassen. Die russische Kanonade gegen das Städtchen am 8. morgens rief Verwirrung und Flucht hervor. Nachmittags um 1 Uhr ereignete sich ähnliches, als der verwundete Marschall Augereau mit großem Gefolge die Stadt durchfuhr und das Pferdegetrappel für dasjenige einer feindlichen Reiterschar genommen wurde. Wären die Russen stehen geblieben, so war zweifelhaft, was geschehen sein würde. Erwogen hat Napoleon den Rückzug; einen wirklichen Rückzugsbefehl hat er nicht gegeben. „Es ist möglich, daß ich mich an das linke Weichselufer begebe, um in ruhigen Winterquartiere« gegen die Kasaken und die Schwärme leichter Truppen geschützt zu sein," ließ er um 4 Uhr morgens an Duroc schreiben. 8. Von Eylau bis zum Tilsiter Frieden Die unerwartete Nachricht, daß der Feind das Schlachtfeld freiwillig verlassen habe, die Napoleon in der Hütte des Ziegelbrenners empfing, ließ seine elastische Natur sofort wieder emporschnellen. Er erkannte im Augenblick, daß sein Glück ihn aus der schwierigsten Lage befreit habe, in der er sich jetzt befunden hatte. Nun vermochte er Europa zu verbergen, daß er soeben ein halb geschlagener Feldherr gewesen sei, und zögerte nicht, seine Maßregeln danach zu treffen. Obgleich die große Armee, wie er wohl wußte, keiner neuen Anstrengung mehr fähig war, gab er doch seine Frhr. v. d. Goltz, Kriegsgeschichte 9 130 II. Der Krieg von 1806 und 1807 Befehle für eine Verfolgung, die tatsächlich zwar kein nennenswertes Ergebnis hatte, aber doch als Merkmal seines Sieges von Bedeutung war. Nach Paris schrieb er, daß der Feind sich in voller Flucht zurückgezogen habe. Am 10. Februar rückte er mit der Armee bis an den Frisching vor, als wolle er die bei Schönfließ, südlich von Königsberg stehenden Russen erneut angreifen. Tatsächlich dachte er gar nicht daran, sondern nur an die lang ersehnten Winterquartiere, deren seine Truppen jetzt unabweislich bedurften. Dort sollte zugleich die Belagerung von Danzig gedeckt werden, vor dessen Fall er kein größeres Unternehmen wagen wollte. Allein er mußte doch solange noch stehen bleiben, bis der Eindruck der Freiwilligkeit seines Rückzuges gesichert war. Kleine Unfälle seiner Kavallerie vor Königsberg und glückliche Unternehmungeu der Russen am Narew und der Pissa gegen seine zum Schutz der Verbindungen dort aufgestellten Posten bestärkten den Imperator in seiner Absicht. Am 16. Februar gab er den Befehl zum Abmärsche hinter die Passarge und die obere Alle. Vom 19. Februar ab folgte sodann das Einrücken in die erwählten Winterquartiere. Bernadotte bezog diese hinter der unteren Passarge bis nach Spanden aufwärts, weiter südlich Soult bis Deppen. Ney lagerte zwischen Passarge und Alle. Weiter südlich, bei Hohenstein und Neidenburg, richtete sich Davout mit der ihm zugeteilten Kavalleriedivision Lasalle ein. Sein Auftrag war, die Armee gegen den Narew hin zu schützen. Die arg gelichteten übrigen Reiterdivisionen suchten Unterkunft weiter rückwärts. Die Reste des bei Eylau zertrümmerten Korps Augereau wurden auf die übrigen Armeekorps verteilt. Der Kaiser nahm sein Hauptquartier zunächst in Osterode. Vom 1. April ab residierte er dann auf Schloß Finkenstein bei Rosenberg. Langsam folgten die Verbündeten am 20. Februar. Anfänglich überschätzten sie die Bedeutung der neuen Wendung, glaubten an einen schleunigen Rückzug der großen Armee bis hinter die Weichsel und faßten eine weitgehende Offensive ins Auge. General L'Estocq setzte im Hinblick auf diese die Vereinigung seines ganzen, bis dahin noch getrennt gebliebenen Korps auf dem rechten Flügel gegenüber der unteren Passarge durch. Zuerst sollten Allenstein und Saalfeld erreicht werden. Bald indessen belehrten die Ereignisse ihn eines anderen. Wohl hatte Napoleon die Napoleons Rückzug hinter die Passarge 131 Räumung des ganzen rechten Weichselufers nicht nur mehrfach erwogen, sondern auch einige Einleitungen dazu getroffen. Aber sein umfassender Blick schweifte oft zu entfernteren Möglichkeiten hin, um durch sie nicht überrascht zu werden, ohne daß er sich schon zum Handeln entschloß. Er war keineswegs willens, sich von den Verbündeten das Gesetz geben zu lassen, sondern gesinnt, Herr seiner Bewegungen zu bleiben und im Aufgeben eroberten Landes nur das Notwendigste zu tun. Jedenfalls dachte er um jeden Preis den Schein zu wahren, daß er der Sieger fei. So fanden die Verbündeten bereits an der Pasfarge, deren Überschreiten zudem durch Eisgang erschwert wurde, ernsteren Widerstand. Auf dem rechten Flügel erlebten sie selbst einen Unfall. General v. Plötz hatte sich dort mit seinen leichten Truppe» durch schnellen Vormarsch der Brücken von Braunsberg bemächtigt und war auf das linke Flußufer übergegangen. Dort sah er sich ganz unerwartet am 26. Februar von der wieder vorrückenden französischen Division Dupont angegriffen, wurde geworfen und mußte auf Heiligenbeil zurückgehen. Wenn auch die preußischen Truppen, zumal ihre Kavallerie — die Prittwitz-Husaren — sich tapfer schlugen und Abteilungen dieses wackern Regimentes sich mit dem Säbel in der Faust den Weg durch die hinter ihnen vom Feinde schon besetzte Stadt bahnten, so war doch der größere Verlust von Menschen und der an Gelände auf preußischer Seite. General v. Plötz büßte in dem unvorsichtig herausgeforderten Gefecht an 700 Mann ein. Auch die Russen hatten bei Guttstadt nachteilige Begegnungen mit dem Feinde. Die Offensive kam zum Stehen, und "als Napoleon des Eindrucks halber am 3. März eine allgemeine Vorwärtsbewegung längs der Alle auf Guttstadt und über die untere Passarge anordnete, da zogen sich die Russen bei Heilsberg, die Preußen in der Linie Heiligenbeil—Peterswalde zur Verteidigung zusammen. Allein der Kaiser hatte sich nur in Respekt setzen wollen, um sie von allzu heftigem Nachdrängen abzuhalten, und beabsichtigte kein größeres Unternehmen, geschweige denn eine neue entscheidende Schlacht. So trat Ruhe ein; die Heere blieben einander nahe gegenüber stehen, L'Estocq mit den Preußen vor Bernadotte an der unteren Passarge, die Russen vor Soult und Ney in der Gegend von Mehlsack, Wormditt und Heilsberg. Die beiden Hauptquartiere vereinigten sich in Bartenstein. 9* 132 II. Der Krieg von 1806 und 1307 Neben der Empfindlichkeit seiner langen rückwärtigen Verbindungslinien war es hauptsächlich die innere Verfassung seines Heeres, die dem französischen Imperator Sorge einflößte. Der Kaiser erfuhr, daß selbst Offiziere bei den Marodeuren sein sollten; das gab zu denken. Die Leiden der Truppe, die Entbehrungen und Anstrengungen hatten das zulässige Maß überschritten, und die Auflösung, die fünf Jahre später wirklich eintrat, begann ihren Schatten vor sich herzuwerfen. Solche Zustände können allein durch Ruhe, gute Verpflegung und strenge Zucht gründlich gebessert werden, und das wieder war nur in Winterquartieren von längerer Dauer möglich. Danach richtete er sich nunmehr ein. Bei Marienburg, Dirschau, Marienwerder und bei Zakroczyn unweit Warschau befahl er, Brücken über den Strom zu schlagen; Thorn aber, wo eine solche schon stand, sollte zu einem Hauptstützpunkte gemacht werden. Der energische General Rapp wurde dorthin berufen. Die jungen polnischen Truppen sollten die Etappenlinien schützen, die zum großen Teil durch das Gebiet ihres ehemaligen Königreiches liefen. Wie immer in Perioden des militärischen Stillstandes war sein Geist nach anderen Richtungen in verdoppelter Tätigkeit. Die Diplomatie, welche er als die berufene Gehilfin der kriegerischen Gewalt ansah und benutzte, sollte auch zu diesem Zeitpunkt helfen, seinen endlichen Erfolg zu sichern. Wenige Tage nach der Schlacht von Eylau hatte er den General Bertrand zu König Friedrich Wilhelm III. mit Vorschlägen gesandt, welche nichts anderes bezweckten, als diesen von seinem Bundesgenossen Alexander zu trennen. General v. Zastrow, zurzeit Minister des Auswärtigen, riet im Hinblick auf die traurige Lage des Landes, darauf einzugehen. Der König sandte Kleist zu Napoleon nach Osterode, um weiter zu verhandeln, und dieser ward sogleich empfangen. Der Kaiser sprach von Rückgabe der eroberten preußischen Lande, wenn auch nur in unbestimmter Art, und Kleist brachte dieses dem Anschein nach so verlockende Anerbieten nach Memel zurück. Dort widersetzte sich Hardenberg jedem Sonderabkommen, das Preußen von Rußland getrennt haben würde. Im Lande sah es ja freilich trostlos aus. Die Verwüstung durch Freund und Feind hatte einen Grad erreicht, der nicht mehr gesteigert werden konnte. Die eigene Armee litt in den ganz ausgesogenen Gegenden, die sie zurzeit durchzog, schon die höchste Not. Verhandlungen und neue Kiiegsvorbercitungen 1ZZ Wie sollte es werden, wenn der Krieg noch monatelang fortdauerte. Trotzdem muß man Hardenberg recht geben; denn Preußen hätte sich durch die Trennung von seinem einzigen nahen und wirksamen Bundesgenossen ganz in Napoleons Hände gegeben und wäre zu dessen willenlosem Werkzeug herabgesunken. Die Befreiung vom fremden Joch wäre verzögert, die Wiederaufrichtung der alten Größe unmöglich gemacht worden. Aber auch auf Österreich, ja sogar auf Nußland richtete der Kaiser seine Gedanken. Es scheint, daß die Tage von Eylau in ihm Bedenken hatten aufsteigen lassen, ob es ihm allein gelingen werde, das europäische Festland zu beherrschen, oder ob es nicht besser sei, diese Herrschaft einstweilen mit einer jener beiden Mächte zu teilen. Was später im Tilsiter Frieden zur Tatsache wurde, keimte in seinem Geiste schon in dieser Zeit. Da er nicht der Mann war, der seine Absichten für die Zukunft lediglich auf den zweifelhaften Ausgang diplomatischer Umtriebe gründete, so ergriff er zugleich die umfassendsten Maßregeln zur Verstärkung seiner materiellen Macht. Alles rückwärts an Truppen Entbehrliche sollte zur Armee herankommen. Neue Verstärkungen wurden in der Heimat vorbereitet. In Schlesien waren inzwischen Glogau, Breslau und Brieg gefallen; jetzt folgte ihnen auch Schweidnitz nach. Nur Glogau wollte Napoleon, seiner Lage an der Oderlinie wegen, erhalten und als Stützpunkt für die eigenen Heeresbewegungen verwerten; die Werke der drei anderen Plätze wurden gesprengt. Die frei gewordenen Belagerungstruppen sollten sich auf Warschau in Bewegung setzen, Mortier Teile seines Korps nach Thorn vorrücken lassen, den Ausfall aber durch Holländer von Hamburg her ersetzen. Diese hatten sich wiederum aus der eigenen Heimat zu ergänzen. General Clarke, der Gouverneur von Berlin, erhielt Befehl, alle verfügbaren Kräfte gleichfalls znr Weichsel vorgehen zu lassen, während ihm Kellermann aus Frankreich die neu gebildeten Regimenter zuschicken, selbst aber wieder andere aufstellen sollte. Um hierfür die Menschen zur Verfügung zu haben, verlangte Napoleon trotz des Widerstrebens seiner Räte schon jetzt 80 000 Mann von der eigentlich erst zum Herbst 1808 Pflichtig werdenden Jahresklasse. Die von 1807 hatte das ihrige bereits liefern müssen. Die Etappenstraßen hinter dem Heere sollten von nachrückenden Verstärkungen nicht frei werden, zwei Divisionen und einige andere 134 II. Der Krieg von 1806 und 1807 Truppen aus Italien über Augsburg und Halle herankommen; spanische Hilfstruppen gleichfalls nach Deutschland rücken. Die Rheinbundfürsten wurden zur Verstärkung ihrer Kontingente angetrieben. Es genügte dem Kaiser, wenn die junge Mannschaft aus Frankreich nur bewaffnet auf den Kriegsschauplatz eilte; ihre Einkleidung gedachte er den eroberten Ländern aufzuerlegen. So sollte der Krieg den Krieg ernähren. Dieser fieberhaften Tätigkeit gegenüber herrschte im preußischen Hof- und Heerlager leider die pedantisch sorgsame Kleinigkeitskrämerei weiter, die es zu keiner außergewöhnlichen Maßnahme kommen ließ. Selbst untergeordnete Bekleidungsfragen verzögerten die Bereitstellung frischer Truppen, und auch an Sonderrechten und Ausnahmen rüttelte und rührte man nicht. Der ganze Gedankenkreis der leitenden Persönlichkeiten beschränkte sich auf die unfruchtbaren diplomatischen Verhandlungen und die Auffindung von Mitteln und Mittelchen zur Erhaltung von Danzig. Den einzigen Lichtblick bildete der endlich am 28. Januar förmlich abgeschlossene Friede mit England, das nun 1600 000 Taler Sub- sidien zur Fortführung der Verteidigung von Schlesien hergab. Aber es hätte auch rechtzeitig für Waffen gesorgt werden müssen, die Schweden liefern konnte. Verspätet erst wurde Major v. Hüner- bein dorthin zu Verhandlungen abgesandt. Nicht einmal die arg zusammengeschmolzenen Truppen, die vor dem Feinde standen, wurden rechtzeitig ergänzt und auf den ursprünglichen Kriegsstand gebracht. Es gab Regimenter von 300 und 250, selbständige Bataillone von 200, ja eines von nur 45 Mann. Die alten Befestigungen von Königsberg wurden auf Scharnhorsts Rat von General v. Rüchel wiederhergestellt. Die Belagerung von Danzig (S. Skizze 12) Die Pause, die in den Heeresbewegungen und Gefechten im freien Felde mit dem Halt an der Passarge und oberen Alle eintrat, ward durch die Belagerung von Danzig ausgefüllt. Dieser Platz, dessen Bestimmung es war, einer Verteidigung der Weichsellinie gegen den mächtigen östlichen Nachbar Preußens zu dienen, wurde durch die unerwarteten Wendungen des Schicksals Lage und Bedeutung von Danzig 135 zu einen: Bollwerk gegen den westlichen Eroberer; und er hätte in dieser Rolle von höchster Wichtigkeit sein können. Ein Blick auf die Karte genügt, um das erkennen zu lassen. Danzig lag hinter dem linken Flügel der französischen Armee an den: Strome, an welchem die Verbindungslinien der großen Armee, die ohnehin so ausgedehnt und empfindlich geworden waren, von einem unternehmenden Feinde am ehesten durchschnitten werden konnten. Freilich gehörte dazu mehr als bloß die Besatzung der Festuug. Aber diese konnte mit der See in Verbindung gesetzt werden; denn 8ki??e ZUl' kela cz el'Uli cj von l)3n?i ^ im ^s^s 1307 . Skizze 12 an der Mündung der Weichsel in die Ostsee, nur drei Kilometer von den Wällen Danzigs entfernt, lag am rechten Ufer das Fort Weichselmünde und gegenüber am linken der durch Verschanzungen gesicherte Küstenort Neufahrwasser. Zwischen beiden und der Festung bildet die Weichsel zwei Arme, und ein Verteidiger, der die Lage richtig erkannte, hätte die dadurch entstehende Insel, den sogenannten Holm, aufs zäheste behauptet. Damit wäre ein sicherer Weg bis zur See offen geblieben, der es ermöglichte, Verstärkungen, ja sogar ein starkes Entsatzkorps zu Schiff heranzuziehen. Ein 136 II. Der Krieg von 1306 und 1807 großes Unternehmen gegen den Rücken der Eroberer konnte ins Werk gesetzt werden. Wenn Schweden und England eines Tages tätigen Anteil am Kriege nahmen, so wäre daraus eine ernste Gefahr für des Kaisers Armee erwachsen und zum mindesten ihr Rückzug hinter die Weichsel erzwungen worden. Aber leider wurden Verhandlungen und Vorbereitungen so lässig betrieben, als habe man jahrelang Zeit dazu. Doch nicht nur mit der See konnte Danzig in Beziehung bleiben, sondern auch zu Lande mit Königsberg und dem russischpreußischen Hauptheere. Die Nehrung, jene zum Teil bewaldete Dünenkette, welche sich von Danzig bis gegenüber Pillau in wechselnder Hohe hinzieht, befand sich noch in den Händen der Verbündeten. Im westlichen Teile ist sie durch die beiden großen Mündungsarme der Weichsel, im östlichen durch das Frische Haff vom Festlande getrennt und ließ sich daher unschwer verteidigen. Hier konnte also, von den Franzosen unbemerkt, eine Heeresmacht über Königsberg und Pillau herankommen, um sich mit der Besatzung zu vereinigen. So blieb also der Besitz von Danzig eine dauernde und ernste Bedrohung für die Franzosen. Leider beweisen die Ereignisse, daß Napoleon, der Fremde, die Verhältnisse weit klarer erkannte, als die Heimischen oder die russischen Generale, die gegen ihn fochten. Er legte den höchsten Wert auf die baldige Eroberung Danzigs, die Verbündeten augenscheinlich einen viel zu geringen auf dessen Behauptung. Die Werke der Festung hatte man vor dem Kriege, wie alle übrigen in Preußen, aus unzeitigen Ersparnisrücksichten halb verfallen lassen. Die in der Tiefe, am Fuße des hohen linken Talrandes gelegene Stadt wird von zwei auf diesen Rand vorgeschobenen Werken, dem Hagels- und Bischofsberge überragt. Beide waren nicht besonders stark, ja sogar nicht einmal sturmfrei. Ihre Gräben und Erdwälle konnten unschwer überschritten werden. Erst am 1. November, 17 Tage nach der Katastrophe von Jena und Auerstädt, erfolgte der Königliche Befehl, die Festung in Bereitschaft zu setzen. Darin wurde nun wohl mehr Tatkraft entwickelt, als bei den meisten übrigen Plätzen, und schon zu Ende Dezember konnte die Festung, einschließlich Weichselmündes, für gesichert gegen einen gewaltsamen Angriff gelten. Der Hagelsund Bischofsberg hatten durch verdeckt angelegte Blockhäuser eine Wiederherstellung und Verstärkung der Werke 137 wirksame Verstärkung erhalten. Die anfangs ganz schwache Garnison war auf etwa 10000 Mann gebracht worden. Bei allen getroffenen Maßnahmen aber war nur das nächste Ziel, nämlich die passive Verteidigung der Werke und die Behauptung der Stadt ins Auge gefaßt worden, nicht die strategische Bedeutung Danzigs oder seine Einwirkung auf die Operationen der Heere. Die Verbindung mit Weichselmünde und der See blieb unbeachtet. Die Garnison war trotz ihrer Verstärkung noch unzureichend für den ausgedehnten Platz und den Landstrich, der im Interesse der Verteidigung rings um die Stadt behauptet werden mußte. Es kam hinzu, daß sie eine Anzahl von Truppenteilen mit polnischem Ersatz zählte, deren Zuverlässigkeit keineswegs groß war. Desertion lichtete bald die Reihen. Mit Hilfe der vor der Eylauer Schlacht bis Marienwerder vorgeschobenen gemischten Truppenabteilung des Generals Rouquette wurde dennoch das Vorland der Festung sowie die Städte Dirschau und Marienwerder lange erfolgreich gegen die herandrängenden polnischen Insurgenten behauptet. Das in Danzig gebildete Freikorps des Grafen Krockow hielt die Verbindung mit Kolberg aufrecht. Am 18. Februar langte, von Stettin kommend, der General Menard mit französischen und Rheinbundstruppen vor der Festung an; Dirschau wurdc^-mommen, auch die Verbindung mit Kolberg hörte auf. Ernster wurden die Dinge, als am 25. Februar Marschall Lefebvre, der kommandierende General des zur Belagerung bestimmten und in der Versammlung begriffenen 10. Korps der großen Armee, in Dirschau eintraf. Anfangs verfügte er freilich nur über 12 000 Mann. Täglich aber verstärkten sich seine Truppen durch Zuzug. Er schritt auch alsbald zur Wegnahme des Marienburger Werders zwischen Nogat und Weichsel. Am 10. März war Danzig so weit eingeschlossen, daß nur noch die Verbindung zur See und über die Nehrung nach Pillau möglich blieb. Am 11. März traf der schon im November zum Gouverneur ernannte General Graf Kalckreuth in Danzig ein und übernahm die Leitung der Verteidigung. Es ist bezeichnend für die Auffassung der Zeit, daß er mehr als drei Monate gezögert hatte, sich auf seinen wichtigen Posten zu begeben, und sich solange durch den General v. Manstein vertreten ließ. Ein Unfall mit dem Pferde setzte diesen außer Tätigkeit. 138 II. Der Krieg von 180k und 1807 Kalckreuth sah ein, daß es sich nicht nur darum handelte, die Werke von Danzig zu behaupten, sondern auch die Umgebung, soweit es irgend anging. Danach traf er seine Maßregeln, so gut er es noch vermochte. Der Holm, dessen Besitz für die Aufrechterhaltung der Verbindung mit der Ostsee unerläßlich war, wurde besetzt und gesichert. Für eine energische Verteidigung der Nehrung fehlten die hinreichenden Kräfte. Erleichtert wurde die Verteidigung dadurch, daß die Niederung im Süden, Südosten und Osten des Platzes durch künstliche Anstauung unter Wasser gesetzt werden konnte, und der Angriff daher nur im Westen gegen den Bischofs- und Hagelsberg möglich war. Am 20. März glückte es den Franzosen, die Weichsel zu überschreiten und die Nehrung zu nehmen, deren Besatzung teils auf Danzig, teils auf Pillau zurückwich. So ging die wichtige Landverbindung verloren. Nur die zur See blieb noch übrig. Zunächst begnügten sich die Belagerer damit, in den engen Raum zwischen Holm und Weichselmünde einzudringen und dort eine Schanze aufzuwerfen, welche den Weichselstrom beherrschte und den Wasserverkehr mit der Festung auf die Nachtstunden beschränkte. Sie behaupteten sich auch gegen lebhafte Angriffe der Verteidiger. Dann aber schritten sie zur Wegnahme des Holms selbst. Als sich die russische Besatzung in der Nacht zum 7. Mai durch die vom linken Ufer der Weichsel her auf Booten erscheinenden Franzosen überraschen ließ, rächte es sich, daß sich kein wirklich fester, mit stürmender Hand nicht ohne weiteres zu nehmender Stützpunkt auf der Insel befand. Sie ging unter großem Verlust an Geschütz und Mannschaft verloren. Nun konnte sich der Ring der Belagerer um den Platz herum schließen, was bis dahin nicht möglich gewesen war. Danzigs Lage wurde bedenklich. Das Belagerungskorps hatte mittlerweile eine Stärke von 23 000 Mann erreicht, die es später noch um einiges überschritt. Das Belagerungsgeschütz war von Thorn und Stettin herangekommen; seit dem 24. April schon stand es im Feuer gegen die Festung, die Laufgräben waren eröffnet. Napoleon leitete von Finkenstein aus den Angriff in großen Zügen persönlich. Marschall Lefebvre wählte den Hagelsberg, der in dem preußischen Major Horn einen unerschrockenen und umsichtigen Verteidiger fand, als erstes Ziel. In dem Ingenieur vom Platz, Leutnant Pullet, stand diesem ein trefflicher Gehilfe zur Seite. Ebenso unterstützten Verlust des Holms. Angriff auf den Hagelsberg 139 die in Danzig anwesenden höheren Jngenieuroffiziere General Laurenz und Major Bousmard kräftig und erfahren die Gegenwehr, bis beide während der denkwürdigen Belagerung den Heldentod starben. -i- ->- Daß der Fall der Festung nur eine Frage der Zeit sein konnte, wenn nicht Hilfe von außen kam, konnte keinem Zweifel unterliegen. Diese Einsicht brach sich auch im Hauptquartier der Verbündeten Bahn, und es wäre nur zu wünschen gewesen, daß schnelles und energisches Handeln folgte. Kaiser Alexander hatte die russischen Garden zur Armee abrücken lassen, die 17. und 18. Division sollten von Moskau und Kaluga folgen, Reservemannschaften die im Felde stehenden Truppen wieder auffüllen. Er selbst war zu seinem Heere vorausgeeilt und befand sich mit König Friedrich Wilhelm bei Bennigsen in Bartenstein. Ein Entsatzversuch über die Nehrung wurde beschlossen und der energische und umsichtige Graf Kamenskoi zum Führer bestimmt. Der preußische Major v. Rauch wurde ihm als Generalstabsoffizier beigegeben. 8000 Mann aller drei Waffen versammelten sich bis zum 1. Mai bei Königsberg, wo König Friedrich Wilhelm III. sie besichtigte. Am 4. Mai überschritt die Avantgarde bei Pillau das Tief, welches Haff und See verbindet. Der Gedanke, längs der Nehrung vorzugehen, war gut. Trotz einiger Erschwernis durch tiefen Sand war der Marsch sehr wohl ausführbar. Düuen und Wald hätten ihn zum größten Teile verborgen. Bewaffnete Fahrzeuge der Verbündeten beherrschten die Gewässer rechts und links; der Feind hätte nicht erfahren, was vorging; die ganze Expedition wäre ihm überraschend gekommen. Erst wenn diese die sogenannte Danziger Nehrung betrat und die schmale Landzunge der Frischen Nehrung verlassen hatte, konnte sie den Spähern des Feindes nicht mehr entzogen werden. Dann war aber nur noch ein einziger starker Marsch bis Danzig zurückzulegen. Gemeinsames Handeln mit der Garnison wäre durch nichts behindert gewesen. Der Weichseldurchbruch bei Schieven- horst, der heute die Nehrung durchschneidet, bestand damals noch nicht. Vor allen Dingen war man hier Herr seiner selbst und hing nicht von Wind und Wellen ab, wie bei einer Fahrt über See, 140 II. Der Krieg von 1806 und 1807 und dies war um so wichtiger, als die Lage der Verteidiger schon Eile gebot. Dennoch trat noch im letzten Augenblick eine Änderung ein; der Marsch wurde aufgegeben, Kamenskoi sollte zu Schiff nach Neufahrwasser gehen und dort landen, während über die Nehrung nur eine schwache Abteilung von 2500 Mann unter Oberst v. Bülow vordrang. Wenn solche plötzlichen Abänderungen wohlvorbereiteter Unternehmungen im letzten Augenblicke der Ausführung meist schon Verwirrung und Mißlingen nach sich ziehen, so kam hier noch die Trennung der Kräfte in zwei Gruppen hinzu, die sich überdies nicht einmal in Verbindung halten konnten. Dennoch war mit der neuen Anordnung einem Wunsche des am meisten Beteiligten, nämlich Kalckreuths, entsprochen worden. Der erste Zwischenfall war, daß Kamenskoi wegen schlechten Wetters nicht anslaufen konnte. Die Hiobspost vom Verluste des Holms machte die Verzögerung doppelt peinlich. Erst am 12. Mai langte die Transportflotte auf der Rhede von Neufahrwasser an und war selbst dann noch nicht einmal vollzählig. Napoleon fühlte deutlicher als die Verbündeten, daß ein Versuch zur Rettung Danzigs kommen müsse, aber er erwartete ihn von der verbündeten Hauptarmee. Erst als diese sich gar nicht ernsthaft rührte und dafür das Erscheinen der großen Flotte bei Neufahrwasser gemeldet wurde, ließ er die bei Marienburg bereitgestellte Division Oudinot nach Danzig abrücken und war dort nun seiner Sache sicher. Seinem unausgesetzten Drängen auf Beschleunigung des Angriffs war von Lefebvre in den Nächten zum 9. und 10. Mai durch energische Versuche gegen den Hagelsberg entsprochen worden. Sie scheiterten indessen beide Male an der standhaften Verteidigung des dort angelegten Blockhauses. Graf Kamenskoi hatte in der Erkenntnis, daß schnelle Hilfe not tue, den Plan gefaßt, am linken Weichselufer von Neufahrwasser über Langfuhr geradeswegs in die Flanke der französischen Angriffsarbeiten vorzugehen. Es sollte dies schon am 14. stattfinden, aber ein schwedisches Linienschiff mit 1200 Mann fehlte noch, und der Aufschub bis zum 15. wurde nötig. Leider führte dies wieder eine Abänderung herbei. Graf Kalckreuth hielt den Feind auf dem von Kamenskoi gewählten Wege für zu stark und verlangte einen Vorstoß am rechten Ufer. Dazu mußte erst uoch die Weichsel von Neufahrwasser her überschritten werden, und das Vergeblicher Entsatzversuch 141 Unternehmen verspätete sich. Der Feind gewann Zeit, die Abwehr vorzubereiten. Die Unterstützung durch einen Ausfall der Garnison, auf die Kamenskoi gerechnet hatte, blieb aus, und der Angriff schlug fehl. Sein kleines Truppenkorps war zu schwach, allein die an Zahl überlegenen Belagerer zu durchbrechen. Auch die längs der Nehrung vorgehende Kolonne, die ihren Zeitpunkt zum Eingreifen auf gut Glück wählte, hatte, obschon sie gleichfalls am 15. angriff, keinen Erfolg und ging nach ziemlich belanglosen Gefechten wieder zurück. Von nun ab standen beide Entsatzkolonnen beobachtend still und hinderten die bald hereinbrechende Katastrophe nicht. Wohl war das Unternehmen nicht ohne Geschick und Energie angelegt worden; aber dem großen Zwecke, der erreicht werden sollte, entsprach weder die Zahl der in Bewegung gesetzten Streitkräfte, noch überhaupt die gesamte Anstrengung. Nicht ein kleines abgezweigtes Korps, sondern die ganze Armee hätte sich aufmachen sollen, um Danzig zu retten. Die Gefahr war freilich groß dabei, allein der Preis rechtfertigte das Wagnis, und man entging ihr nicht, wenn man untätig zusah. War Danzig erst einmal gefallen, so wurden die jetzt davor gefesselten 25 000 Mann für den Kaiser verfügbar und seine Überlegenheit im Felde so groß, daß auch hier keine Hoffnung auf einen Sieg mehr blieb. Wurde Danzig durch die Verbündeten befreit, so ging damit für Napoleon aller Wahrscheinlichkeit nach die Weichsellinie verloren. Er mußte den Rückzug fortsetzen, und der erste große und ernsthafte Erfolg hätte möglicherweise Österreich dazu bestimmt, sich auf die Seite seiner Feinde zu stellen. Auch England wäre zu schnellerem und kräftigerem Handeln angeregt worden. Eine ganz neue Kriegslage konnte entstehen. Aber leider beurteilten weder die verbündeten Monarchen noch Bennigsen diese wichtigen Umstände mit voller Klarheit. Der Oberbefehlshaber fühlte nur heraus, daß er zugunsten der bedrängten Festung irgend etwas tun müsse. Er beschloß, mit sechs seiner Divisionen das Korps Ney bei Guttstadt anzugreifen, während Platow mit den Kasaken den Marschall Davout bei Allenstein festhalten und auch die weiter südlich bis zum Narew hin stehenden Truppen sich regen und die Franzosen wegen ihres Rückzuges besorgt machen sollten. Die Monarchen begaben sich zur Armee, um dem Angriff beizuwohnen, der am 13. Mai eingeleitet wurde, 142 II. Der Krieg von 1806 und 1307 aber zu allgemeinem Verdruß noch an demselben Tage ein vorzeitiges Ende nahm. Die falsche Nachricht, daß Napoleon selbst im Vorrücken sei, genügte Bennigsen, um seine Armee sofort zurückzurufen und sie in ihre alten Quartiere wieder einrücken zu lassen. Man hat zu Bennigsens Entschuldigung auf die schwierige Lage hingewiesen, in der er sich persönlich befand. In der Tat sah man ihn im eigenen Heere halb und halb als einen Fremden an. Das Altrussentum verzieh ihm die deutsche Abstammung nicht. Während der schweren Eylauer Tage wurde ganz allgemein über den deutschen Einfluß auf die Heerführung gemurrt. Die Räumung des Schlachtfeldes in der Nacht vom 8. zum 9. Februar zog dem Oberbefehlshaber die heftigsten Vorwürfe und Anfeindungen am russischen Hofe zu. Er bot sogar seine Entlassung an. Zwar hatte sein Kaiser ihn darauf erneut seiner vollen Gnade versichert, aber dennoch fühlte er sich in seiner Stellung nicht sicher. Er sah richtig voraus, daß eine einzige entscheidende Niederlage ihn nicht nur um den mühsam errungenen Ruhm, sondern auch um den Feldherrnstab bringen werde. Das Gefühl, dem größten Krieger seiner Zeit gegenübergestellt zu sein, beengte ihn in allen Entschlüssen und machte ihn befangen im Handeln. Nicht minder hemmend wirkte auf seine Tätigkeit die Anwesenheit des Monarchen in seinem Hauptquartier. Kaiser Alexander, der von dem in seine Dienste getretenen, verschrobenen, aber für genial gehaltenen General v. Phull begleitet war, König Friedrich Wilhelm, Knesebeck und noch andere mischten sich in die Angelegenheiten des Armeebefehls oder wurden zu Rate gezogen. Eine Versammlung, nicht ein Mann, leitete sie, ähnlich wie es in den verhängnisvollen Oktobertagen geschehen war. Das Durcheinander in den Entschließungen veranlaßte selbst den loyalen und ehrlichen Rüchel einmal, bei Einleitung der Entsatzexpedition nach Danzig seinem Könige offen zu schreiben: „Dies ist ein Wirrwarr, den sich kein Militär erlauben soll, bei welchem Schwanken man alles Vertrauen verliert." Auch ein schweres körperliches Leiden begann sich bei Bennigsen fühlbar zu machen. So kam er zu dem festen Vornehmen, neue entscheidende Schritte erst zu wagen, wenn alle Verstärkungen eingetroffen wären, die der Armee überhaupt zugesagt waren. Die Frage blieb nur, ob Napoleon so lange warten würde. Untätigkeit der verbündeten Hauptarmee 143 Aus einer solchen Stimmung heraus erklärt sich das Zurückweichen am 13. Mai; zu rechtfertigen ist es nicht. Mißmutig verließen die Monarchen die Armee. Kaiser Alexanders Vertrauen war arg erschüttert. Insgeheim faßte er schon Bennigsens Ersetzung durch General v. Essen I ins Auge. Freilich führte er diesen Gedanken ebensowenig aus, wie König Friedrich Wilhelm den trefflichen Vorschlag Hardenbergs, den alternden L'Estocq zum Gouverneur von Königsberg zu ernennen, Rüchel die geplante Expedition an der pommerschen Küste zu übertragen und das Kommando der Feldtruppen an den aus der Gefangenschaft ausgewechselten Blücher zu geben — mit Scharnhorst als Chef des Stabes. So groß auch die Not des Vaterlandes war, die persönlichen Rücksichten schwiegen nicht; die Scheu vor energischen Entschlüssen lebte fort. Der König mochte L'Estocq nicht kränken. Krieg war's, aber man betrieb die militärischen Dinge noch immer maßvoll, wie mitten im Frieden. » 5 Doch zurück nach Danzig. Die Belagerung wurde von den Franzosen eifrig fortgesetzt, zumal seit Oudinot mit seinen Truppen auf der Westfront eingetroffen war. Ein heißer Kampf entspann sich um das Blockhaus vor dem Hagelsberg, das von den wackeren Verteidigern mit zähester Energie behauptet wurde und nicht bezwungen werden konnte. Schon war Marschall Lefebvre, am Erfolge verzweifelnd, geneigt, den Angriff ganz aufzugeben und seine Anstrengungen gegen den Bischofsberg zu richten. Allein der Kaiser, der klarer sah und den Fall des Platzes in Bälde erwartete, verwarf diesen kleinmütigen Entschluß. Am 19. Mai gelang es den Belagerern, das heiß umstrittene Blockhaus in Brand zu setzen. Die Verteidiger antworteten mit kühnen Ausfällen und zerstörten die feindlichen Arbeiten. Trotzdem auch ein Teil der Division Dupas vom Korps Mortier noch vor Danzig eintraf, kam der Angriff nicht recht vorwärts. Allein ein anderer Feind begann sich in der Festung fühlbar zu machen und die Verteidigung zu lähmen — der Mangel an Pulver. Es waren am 21. Mai nur noch 325 Zentner vorhanden, die nach den Berechnungen für nicht länger als sechs Tage reichten. Der Versuch Kamenskois, durch ein englisches Schiff auf der 144 II. Der Krieg von 1ZV6 und 1807 Weichsel neuen Vorrat in die Stadt zu bringen, scheiterte, da der Wind das Fahrzeug auf den Strand trieb und es nach tapferer Gegenwehr die Flagge streichen mußte. In der Nacht vom 21. zum 22. begannen die Verhandlungen wegen der Übergabe, deren Ergebnis Napoleon bereitwillig zustimmte, da er längst die Besserung seiner allgemeinen Lage herausgefühlt hatte und mit Ungeduld der Wiedereröffnung des unterbrochenen Feldzuges entgegensah. Dazu bedürfte er der Danziger Truppen. Trotz eines energischen Protestes der mutigen Verteidiger des Hagelsberges kam es daher auch am 24. Mai zum Abschluß. Graf Kamenskoi schiffte sich mit seinen Truppen schon am 25. ein und segelte in der Nacht darauf von dannen. Die Garnison aber rückte am 27. Mai früh über die Nehrung ab. Sie hatte freien Abzug erhalten gegen die Verpflichtung, ein Jahr lang nicht gegen Frankreich oder seine Verbündeten zu dienen. Marschall Lefebvre hielt seinen Einzug. Der Kaiser belohnte ihn mit dem Herzogstitel. Rapp, von Thorn abberufen, wurde Gouverneur der Festung. Die Verteidiger hatten außer 200 Geschützen und dem geringen Pulvervorrat nur ein weniges an Getreide zurückgelassen. In der Stadt dagegen fanden sich reiche Vorräte. Die eigene vaterländische Autorität hatte diese aus falschem Respekt vor den Privatrechten der Bürger nicht anzutasten gewagt. Nun gerieten sie unversehrt in Feindes Hand und erleichterten es diesem, der gerade wieder schlimmen Mangel litt, den Kampf zur gänzlichen Niederwerfung Preußens fortzuführen. Außerdem ward der Stadt noch eine Kontribution von 20 Millionen Franken auferlegt. 76 Tage hatte die Belagerung gedauert, die Besatzung noch 37 Tage nach Eröffnung des Feuers ausgehalten. Sie hatte sich brav geschlagen. Trotzdem muß die Frage aufgeworfen werden, ob es richtig war, daß General Graf Kalckreuth es nicht bis zum Äußersten kommen ließ. Die Untersuchung der Kriegsereignisse durch die Jmmediatkommission stellte sich auf feinen Standpunkt und gab ihm recht. Sein König empfing ihn gnädig und ernannte ihn zum Feldmarschall. Vergleicht man, was die Billigkeit erfordert, sein Verhalten mit dem Kleifts in Magdeburg oder gar Rombergs in Stettin, so erscheint er uns als verdienstvoller Führer im Streit. Aber der Lehre zuliebe, welche die Kriegsgeschichte dem Vaterlande für die Zukunft geben soll, muß es ausgesprochen Der Fall von Danzig 145 werden, daß der Abschluß kein befriedigender war. Sechs Tage lang hätte die Verteidigung ungeschwächt fortdauern können, bei weiser Einschränkung im Gebrauche der Mittel würde sich dieser Zeitraum noch haben verlängern lassen. Der in der Festung eingeschlossene Kommandant vermag nie zu übersehen, welchen Einfluß ein solcher Gewinn auf den Gang der Dinge im großen zu üben vermag. Jeder Tag kann einen unerwarteten Umschwung bringen. Der Fall des Hagelsberges hätte keineswegs den der Stadt bedingt, die durch nasse Gräben und hohe Wälle geschützt war. Wohl hat Kalckreuth geltend gemacht, daß er die günstigen Bedingungen, welche ihm gewährt wurden, nicht mehr erlangt hätte, sobald seine Mittel ganz erschöpft waren. Der freie Abzug mit militärischen Ehren konnte der Garnison eine Genugtuung gewähren; für das Vaterland hatte er keine Bedeutung; denn eine Truppe, die erst nach einem Jahre weiter gegen Frankreich fechten durfte, war für Preußen ohne Wert. Im Augenblicke, da alle Verteidigungsmittel zu Ende gingen, blieb aber der Besatzung noch der Versuch der Selbstbefreiung übrig, wie ihn General v. Hammerstein bei Menin so glänzend durchgeführt hatte. Ein Durchbruch auf der Nehrung, zumal solange er noch durch das Kamenskoische Entsatzkorps unterstützt werden konnte, besaß so viel Aussichten auf Erfolg, als man sie unter ähnlichen Umständen nur erwarten durfte. -i- ->- Den Stempel der Schwäche und Halbheit, der den Anstalten der Hauptarmee zur Rettung Danzigs aufgeprägt war, trug auch der Versuch der Schweden, Napoleon in feinen Rüstungen und Vorbereitungen für einen neuen Feldzug zu stören. Im schwedischen Vorpommern standen bis dahin 15 000 Mann, welche der gemeinsamen Sache keinen anderen Dienst leisteten, als daß sie Teile des Korps von Mortier im Mecklenburgischen und an der Peene festhielten. Zu Ende Januar griff der Marschall sie sogar an, drängte sie auf das feste Stralsund zurück und schloß diesen Platz ein. So blieben die Dinge den Februar und März hindurch. Dann rückte Mortier mit dem größeren Teil seiner Truppen ab, da ihm die Sicherung der ganzen Küste von Rostock bis Kolberg und auch die Belagerung dieser Festung übertragen wurde. Nun ging der schwedische General Essen seinerseits vor, aber nicht mit ganzer Frhr. v. d. Goltz, Kriegsgeschichte 10 146 II. Der Krieg von 1860 und 1807 Kraft, sondern nur mit etwa S000 Mann, vertrieb die schwachen Einschließungstruppen und marschierte auf Stettin. Einen Augenblick dachte Napoleon an einen Vorstoß seiner Gegner auf Berlin. Dieser hätte ihn in ernste Verlegenheit bringen können; denn keine stärkere geschlossene Truppe stand in der Nähe zur Verteidigung, sondern nur einige neugebildete und noch wenig brauchbare Regimenter, die sich auf dem Marsche zur Armee befanden. Bald aber schwand der ganze Spuk; der nach Stettin zurückgeeilte Mortier überfiel die schwedische Vorhut und scheuchte Essens Truppen wieder auf Greifswald zurück. Dort wurde sogar ein Waffenstillstand vereinbart. » » Der Kaiser hatte in seinem Hauptquartier zu Finkenstein inzwischen die in Osterode begonnene rastlose Tätigkeit fortgesetzt. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß er anfänglich seine Lage als eine wenig befriedigende empfand. Der Feldzug hatte im Oktober 1806 mit unerhörten Erfolgen begonnen, die in solcher Schnelligkeit und Ausdehnung niemand vorausgesehen hatte. Die Monarchie Friedrichs des Großen, welche der Welt bis dahin als die einzige dem erstarkten Frankreich ebenbürtige Militärmacht gegolten hatte, war in einem Feldzuge von wenig Tagen völlig zusammengebrochen. Von der einst so gefurchtsten Armee blieb nach der Niederlage nur noch ein kaum beachtenswerter Rest übrig. Kein Wunder, wenn ganz allgemein die ebenso reißende Beendigung des Krieges erwartet wurde. So war es 1806 nach der einleitenden Periode von Ulm durch die Schlacht von Austerlitz geschehen. Statt dessen war der lange Aufenthalt an der Weichsel und der entscheidungslose Feldzug gegen die Russen am Narew gefolgt, in dem die große Armee mehr gelitten hatte, als je zuvor. Sie war dem Sterne ihres Kaisers willig gefolgt, aber doch in der Überzeugung, daß alsbald neue glänzende Siege das überstandene Ungemach vergessen lassen würden. An deren Stelle war sechs Wochen danach die blutige Schlacht von Eylau gefolgt, deren Ausgang trotz des Scheinerfolges weder den Kaiser noch seine Marschälle befriedigt hatte. Selbst die Armee hatte ihren Mißmut unverhohlen zu erkennen gegeben. Ihre Mannszucht war bedenklich gewichen. So durften die Dinge nicht weiter gehen. Der Usurpator Die Schweden in Vorpommern. Napoleons Lage 147 brauchte einen blendenden Triumph, wenn er das von ihm bis dahin eroberte Abendland weiter beherrschen wollte. Es durfte nicht erfahren, daß auch seine Macht keine unüberwindliche sei, und die Zweifel daran begannen sich zu regen. Selbst die zusammengeschmolzenen preußischen Heeresreste hatten in den letzten Gefechten schon eine Haltung gezeigt, die ihm den unwilligen Satz entlockte: „II est er» v^rit6 Kien extraorcHuairs <^ue oette LauaiUe ?russierls veuille lever 1s wu.« Osterreich schien unsicher, England und Schweden konnten sich zu einem entscheidenderen Vorgehen in seinem Rücken als bisher entschließen. Der Feldzug mußte zum baldigen, seine Feinde aufs neue betäubenden Abschlüsse geführt werden. Eine wahrhaft fieberhafte Tätigkeit des Kaisers ergab sich daraus. An 500 Schreiben und Befehle, die sämtlich aus den sechs Wochen des Finkensteiner Aufenthaltes herrühren, legen dafür Zeugnis ab. Zwei Richtungen verfolgten seine Maßregeln zu gleicher Zeit: Einmal war es die Verstärkung der in erster Linie stehenden Feldarmee, zu der er alle erreichbaren, schon in Deutschland stehenden Truppen heranzog, während er sie durch holländische und Rheinbundkräfte und diese durch heimatliche Neubildungen ersetzte, zum zweiten waren es die rührigsten diplomatischen Verhandlungen, um seine Gegner voneinander zu trennen, Österreich auf seine Seite zu ziehen und neue Bundesgenossen zu gewinnen, die zumal Rußland teilweise beschäftigen sollten. Sein Auge wandte sich dabei vornehmlich auf die Türkei, sogar auf Persien. Eine persische Gesandtschaft erschien in Finkenstein, und ein französischer Unterhändler reiste an den Hof des Schahs ab. Der Kaiser erbot sich durch ihn, Offiziere und Unteroffiziere für ein Korps von 12 000 Mann zu stellen. Der Fall von Danzig sollte das Signal zum neuen Losbruch sein. Jetzt war dieser Zeitpunkt eingetreten. Am 10. Juni sollte der Angriff beginnen und bis dahin die Korps der großen Armee sich mit allem zu einem ununterbrochenen Vormarsche Notwendigen versehen haben. Ihre Zahl hatte sich um zwei vermehrt, das Reservekorps unter dem Marschall Lannes und das veränderte 8. unter Mortier, den der Marschall Brune - im Oberbefehle an den Küsten und vor Kolberg ersetzte. Zusammen zählten beide Korps an 26 000 Mann. Alle übrigen waren durch Einreihung der ersten provisorischen Regimenter, zurückkehrende 10* 148 II. Der Krieg von 1306 und 1807 Kranke und Verwundete, aufgegriffene Herumtreiber und herangekommen? Nachzügler, sowie durch Berittenmachung von bis dahin unberittenen Kavalleristen auf den ursprünglichen Stand gebracht worden. Die im Felde stehende Armee zählte nicht weniger als 210000 Mann. Sie überstieg also die Kräfte, mit denen Napoleon im Oktober 1806 den Feldzug eröffnet hatte, schon um ein beträchtliches. Die Truppen zweiter Linie, die hinter der Feldarmee Norddeutschland und die Küsten besetzt hielt, waren auf 100 000 Mann angewachsen. Das Mißverhältnis, das solange zwischen der Ziffer der Truppen und der Ausdehnung des von ihnen besetzten Raumes bestanden hatte, begann zu schwinden. Mit gerechtem Stolze konnte der Kaiser auf dieses Ergebnis seiner Tätigkeit zurückblicken und mit großen Hoffnungen dem bevorstehenden neuen Feldzuge entgegengehen. Daran, daß der Zeitpunkt für den Beginn lediglich von ihm abhinge, zweifelte er nicht im mindesten, und so glaubte er auch die Zeit zu einer Besichtigung von Danzig zu haben, wohin er sich für den 1. und 2. Juni begab. Am 3. war er in Marienburg, um den dort in Angriff genommenen Brückenkopf zu prüfen; am 4. Juni war er wieder in Finkenstein. Weit geringer als auf französischer Seite war die Verstärkung des Heeres bei den Verbündeten ausgefallen, obgleich sie den heimischen Quellen der Kraft näher waren und das Verhältnis ein umgekehrtes hätte sein sollen. Außer den Kasaken waren bei den Russen nur 13 000 Garden und einige Tausend Ersatzmannschaften eingetroffen. Nicht mehr als 109000 Mann konnte Bennigsen den 178 000 entgegenstellen, welche dem Kaiser nach Abrechnung des 32 000 Mann starken 5. Korps übrig blieben. Dies Korps, dessen Führung an Lannes' Stelle Massen« übernommen hatte, sollte weiterhin die Russen am Bug und Narew überwachen. Die große Überlegenheit der Franzosen war Bennigsen nicht verborgen geblieben. Er glaubte auch, nur bei der Verteidigung in gut gewählter Stellung einige Aussicht auf Erfolg zu haben. Unwillkürlich regt sich die Frage, was die verbündeten Monarchen getan haben, die Minderzahl nach Kräften auszugleichen? Sie hatten einander von neuem unverbrüchliche Freundschaft gelobt. Bei der Besichtigung der heranrückenden russischen Garden ereignete sich die historisch berühmt gewordene Szene, daß Kaiser Alexander den König mit den Worten umarmte: „Nicht wahr, keiner von uns beiden fällt allein? Entweder beide zusammen Verstärkung der Feldarmeen. Bartensteiner Konvention 149 oder keiner von beiden." Statt dem Gelöbnisse aber praktische Folgen durch die größten Anstrengungen zur Vermehrung der Streitkräfte zu geben, war es am 26. Zlpril zu der sogenannten Bartensteiner Konvention gekommen. In dieser wurde beispielsweise beschlossen, daß die Verbündeten sich nicht in die inneren Verhältnisse Frankreichs einmischen sollten — eine Einmischung, von der sie ohnehin noch recht weit entfernt waren. Ein deutscher Bund sollte geschaffen, Preußen in seiner früheren Macht wiederhergestellt werden, Österreich Tirol und einen Teil von Italien zurückerhalten. England wurde zur Unterstützung durch Geld, Waffen und Munition und zu Angriffen im Rücken der französischen Armee aufgefordert. Dafür ward seinem Könige eine Vergrößerung des Besitzes in Deutschland zugesagt. Wie Schweden für den Fall seines Beitritts zu bedenken sei, blieb späterer Vereinbarung vorbehalten. Selbst von der Entschädigung des Prinzen von Oranien, einer Angelegenheit, die dem Könige Friedrich Wilhelm sehr am Herzen lag, und von einer Neuordnung Italiens war die Rede. Über solche und ähnliche in nebelhafter Ferne liegende Dinge wurde mit vollem Ernste verhandelt, während es sich doch zunächst darum handelte, eine entscheidende Schlacht an der Passarge oder Alle zu gewinnen. Es ist bezeichnend für jene wunderliche Zeit, die in gelehrten Betrachtungen und geistreich erscheinenden Kombinationen, nicht im gegenseitigen Verhältnis der lebendigen Streitmittel die Entscheidung im Kriege suchte, daß dergleichen Phantasiegebilde die Sorge der Monarchen in Anspruch nahm, während alle Umstände zu einer Verstärkung der Feldarmee und Verhütung einer drohenden großen Niederlage drängten. Alle in Aussicht genommenen Umwälzungen konnten sich erst nach Monaten vollziehen, und hier handelte es sich um Hilfe für die nächsten Tage. Wenig mehr wirklichen Wert hatte die während der Verhandlungen zwischen Preußen und Schweden zustande gekommene Abrede, von Rügen aus über Stralsund eine gemeinsame Expedition zur Befreiung von Pommern und zum Entsatze der sich noch behauptenden festen Plätze ins Werk zu fetzen. Preußen sollte 5000 Mann dazu stellen und sie allmählich verstärken. Das Gebiet dieser Unternehmung lag viel zu weit vom Schauplatz der entscheidenden Operationen entfernt, um auf diese einen Einfluß auszuüben, und 150 II. Der Krieg von 1806 und 1807 das Truppenkorps wäre sicherlich besser bei Danzig verwendet worden. Aber es war doch immerhin wenigstens eine militärische Handlung, die hier beschlossen wurde. Auch wurde der König von Schweden gebeten, den zwischen General Essen und Mortier geschlossenen Waffenstillstand zu verwerfen, was Gustav IV., der bald in Stralsund eintraf, auch tat. So viel sah man in den Hoflagern der Verbündeten aber doch ein, daß die geplante politische Zuschneiderarbeit am künftigen Gewände Europas ohne militärische Pläne für deren Durchführung keinen Eindruck machen würde, und sie sollten auch, während an die diplomatischen Vertreter in London, Wien und Stockholm vorläufige Mitteilungen ergingen, des näheren ausgearbeitet werden. Das war eine Arbeit ganz nach der Mode der Zeit. Sie nahm denn auch nahezu einen vollen Monat in Anspruch. Erst am 19. Mai gingen die gemeinsam vorgeschlagenen Operationsentwürse nach Wien und Stockholm, am 24. nach London ab. Sie sind selbstverständlich ohne Bedeutung geblieben, da die Ereignisse sie schnell überholten, und finden daher hier keinen Platz. Diplomatisch wurden die Dinge insoweit fortgeführt, als König Friedrich Wilhelm dem Kaiser, in Beantwortung seiner letzten Mitteilungen, zwar den allgemeinen Wunsch nach Frieden ausdrückte, aber zugleich Napoleon aufforderte, die Grundlagen, auf denen er verhandeln wollte, bestimmter anzugeben. Daß diplomatische Anknüpfungen überhaupt begonnen wurden, wenn sie auch viel zu spät kamen und zu langfristig in ihren Zielen waren, ist als das Verdienst Hardenbergs anzusehen, der, vom Kaiser Alexander mit Vertrauen und Auszeichnung behandelt, auch in den Augen seines eigenen Heeres gestiegen und am Schluß der Verhandlungen zwischen den Verbündeten zum ersten Kabinettsminister und an Zastrows Stelle auch zum Minister des Auswärtigen ernannt wurde. Hardenberg nahm sich zugleich der leidigen Verpflegungsfrage energisch an, um Bennigsen den stets von ihm für seine Untätigkeit vorgeschützten Einwand des beim Heere herrschenden Mangels zu entziehen. Bennigsen hatte an der Aufstellung der fundamentlosen Zukunftspläne keinen Anteil genommen, was für seinen praktischen Sinn spricht. Dafür bereitete er der Welt und seinen Gegnern eine Überraschung, wie er es schon zweimal, im Monat Dezember 1806 und im Januar 1807 getan hatte. Bennigsen will dem Angriff des Kaisers zuvorkommen 151 Während er nämlich, solange sich Danzig siegreich behauptete und eine starke feindliche Streitmacht fesselte, durch nichts in der Welt dazu zu bringen war, mit seiner Armee einen Schlag zu tun, beschloß er dies nunmehr, als er die Nachricht vom Scheitern des Entsatzversuches erhielt, um den schlechten Eindruck zu verwischen, den der unvermeidliche, nahe bevorstehende Fall der Festung in Wien und London machen müsse. Er hatte gefürchtet, die schwächere feindliche Armee anzufallen, wollte es aber mit der demnächst durch das Freiwerden des Belagerungskorps von Danzig verstärkten aufnehmen. Dieser Widerspruch bedarf einer Erklärung. Bennigsen sah wohl voraus, daß er von jetzt ab einem neuen Waffengange nicht mehr werde ausweichen können und wollte deshalb dem Gegner wenigstens bei seinem Aufmarsche zuvorkommen. Er hoffte auf einen Teilerfolg und hatte zudem bei den beiden früheren Gelegenheiten den Feind dadurch veranlaßt, vorzeitig mit den nächsten bereiten Kräften, nicht mit versammelter Macht anzugreifen. Auch das drückende Gefühl, die guten Gelegenheiten bisher versäumt zu haben, trieb ihn vielleicht an, deren letzte noch wahrzunehmen. Solche Äußerungen innerer Unruhe berichtet die Kriegsgeschichte nicht selten von unentschlossenen Feldherren. Bennigsens Hauptarmee bestand im Augenblicke aus der Avantgarde unter dem Fürsten Bagration, einem ersten Treffen von vier Divisionen nebst zahlreicher Kavallerie unter dem Fürsten Gortschakow, einem zweiten unter Dochtorow, das zwei Divisionen und ebenfalls starke Kavallerie zählte, einer Reserve und dem Kasakenkorps, im ganzen aus 150 Bataillonen und 300 Schwadronen. Deren Stand war jedoch nur ein sehr schwacher, so daß sie im ganzen etwa 85000 Mann zählten. Daneben verfügte er noch über das durch russische Infanterie verstärkte L'Estocqsche Korps von rund 24 000 Mann, während am oberen Bug und Narew nach wie vor das etwa 20000 Mann starke Korps Essen verblieb und eine kleine gemischte Truppenabteilung von 2500 Mann ganz unnötigerweise noch die Nehrung besetzt hielt, die nach dem Falle von Danzig keinerlei Bedeutung mehr hatte. Der Vorstoß sollte dem bei Guttstadt an der Alle mit seinen 17 000 Mann ziemlich vereinsamt stehenden Marschall Ney gelten, während General L'Estocq an der unteren Passarge Bernadotte, General Dochtorow den Marschall Soult bei Lemitten fesseln und 15 2 II- Der Krieg von 1806 und 1807 das Kasakenkorps Platow weiter südlich nahe unterhalb Allenstein in Neys Rücken vordringen sollte. (S. Skizze 13.) 5ki??e 8l6lluli y 6li ciep beiden/^meen sm 5.^uni 13tZ7. Skizze 13 ^ Preußen u. Russen — ^ Franzosen in vorderer Linie: III, IV, I — Korps Davout, Soult, Bernadotte — >'".' Franzosen bei Guttstadt und in der rückwärts gelegenen Unterkunft: ^ Ney, 7 Poln. Korps Zajonczek, K>, 8, K, kiy, ^l. Kavalleriedivisionen Milhaud, Grouchy, Sulpice, Guyot, Nansouty, Lahonssaye, Latour u. Lasalle, N Reservekorps Lannes, VIII Korps Mortier, —Hauptquartier Napoleons Leider hatte General L'Estocq zugleich die Aufgabe, die Straße nach Königsberg und diese Hauptstadt selbst zu decken. Er ging daher nicht mit seiner ganzen Macht vor, sondern Angriff auf den Brückenkopf von Spanden 153 blieb mit der ersten Division bei Heiligenbeil stehen, mit seiner Reserve zwischen dort und Mehlsack, und ließ nur die 2. Division unter General v. Rembow angreifen. Wohl sah er das Mißliche ein, das in dem Zwiespalt der ihm gewordenen Aufgabe lag, aber er klagte nur darüber, ohne sich entschlossen davon frei zu machen. Ja, die Sicherung der Straße nach Königsberg wurde für ihn in der Folge die Hauptsache, während der natürliche Verstand sich sagen mußte, daß das Schicksal dieser Stadt nicht davon abhing, ob ein schwaches Korps den Weg dahin besetzt hielt, sondern — wie das Schicksal Preußens überhaupt — von dem Ausfall der bevorstehenden Entscheidungsschlacht südlich des Pregel. General v. Rembow erhielt am 4. Juni den Befehl, den Brückenkopf von Spanden zu nehmen, warf noch an demselben Tage die französischen Vorposten dorthin zurück und brachte seine gesamte Artillerie gegen die Verschanzung ins Feuer. Diese schützte, auf einer Anhöhe errichtet, den dahinter gelegenen tief nach Westen einspringenden Flußwinkel, in dem die Brücke nach Spanden hinüberführte. Schon begannen die Franzosen, ihre Geschütze aus dem Werke zurückzuziehen, und General v. Rembow wollte zum Angriffe schreiten, von dessen Gelingen er überzeugt war. Da erfuhr er durch General Dochtorow, daß der allgemeine Angriff der Armee, der gleichfalls am 4. hatte stattfinden sollen, auf den 5. verschoben worden sei. Außerdem stieg ihm der Zweifel auf, ob er das Werk nach der Wegnahme werde behaupten können; denn er glaubte ohne Grund, es sei gegen die Feindesseite hin offen. Dies veranlaßte ihn, vom Sturm Abstand zu nehmen und in ein Nachtlager in größerer Entfernung vom Kampfplatze zurückzugehen. Tatsächlich hatte General v. Bennigsen sein Unternehmen verschoben, das preußische Hauptquartier aber so spät davon benachrichtigt, daß die 2. Division nicht mehr zurückgerufen werden konnte. Zufälligerweise hatte deren Verhalten mit einem Rate übereingestimmt, den Scharnhorst erteilt, aber nicht mehr zur Geltung zu bringen vermochte. In L'Estocq stieg der Verdacht auf, sein Generalstab habe den Gang der Dinge hinter feinem Rücken beeinflußt und wiederholte unwillig den Befehl, den Brückenkopf am 5. Juni zu nehmen. Was zu geschehen Pflegt, wenn genaue Befehle aus weiter Ferne erteilt werden, wo man die Umstände nicht 154 II. Der Krieg von 180k und 1807 zu übersehen vermag, geschah auch hier. Die Verhältnisse hatten sich geändert. Nicht nur,, daß der Feind nun schon wachsam war, General v. Rembow hatte auch an den benachbarten Dochtorow Unterstützung versprochen und die Hälfte seiner Division dazu verwendet. Als der zweite Befehl eintraf, hatte er nur die andere Hälfte zur Verfügung, ging trotzdem vor, schritt nach einleitender Kanonade zum Sturm — und ward abgewiesen. 500 Mann blieben tot oder verwundet vor dem Brückenkopf liegen. Mittlerweile hatten sich starke französische Kräfte bei Spanden versammelt, die Aussicht auf einen Erfolg schwand, und General v. Rembow ging nach Wusen und von dort am 6. Juni nach Mehlsack zurück, wo auch der von Danzig kommende Kamenskoi eintraf und den einheitlichen Befehl übernahm. Das Opfer war um so zweckloser, als die Passarge damals, in der trockenen Jahreszeit, an verschiedenen Stellen zu durch- furten war, und die Angreifer leicht in den Rücken des Brückenkopfes hätten gelangen können, um seine Räumung zu erzwingen. Nicht viel besser erging es am gleichen Tage dem General Dochtorow vor dem Brückenkopfe von Lemitten, den er freilich abends nach unverhältnismäßigem Verluste nahm. Immerhin waren Bernadotte und Soult an der unteren Passarge wirklich gefesselt worden. Die von Bennigsen beabsichtigte Umklammerung Neys durch vier Kolonnen, denen die Garde als Reserve folgte, gelang indessen nicht. Der starke rechte Flügel, der, von General v. Sacken befehligt, über Wolfsdorf vorgehen sollte, traf zu. spät ein. Die Avantgarde hatte den Marschall Ney bereits aufgescheucht, ihn aber nicht angegriffen, um ihn festzuhalten. So vermochte er sich durch den Abmarsch auf der Straße nach Deppen der Gefahr zu entziehen. Dort führten drei Brücken über die Passarge. Sacken hätte ihn von diesen abschneiden können. Aus Vorsicht aber zog er sich an die russische Mitte heran und ließ Ney den Weg frei. Die Franzosen verloren zwar an 1800 Mann, kamen sonst aber leidlich gut davon und blieben am Nachmittage bei Ankendorf stehen. Nur Hermann Platow, der ihnen über Bergfriede nachsetzte, tat seine Schuldigkeit und eroberte noch einen Teil ihrer Bagagen, darunter diejenige des Marschalls selbst. Am 6. Juni wurde dieser durch die große russische Übermacht langsam von Ankendorf zurück hinter die Passarge gedrängt. Der Die Ereignisse bei Guttstadt 1S5 russische Verlust an den beiden Gefechtstagen soll zusammen an 2000 Mann betragen haben. Weiter ging Bennigsen nicht vor, da er richtig herausfühlte, daß er von nun ab bei jedem Schritte nach vorwärts auf eine beständig anwachsende französische Truppenzahl stoßen müsse. Unentschlossen ließ er die Truppen am 7. stehen und eilte für seine Person nach Guttstadt. Verschanzungen wurden aufgeworfen. Am 8. folgte ihm auch das Heer dahin, als Marschall Soult nunmehr über Elditten am rechten Passargeufer vorging ulid die russische Flanke bedrohte. So endete der schwächlich begonnene Zug mit einem unbefriedigenden Ergebnis. Die Hauptschuld daran traf die oberste Heeresleistung, die an der Spitze einer Minderheit dennoch nicht einmal alle vorhandenen Kräfte zusammenfaßte, sie auch nicht mit höchster Energie zur Eile antrieb, um das natürliche Übergewicht des Gegners nach Möglichkeit auszugleichen. Den Kaiser hatte die Nachricht vom Vorgehen der Russen am 5. überraschend getroffen. Er glaubte nicht an einen ernsten Angriff. Dennoch traf der stets Umsichtige die notwendigsten Einleitungen zu siegreichem Gegenschachzuge. Die Armee sollte sich zum Aufbruche, den er erst für den 10. geplant hatte, ohne Verzug fertig machen. Als dann bis zum 6. nachmittags die Meldungen dahin lauteten, daß der Kampf ernster geworden wäre, befahl er Lannes, mit dem Reservekorps von Marienburg, Mortier mit dem 8. vou Dirschau und Mewe heranzukommen, den Garden, von Finkenstein aufzubrechen und über Saalfeld die Armee zu erreichen. Seine Kavalleriedivisionen mußten ebendorthin oder nach Osterode und Mohrungen vorgehen, das polnische Korps Zajonczek, das die Verkehrslinien nach Warschau gegen die russischen Streitkräfte des Generals v. Esten gedeckt hatte, bis Gilgenburg heranrücken. Die rückwärtigen Verbindungen des Heeres wurden nach Marienwerder und Marienburg verlegt. Auch Marschall Davout schloß sich aus seiner bedrohten Stellung bei Allenstein dem Heere an. Des Kaisers Absicht war es, die Offensive vom linken Flügel aus zu ergreifen. So dachte er, die Preußen von den Russen zu trennen und diese ganz von ihren Verbindungen abzudrängen. Dazu würde es auch wohl gekommen sein, wenn die Russen stehen geblieben wären. Bennigsen hatte zunächst die Absicht, bei 1S6 II. Der Krieg von 1806 und 1807 Guttstadt die Schlacht anzunehmen. Der Gewinn einer solchen, in wohlvorbereiteter Stellung schwebte ihm als das Höchste vor, was er Napoleon gegenüber erreichen könne. L'Estocq schrieb er, daß dieser ihn durch ein Vorgehen gegen die linke Flanke der angreifenden Franzosen unterstützen möge. Dies war der einzige Weg, auf dem das preußische Korps noch an der Entscheidung teilnehmen konnte. Es machte sich nun aber fühlbar, daß dessen Hauptquartier in dem entfernten Heiligenbeil verblieben und ihm zudem die Deckung Königsbergs aufgetragen war. Es fühlte sich an die von Braunsberg dorthin führende Straße gefesselt. Vorangegangene Verstimmungen hatten zum Unglück auch noch eine innere Entfremdung der beiden Hauptquartiere bewirkt, und so kam es trotz der Not des Augenblicks zu keinem einheitlichen Handeln. Was die Russen mit ihren Bewegungen bezweckt hatten, war dem Kaiser nicht klar. „Alles hat den Anschein eines unüberlegten Streiches" — schrieb er an den verwundeten Bernadotte. Das Planlose in dem Auftreten der Ruffen durchschaute auch Ney. „Wenn die Bewegungen der Armee schnell erfolgen, dann werden die Russen eine große Niederlage erleiden und vermögen nur ihre Kavallerie zu retten." So meldete er dem Kaiser von Deppen aus. Napoleon war bis zum 6. abends in Finkenstein geblieben und dann über Saalfeld und Mohrungen zur Front geeilt. Dorthin hatte er auch alle noch zurückgebliebenen Truppen in Bewegung gesetzt. Am 7. war er bei Deppen eingetroffen und durch den Augenschein in der Überzeugung befestigt worden, daß die Russen ein weiteres Vorgehen gar nicht beabsichtigten. Er rief daher Davout, der anfänglich die Richtung auf Osterode eingeschlagen hatte, nach Deppen heran und gab von dort den Befehl an Soult zum Vorgehen über Elditten, dessen Wirkung schon bekannt ist. Wenn auch Soults Reiterei beim übereilten Aufklären gegen Guttstadt am 8. einen ziemlich schweren Unfall erlitt, Ney noch immer starke Kräfte vor seiner Front hatte, so wurde an diesem Tage der Rückzug der Russen doch schon deutlich fühlbar. In der folgenden Nacht räumten sie das Gelände Deppen gegenüber. Am 9. begann der allgemeine Vormarsch der großen Armee. Inzwischen hatte Bennigsen den Gedanken, bei Guttstadt die Schlacht zu wagen, wieder fallen lassen. Er beauftragte den Fürsten Bagration, mit der Nachhut den Übergang des Heeres vom linken Rückzug der Russen nach Hellsberg 157 auf das rechte Alleufer zu sichern und marschierte an diesem Ufer nach Heilsberg ab. Dort hatte er, zu beiden Seiten der Alle, westlich, südlich und östlich der Stadt eine befestigte Stellung gewählt, die während des langen Stillstandes der Operationen hergerichtet worden war, um der Armee ein Asyl für den Fall plötzlicher Versammlung zu gewähren. Da der Alleübergang mit gewohnter Langsamkeit ausgeführt wurde, so hatte Fürst Bagration Mühe, seine Aufgabe zu erfüllen. Napoleon selbst trieb zunächst Murat und Ney zum lebhaften Nachdringen an. Bei Oueetz kam es zu heftigem Gefecht, und der Durchzug durch Guttstadt gestaltete sich für den Fürsten recht schwierig. Erst der nahe hinter der Stadt auf der anderen Seite der Alle gelegene Wald bot ihm Schutz. Abends um 8 Uhr befaud sich Guttstadt in Feindes Hand. In die ausgedehnten Forsten noch einzudringen, in denen Bagrations Truppen verschwunden waren, wagten die Franzosen nicht mehr. Bennigsen erreichte spät noch sein festes Lager; Bagration folgte ihm bis zum Nordausgange der Forst, wo er bei Reichenberg, 6 Kilometer von Heilsberg, stehen blieb. Ein Glück für die russische Nachhut war es gewesen, daß Soult, der von Elditten den kürzeren Weg nach Guttstadt hatte und Bagration den Rückzug verlegen konnte, unerwarteten Aufenthalt erfuhr. General Graf Kamenskoi, der mit seinen und General Rembows Truppen bei Mehlsack gestanden und dort am Abend des 8. durch einen an L'Estoca beförderten Armeebefehl erfuhr, was Bennigsen beabsichtigte, hatte sich schnell entschlossen, seine Vorposten dem ersten französischen Korps gegenüber stehen zu lassen und auf eigene Faust südlich abzurücken, um an der bei Guttstadt erwarteten Schlacht teilzunehmen. Dies führte ihn geradeswegs auf die linke Flanke Soults, den er in dieser Art für mehrere Stunden zum Stehen brachte. Da der tätige General abends noch bis nahe an Heilsberg heranrückte, so war die ganze russische Armee in der Nacht zum 10. dort vereint. Mit dem neuen Zuzug kann sie an 90000 Mann gezählt haben. Die französische vereinigte sich ihr gegenüber bei Guttstadt. Sie mag dort 146 000 Mann stark gewesen sein. 158 II. Der Krieg von 1806 und 1807 Die Schlacht von Heilsberg am ^0. Juni ^807 S. Skizze 14 Bennigsen erwartete den Feind am rechten Alleufer, wohl weil er selbst dort marschiert war und auch dort wünschte angegriffen zu werden. Er blieb mit der Front gegen Südwesten gewendet auf diesem Ufer stehen. Das Städtchen Heilsberg liegt tief im Tale, zum Teil von alten Mauern umgeben und von einem nicht unbedeutenden mittelalterlichen Schlosse überragt. Am rechten südlichen Flußufer erheben sich dicht hinter der Stadt ansehnliche, stellenweis bewaldete Höhen, die ziemlich steil bis zu 190 Fuß über der Talsohle aufsteigen. Sie gewähren dem Orte eine malerische Lage, die an Landschaften aus den Vorbergen deutscher Mittelgebirge erinnert. Auf der dem Flusse abgekehrten Seite senken sie sich mit flacheren Hängen gegen Süden und Südosten. Sie boten ein für die unmittelbare Abwehr des Angriffs nicht unvorteilhaftes Schlachtfeld. Dieses war daher auch zwischen der Alle und dem tief eingeschnittenen Sümsebache sorgfältig vorbereitet. Gezwungen war der Feind indessen nicht, gerade dort anzugreifen. Er konnte bei seiner Übermacht gleichzeitig zu beiden Seiten der Alle vordringen. Dann wurde die Stellung für den, der sie hielt, recht gefährlich; denn während er sie in der Front behauptete, konnte sie gleichzeitig umgangen und von Norden her im Rücken gefaßt werden. Sie eignete sich sehr zu einer Falle für den Verteidiger. Am westlichen Alleufer sind die Höhen geringer, die Abhänge sanfter. 2500 m oberhalb der Stadt fällt, aus dem Großen- dorfer See kommend, der unbedeutende Spuybach in die Alle. Sein Lauf bildet das gute Drittel eines Kreisbogens um Heilsberg herum und da etwa halbwegs Heilsberg und dem Bache noch eine Kette flacher Hügel liegt, so bildete sich auch dort eine natürliche Verteidigungslinie. Auf den Erhebungen waren vier mehr oder minder starke Schanzen aufgeworfen. Die Stellung war schwächer, als die am anderen Ufer, aber doch übersichtlich und verteidigungsfähig. Anfangs standen indes nur wenig Truppen am linken Ufer. Eine gemischte Brigade unter General Barasdin war zur Beobachtung bis Launau vorgeschoben. Den Uferwechsel hatte Bennigsen dadurch vorbereitet, daß außer den drei in der Stadt bestehenden Brücken oberhalb derselben Die russische Stellung 159 noch drei Kriegsbrücken hergestellt worden waren. Der ursprüngliche Fehler in der Aufstellung erschien damit wohl gemildert, aber er hätte überhaupt nicht begangen werden dürfen. Für einen l)ie 5clilgclif von tleikbss' g gm Wuni IM Skizze 14 A Russen u. Preußen — ä Verschanzte Stellung am rechten Alleufer — k—S Hauptstellung am linken Alleufer — v Reserven — v Nachhut unter Bagration und Barasdin — 6 Die während der Schlacht am rechten Alleufer verbliebenen Divisionen — 1, 2, 3 Schanzen am linken Ufer — M.—» Franzosen im Anmarsch und der Entwicklung — a—s Murat "und Soult — d—b Angriff auf die russische Nachhut — o—o Hauptangriff — li Umfassung gegen den russischen rechten Flügel großen Teil des französischen Heeres lag der nähere Weg nach Heilsberg am linken Ufer. Nur dort konnte das erste Korps mit der Armee zusammenwirken. Endlich aber war es Napoleons lei- 160 II. Der Krieg von 1806 und 1807 tender Gedanke, Preußen und Russen zu trennen. Dies alles verwies ihn auf den Anmarsch am linken Ufer. So bildet das Verharren der Russen am rechten Ufer ein Glied in der Kette der Unbegreiflichkeiten, die für Bennigsens Heerführung in dieser kurzen, aber verhängnisvollen Kriegsperiode charakteristisch sind, und die ihre letzte Entstehungsursache wohl in dem schweren körperlichen Leiden finden, an dem der General zurzeit gerade besonders heftig litt. Die Überraschung ließ nicht lange auf sich warten. Napoleon hatte es durch seine Energie zuwege gebracht, fast seine ganze Armee am 9. abends zusammenzubringen, und er zögerte nun keinen Augenblick mehr mit dem Gegenstoße. Murats Kavallerie, das Korps Soult, die Gardefüstlierbrigade nnd das Korps Lannes, im ganzen 64500 Mann, brachen über Peterswalde gegen Launau und Heilsberg auf. Der Kaiser begleitete diese Truppen in Person. Victor, der an Bernadottes Stelle das erste Korps übernommen hatte, sollte von der unteren Passarge auf Mehlsack vorgehen. Die ganze übrige Armee verblieb in ihren Lagern bei Guttstadt. Ihre noch weiter rückwärts nachfolgenden Teile gewannen damit die Zeit, heranzukommen. Auch die Straße am linken Alleufer führte durch Wälder, und sie war schmaler und schlechter, als die des rechten. Der Marsch zog sich daher erheblich in die Länge. Als Bennigsen um neun Uhr vormittags die Meldung vom Anrücken der Franzosen auf dem linken Alleufer erhielt, verstärkte er den General Barasdin und ließ bald auch den von Reichenberg zurückgehenden Fürsten Bagration mit seiner Nachhut auf den Kriegsbrücken die Alle überschreiten. General Graf Kamenskoi erhielt die gleiche Bestimmung. Starke Kavallerie ging ebenfalls auf das linke Ufer hinüber und stellte sich auf dem rechten Flügel der halbkreisförmigen Schlachtlinie auf. Mehr und mehr Truppen folgten. Fürst Bagration kam gerade noch, rechtzeitig an, um General Barasdin bei Bewernick aufzunehmen und der Verfolgung durch Murats starke Kavallerie ein Ziel zu setzen. Murat wartete nur Soult ab, der aber seine lang auseinandergereckte Kolonne erst aufmarschieren lassen mußte und den Kampf durch Entwicklung einer Batterie von 36 Geschützen einleitete. Auf ihn folgten die Gardefüsiliere, dann Lannes. Es wurde Nachmittag, ehe der ernste Angriff beginnen konnte. Nur langsam und Der französische Angriff 161 mit schweren Verlusten ging es vorwärts. Fürst Bagration wich fechtend über den Spuybach gegen die Linie der Schanzen zurück, zumal als er sah, daß der Feind auch den Gaberberg bei Lawden mit Geschützen krönte. Sehr wirksam wurde er dabei durch eine russische Batterie vom anderen Ufer her unterstützt, die der spätere Feldmarschall Diebitsch befehligte. Auch seine Kavallerie warf sich Murats nachdringenden Reitern kühn entgegen und hielt sie auf, als Bagration auf dem Rückzug den Spuybach überschritt. Bagration und Kamenskoi setzten sich nun gemeinsam in der Linie der Schanzen fest, von deren Behauptung das Schicksal des Tages abhing. Soult und die Gardefüsiliere zu seiner Rechten drängten trotz aller Einbuße nach, und es gelang ihnen sogar, die in der Mitte der russischen Stellung gelegene Schanze 2 zweimal zu nehmen. Ein Augenblick der Schwäche und Verwirrung hatte die Besatzung weichen lassen. Vergeblich warf sich das erste Bataillon des preußischen Regiments Towarczys den Stürmenden entgegen. Es vermochte deren Überzahl nicht aufzuhalten. Allein die Krisis wurde glücklich überwunden. Die russischen Regimenter Sewsk, Perm und Kaluga von der Division Rembows gingen, durch General Warneck geführt, zum Gegenangriff vor und warfen die erschöpften Franzosen über den Haufen. Der tapfere General fiel, aber die Lücke in der Schlachtlinie war wieder geschlossen. Von nun ab kam diese nicht mehr ins Wanken. Zur Rechten von Warnecks braver Infanterie und auch etwa gleichzeitig war preußische Kavallerie, im ganzen 15 Schwadronen, vorgegangen. Sie warf sich unerschrocken auf die an Zahl überlegene Kürassierdivision Espagne und warf sie auf ihr eigenes gegen Schanze 2 im Kampfe stehendes Fußvolk zurück. Eine glänzende Attacke zweier Schwadronen der preußischen schwarzen Husaren v. Prittwitz vervollständigte den Sieg. Ein französisches Infanterieregiment wurde gesprengt, und ein Adler fiel in ihre Hand. Wer erinnerte sich bei dieser Waffentat nicht mit Wehmut der 80 preußischen Schwadronen, die führerlos auf dem Schlachtfelde von Auerstedt umherirrten, ohne das Schicksal des Tages zu wenden. Der große französische Angriff war verlustreich abgeschlagen; diesseits des Spuybaches hatten die Franzosen nur noch das Law- dener Wäldchen inne. Es galt für die Verbündeten, den unter Graf Kamenskois Leitung begonnenen Nachstoß seiner beiden Frhr. v. d, Goltz, Kriegsgeschichte 11 162 II. Der Krieg von 1806 und 1807 schwachen Divisionen zu einem allgemeinen der ganzen russischen Armee zu machen. Einer jener bedeutungsvollen Augenblicke war gekommen, von denen der Gott der Schlachten das Schicksal der Staaten abhängig macht. Die völlige Niederlage Soults, Lannes' . und Murats hätte das französische Übergewicht zum Teil ausgeglichen und dem Kriege eine andere Wendung geben können. Allein die kostbare Gelegenheit ward zum Unglück des Vaterlandes versäumt. Bennigsens Krankheit trat gerade an diesem verhängnisvollen Tage so heftig auf, daß eine lang andauernde Ohnmacht ihn befiel. Fürst Gortschakow übernahm vorübergehend den Oberbefehl, aber die Führung des Heeres war dennoch gelähmt, ein großer Entschluß bei solchem Wechsel der Personen erschwert. Die siegreichen Truppen kehrten von der Verfolgung allmählich wieder in ihre alten Stellungen zurück; der Tag ging zur Neige. Freilich wurde am Abend noch ein kräftiger Vorstoß gegen Schanze 2 zurückgewiesen, den die auf dem Schlachtfelde eintreffende Division Verdier vom Lannesschen Korps unternahm, allein auch dieser Erfolg blieb ein negativer, da er nicht mehr ausgenutzt werden konnte. Die Nacht setzte dem Kampfe ein Ziel, nur in dem Gehölz am Großendorfer See dauerte das Schützengefecht bis Mitternacht fort. Vom Lawdener Wäldchen aus vorgegangene französische Tirailleurs hatten sich nach Vertreibung der schwachen russischen Besatzung dort festgesetzt und behaupteten sich auf ihrem vorgeschobenen Posten. Die Verluste waren auf beiden Seiten große. Sie betrugen bei den Franzosen mindestens 12000, bei den Russen etwa 8000 Mann. Mit entschiedenem Rechte konnten diese sich Sieger nennen. Freilich war damit wenig gewonnen. Nur der kleinere Teil der französischen Armee war abgewiesen worden, der größere noch im Herankommen begriffen. Man staunt, Napoleon, der wie kein anderer Feldherr die Vorsicht mit der Kühnheit zu paaren wußte, bei Heilsberg einen Fehler begehen zu sehen, den er selbst stets lebhaft getadelt und fönst sorgsam vermieden hatte. Es war der Fehler Friedrichs von Kolin — der Angriff mit ungenügenden Kräften, für den er den Grund durch die unzweckmäßige Anordnung des Vormarsches selbst gelegt hatte. Täuschte er sich in dem Urteil über die Stärke des Gegners oder hoffte er, daß kühnes Zugreifen ihm den Erfolg, Siegreiche Abwehr durch die Verbündeten 163 wie so oft schon, leicht in die Hände spielen werde? Beides ist möglich. Napoleon vermochte die russische Stellung nicht zu übersehen; ein Irrtum konnte vorfallen. Die Trennung der feindlichen Armee durch die Alle lud zum Augriff auf einer Seite des Flusses ein, und der vom Glück Verwöhnte ist geneigt, an dessen Treue zu glauben, bis bittere Erfahrungen ihn eines anderen belehren. Am wahrscheinlichsten war, daß der Kaiser Bennigsens Absicht, ohne ernsten Kampf bis hinter den Pregel zurückzuweichen, durchschaute, und daß er den begreiflichen Wunsch hegte, ihm während des Rückzuges möglichst großen Schaden zuzufügen. » ->- Bennigsen, durch das Ergebnis des 10. Juni in seiner Stimmung gehoben, war entschlossen, auch vor einem wiederholten An- Hnmgl'Nli cjks' slM?o56n ?l^5cklgctil vosi >1kil5lzel'lZ gmio.^um 1807. Skizze IS ^ Russen und Preußen in der Stellung von Heilsberg — M H Franzosen in der Bewegung von Guttstadt her 11» 164 II. Der Krieg von 1806 und 1307 griff das Feld nicht zu räumen. Bis zum Ende der überstandenen Schlacht hatte er zwei seiner Divisionen am rechten Alleufer belassen, sie dann aber in der Nacht nach dem linken hinübergerusen. Er verlängerte seine Stellung derart, daß sie einen vollständigen Halbkreis um Heilsberg herum bildete. Die Rückzugslinie über Eylau war aufgegeben. Vergeblich warteten die Rusfen am 11. auf den Beginn des Angriffs. Zu einem Gegenstoße raffte sich Bennigsen nicht auf. In den etwa 2000 m entfernt stehenden französischen Linien fanden seitliche Verschiebungen, aber keine Vorwärtsbewegung statt. Nur zu einzelnen Zusammenstößen der Kavallerie und einer leichten Kanonade soll es gekommen sein. Des Kaisers ungewöhnliches Zögern erklärt sich leicht. Er hatte seine Armee von Guttstadt herangerufen, aber ihre Vorwärtsbewegung vollzog sich allein auf dem einen Waldwege über Launau, auf dem auch tags zuvor alle an der Schlacht beteiligten Truppen gekommen waren. (S. Skizze IS.) Ein schlimmeres Hindernis für die Vorwärtsbewegung gibt es nicht. Davout erreichte wohl noch das Schlachtfeld und marschierte, 30000 Mann stark, zu beiden Seiten der Eylauer Straße auf. Ney und die Garde jedoch kamen nicht über Launau hinaus. Mortier mußte bei Alt- kirch bleiben. Diese Truppen hätten am 11. zur Entscheidung nichts mehr beitragen können. So war es von der Vorsicht geboten, den allgemeinen Angriff auf den nächsten Tag zu verschieben. Napoleon wollte den Fehler vom 10. nicht wiederholen. Am 12. waren die russischen Stellungen indessen verlassen. Bennigsen war auf das rechte Ufer zurückgekehrt und dort in der Richtung nach Bartenstein abmarschiert, das er am Nachmittage erreichte. Er hatte sich der ihn umstellenden, stündlich anwachsenden Übermacht geschickt entzogen, um bei Wehlau hinter den Pregel zu gehen. Dort wollte er die Verbindung mit L'Estocq aufnehmen und außerdem die aus Rußland heranrückenden Reserven abwarten, vorher aber keinen neuen Kampf wagen. Den um die Schlacht von Heilsberg so hoch verdienten Grafen Kamenskoi hatte er mit seinen Truppen über Bartenstein und Eylau zu L'Estocq zurückgeschickt, der dringend darum bat. Diese Schwächung im Angesicht des stärkeren Feindes war ein schwerer Fehler und der Marsch der Kolonne um den Feind herum höchst gewagt. Dennoch verlief er ohne Unfall. Bennigsen setzt seinen Rückzug fort 165 Ein Gefühl von Enttäuschung und Verdruß mag Napoleons Seele erfüllt haben, als er sah, daß das Wild, das er endlich gestellt hatte, ihm wieder aus dem Garne gegangen sei. Aber er war sogleich zu einem Gegenzuge entschlossen. Nur starke Kavallerie sandte er den abziehenden Russen nach, schlug mit der Armee die Richtung auf Pr. Eylau ein, sich so zwischen die beiden Verbündeten schiebend. Nur zwei Wege, der eine rechts über Eichhorn, der andere links über Landsberg, standen ihm zur Verfügung, und es war unmöglich, die ganze Armee am nämlichen Tage vorzuführen. Murat mit der noch übrigen Kavallerie, Davout, Soult und Lannes erreichten am 12. das Ziel. Ney, Mortier und die Garden gelangten bis Landsberg. Victor blieb mit dem ersten Korps völlig aus. Der ihm zugesandte Befehl zum Vormarsche war L'Estocqs Reitern in die Hände gefallen, und nur der Kanonendonner von Heilsberg belehrte ihn, was vorgegangen sei. Am 11. abends hatte er daraufhin die Passarge überschritten und am 12. Mehlsack erreicht. Von den Russen wußte man im französischen Hauptquartier nicht viel mehr, als daß sie am rechten Alleufer im Marsche nordwärts seien. Die Kolonne Kamenskoi wurde nicht entdeckt. In der Nacht kam dann noch die Nachricht, daß General v. L'Estocq bei Zinten stünde. Die Trennung war also gelungen und allem Anscheine nach die Möglichkeit gegeben, endlich mit den verhaßten Preußen völlig aufzuräumen. Am 13. früh setzte der Kaiser die bei Eylau verfügbaren Kräfte gegen Königsberg in Bewegung. Es war die Kavallerie Murats, hinter ihr zwei Divisionen Davouts, während Soult auf Kreuzburg vorging. L'Estocq hatte sich, durch den aufgefangenen Befehl an Viktor von der ihm drohenden Gefahr unterrichtet, am 12. Juni von Heiligenbeil nach Zinten aufgemacht. Leider ließ er in den alten Stellungen wieder Truppenabteilungen zurück, deren Absonderung für seine ohnehin geringen Kräfte einen erheblichen Ausfall bedeuteten und doch keinen wirklichen Schutz für Königsberg zu bilden vermochten. Als er am 13. die Lage klarer übersah, wich er eilig hinter den Frisching zurück. Am Nachmittage vereinigte er sich dort mit dem auf Umwegen in starken Märschen herangekommenen Grafen Kamenskoi. Kaum war das geschehen, als auch Murats Reiter vor der Front erschienen. Zum ernsten 166 II. Der Krieg von 1806 und 1807 Kampfe kam es jedoch nicht mehr, sondern nur zu Plänkeleien zwischen den vorgeschobenen Reiterabteilungen und einigem Geschützfeuer. Es nimmt uns wunder, Napoleon, der eben noch die feindliche Hauptarmee vor sich gehabt hatte, so bedeutende Teile seines Heeres nach abweichender Richtung entsenden zu sehen. Der Eifer, sein politisches Ziel zu erreichen, ließ ihn zum zweiten Male dem eigenen Grundsatz, alles auf den gefährlichsten Gegner zu werfen, untreu werden. Vielleicht glaubte er, die Russen südlich des Pregel überhaupt nicht mehr erreichen zu können. Gerade darin sollte ihm eine Überraschung bevorstehen, eine Überraschung freilich, die seinen Wünschen durchaus entsprach. Lannes war am 13. Juni von Eylau nach Lampasch auf der Domnauer Straße weitermarschiert und hatte seine Kavallerie vorgeschoben. Als nun von Bartenstein her die Meldung kam, daß die Russen dort bereits in der Richtung auf Schippenbeil durchgezogen seien, erhielt er den Befehl, sogleich bis Domnau zu gehen und Aufklärung über die Vorgänge bei Friedland zu schaffen. Ein Teil seiner Kavallerie eilte dorthin voraus, sandte aber am Abend die unerwartete Nachricht, daß er von überlegener russischer Reiterei aus der Stadt wieder vertrieben worden sei. Der Kaiser erfaßte sofort die Bedeutung dieses Vorgangs. Bennigsen schien etwas für die Rettung Königsbergs tun zu wollen und die Vereinigung mit L'Estocq anzustreben. Dies mußte eine kostbare Gelegenheit geben, ihm in die Flanke zu fallen und ihn unter den ungünstigsten Umständen zur Schlacht zu zwingen. Die ganze Armee mit Ausnahme der vor Königsberg stehenden Teile wurde noch am späten Abend gegen Domnau in Bewegung gesetzt. (S. Skizze 16.) Bennigsen war, auf die Nachricht vom Vorgehen Napoleons nach Eylau, in der Nacht zum 13. Juni von Bartenstein wieder aufgebrochen, um einen Vorsprung gegen den Pregel zu gewinnen. Bei Schippenbeil wurde am Mvrgen längere Zeit gerastet, dann weitermarschiert und Kavallerie mit Geschütz vorausgeschickt, um die Alleübergänge von Friedland, Wohnsdorf, Allenburg und Wehlau vor dem Feinde zu besetzen. Das gelang auch. Aus dem am linken Ufer gelegenen Friedland wurden hierbei Lannes' Reiter verdrängt. Die an der Spitze marschierende russische Garde ging über den Fluß und durch die Stadt vor, um der Kavallerie als Rückkehr der Russen ans linke Alleufer 167 Rückhalt zu dienen und Friedland zu schützen, wohin man den leidenden Oberbefehlshaber gebracht hatte. Damit hätte es aber genug sein sollen. Statt dessen wurde nach und nach der bei weitem größere Teil der Armee auf das linke Ufer hinübergezogen, um nahe vor der Stadt, sowie nördlich und südlich derselben aufzumarschieren. Was bei Heilsberg infolge des Kampfes geschah, wurde hier ohne zwingenden Grund freiwillig ausgeführt. Zudem Teilung ciel'^s'messi 3M 13.^um 130? ätz. ^ ^ /^sSr,s» Skizze 16 Russen und Preußen — M H Franzosen — K Garden — I Korps Victor — I» Korps Davout — IV Korps Soult — VI Korps Ney — VI» Korps Mortier — N Reseroekorps Lannes fehlte der Vorteil einer guten Stellung. Das Land westlich Friedland ist flach, ein aus strengem Lehmboden bestehendes freies Plateau. Die russische Stellung, die sich vorwärts der Stadt gegenüber Heinrichsdorf und Postehnen hinzog, ward noch dazu durch die meist scharf geränderte Schlucht des Mühlenfließes in der Mitte durchbrochen. Hinter sich hatte sie die tief eingeschnittene Alle mit schroff abfallenden Hängen zu beiden Seiten. Eine ungünstigere Lage läßt sich kaum auffinden, und was man an Gründen 168 ll. Der Krieg von 180k und 1807 für Bennigsens Handlungsweise auch angeführt hat, es macht den rätselhaften Entschluß nicht verständlich. Ein bestimmter Plan lag wohl überhaupt nicht vor. An ein Unternehmen gegen Königsberg ist nicht gedacht worden. Napoleons Voraussetzung war eine Täuschung. Der Zufall trieb die Dinge vorwärts. Das Schicksal der Staaten hängt nicht immer von großen Beweggründen ab. Die Armee blieb den 14. Juni in ihrer gefährdeten Stellung am linken Ufer stehen. Die Schlacht von Friedland am ^. Juni ^807 S. Skizze 17 Marschall Lannes hatte am 13. abends den Befehl Napoleons erhalten, Fried land, wenn es nur schwach besetzt sei, wieder zu nehmen. Der Kaiser hoffte, dort wohlgefüllte russische Magazine zu finden, und eine solche Beute tat seiner Armee bei der gänzlichen Erschöpfung und Verwüstung des Landes dringend not. Lannes war sofort mit den Truppen, die er zur Hand hatte, von Domnau aufgebrochen und traf um 1 Uhr nachts bei Postehnen ein. Obwohl die russische Stellung auch bei anbrechendem Tageslicht nicht recht zu erkennen war, so fühlte der kriegserfahrene Marschall doch richtig heraus, daß er sich vor bedeutender Übermacht befände. Er führte also in den Morgenstunden ein hinhaltendes Gefecht. Der Kaiser war der von Eylau und Umgegend in Bewegung gesetzten Armee vorausgeeilt. In Postehnen angekommen, soll er von einem am Ostrande des Gutsparks stehenden Gartenbalkon, der bis zum Sortlacker Walde und gegen Friedland hin freie Aussicht bot, die russischen Stellungen erkundet haben. Zu seiner eigenen Überraschung gewann er den Eindruck, daß Bennigsen, der am 12. Juni bei Heilsberg der Entscheidung ausgewichen war, hier standhalten wolle. Anfangs war der Kaiser im Zweifel, ob er noch am 14. angreifen könne. Um 3 Uhr nachmittags ließ er an Murat, den er schon in Königsberg wähnte, schreiben, daß er mit dem von ihm befehligten Armeeflügel herankommen solle, weil der Tag über einer Kanonade hingehen und der ernste Angriff erst am 15. beginnen werde. . Bald danach aber gab er Befehl zum Vorgehen. Die Be- Napoleons Marsch über Domnau gegen Friedland 169 fürchtung, der Gegner könne sich ihm abermals entziehen, mag diesen Entschluß gezeitigt haben. Die beiden Heere standen sich in zwei langen Fronten gegenüber, beinahe wie es, ehedem zu des großen Friedrichs Zeit geschah. Den rechten französischen Flügel im Sortlacker Walde bildete Ney vis 5clil3cli! von fs'iecÜZlici am l^um 1807 Skizze 17 ^ H Russen — 4 Hauptstellung: Avantgarde, 2., 3., k., 7. Division und Kavallerie — S—v Reserven: 1., 8. Division mit Garde — v Truppen am rechten Alleufer — j Jägerregimenter im Sortlacker Walde — ^1 H Franzosen — a—s Entwicklung vor dem Angriff — K — Garden — VI, I, VIII Korps Ney, Victor, Mortier — N ^ Reservekorps Lannes — Die Kavalleriedtvisionen sind mit den Namen der Führer bezeichnet mit dem 6. Korps. Dann folgten zu seiner Linken vorwärts Postehnen die Reiterdivision Latour-Maubourg und Nansouty nebst dem Korps Lannes. Nördlich Postehnen war Victor mit dem 1. Korps eingetroffen und hinter dem Orte die Garden. Links von Victor stand die Dragonerdivision Lahoussaye, weiterhin, vorwärts und südlich von Heinrichsdorf, das Korps Mortier und noch 170 II. Der Krieg von 1806 und 1807 weiter nördlich gegen das Damerauwäldchen hin die Dragonerdivision Grouchy. Die russische Schlachtlinie lief, nachdem die Armee am Morgen noch eine Strecke weit vorgerückt war, 800—1000 w von der französischen entfernt, fast parallel zu dieser durch die Felder. Im Sortlacker Walde, Ney gegenüber, waren die Jägerregimenter vereinigt; dann folgte nach Norden weiter die Avantgarde des Fürsten Bagration und die 2. Division. Gegenüber Heinrichsdorf standen die 3., 6. und 7. Division und endlich auf dem äußersten rechten Flügel vor Grouchy starke Kavallerie von Uwarow und Gallizin. Dahinter bei der Stadt Friedland, aber noch am linken Ufer, hielten die 1., die 8. Division und die Garden, jenseits der Alle am rechten Ufer die 14. Division nebst starker Kavallerie und Artillerie. Napoleons Plan war es, mit seinem rechten Flügel sowohl den Angriff zn eröffnen, als auch die Entscheidung zu suchen. Auffallend ist es, daß er diesen Flügel nicht verstärkte. Er stellte auch nicht die Reserven hinter denselben, sondern hielt sie in der Mitte fest, wo auch er persönlich verblieb. Das freiere Gelände gewährte dort mehr Raum zur Entwickelung. Die Mitte, Lannes, Victor und die Garden sollten sich zunächst abwartend verhalten, um den günstigen Augenblick zum Antreten herankommen zu lassen. Der linke Flügel, Mortier, aber hatte Heinrichsdorf zu behaupten und den Feind im Auge zu halten. Die Rusfen standen in ihren Linien still, keine Bewegung war vorbereitet; sie sahen Passiv ihrem Schicksal entgegen. Das Mühlenfließ hatten sie der besseren Verbindung halber an mehreren Stellen überbrückt. Nördlich davon befehligte Fürst Gortschakow, südlich Fürst Bagration. Der kranke Oberbefehlshaber verblieb in Friedland. Offiziere, die er auf dem Kirchturm aufgestellt hatte, meldeten ihm die Ankunft der französischen Heersäulen und deren Heraustreten aus den Wäldern hinter Postehnen. Er traf indessen keine Anordnung, um sie mit seinen schon kampffertigen Massen noch in der Entwickelung anzufallen oder den Rückzug über die Alle zu bewerkstelligen, solange es noch Zeit dazu war. Unbegreiflicherweise waren nördlich und südlich von Friedland nicht einmal Übergänge über den Fluß angelegt. Die Stadt besaß deren drei. Um 5 Uhr nachmittags gab eine dreifache Batteriesalve auf Der französische Angriff 171 französischer Seite das Zeichen zum Beginn. Marschall Ney rückte vor. Lebhaftes Schützenfeuer begann im Sortlacker Walde, und schon nach einer Stunde waren die russischen Jäger von der Übermacht ins Freie gedrängt. Die Franzosen folgten mit vorgenommenem rechtem Flügel. Bedenklich näherte sich dieser Friedland. Allein er geriet damit gegen den weit nach Westen vorspringenden Allebogen südlich der Stadt, ward vom anderen Ufer her kräftig unter Artilleriefeuer genommen und kam zum Stehen. Ney sah sich in kritischer Lage, als nun die russische Kavallerie zur Attacke anritt und gleichzeitig die Petersburger Garden zum Gegenangriffe vorbrachen. Sein Korps geriet in Unordnung. Die Kavallerie von Latour-Maubourg schaffte ihm mühsam Luft und hielt die Russen so lange auf, bis die Mitte der französischen Armee in den Kampf eingreifen konnte. Es erfolgte hier der berühmt gewordene Artillerieangriff des Generals Senarmont, der mit 28 Geschützen des ersten Korps unerschrocken und der eigenen Verluste nicht achtend, bis auf nahe Entfernung an die dichtgedrängten russischen Massen heranging und Tod und Verderben in diese hineinsandte. Die Lage des russischen linken Flügels wurde eine immer schlimmere. Fürst Bagration ließ die Vorstadt von Friedland anzünden, um den Feind aufzuhalten, und versehentlich wurde das Feuer auch an die Brücken gelegt. Nur eines noch hätte das Schicksal des Tages wenden und die russische Armee retten können — ein entscheidender Angriff ihres starken rechten Flügels gegen Mortier und Grouchy. Die Wegnahme von Heinrichsdorf würde den Bedrängten wirksame Hilfe gebracht und ihnen wenigstens einen freien Abzug nach dem rechten Ufer ermöglicht haben. Aber Fürst Gortschakow rührte sich nicht und gab selbst den Befehl zum Rückzüge erst verspätet, als schon um Friedlaud gekämpft wurde. So mußte die Niederlage des linken Flügels eine vollständige werden. Nur ein Teil desselben konnte über die brennenden Brücken abziehen, der andere suchte sich durch den Fluß zu retten. Um 8 Uhr abends war die Stadt in den Händen der Franzosen. Die Brücken standen in hellen Flammen. Als Fürst Gortschakow bei Friedland ankam, bahnte seine brave Infanterie sich zwar noch bis zu den Brückenstellen den Weg durch den Feind, fand die Übergänge aber schon bis zum Wasserspiegel niedergebrannt. Ein Teil suchte nun bei der Stadt durch Furten das andere Ufer zu 172 II. Der Krieg von 1L06 und 1807 gewinnen; die Masse aber schob sich an einer Furt nahe dem Gute Kloschenen zusammen und ward hier noch von dem französischen linken Flügel, der durch Lannes und die Füsiliere der Garde verstärkt worden war, hart bedrängt. Zahlreiche Mannschaften ertranken. Die hereinbrechende Dunkelheit allein machte es dem größeren Teile der russischen Artillerie und Kavallerie möglich, am linken Ufer flußabwärts zu entkommen und die Armee am anderen Morgen über Allenburg zu erreichen. Fast schlimmer noch, als die furchtbare Niederlage selbst, waren die Folgen. Drei Nachtmärsche hatte die Armee seit Heilsberg hinter sich. Unter dem Eindrucke der verlorenen Schlacht begann jetzt der vierte und mußte auflösend wirken. Da der Rückzug unaufhaltsam bis zur Memel bei Tilsit ging, ist die in der Schlacht selbst erlittene Einbuße schwer festzustellen. Sie mag im ganzen gewiß an 18—20 000 Mann betragen haben; der französische Verlust kann auf 8000 Mann beziffert werden. Die große entscheidende Schlacht, endend mit Vernichtung des Feindes, die Napoleon seit seinem Eintreffen an der Weichsel im Dezember des verflossenen Jahres herbeigesehnt hatte, war nun geschlagen. Triumphierend schrieb er seiner Gemahlin, daß Friedland ebenso berühmt werden würde als Marengo. Ein wesentliches Verdienst maß er Senarmont und seinen Batterien zu. Mit gewohnter Übertreibung sprach er davon, daß die ganze russische Armee in wilder Flucht sei, daß er 30 000 Gefangene und 80 Kanonen erbeutet habe, daß 2S russische Generale tot, verwundet oder gefangen wären. Eigentümlich hatte es das Schicksal gefügt, daß ihm der große Erfolg hier durch einen Zufall gewährt wurde, während er ihm am Narew, bei Johnkendorf, bei Eylau und Heilsberg, wo er sich ihm so nahe geglaubt hatte, versagt blieb. Sein Verdienst ist es, die unerwartete Gelegenheit mit Meisterschaft benutzt zu haben. » » 5 Das russische Heer wälzte sich die Nacht hindurch in wirrem Durcheinander Wehlau und dem Pregel entgegen. Tausende, von Hunger getrieben, verließen seine Reihen. Jegliche Fürsorge für die Truppe fehlte. Anfangs dachte General v. Bennigsen, die Pregellinie halten, dort L'Estocq die Hand reichen und die noch im Anmarsch befindlichen Verstärkungen abwarten zu können. Der Völlige Niederlage der Russen 173 abwechselnd 50—70 Meter breite und meist ziemlich tiefe Pregel gewährte der Verteidigung einen ansehnlichen Halt. Bald aber überzeugte sich Bennigsen davon, daß sein Heer zu einem neuen großen Kampfe vorerst nicht mehr fähig war. Ohne gedrängt zu sein, verließ er daher schon in der Nacht zum 16. die Flußlinie und setzte den Rückzug zunächst auf Mehlauken fort. Es war der fünfte Nachtmarsch, den er in ununterbrochener Reihenfolge ausführte. Diese Eile war ein Akt der Kopflosigkeit; denn auf alle Fälle hätte sich dem Feinde am Pregel einiger Aufenthalt bereiten lasfen. Überdies wurde das Korps L'Estocq in Königsberg durch den überstürzten Weitermarsch förmlich preisgegeben. ->- » L'Estocq stand am Tage von Friedland hinter dem Frisching südlich Königsberg, ohne von dem, was an der Alle vorging, Kenntnis zu haben. An eine Schlacht dachte er im Augenblicke sicherlich nicht; denn kein Anlaß war dazu gegeben. Am 15. Juni war er im Begriff, in eine näher an der Stadt gelegene Stellung zurückzugehen, als der Anmarsch zweier starker feindlicher Kolonnen von Kreuzburg ^- Soult — und von Pr.- Eylau — Murat und hinter ihm Davout — gemeldet wurde. Unnötig zögerte er mit dem Abziehen hinter die Wälle, und so kam es noch zu kleinen Unfällen und Verlusten, die sehr wohl hätten vermieden werden können. Rüchel, der nun den Befehl übernahm, ließ indes die Wälle besetzen und traf Anstalten, die Stadt und die Pregellinie zu verteidigen. Bis nach Taplacken hinauf standen einzelne Abteilungen, um einen Übergang des Feindes zu verhindern. Deutlich wurde im weiteren Verlaufe des 15. Juni fühlbar, daß der Feind sich vor der Stadt schwäche. Gerüchte vom Abmärsche französischer Truppen pregelaufwärts verbreiteten sich. Tatsächlich rückten auch Murat und Davout infolge der Befehle, die der Kaiser tags zuvor vom Schlachtfelde gegeben hatte, zur Alle ab. Nur Soult blieb vor Königsberg und wagte es nicht, die Befestigungen anzugreifen. In der Stadt schloß man aus den letzten Beobachtungen schon auf eine Niederlage Napoleons. Da kam um die Mittagszeit die Schreckenskunde von der verlorenen Friedländer Schlacht. Die Lage wurde dadurch eine höchst kritische. Es fragte sich, ob man Königsberg aufgeben, oder mit dem 174 II. Der Krieg von 1806 und 1807 L'Estocqschen Korps allein zu halten versuchen sollte. Königsberg war die letzte Stadt der Monarchie von Bedeutung. Ihr Verlust mußte großes Aufsehen erregen. Ihre Festhaltung schien auch wegen der noch auf der Frischen Nehrung befindlichen Truppen erforderlich. Andererseits ließ sich voraussehen, daß die Einschließung beim weiteren Rückzüge der Russen unvermeidlich sein würde. Damit verlor der König die letzte im freien Felde verfügbare Macht und jeglichen Einfluß auf den Gang der Operationen. Nach einigem Schwanken entschloß sich General v. Rüchel schweren Herzens zur Räumung, und dieser Entschluß war unzweifelhaft richtig. Er gab immerhin dem Könige die Möglichkeit, als selbständiger mit eigenen Kräften kriegführender Souverän bei den bald beginnenden Friedensverhandlungen aufzutreten. Zu einer hartnäckigen und lange dauernden Verteidigung, die dafür einen Ersatz hätte bieten können, waren die Werke von Königsberg zu schwach. Umsichtig wurden alle Anordnungen für den Abmarsch getroffen. Nachmittags um 4 Uhr rückte die Masse des Korps in der Richtung auf Labiau ab. Bei Caymen wurde nachts gerastet. Eine Nachhut blieb bis zum Einbruch der Dunkelheit stehen und zog dann gleichfalls unbehelligt davon. Am 16. ging das Korps hinter die Deime, die mit ihrer bedeutenden Wassertiefe und scharf im Moorgelände abfallenden morschen Rändern ein recht beträchtliches Hindernis bildet. Die Nachricht vom Übergange der Franzosen bei Tapiau veranlaßte aber die Fortsetzung des Marsches bis Laukischken. Ja, auf erneutes wiederholtes Drängen Bennigsens zu schnellem Herankommen wurde ein Nachtmarsch beschlossen, obwohl keine Berührung mit dem Feinde stattgefunden hatte. Das Aufgeben von Königsberg ließ in Offizieren und Truppe die letzte Hoffnung auf einen leidlichen Ausgang des Krieges schwinden. Die Aussichten für die Zukunft verdüsterten sich vollkommen. Mit dem Verlassen des preußischen Gebietes ging man völliger Ungewißheit entgegen. Gerüchte liefen um, daß es in diesem Falle beabsichtigt sei, die preußischen Truppen der russischen Armee einzuverleiben. Beunruhigung und Mißmut verbreiteten sich unter der Mannschaft. Es kam zu Exzessen, und die Desertion begann um sich zu greifen. Selbst die beiden vorzüglichen Regimenter Rüchel und Prinz Heinrich — früher Schoening —, die Abmarsch des L'Estocqschen Korps nach Tilsit 17S sich bei Eylau so hervorgetan, wurden davon ergriffen. Der Nachtmarsch vermehrte die Unordnung und Auflösung. Diese Hast war indes gar nicht geboten. Soult hatte bei Königsberg am 15. nichts mehr unternommen. Erst am 16. rückte er in die von den Verteidigern verlassene Hauptstadt ein, und seine Kavallerie solgte beobachtend den preußischen Vorpostenbrigaden, die die Nachhut bildeten. Reiche Vorräte, die das verbündete Heer hätte ausnutzen können, fielen in seine Gewalt, und er meldete eilig über den willkommenen Fund an den Kaiser. Auf dessen Befehl schloß er dann Pillau ein und hielt sich im übrigen für anderweite Verwendung bereit. Murat und Davout hatten auf ihrem Marsche pregelaufwärts noch am 15. die Nachricht vom Siege von Friedland erhalten. Davout ließ am folgenden Tage seine Kavallerie den Fluß durch- furten und überschritt ihn mit den anderen Truppen auf Kähnen. Murat eilte weiter nach Wehlau. Dort war es am 16. Juni abends geglückt, drei Kilometer oberhalb der Stadt, eine Brücke zu schlagen und das Korps Victor hatte mit dem Übergange begonnen, dem Lannes und Mortier folgten. In Wehlau befand sich auch der Kaiser. Dieser hatte, wie es so oft nach einem glänzenden Siege geschieht, die Fühlung mit der geschlagenen russischen Armee verloren. Er nahm an, daß deren Rückzug pregelaufwärts gerade- wegs gegen die russische Grenze gehen werde. Gerüchte darüber waren zu ihm gedrungen, und nach der geographischen Gestaltung des Landes hielt er sie für wahrscheinlich. So gab er Murat den Befehl, mit dem größten Teil seiner Reiterei am rechten Flußufer die Richtung auf Jnsterburg einzuschlagen. Dorthin war auch Ney von Friedland aus vorgegangen. An einen Memelübergang der Verbündeten bei Tilsit dachte er zunächst nicht. Erst am 17. Juni um 11 Uhr vormittags wandte sein Blick sich dorthin. Gefahr drohte also den Verbündeten bis dahin gar nicht. Die auflösenden Nachtmärsche hätten unterbleiben können. Sie kosteten das Heer mehr Menschen, als ein Kampf. Mit Nachtmärschen hat es seine eigene Bewandtnis; sie wirken verschieden, und ihr Einfluß muß ganz nach den Beweggründen, aus denen sie hervorgehen, beurteilt werden. Osman Pascha zog im Juli 1877 in Nachtmärschen von Widdin bis Plewna. Allein auch der letzte Soldat seines Korps begriff, daß dies eine Wohltat für ihn sei im Vergleich zu einem Marsche in glühender Sonne über das 176 II. Der Krieg von 1806 und 1807 schattenlose nordbulgarische Hügelland. Darum ging die Bewegung in Ordnung und ohne den geringsten Nachteil vonstatten. Wo aber der Nachtmarsch das Ergebnis von Kopflosigkeit und Furcht der Führung ist, wie auf Hohenlohes Rückzug nach Prenzlau oder hier bei Bennigsen, da fühlt die Truppe es heraus, und Mangel an Vertrauen, Unzufriedenheit und Mutlosigkeit greifen wie eine Seuche um sich. Sie entnerven die Mannschaft, und der schmähliche Gedanke, das sinkende Schiff zu verlassen, um sich selbst zu retten, schleicht sich in das Herz der Soldaten ein. „Das preußische Armeekorps hätte die blutigste Schlacht liefern können und würde nicht so viel Menschen verloren haben, als es durch die forcierten Märsche auf dem Rückzug von Königsberg nach Tilsit verlor. Seine Bataillone schmolzen hier zum Teil bis zur Hälfte. Ebendies war der Fall mit der russischen Haupt-' armee" — schrieb Scharnhorst damals nieder, und seine Worte sind eine beherzigenswerte Mahnung. Als L'Estocq am 17. um 7 Uhr früh bei Mehlaukeu eintraf, fand er das russische Heer schon in der Fortsetzung des Rückzuges begriffen. Um 8 Uhr langte die Kavallerie, gegen Mittag die Infanterie an. Tausende waren vor Hunger und Müdigkeit liegen geblieben. Nachmittags um 4 Uhr folgte die Nachhut, und nun ging es weiter. Die Verfolgung, die sich anfangs über Labiau fühlbar gemacht hatte, hörte ganz auf, nachdem das zusammengeschmolzene preußische Füsilierbataillon v. Wakenitz die nachsetzenden französischen Reiter kräftig abgewiesen hatte. In der Nacht zum 18. Juni vereinigte sich die verbündete Armee noch einmal; aber sie hatte nicht mehr die Kraft, Ernsthaftes gegen den Feind zu unternehmen; soweit war sie durch den überstürzten Rückzug, durch Mangel und Übermüdung gekommen. Am 18. und 19. gingen ihre Trümmer bei Tilsit hinter den Memelstrom. Dort nahmen die Russen oberhalb, die Preußen unterhalb Quartier, als kein französischer Angriff mehr drohte. Auch die fast vergessene und im Stiche gelassene Abteilung, welche die Frische Nehrung gehalten hatte, fand sich bei der Armee ein. Ihre Infanterie erreichte am 17. Juni zu Schiff Memel und wurde zum Schutze des Königlichen Hauptquartiers auf der Kurischen Nehrung bis Schwarzort vorgeschoben. Die Kavallerie schlug sich von Pillau aus durch und schloß sich ihr am 18. wieder an. Übereilter Rückzug der Verbündeten 177 Die französische Armee breitete sich von Olita am Niemen über Mariampol, dann längs des Pregel bis nach Königsberg hin aus. 9. Die Ereignisse auf den seitlichen Ariegstheatern Am Vmulef und Narew Die Friedensverhandlungen nahmen ihren Anfang. Ehe diese aber geschildert werden, ist ein Überblick über den Stand der Dinge in den seitwärts des großen Kriegstheaters gelegenen Teilen der preußischen Monarchie zu geben. Am Omulef und Narew stand Marschall Masfena, der den kranken Lannes ersetzt hatte, mit 30000 Mann, dem ehemals Essenschen Korps gegenüber, das, jetzt unter Graf Tolstoys Befehl, etwa 18 000 Streitbare zählen mochte. Trotz seiner Überlegenheit und trotzdem Warschau eine eigene Besatzung hatte, beschränkte sich der französische Marschall auf die Überwachung des schwächeren Gegners, um die rückwärtigen Verbindungen der großen Armee zu schützen. Er glaubte sogar die Division Gazan, die er Mitte Juni dem Kaiser nachsenden sollte, zurückhalten zu müssen. So stark sind die Fesseln, welche eine rein defensive Aufgabe der Tatenlust selbst eines tüchtigen Feldherrn auferlegt. Tolstoy hatte hingegen den Befehl zum Angriff erhalten, als die Hauptarmee anfangs Juni vorging. Er war sich indessen seiner Schwäche bewußt und machte nur einige drohende Bewegungen an der Omulefmündung, bis die Unglückspost von Friedland ihn zum Rückzug auf Bialystock bewog, wo er bedeutende Verstärkungen erhielt. Graudenz und Aolberg An der Weichsel hielt sich das mit geringer Unterbrechung seit dem 22. Januar eingeschlossene Graudenz unter dem 73jährigen General L'Homme de Courbiere, der alle Aufforderungen zur Übergabe standhaft zurückwies. Die ihm zugeschriebene stolze Antwort: „Wenn es keinen König von Preußen mehr gibt, so bin ich König von Graudenz" bezieht sich auf ein übermütiges Schreiben Savarys. Die Besatzung war anfangs 5700 Mann stark. Nach dem Falle von Danzig begann eine wirkungslose Belagerung, für Frhr. v, d, Goltz, Kriegsgeschichte 12 178 II. Der Krieg von 1806 und 1807 deren Durchführung Napoleon die vor der Festung stehenden Hessen-Darmstädter durch andere Rheinbundskontingente und polnische Bataillone verstärkte, ohne zum Ziele zu gelangen. Noch waren keine wesentlichen Fortschritte gemacht, als am 30. Juni der Waffenstillstand die Feindseligkeiten beendete. Widerrechtlich setzten die Eroberer die Einschließung freilich noch bis zum Dezember fort. Als ein leuchtendes Beispiel von Festigkeit steht Courbieres Verhalten in unserer Kriegsgeschichte da; denn er hatte in der Unzu- verlässigkeit eines Teiles der Garnison, in Mangel und zumal in Krankheit arge Feinde im Innern der Festung zugleich mit den Feinden draußen zu bestehen. Über 700 Mann starben an Krankheiten, 800 desertierten. Ernster ging es vor Kolberg her, das auf der französischen Marschstrecke von Stettin über Stolpe nach Danzig lag, und von woher das Schillsche Streifkorps den Feind stark beunruhigte. Der französische General Teulie wurde daher mit der Einschließung beauftragt, erschien mit Truppen, die zu dem neugebildeten zehnten Armeekorps gehörten, vor der Festung und drängte die Besatzung bis zum 1. März auf deren nächste Umgebung zurück. Die Streifereien der preußischen Kavallerie aber dauerten fort; von Danzig her wirkte Graf Krockows tüchtiges Freikorps mit Schill zusammen. Erst um die Mitte April leitete General Loison die Belagerung energischer ein, und der Kaiser befahl die Aufstellung eines Belagerungsparks. Doch wurde gleichzeitig von preußischer Seite die Garnison vermehrt und durch die Ernennung des Majors v. Gneisenau an Stelle des überalterten Oberst v. Loucadou moralisch gestärkt. Gneisenau ist der nachmals so berühmte Generalstabschef Blüchers und die Verteidigung Kolbergs für die vaterländische Geschichte denkwürdig, weil sie diesem Manne Gelegenheit gab, seine ungewöhnlichen militärischen Eigenschaften zum ersten Male in wichtiger Sache zur Geltung zu bringen. Sofort begann er, bei der Verteidigung durch die Bürgerschaft unter Nettelbecks Führung brav unterstützt, mit Werken dem Feinde entgegenzugehen. Namentlich ging er daran, das zwischen der Festung und der nahen Küste liegende Gelände, das durch sumpfige Niederungen teilweise geschützt war, kräftig zu behaupten. Dort kam es auf beiden Seiten der Kolberg durchfließenden Persante zu heftigen Kämpfen. Östlich bildete die neu aufgeworfene Wolfs- L'Homme de Courbtere. Gneisenau und Nettelbeck 179 bergschanze, die genommen und wiedergenommen wurde, westlich ein Wäldchen, die „Maikuhle", treffliche Stützpunkte. Am 30. Juni trafen bei dem anfangs aus 9000 Mann gebildeten Belagerungskorps 7000 Mann Verstärkungen ein, und in der Nacht darauf erfolgte nach heftigem Bombardement ein allgemeiner Sturm gegen die Außenposten der Festung. Die Maikuhle geriet in französische Hand, und der Verkehr mit der von den Engländern und Schweden beherrschten See beschränkte sich auf kleine Boote. An allen anderen Punkten wurde der Angriff abgewiesen, und Kolberg hätte sich noch lange halten können, als am 2. Juli nachmittags 3 Uhr in den französischen Linien das Feuer schwieg und die Waffenstillstandsflagge emporgezogen wurde. Schlesien Die einzelnen im Rücken der großen Armee gelegenen Plätze hätten bei aller Tapferkeit ihrer Besatzungen einen Einfluß auf den Gang des Krieges im großen nicht üben können. Anders war es mit der reichsten preußischen Provinz jener Zeit, mit Schlesien, bestellt. Der breite Strom der französischen Hochflut war nördlich daran vorübergebraust; Schlesien blieb zunächst unberührt in der rechten Flanke der französischen Heere liegen. Die höchste Bedeutung konnte es gewinnen, wenn Österreich sich entschloß, dem Bündnisse Preußens und Rußlands beizutreten. In Schlesien standen etwa 17 000 Mann preußischer Truppen, und bei einiger Anstrengung hätten in dem bevölkerten und patriotisch gesinnten Lande erhebliche Verstärkungen aufgebracht werden können. Zahlreiche Versprengte und Gefangene, die sich befreit hatten, suchten dort, als auf dem nächsten preußischen Boden, den die Franzosen noch nicht betreten hatten, Schutz. Es hätte gelingen müssen, ein ansehnliches Heer von 40—50 000 Mann aufzubringen, aber so Außerordentliches lag nicht im Stile der Zeit. Der General v. Lindener, der anfänglich in der Provinz kommandierte, brachte auch bei dem Minister für Schlesien, Grafen Hoym, die Aufstellung der rechtlich, aber noch nicht tatsächlich bestehenden Landreservebataillone in Anregung, erfuhr jedoch eine Abweisung. Beim Eintreffen der Unglücksnachrichten aus Thüringen ordnete er selbständig die Instandsetzung der Festungen an. Für den Geist der Zeit ist es höchst bezeichnend, daß auch dieser brave Mann am Ende seinen Festungskommandanten befahl: „Wir sollen uns halten, d. h. nur 12» 180 II. Der Krieg von 1806 und 1307 dann die Festung übergeben, wenn wir sehen, daß man sich nicht länger, ohne unweise zu sein, halten kann." Die Verwaltung tat alles, um jede energische Maßregel zu verhindern. Es klingt unglaublich, ist aber wahr, daß nicht nur freigewordene Kriegsgefangene und versprengte Soldaten, die sich zum Dienste meldeten, abgewiesen, sondern auch 8500 schon versammelte Rekruten wieder entlassen wurden. Napoleon entsandte seinen Bruder Jerüme mit dem bayerischen und württembergischen Kontingent gegen Schlesien, und dieser legte sich zuvörderst vor Glogau als den die französischen rückwärtigen Verbindungen am nächsten bedrohenden Platz. Nach kurzer Beschießung öffnete General v. Reinhart am 3. Dezember die Tore, um die Stadt vor dem Ruin zu schützen. Am 7. Dezember kam Breslau an die Reihe, das aber zeitweise nur von ganz schwachen Kräften eingeschlossen war. Der mittlerweile in Schlesien eingetroffene Generalgouverneur Fürst Pleß unternahm zwar zu Ende des Monats einen schwächlichen Entsatzversuch, richtete aber nichts mehr zur Rettung der Provin- zialhauptstadt aus, die am 5. Januar kapitulierte. Wohl wäre Breslau mit seinen nicht unbedeutenden Vorräten an Geschützen und Gewehren, sowie seiner Garnison von 6000 Mann zu retten gewesen; denn die Besatzung der anderen Festungen zählte um die Mitte Dezember schon an 22000 Mann. Ein ganz tüchtiges Korps von IS—16 000 Mann hätte sich herausziehen lassen, um Bayern und Württemberger zu vertreiben. Ein braver und energischer Mann, Rittmeister v. Lüttwitz, hatte diesen Vorschlag gemacht, aber keinen Anklang gefunden. Nun wurde am 8. Januar Brieg, am 16. Schweidnitz eingeschlossen, und Fürst Pleß, der alles Heil vom Eingreifen Österreichs, nicht von der eigenen Kraft und Tüchtigkeit erwartete, legte sich aufs Verhandeln. Prinz Jerüme war bereit, auf ein Abkommen einzugehen, allein der kaiserliche Bruder untersagte es ihm in herben Worten. Brieg kapitulierte am 16. nach kurzem Bombardement in schmählicher Übereilung, und der dadurch entmutigte Fürst Pleß zog sich mit den wenigen Truppen, die er im freien Felde hatte, nunmehr in die Grafschaft Glatz zurück. Ähnlich wie mit Brieg erging es mit dem weit stärkeren Schweidnitz, dessen beide Kommandanten den Platz am 16. Februar ohne Not an den Feind übergaben. Nur Kosel hielt sich unter Verlust von Breslau. Gefecht von Kanth 181 dein alten ehrenfesten Oberst v. Neumann, und als dieser während der Belagerung starb, unter dem 71jährigen Oberst v. Puttkammer wacker, obgleich auch hier ein Teil der Besatzung recht unzuverlässig war. Die Ereignisse von Eylau kamen dem bedrängten Platze und dem ebenfalls belagerten Neisse insofern zu Hilfe, als Napoleon einen Teil seiner Truppen aus Schlesien zur großen Armee berief. Die Belagerung verwandelte sich in lockere Einschließung. Erst im April wurde diese vor Kosel wieder enger gezogen und Neisse bombardiert. Inzwischen hatte sich Fürst Pleß in unbegreiflicher Schwäche nach Österreich in Sicherheit gebracht, und der König den Grafen Götzen zum Generalgouverneur ernannt. Dieser fand, aus Wien heimkehrend, wohin er eine Sendung gehabt, die Verhältnisse recht traurig vor. Bei einem Versuche, von der Grafschaft Glatz aus Schweidnitz zu entsetzen, war der größere Teil der Feldtruppen gesprengt worden. Zur Neubildung fehlte es an Waffen. Dennoch hob er sofort Rekruten aus und begann mit den Resten seiner Macht einen erfolgreichen Kleinkrieg, griff auch eine größere unter dem General Lefebvre bei Frankenstein gegen Glatz aufgestellte Abteilung an. Hier blieb der Erfolg freilich aus. Aber der Feind wurde dauernd beunruhigt und zuletzt, als aus Österreich auch Gewehre eingetroffen waren, ein kühner Zug gegen das nur schwach besetzte Breslau geplant, der in der Nacht zum 11. Mai begann. Leider fehlte dem Führer, Major v. Losthin, nach glücklichem Gefechte am 14. morgens bei Kanth gegen den von Frankenstein herbeigeeilten General Lefebvre, der Entschluß, auf Breslau weiter zu marschieren. In dem Glauben, daß der Feind sich dort verstärkt habe, kehrte er um, ward auf dem Rückweg überfallen, gefangen und sein Streifkorps geschlagen. Bei Neisse und Kosel wurde mittlerweile verhandelt und, ehe Graf Götzen es hindern konnte, die Übergabe dieser allerdings sehr bedrängten und in ihren Verteidigungsmitteln fast erschöpften Plätze für den 16. Juni und 16. Juli vereinbart. Nun hatte der Feind Freiheit, sich gegen Glatz, den Herd von Graf Goetzens kriegerischen Unternehmungen, zu wenden. Das die Stadt schützende, in Eile verschanzte Lager wurde am 24. Juni von den Franzosen erstürmt. Jetzt bequemte auch der Graf sich zu einem Abkommen mit Jeröme, das den bestehenden Zustand bei Waffenruhe bis zum Friedensschlüsse fortdauern ließ. Auf diese Art blieb der Rest von 182 II. Der Krieg von 1806 und 1807 Schlesien mit Silberberg und Glatz in preußischer Hand, was für den Fall eines schließlichen Beitritts von Österreich zur Koalition von Wichtigkeit gewesen wäre. Auch in Schlesien hatte es an Akten der Schwäche und der Unentschlossenheit nicht gefehlt. Wenn aber alle Provinzen des Staates nur einen gleichen Widerstand geleistet und einen Götzen gefunden hätten, so würden die Dinge bei den Hauptarmeen wohl anders verlaufen sein, als es geschehen war. Rügen Ein Blick gebührt noch Blüchers Heerfahrt nach Schwedisch- Pommern. Der seit dem Zuge von Lübeck in hohem Ansehen stehende General hätte an die Spitze des preußischen Korps bei der russischen Armee gehört. Wir wissen aber schon, daß der König sich nicht entschließen konnte, ihn an diesen Platz zu stellen. So erhielt denn Blücher das Kommando des dem König von Schweden gestellten Hilfskorps, wie dieser Monarch es gewünscht hatte, und ging am 25. Mai mit 5000 Mann von Pillau aus unter Segel, froher Hoffnungen voll. Am 30. landete er bei Stralsund, und ein feuriger Aufruf lud alle gut gesinnten Männer ein, sich um seine Fahnen zu scharen. Die Insel Rügen verwandelte sich in einen großen Waffenplatz. Mitte Juni wurden die preußischen Truppen auf das Festland übergesetzt, wo sie den linken Flügel einer verbündeten englisch-schwedisch-preußischen Armee von 29 000 Mann bilden sollten. Aber es mußte noch auf die Engländer gewartet werden, die erst am 5. Juli auf Rügen zu landen begannen. So gewann Napoleon Zeit, den Verbündeten gegenüber ein stärkeres Korps von 40000 Mann unter Marschall Brune zu sammeln. Inzwischen waren die Würfel schon gefallen. Noch ehe ein Schuß an der Peene getan worden war, traf die Nachricht vom Waffenstillstände ein. Blücher ging mit seinen Truppen nach HinterPommern. Das ganze Unternehmen, viel zu weit ausholend und mehr Zeit beanspruchend, als im besten Falle noch verfügbar sein konnte, gleicht einem verrosteten stumpfen Rüstzeug aus dem Arsenal der ehemaligen Kabinettskriege, wo man mit beschränkten Mitteln und gebundener Marschroute um kleinlicher Streitfragen willen focht. Es bedürfte noch geraumer Zeit, ehe die Geister sich aus dem Banne der Vergangenheit völlig befreiten. Verspätete Einleitung des Zuges nach Vorpommern 183 Der Frieden zu Tilsit Allgemeine Friedenssehnsucht hatte sich der russischen Armee nach den neuen großen Anstrengungen des Junifeldzuges und der schweren, so unerwartet hereingebrochenen Niederlage von Friedland bemächtigt. Sie herrschte zumal im Kreise der Generale, denen die Fortführung eines blutigen Krieges um der Erhaltung Preußens willen als unnützes Opfer erschien. Die Stimmung scheint bis zu einem gewissen Grade für den Kaiser und seinen Thron bedrohlich geworden zu sein. Das Schicksal seines starrköpfigen Vaters, Pauls I., mag ihm vor Augen geschwebt haben. Sein lebhaftes Temperament ließ ihn das Vertrauen auf die Zuverlässigkeit seines Heeres ebenso schnell verlieren, als es zuvor vielleicht über dos rechte Maß hinausgegangen war. Unter diesen Eindrücken erfolgte ein völliger Systemwechsel, den Alexanders Bruder, Großfürst Konstantin, zu fördern wußte. Der Kaiser ließ sich sogar zum Waffenstillstände mit Frankreich ohne Einschluß Preußens bereit finden, obwohl dies den Bartensteiner und früheren Abmachungen zuwiderlief und in einem unschönen Kontrast zu den Versicherungen der Freundschaft stand, die er dem unglücklichen Könige und seiner Gemahlin in so reichem Maße gespendet hatte. Preußen wurde dadurch dem übermütigen Sieger nahezu wehrlos preisgegeben. Möge dieser Vorgang Deutschland und seinen Herrschern zur ewigen Warnung dienen, jederzeit mehr auf die eigene Kraft als auf den Beistand von Verbündeten zu bauen. Als der Umschwung einmal überwunden war, ergriff den Kaiser Alexander, dessen Seele sich jeder neuen Lage mit Lebhaftigkeit zuwendete, eine förmliche Sehnsucht nach persönlichen Verhandlungen mit Napoleon, dem er jedoch weder in der Schlauheit noch in der Überlegung und Selbstbeherrschung gewachsen war. Napoleon teilte den Wunsch Alexanders; denn ein Feldzug nach Rußland hinein war für ihn im Augenblick unmöglich, sein Heer dafür nicht vorbereitet, vor allen Dingen auch nicht zahlreich genug. Das Verlangen nach Frieden wurde auch in Frankreich sowie in der großen Armee aufs äußerste rege. Ihm Rechnung zu tragen erschien dem gewaltigen Eroberer als ein Gebot der Notwendigkeit. Dennoch hielt er, trotz äußerlichen Entgegenkommens, an seinen Zielen unerschütterlich fest. Am 25. Juni fand auf einem Flosse in der Memel die erste 184 II, Der Krieg von 1806 und 1807 Zusammenkunft der beiden Kaiser statt. Mittlerweile „stand der Großneffe Friedrichs bei schlechtestem Wetter inmitten russischer Offiziere in seinen russischen Mantel gehüllt, zwei Stunden am Ufer des Flusses und wartete auf die Rückkehr Alexanders, der ihm über seine Eindrücke Bericht erstatten sollte." Das war die Folge des unseligen Traumes, inmitten einer Welt, die in Waffen starrte, in Ruhe und Frieden hinleben zu können. Nie wieder soll vergessen werden, daß nur der Starke im politischen Treiben der Welt auf Gerechtigkeit und Achtung zu zählen vermag. Wo blieben in diesem Augenblicke die Freunde Preußens? Der Abgesandte Österreichs, der kurz nach der Schlacht von Friedland bei den Verbündeten eingetroffen war, hatte nur den Auftrag, zu verhüten, daß die kriegführenden Parteien sich ohne Österreich zu dessen Un- gunsten verständigten. Die Unzulänglichkeit der englischen Unter- stützuug ist schon beleuchtet worden. Die russischen Verstärkungen, die auf 40 000 Mann angegeben wurden, hätten das Gleichgewicht an der Memel nicht hergestellt und standen überdies noch viel zu fern, um ins Gewicht zu fallen. Preußens Lage war tatsächlich trostlos. Nur Scharnhorst dachte an einen Verzweiflungskampf. Nach längeren Verhandlungen, welche fast die gesamte politische Lage Europas umspannten, kam am 7. Juli ein Offensiv- und Defensivbündnis zwischen Rußland und Frankreich zustande. Rußland trat der Kontinentalsperre gegen England bei und schlug sich gegen ungenügenden Entgelt damit selbst die empfindlichsten Wunden. Auch Preußens Schicksal war zwischen den beiden Kaisern im wesentlichen schon entschieden worden; nur Schlesien hatte Alexanders Dazwischenkunft für die Krone seines bisherigen Freundes gerettet. Am 9. Juli folgte der Frieden mit Preußen, dem die einzige Freiheit blieb, zu unterzeichnen, was Napoleon ihm vorschrieb. Es verlor die Hälfte seines Besitzes, nämlich die Gebiete links der Elbe und die polnischen Provinzen bis auf Westpreußen. Dieses blieb sogar nur verstümmelt, d. h. ohne Thorn und Danzig, bei dem verkleinerten Staate. Von 5570 Quadratmeilen waren 2693 abgetreten und von 9 743 000 Einwohnern 4305 000 preisgegeben worden. Der Staat war kaum noch, was er zu Friedrichs Zeit uach der Erwerbung Schlesiens gewesen. Aus den abgetretenen Gebieten westlich der Elbe, Kurhessen und Braunschweig wurde das Königreich Westfalen unter Jerüme geschaffen. Holland erhielt Ostfriesland, Jever, die meisten westfälischen Lande Murat, der Groß- Zusammenkunft der beiden Kaiser. Friedensschluß 185 Herzog von Berg. Danzig wurde dem Namen nach freie Stadt, tatsächlich ein französischer Waffenplatz. Die übrigen bisher polnischen Besitzungen Preußens bildete das Herzogtum Warschau unter dem neu erhobenen Könige von Sachsen, und auch Rußland verschmähte es nicht, ein Stück der Beute als Geschenk anzunehmen, nämlich den Kreis Bialystok. Die preußischen Häfen wurden ebenso wie die russischen dem englischen Verkehr geschlossen. Der preußische Außenhandel, der sich zu den Zeiten der Neutralitätspolitik zum allgemeinen Behagen so schön entwickelt hatte, mußte nun dem Kampfe geopfert werden, den Frankreich gegen England führte. Preußen und Rußland verpflichteten sich sogar, England den Krieg zu erklären, falls es die gestellten Friedensbedingungen nicht bis zum 1. Dezember 1807 annähme. Hierzu kamen die härtesten Bedingungen für die Räumung des Landes. Napoleon hatte es verweigert, mit Hardenberg, der des Königs Vertrauen in der letzten Zeit vollkommen gewonnen, zu verhandeln. Er fühle sich persönlich beleidigt durch diesen Mann. Hardenberg begab sich sogar der Vorsicht halber nach Riga. An seine Stelle trat Feldmarschall Graf Kalckreuth, der sich anheischig gemacht hatte, mit Napoleon „von General zu General" zu verhandeln. Mit sträflicher Leichtfertigkeit unterzeichnete er am 12. Juli einen äußerst ungünstigen Vertrag. Preußen sollte danach freilich am 1. November geräumt werden, aber nur, wenn bis dahin alle Kriegskosten an Frankreich bezahlt seien, und dies war unmöglich; denn ihre Höhe wurde nach längeren Verhandlungen auf 112 Millionen Franken festgesetzt. Soviel Geld war im Lande überhaupt nicht vorhanden und eine auswärtige Anleihe zurzeit nicht zustande zu bringen. Die Franzosen gingen daher zunächst nur hinter die Passarge zurück, blieben aber im übrigen stehen und ließen sich auch fernerhin von dem schon völlig erschöpften Staate unterhalten. Der auf diesem lastende Druck wurde dadurch nicht nur unerträglich, sondern auch jeder Versuch der Wiederbelebung und Wiedererhebung zunächst unmöglich. Zu Ende des Jahres sandte der verzweifelte König daher seinen Bruder, den Prinzen Wilhelm, mit weitgehenden Vollmachten nach Paris. Er sollte durch Anerbietungen, unter denen sogar der Eintritt in den Rheinbund nicht fehlte, um jeden Preis die Räumung erzielen. Schon bei der ersten Audienz am 8. Januar 1808 wurde der Prinz aber über die Aussichtslosigkeit seiner Sendung aufgeklärt. 186 II. Der Krieg von 1806 und 1807 Napoleon wies alles zurück, sogar ein Offensiv- und Defensivbündnis und die Verpflichtung von Truppengestellungen für alle Kriege Frankreichs. Es bedürfte neuer Einwirkung des Kaisers Alexander, um endlich am 8. September ein Abkommen zustande zu bringen, nach dem die französischen Truppen innerhalb 30 Tagen das preußische Gebiet zu verlassen hätten. Die Festungen Glogau, Stettin und Küstrin aber blieben als Unterpfand in französischer Hand. 140 Millionen Kriegskosten waren endgültig zu zahlen. Ein geheimer Zusatzartikel stellte außerdem fest, daß Preußen in den nächsten zehn Jahren nicht mehr als 42000 Mann unter den Waffen halten dürfe. Auch diese harten Bedingungen hatte der Sieger nur bewilligt, weil seine Lage mittlerweile sich durch die Erhebung Spaniens und durch Österreichs drohende Haltung schwieriger zu gestalten begann. Anderthalb Jahre nach dem Friedensschlüsse wurde Preußen wirklich geräumt und sich selbst wiedergegeben. I!!. Die Wiedererhebung 5. Die ersten Reformen. Stein und Scharnhorst Preußen war nach dem Tilsiter Frieden völlig zusammengebrochen, erschöpft, verwüstet, aller Mittel beraubt, zunächst noch in Feindeshand. Die Aussichten auf eine Wiedererhebung schienen vernichtet. Es gab anfangs sicherlich nur wenig Männer im Lande, die auf eine solche zu hoffen wagten. Die Menge hatte nur Elend und Abhängigkeit vor Augen. Hardenberg, auf den sich in der letzten Zeit alle Hoffnungen gerichtet hatten, lebte, von Napoleons Zorn vertrieben, in der Verbannung. Er wies auf den Neichs- freiherrn vom Stein als seinen Nachfolger hin, und Napoleon hatte gesprächsweise das gleiche getan. Der König, der Stein schon einmal als einen trotzigen und widerspenstigen Staatsdiener im Unmut entlassen hatte, entschloß sich schwer zu seiner Berufung. Allein er tat es, und Stein kam, der ihm angetanen Unbill nicht achtend. Am 1. Oktober 1807 stand er wieder vor dem Könige in Memel. Die erste und wichtigste aller Ursachen der Niederlage war das Fehlen einer großen einheitlichen Anstrengung bei Hoch und Niedrig zur Behauptung der Selbständigkeit und des alten Ruhmes gewesen, — die Gleichgültigkeit der großen Masse der Mannschaft im Heere und die Teilnahmlosigkeit der Gesamtheit gegenüber dem Staate. Sie hatten bis dahin in einem streng gegliederten, ständisch geordneten Gemeinwesen gelebt, in dem die Bevormundung von oben her alles tat und unten eine sorgfältig abgegrenzte Arbeitsteilung bestand. So hatten Friedrich Wilhelm I. und der große König Preußen regiert und zur höchsten Leistung gebracht. Allein dieses System mechanischer Strenge und Ordnung war nur so lange gut, als ein mächtiger Wille für alle handelte und der Staat nicht zu groß wurde, als daß ein einziger Mann alles noch selbst zu regeln vermochte. Seit dieser Wille fehlte, fehlte auch die Verbindung in der Arbeit und die Einheitlichkeit in der Verwaltung. Kleinliche Pedanterie und souveräne Eitelkeit herrschten in den einzelnen Zweigen, ja selbst in den einzelnen Staatsgebieten. Ganz entgegengesetzte Grundsätze wurden in derselben Sache an verschiedenen Orten befolgt. Allgemeine Maß- 188 III. Die Wiedererhebung regeln durchzuführen, war schier unmöglich gewesen. Zur eigenen Tätigkeit und selbständigen Verantwortung war das Volk niemals angeleitet, ja davon zurückgehalten worden. Stein hatte vor dem Kriege in seinem hohen westfälischen Beamtenposten die Selbstverwaltung kennen und würdigen gelernt. Er sah mit Recht die Rettung des Staates in der Erweckung selbständigen Geistes und nationaler Gesinnung. Es kam ihm dabei zustatten, daß er ein Reichsdeutscher war, weder abhängig von der Tradition Preußens noch Österreichs, so daß er die neuen Zustände, die da kommen sollten, mit freierem Blicke übersah. Dies erleichterte ihm die Arbeit an seinen großen Entwürfen. Nach kurzen Zweifeln übertrug der König ihm die Leitung der gesamten inneren Verwaltung, den Vorsitz im Departement des Auswärtigen und ebenso Sitz und Stimme bei der Wiedererrichtung des Heeres. Er wurde in der Tat, wenn auch nicht dem Namen nach, Premierminister. Nur etwa 14 Monate ist der merkwürdige Mann in seiner Stellung verblieben. Er hat nicht viel mehr vermocht, als den Samen für die künftige Blüte des neu belebten preußischen Staates zu streuen, und doch gehört diese kurze Zeitspanne zu dessen größten Epochen. Mancherlei nützliche Vorarbeit fand er freilich schon getan. So hatte der Minister für Ost-, West- und Neu-Ostpreußen, Freiherr v. Schrötter, die Entwürfe für die Aufhebung der Erbuntertänigkeit und der Beschränkung im Grunderwerb, für die Abschaffung der Zünfte, des Fabrikzwanges und der Einfuhrverbote bereits vollendet. Auch an der Städteordnung und der Neugestaltung der ländlichen Verwaltung hatte er gearbeitet. Er blieb Steins wirksamster Mitarbeiter, bis er bei der Auflösung der alten Provinzialdepartements aus dem Staatsdienste schied. Die Jmmediatkommissionen, die vor dem Kriege bestanden, wurden jetzt mit besserem Erfolge wieder zusammenberufen. In der für die Zivilverwaltung tätigen wirkte Theodor v. Schön, der Doktrinär des Neuen, mit. Hardenberg nahm von Riga aus durch seine Ratschläge teil. Vor allem mußte für die materielle Hebung des mit einem Schlage verarmten und daniederliegenden Landes gesorgt werden. Die Hauptquelle für die Staatskraft lag noch im Ackerbau. Ihn von beengenden Schranken nach Möglichkeit zu befreien und ihm die Bahnen zu höherer Entwickelung zu eröffnen, war zunächst das wichtigste. Ein königliches Edikt vom 9. Oktober verkündete daher die Aufhebung der Erbuntertänigkeit zu Martini Neuordnung der Verwaltung 189 1810. Auf den königlichen Domänen war die Bauernbefreiung fchon vor dem Kriege begonnen worden, und eine nicht geringe Zahl adliger Großgrundbesitzer folgte damals freiwillig diesem Beispiel. Die künftige Staatsverwaltung sollte durch vier Ministerien geleitet werden, die Kabinettsregierung aber aufhören. Den wichtigsten Einfluß wollte Stein in den Händen des Ministers des Innern und der Finanzen vereinigt wissen, der zugleich die allgemeine Leitung der Geschäfte übernehmen sollte. Dazu kam das Kriegsministerium, das Ministerium des Auswärtigen und das Justizministerium. So sollte auf der einen Seite dem Könige gegenüber mehr Freiheit, auf der anderen mehr Verantwortlichkeit hergestellt und dabei in den großen Gruppen der Verwaltung mehr Einheitlichkeit geschaffen werden. Ein Staatsrat hatte für diese im ganzen Gebiet der Monarchie zu sorgen. Er ward zunächst durch die sogenannte Generalkonferenz der Minister vertreten, in der Stein den Vorsitz übernahm. Als Provinzialbehörden traten die Oberpräsidien und Regierungen an Stelle der alten Kammern. Ihr Amt war es, die möglichst einfache und lebendige Verbindung zwischen den Ministerien und den unteren Behörden herzustellen. Diese wieder sollten in enger Verbindung mit dem Volke stehen, dessen wirklichen Bedürfnissen Genüge leisten und jedes Losreißen der Verwaltung vom Volksleben verhüten. In den Gemeinden sollte die Selbstverwaltung voranstehen, in den Regierungen Vertreter des Bürgertums sitzen. Der ^wichtigste Schritt nach dieser Richtung war die neuentworfene Städteordnung. In der Person des Königsberger Polizeidirektors Frey fand Stein hierbei einen trefflichen Berater. Dieser Mann war längst ein erklärter Gegner des bisherigen Zustandes gewesen, bei dem „die Verwaltung mit Ausschluß aller bürgerlichen Mitwirkung fremden Invaliden, juristischen Routiniers und Schreibern übergeben worden". Jetzt kam der Starke, der seinen Gedanken praktisches Leben verlieh. Auch an eine Volksvertretung, au Umgestaltung der Jugenderziehung und des Unterrichtswesens dachte Stein. Seine Pläne wurden vom Könige am 24. November 1808 genehmigt, die Ausführung aber bis zur Rückkehr nach Berlin verschoben. Er selbst sollte diese nicht mehr zu leiten haben, denn mittlerweile erfolgte sein Sturz. Eine Verstimmung, die zwischen Stein und dem Königspaare 190 III. Die Wtedererhebung wegen einer Reise nach Petersburg entstand, bereitete dies Ereignis vor. Die Hauptursache aber wurde doch, daß ein unvorsichtiger Brief Steins in französische Hände fiel. Er enthüllte des großen Reformators geheime Zukunfts- und Rachepläne. Damit wurde Napoleons Argwohn gegen Preußen bestätigt und Steins Stellung unhaltbar. Am 7. November 1808 legte er dem Könige sein Abschiedsgesuch vor, das am 24. desselben Monats in der gnädigsten Art gewährt wurde. Zuvor aber hatte der König noch die wichtigsten neuen reformatorischen Gesetze unterzeichnet, damit ihres Urhebers Gedanken sein Scheiden überdauerten. Auch hinterließ Stein eine Art politischen Testaments, und sein Geist schwebte noch fernerhin über dem großen Werke der Wiedererhebung. Am 16. Dezember schleuderte Napoleon gegen ihn das bekannte Ächtungsdekret. Nicht alle begriffen, was Preußen in diesem Augenblicke verloren hatte. Auch ernste Männer, die von tiefgehendem Patriotismus erfüllt waren, aber mit ihrem ganzen Empfinden noch zu sehr im alten Preußen lebten, begrüßten des Reformators Sturz mit innerer Freude. Sie vermochten in den neuen Ideen nur das Wesen der verhaßten französischen Revolution zu finden. Derselbe Widerstreit der Meinungen machte sich auch in den Arbeiten zur Wiederherstellung des Heeres fühlbar. Der König, der allen radikalen Entscheidungen und Maßregeln sich schon vor dem Kriege abhold erwiesen hatte, mischte anfangs die ins Leben zurückgerufene Jmmediatreorganisationskommission zu etwa gleichen Teilen aus Anhängern und Gegnern der Reform. Allmählich erst gewannen deren Freunde die Oberhand, und dies ist das große Verdienst Scharnhorsts, dem die höchst wichtige Gabe eigen war, geschickt und erfolgreich mit dem Könige umgehen zu können. Er gewann als Mitarbeiter, an Stelle der ausscheidenden Gegner, Männer wie Gneisenau, Grolman und Boyen, denen es klar war, daß eine Erhebung des Heeres nur Hand in Hand gehen konnte mit der politischen und sozialen Wiedererweckung des Volkes. Große nationale Gesichtspunkte leiteten sie auch in der Ordnung der Einzelheiten im Heerwesen. Nach vielfachen Besprechungen mit Scharnhorst bearbeitete der König den ersten programmartigen Entwurf für die künftige Heeresverfassung, der weiterhin der Kommission als Leitfaden gedient hat. Mit Recht legte Friedrich Wilhelm auf die Entwickelung der moralischen Eigenschaften den höchsten Wert. Wiederaufrichtung des HeereS 191 Zum tiefen Schmerze aller älteren Soldaten verschwanden sämtliche, auch die berühmtesten Namen der stolzen Regimenter aus der friederizianischen Zeit, sofern eine Kapitulation sie verdunkelt hatte. Damit war zugleich die Parole der Einfachheit in den Äußerlichkeiten für das wiedererstehende Heer gegeben. Das Offizierskorps mußte von seinen Wurzeln aus neu gestaltet werden. Aber es fragte sich, welche Grundlage man für das künftige annehmen sollte. Der Ersatz aus dem Adel hatte nur für den ständisch gegliederten Staat gepaßt, in dem das Offizierspatent dem jungen Edelmanns gleichsam in die Wiege gelegt wurde. Nahm auch das bürgerliche Element vor dem Kriege schon einen breiteren Platz im preußischen Offizierskorps ein, als man gemeinhin glaubt, so war eine Zurückdrängung doch immer noch vorhanden. Es hatte ihm das selbstverständliche Recht, neben dem Adel zu stehen, noch gefehlt. Das sollte jetzt anders werden. Viele hervorragende Männer, unter ihnen sogar Hardenberg, stimmten für die radikale, aus den ersten Zeiten der französischen Revolution hergeholte Maßregel der Offizierswahl durch die Untergebenen. Das wäre die Auflösung der Armee gewesen. Nie ist die Offizierswahl durch die Soldaten treffender in ihren Wirkungen gekennzeichnet worden, als durch den Capitaine der Volontairs von 1792, der seine Hauptmannswürde freiwillig niederlegte und Gemeiner wurde, weil er „auch einmal etwas zu befehlen haben wollte". Mit richtigem soldatischen Gefühl trat Scharnhorst gegen den Vorschlag auf. Er wollte die Zusammengehörigkeit und das besondere Ehrgefühl, wie sie aus dem alten Verhältnis des Offizierskorps zum Adel entsprangen, nicht zerstören, sondern nur umbilden. Daher war auch er wohl für die Wahl, aber für die Wahl durch das Offizierkorps, das damit die einheitliche Verantwortung für die Tüchtigkeit aller seiner Mitglieder übernahm. Durch diese Einrichtung ist eine der stärksten Grundlagen nicht nur für das neue preußische, sondern auch für das junge deutsche Heer geschaffen worden. Den Anspruch auf die Zulassung zu den Offiziersstellen sollten im Frieden Kenntnisse und Bildung, im Kriege ausgezeichnete Tapferkeit, Tätigkeit und Umsicht gewähren. Damit das neu einzuführende Examen nicht ein Übergewicht der Gelehrsamkeit im Waffendienste herbeiführe, bezeichneten die Bestimmungen auch Geistesgegenwart, schnellen Blick, Pünktlichkeit und Ordnung im Dienst, sowie vorwurfsfreien Lebenswandel als unerläßliche Eigenschaften. 192 III. Die Wiedererhebung Ebenso sollte aber auch das ganze Niveau des Mannschaftsstandes gehoben werden. Der wichtigste Schritt dazu, der Wegfall der Werbung, ergab sich aus den zwingenden Umständen der politischen Lage von selbst. Damit war auch der Fortfall der harten Behandlung und der Körperstrafen aus der Rechtspflege des Heeres ermöglicht. Am 3. August 1308 wurde die Prügelstrafe unter alleiniger Ausnahme des Soldatenstandes zweiter Klasse aufgehoben und dem Berufe der bittere Beigeschmack genommen, den er im Gefühl der besseren Stände des Volkes immer noch besessen hatte. Daß ein vollkommen nationaler Ersatz und die allgemeine Wehrpflicht in ihrer richtigen praktischen Bedeutung das letzte Ziel sein müsse, war allen Beteiligten klar. Dennoch wurde gerade diese Frage zunächst nicht gelöst. Die Meinungen gingen auseinander, ob eine gleichmäßige Einstellung aller tauglichen Dienstpflichtigen zu einer kurzen Dienstzeit bei der Fahne und danach ihr Übertritt in die Reserve, oder die Schaffung selbständiger, nicht durch die Schule des stehenden Heeres gegangener Aufgebote das Vorteilhaftere sei. Man kam darüber nicht zum Schluß; aber das Schicksal meinte es gut mit Preußen. Es wurde gezwungen, aus der Not eine Tugend zu machen. Wie mehrfach die Maßregeln, die seine Feinde ersannen, um es in Fesseln zu legen, zu seinem Heile ausschlugen, so geschah es auch hier. Die Geldnot und die durch Napoleons Haß erzwungene Einschränkung des aktiven Standes führte zu der Kabinettsorder vom 6. August 1808, welche den Truppen befahl, unausgesetzt eine kleine Anzahl von Rekruten zur Ausbildung einzuberufen und wieder zu entlassen. So ward mit der Zeit durch dieses „Krümpersystem", wie es ähnlich schon der große König Angewendet hatte, eine bedeutende Zahl von einigermaßen für den Kriegsdienst vorbereiteten Waffenfähigen aufgebracht. Sie konnten bei einer Mobilmachung nicht nur die stehenden Truppenteile auf den vollen Stand bringen, sondern auch zu Neubildungen verwendet werden. Die Grundlage für die große Heeresvermehrung von 1813 war damit geschaffen. Hierzu kam die Feststellung eines richtigen Verhältnisses zwischen den Waffengattungen, die Bildung größerer gemischter Truppenverbände, die Einschränkung der Ausnahmen vom Dienst, die Ersetzung der alten Regimentskantons durch größere Aushebungsbezirke, die Abschaffung der zu vielen Mißbräuchen verleitenden Kompagniewirtschaft, die Gewährung auskömmlicher Gehälter, Ab- Äußerer Wiederaufbau des Heeres 193 schaffung des übermäßigen Trosses, Neugestaltung der Artillerie, Fortfall der Regimentsgeschütze, Verschwinden der unausgebildeten Knechte aus dem Heere, und endlich die veränderte Fechtweise der Armee, wie sie schon durch die Osteroder Verordnungen des Königs angebahnt worden war. Die alte starre Phalanx mit ihren die Geister bindenden und jede selbständige Tätigkeit des unteren Führers vernichtenden Exerzierformen, die man ehemals so sehr bewundert hatte, wurde zerbrochen. Wie Stein im politischen Leben des Volkes die Mitwirkung aller brauchbaren Kräfte für das Staatswohl hatte heranziehen wollen, so sollten auch künftig im Kriege alle tüchtigen Köpfe und Charaktere zur Erringung des Sieges nutzbar gemacht werden. Das Jnfanteriereglement von 1812, in dem die Brigade als größter, noch einheitlich bewegter Verband erschien, gab diesem Grundgedanken Ausdruck. Nicht minder schwierig als die Durchführung der neuen Ideen in der Heeresverfassnng war der äußere Wiederaufbau der Armee. Der Krieg hatte von dieser nur Trümmer übrig gelassen. So bestanden von den 58 stolzen Jnfanterieregimentern der alten Armee beim Tilsiter Friedensschlüsse nur noch 8. Dazu kamen einige Füsilier- und Musketierbataillone, die neu gebildeten Reservebataillone und was bei Kolberg und in Schlesien aus Resten, entkommenen Gefangenen und Freiwilligen gebildet worden war. Ähnlich sah es bei der Kavallerie aus. Die Artillerie war bis auf eine geringe Anzahl von Feldbatterien völlig verschwunden. Technische Truppen fanden sich nur in ganz geringem Maße in den noch behaupteten Festungen vor. Nun mußten sogleich die aus den abgetretenen Provinzen, d. h. der einen Hälfte der ehemaligen Monarchie, stammenden Mannschaften entlassen werden. Im größten Teil des übrigen Gebietes stand der Feind. Geld war nicht vorhanden. Es fehlte an Waffen und Kriegsmaterial. Und dennoch gelang das Werk, das mit unglaublicher Zähigkeit von Scharnhorst und den Seinigen in Angriff genommen wurde. Bis zum Ende des Jahres 1808 war es gelungen, das verkleinerte Heer in seinen Verbänden wohlgeordnet aufzustellen. Bis zum Jahre 1311 erfuhr es dann nur noch geringe Vermehrungen, je nachdem die französischen Bedrücker aus den heimatlichen Gefilden abzogen. Es bestand aus 46 Bataillonen, 73 Eskadrons, 4S Artilleriekompagnien mit 168 Feldgeschützen und 3 Pionierkompagnien. Das Ganze gliederte sich in 6 gemischte Frhr. v. d. Goltz, Kriegsgeschichte 13 194 III. Die Wiedererhebung Brigaden: die ostpreußische, westpreußische, pommersche, brandenburgische, niederschlesische und oberschlesische, sowie in die Garde. Das nahm sich freilich gegen das große Heer, welches vor Jena bestanden hatte, sehr bescheiden aus. Wer diese kleine Truppenmacht besaß dafür mehr Elemente der Kriegstüchtigkeit und die Fähigkeit, sich im Augenblick des Kriegsausbruchs zu vermehren. Für die Aufbietung der Kräfte des gesamten Volkes vermochte sie zugleich den verbindenden Rahmen zu bilden. Dies alles war trotz der furchtbarsten Not erreicht worden. Von der Verarmung des Landes, die damals, zumal im Osten, herrschte, hat man heute keine Vorstellung mehr. Mit Sorge sah das Landvolk dem Augenblick entgegen, wo der letzte Scheffel Saatgetreide zur Mühle geschickt sein würde. Die Behörden machten bereits eine Liste wild wachsender Kräuter bekannt, welche zur menschlichen Ernährung dienen konnten. Alles Verwertbare, der meiste Silberbesitz der Familien war verschwunden. An Pferden, Vieh und Gerät mangelte es überall. Einst hatte man dem eigenen Vaterlande geringfügige Summen zur Verstärkung seiner Rüstung verweigert; jetzt gab man dem Feinde mit erzwungener Resignation das Hundertfache hin. Der oberflächliche und leichtfertige Egoismus, der vor 1306 geherrscht, hatte sich durch die Übertreibung selbst vernichtet. Bitterer Zwang führte den Geist der Opferwilligkeit in die Herzen zurück. Es ist geradezu staunenswert, was bei der Kargheit der Mittel nach der Niederlage für die Wiederherstellung der Waffenmacht geleistet worden ist. Das Unglück hatte den Staat zertrümmert, aber zugleich auch eine Welt von Hindernissen für seine Erhebung. Noch ein anderer Gegner war zu besiegen gewesen, nämlich die selbstmörderische Freude an dem Untergange des alten Staates und des alten Regierungssystems, der Kosmopolitismus, der sich in Verherrlichung der Fremden und ihres Kaisers nicht genug tun konnte und jede Hoffnung der Wiederaufrichtung des Vaterlandes als eine Lächerlichkeit verhöhnte. Die üppig wuchernde Schmähschriftenliteratur der Zeit nach 1807, wie sie in Preußen sich ausbreitete, sucht in der Geschichte gestürzter Staaten ihresgleichen. Aber auch hier rang sich die Besserung allmählich durch. Hervorragende Männer, wie Arudt, Kleist, Iahn, Fichte, Schleiermacher usw. ahnten in Preußen schon den künftigen Erretter Deutschlands und mahnten die Nation, sich auf sich selbst und die alten einfachen Bedeutung der fridertztanischen Tradition 195 Tugenden zu besinnen. Die Tradition der stolzen Monarchie Friedrichs machte sich allmählich wieder geltend. Ohne sie wäre die Erhebung im Volke nicht möglich geworden; dies muß ihrem Andenken zur Ehre gesagt werden. Der Gedanke, daß ein so kraftvolles Staatswesen, wie sie es gewesen war, nicht nach einer einzigen Niederlage verschwinden könne, richtete die Gemüter allmählich wieder auf und gab ihnen den Glauben an bessere Zeiten zurück. Der preußische Name, der Friedrichs Heldengestalt vor den Blicken erstehen ließ, hielt die äußerlich beinahe getrennten Provinzen zusammen. Wären sie nicht durch den Großen Kurfürsten und den großen König miteinander vereinigt, sondern durch Zufälligkeiten oder glückliche Verträge zusammengeschmiedet worden, wie jetzt das Königreich Westfalen, niemals hätte sich in ihnen die Einmütigkeit in dem Streben nach Wiederherstellung der alten Größe kundgeben können. Das soll von denen nicht vergessen werden, die in der Vernichtung des alten Staates allein das Heil für den neuen Zustand sehen. Auch die Armee wäre nimmer wieder erstanden ohne das alte Offizierskorps, das in sie den Sinn der Ritterlichkeit und der strengen Pflichterfüllung hinübertrug. 2. 5809 . Kaum war nach dem Abzug der Franzosen einige Ruhe in das Land zurückgekehrt, als eine neue Krisis herannahte. Der hartnäckige Widerstand der Spanier erregte die Gemüter in Österreich, wo seit 1805 viel für die Verstärkung des Heeres geschehen war und die öffentliche Meinung in dem jungen Erzherzog Karl einen Napoleon ebenbürtigen Feldherrn gefunden zu haben glaubte. Der Krieg wurde durch die allgemeine Stimmung unvermeidlich, Österreich am Ende sogar zur angreifenden Macht. Mitte Februar 1809 war der Krieg beschlossene Sache. Aber der kühnen Politik entsprach seine Führung nur wenig. Die Unfertigkeit der begonnenen Reformen, namentlich in der Aufstellung der geplanten zahlreichen Landwehr, erklärt dies zum Teil. Statt die Entscheidung durch rasches Vorgehen gegen die in Deutschland zurückgebliebenen französischen Kräfte von Hause aus an den Rhein zu verlegen, zögerte man mit der Eröffnung der Feindseligkeiten und ließ Napoleon Zeit gewinnen, für Verstärkung zu sorgen und den in 13* 196 III. Die Wiedererhebung Thüringen stehenden Marschall Davout nach dem Süden heranzuziehen. Dies bewog Erzherzog Karl, auf seinen ersten Plan eines Angriffs nördlich der Donau, der des Marschalls Truppen vom übrigen Heere trennen sollte, zu verzichten, um mit den Haupt- kräften südlich des Stromes, zunächst auf Landshut, vorzudringen. Drei kostbare Wochen gingen über dieser Änderung verloren. Erst am 10. April überschritten 126000 Mann den Jnn bei Mühlheim. Dann folgte ein langsamer Vormarsch zur Jsar. Anhaltende Regengüsse, schlechte Straßen und Verpflegungsschwierigkeiten hielten ihn auf. Erst am 16. April wurde Landshut erreicht und eine dort stehende bayerische Division vertrieben. Nun ging es weiter auf Regensburg zu, wohin aus Böhmen die übrigen 50000 Mann unter Bellegarde gleichfalls im Vorgehen waren. Der Erzherzog beabsichtigte, seine nördlich und südlich der Donau stehenden Gegner zu trennen und sie dann vereinzelt zu schlagen. Berthier, der in Napoleons Abwesenheit den Oberbefehl im französischen Heere führte, kam dieser Absicht Wider Willen entgegen. Er vermochte wohl, seines Kaisers Gedanken in Befehle umzuwandeln, war aber nicht fähig, dessen geniale Pläne durch eigene zu ersetzen. Statt, wie Napoleon es gewollt hatte, das Heer beim österreichischen Einbruch in Bayern rückwärts bei Augsburg und Jngolstadt zu versammeln, suchte er es weiter vorwärts nach Regensburg zu vereinigen, zersplitterte es dadurch aber gerade im entscheidenden Augenblicke; denn als Davout sich dem Ziele näherte, stand die Masse der Armee noch weit ab bei Augsburg, Ulm und Aalen. Fast wäre es dem Erzherzoge gelungen, sich in die klaffende Lücke zu werfen und Davout in der Vereinzelung zu fchlagen, als das Blatt sich wendete. Der optische Telegraph hatte dem Kaiser in Paris am 12. den Übergang der Österreicher über die Grenze gemeldet. Vier Stunden darauf war er nach Deutschland unterwegs, erreichte Donauwörth am 17., rief Davout von Regensburg gegen Jngolstadt zurück, befahl den übrigen Korps den Vormarsch ebendorthin und beauftragte den Marschall Lefebvre, der die Bayern kommandierte, an der Abens die Versammlung zu sichern. Davout verspätete sich beim Abmarsch und lief am 19. April dem Erzherzoge Karl in den Weg. Allein es fehlte auf österreichischer Seite die Einheitlichkeit des Handelns. Nur einzelne Teile des Heeres traten bei Thann und Abensberg ins Gefecht, während die Die Tage von Rcgensburg und Aspern 197 anderen den Weitermarsch fortsetzten. Der Erfolg blieb im ganzen auf feiten der Franzosen. Am Abend dieses Tages hatte Napoleon, seinen Grundsätzen getreu, zum Teile freilich nach unerhörten Marschleistungen, 150000 Mann vorwärts von Jngolstadt versammelt. Die Österreicher standen nördlich und südlich von Negens- burg, jetzt ihrerseits in zwei Gruppen getrennt, ihm gegenüber, mit dem linken Flügel bis nach Landshut ausgedehnt. Davout hatten sie in Regensburg nicht mehr gefunden. Er war der Abdrängnng glücklich entgangen. Die schwache Besatzung, die er in der Stadt zurückgelassen hatte, mußte freilich am 20. April die Waffen strecken. Sogleich suchte der Erzherzog nun alle seine Truppen südlich Regensburg zu vereinigen. Aber Napoleon kam ihm zuvor. Es folgten die Operationen, die er selbst in den Memoiren von St. Helena für seine besten erklärt hat. Er warf mit gewohnter Schnelligkeit am 21. April erst den österreichischen linken Flügel über Landshut südöstlich zurück und fiel dann dem Heere des Erzherzogs, als es sich gerade gegen die Kräfte Davouts vor seiner Front in Bewegung setzte, bei Eggmühl in die linke Flanke. Nach blutiger Schlacht wichen die Österreicher durch Regensburg auf das Nordufer der Donau zurück. Napoleon ließ ihnen nur Davout dorthin folgen; er selbst drang in schnelleren Märschen südlich der Donau auf Wien vor, das er nach neuen glücklichen Gefechten am 13. Mai besetzte. Der Erzherzog und die schwachen, zum Schutze auf der geraden Straße belassenen Kräfte hatten die Hauptstadt nicht retten können. Die Ausführung besonderer Verteidigungsmaßregeln war durch Napoleons rasches Handeln verhindert worden. Bei dem Versuche, die Donau unterhalb Wien zu überschreiten, ward er jedoch von dem nunmehr auf dem Nordufer herankommenden Erzherzoge am 21. und 22. in blutiger Schlacht bei Aspern angegriffen. Hochwasser und den Strom herabgelassene Flöße, Baumstämme und andere Lasten zerstörten seine fast 800 Meter lange Kriegsbrücke und trennten das Heer in zwei Teile. Er mußte sich zum Rückzüge auf die Donauinsel Lobau entschließen, auf der er am 23. die über die Donau gegangenen Truppenkörper vereinigte. Sein Mißerfolg war diesmal ein empfindlicher gewesen, und er vermochte sie nicht, wie bei Heilsberg, durch erneutes Vorgehen mit starken frischen Kräften sofort wieder wettzumachen. Notgedrungen entschloß er sich zu einer Unterbrechung der Operationen. Die Schlacht von Aspern und die gleichzeitig erfolgte Er- 198 III. Die Wiedererhebung Hebung Tirols gegen die eingedrungenen Bayern riefen in ganz Deutschland eine ungeheure Erregung hervor. Der Haß gegen den Unterdrücker begann sich fühlbar zu machen. Napoleon sollte das geduldige deutsche Volk, von dem er keine Gewalttat erwartete, nicht wiedererkennen. In Württemberg kam es zu einer Erhebung gegen die neuen Herren, die durch Napoleons Gnade ihr Gebiet vergrößert hatten. Die noch preußisch gesinnten Ansbacher empfingen ein fliegendes Korps, das Karl v. Nostiz durch Franken heranführte, mit offenen Armen, und in Nürnberg wurden die bayerischen Wappen von den Toren gerissen, als jenes sich näherte. Der Herzog von Braunschweig, der Sohn des unglücklichen Feldherrn von Auerstedt, schloß sich mit der von ihm geworbenen schwarzen Schar den Österreichern an, um seine Fehler von Lübeck wieder gutzumachen, und begann den Parteigängerkrieg gegen die sächsischen Lande. In Westfalen kam es zu Schilderhebungen, und selbst gegen Magdeburg wurde eine Überrumpelung versucht. Waren diese Unternehmungen auch noch Plan- und zusammenhanglos, so zeigten sie doch deutlich, daß der Geist der stummen Unterwerfung nuter den Willen des Gewaltigen gewichen sei, und ließen den Kaiser ahnen, was ihm bevorstand, wenn er ernstere Niederlagen erleiden sollte. Im preußischen Heere und Beamtentum regte es sich mächtig gegen die Fremdherrschaft. Alles drängte auf einen Losbruch, und ein hitziger Kopf, Schill, einer der Helden von Kolberg, ging mit dem Beispiel der Eigenmächtigkeit voran — ein unerhörter Fall in der preußischen Armee. Er führte sein in Berlin stehendes Husarenregiment, das der König ihm zum Lohn für seine Auszeichnung verliehen hatte, selbständig gegen die Unterdrücker. Aber die erhoffte allgemeine Volkserhebung blieb aus. Noch waren Napoleons Ansehen und die Macht seines Namens zu groß, um die Massen den Mut zum Durchbrechen der Schranken finden zu lassen. Nach einen: verunglückten Zuge gegen Westfalen fand Schill ein tragisches Ende in Stralsund, das er zu einem zweiten Saragossa hatte machen wollen. Auch die Vorstöße der Österreicher von Eger gegen Bayreuth, Bamberg und Nürnberg, sowie von Teplitz gegen Dresden waren ohne weitreichenden Erfolg geblieben. Die dazu verwendeten Truppen wären bei der Hauptarmee nützlicher gewesen. König Friedrich Wilhelms III. Lage zwischen Napoleons Miß- Friedrich Wilhelms III. schwierige Lage. Wagram 199 trauen und dem ungestümen Drängen der Seinen war eine äußerst schwierige. Aber dieselben Eigenschaften, die ihn mit einem großen Teile der Schuld an der Niederlage Preußens belastet hatten, retteten diesmal ihn und sein Land. Hätte er losgeschlagen, so wäre er mit Österreich unterlegen und weder dieses, noch auch Rußland oder gar England hätten sich die Mühe gegeben, Preußen bei einem allgemeinen Umschwünge wieder aufzurichten, wenn es vorher von der Landkarte verschwunden war. Seine Zukunft hing jetzt davon ab, ob es beim Eintreten des Rückschlages in Napoleons Schicksal noch als eine selbständige Macht bestand, mit der die anderen rechnen mußten. Kein Monarch von einigem Temperament hätte 1809 der allgemeinen Strömung widerstanden; das war nur dem skeptischen, schwer an einen Erfolg glaubenden, immer zweifelnden und zögernden Gemüte des Königs möglich. Der Ausgang des österreichischen Krieges sollte ihm binnen kurzem recht geben. Er hatte die Bedeutung des Tages von Aspern richtig eingeschätzt, als er darin nur einen abgewiesenen Angriff und keinen entscheidenden Sieg sah, so schwer auch Napoleons Verluste waren. Tatsächlich hatte Erzherzog Karl es nicht gewagt, seinen Erfolg auszunutzen. Beide Gegner zogen Verstärkungen in der Nichtun'g auf Wien heran. Nicht nur darin aber, sondern auch in der Versammlung der erreichbaren Truppen zur neuen Schlacht zeigte sich Napoleon als der größere Meister. Während es ihm gelang, den in Italien siegreich gewesenen Erzherzog Johann mit seinem Heere auf den weiten Umweg über Komorn abzudrängen, rief er den bei Fontana fredda und Sacile in Oberitalien geschlagenen Vizekönig Eugen auf dem geraderen Wege über Brück früher zu sich. Zu dem nun folgenden Entscheidungskampfe war er imstande, bis auf 30000 Mann, alle seine Kräfte zu vereinigen. So war er den Österreichern bedeutend überlegen, als er am 4. Juli abends von der Lobauinsel aus neuerdings den nördlichen Donauarm überschritt und am 5. und 6. den Erzherzog Karl bei Wagram angriff. Erst am Abend des zweiten Tages näherte sich Erzherzog Johann. Ein anderes Korps blieb untätig bei Korneuburg nahe auswärts an der Donau stehen. Inzwischen hatte Erzherzog Karl die überaus blutige Schlacht in den ersten Nachmittagsstunden bereits abgebrochen, um einer Niederlage zu entgehen und weiter rückwärts die noch fehlenden Verstärkungen heranzuziehen. Er wandte sich nach Znaim hin, um sich auf Böhmen zu stützen, da Mähren 200 III. Die Wiedererhebung bereits durch die Russen bedroht wurde. Bei Znaim an der Thaya kam es am 10. und 11. Juli von neuem zum Kampfe, der jedoch schon durch den Waffenstillstand unterbrochen wurde. Jetzt war es Napoleon auch möglich, bedeutende Kräfte nach Tirol zu werfen, das sich dreimal befreit hatte. Die Übermacht machte der heldenmütigen Erhebung ein Ende, da Österreich seine Unterstützung zurückzuziehen gezwungen war. Rußland, in diesem Kriege der sonderbare Bundesgenosse Frankreichs und des Herzogtums Warschau, hatte zwar wenig Ernstes getan, aber doch ein starkes österreichisches Korps unter Erzherzog Ferdinand vom Kriegsschauplatze abgelenkt. Der Wiener Friede vom 14. Oktober beschloß den Krieg, der Österreich neue bedeutende Gebietsverluste brachte und es zudem politisch für die nächsten Jahre in Frankreichs Arme trieb. Z. Die Rückkehr des Asnigs nach Berlin. Hardenberg Am 23. Dezember 1809 verlegte König Friedrich Wilhelm III. sein Hoflager wieder nach Berlin. Es geschah in der für Preußen trübesten Periode, aber der Jubel, der den heimkehrenden König in seiner Hauptstadt empfing, kündete ihm an, daß das Volk erwacht sei. Die während des österreichischen Krieges betriebenen Rüstungen hatten die geringen Geldmittel des Staates völlig in Anspruch genommen und zu der unklugen Maßnahme verleitet, die Zahlung der Kriegskosten an Frankreich vorübergehend auszusetzen. Dies gab dem siegreichen Kaiser Anlaß zu den drückendsten Forderungen. Seine Drohungen ließen in Berlin sogar die teilweise Abtretung Schlesiens erwägen, der selbst ein Scharnhorst zustimmte und nur der König nicht anbieten wollte. Zu alledem traf am 19. Juni 1810 das Land der schmerzlichste Verlust durch den Tod der Königin Luise, die es seit dem großen Unglück als seinen Schutzgeist verehrt hatte. Doch gerade während dieser düsteren Wochen im Sommer 1310 erfolgte ein entscheidender Systemwechsel in der inneren Politik, der die Bemühungen für Preußens Rettung in neue Bahnen lenkte. Der Vorschlag abermaliger Gebietsabtretungen hatte dem König die Unzulänglichkeit des auf Stein gefolgten Zwischenministeriums Dohna-Altenstein deutlich vor Augen geführt. Er empfand die Tod der Königin Luise. Systemwechsel 201 Notwendigkeit, Männer von größerer Kraft des Gemütes und mehr Ideenreichtum ans Staatsruder zu berufen. Die Rückkehr Steins war freilich unmöglich. Die persönliche Abneigung, die Friedrich Wilhelm gegen dessen vulkanische Natur im tiefsten Innern seiner Seele barg, wirkte ihr ebenso entgegen, als Napoleons Zorn. Des Königs Blicke richteten sich jedoch auf Hardenberg. Aber auch dessen Ernennung war nicht ohne Verhandlungen mit Napoleon möglich; sie mußte förmlich erschmeichelt werden. Hardenberg selbst richtete ein Schreiben an den Gewaltigen, in dem er sich dem Anscheine nach vollkommen zu dem französischen System bekannte. Das waren die Folgen der Schwäche, in die der Staat seit dem Baseler Frieden verfallen war. Erst als der Groll des Imperators beschwichtigt schien, konnte Hardenberg am 4. Juni 1810 zum Staatskanzler ernannt werden. Aus dem abtretenden Ministerium schied selbst Scharnhorst; doch blieb er als Chef des Quartiermeisterstabes und des Jngenieurkorps den Geschäften nahe, und sein Nachfolger als Leiter der allgemeinen Kriegsangelegenheiten, Oberst Hake, erhielt die geheime Weisung, sich mit ihm über alle Dinge von Wichtigkeit im voraus zu verständigen. Hardenberg hatte sich bei der Übernahme seiner Stellung die alleinige oberste Leitung der Staatsgeschäfte ausbedungen. So war die Grundlage für eine größere Energie und Einheitlichkeit in der Regierung gegeben. Durch die unglückliche Neutralitätspolitik seit 1304 hatte auch der neue Staatskanzler ehedem große Schuld auf sich geladen. Jetzt gewährte ihm das Schicksal die Gelegenheit, sie zu sühnen. Ihm fehlte Steins Feuergeist und Kraft; dafür aber war er ein kluger Mann, der fremde Ideen sich ausgezeichnet zu eigen machte — um Auskunftsmittel nie verlegen, ein vollendeter Opportunist ohne feste große Ideale. Als Politiker war er oberflächlicher, zum Teil aber auch radikaler als sein großer Vorgänger, diesem an diplomatischer Begabung überlegen. Demokratische Grundsätze in einer monarchischen Regierung erschienen ihm als die angemessene Form für den Zeitgeist. Vielfach folgte er französischen Vorbildern. Das machte ihn zum stillen Anhänger der Zentralisation und sich selber unbewußt zum Gegner der Selbstverwaltung. Er verlangte mehrfach Unmögliches, war aber dafür auch nicht störrisch und nahm undurchführbare Maßregeln zurück, beschwichtigte so die entstehende Unzufriedenheit und glich Konflikte aus. „Steins schöpferische Ideen eilten der Zeit 202 III. Die Wiedererhebung voraus, wurden nur von einem kleinen Kreise ganz verstanden. Hardenbergs Gedanken lagen näher an der breiten Heerstraße des Zeitalters der Revolution; darum fand er in der Presse jederzeit eine lebhafte Unterstützung, deren Stein immer entbehrte." Im großen Ganzen war er der richtige Mann für die schwierigen Zeiten. Sie erforderten ein vielgewandtes, nicht immer offenes, klug gewählte Umwege und eine versteckte Handlungsweise keineswegs verschmähendes, Verfahren. Auch seine bureaukratischen Neigungen wirkten in der Zeit der allgemeinen Verwirrung nicht ungünstig; sie gaben in dem Meere von Zweifeln, in dem sich alle Beamten bewegen mußten, wenigstens einigen sicheren Anhalt. Mit einer meistenteils glücklichen Hand steuerte Hardenberg das schwache Staatsschiff durch die klippenreiche Brandung der großen Politik von 1812 und 1813, in dem eine stärkere als die seine es vielleicht an einem Felsen hätte zerschellen lassen. Sein erstes Verdienst war die Regelung der Finanzen. Aber er baute auch die Steinschen Refornrpläne nach seiner Art weiter aus und gab im Jahre 1811 durch eine erste Tagung von No- tabeln dem Volke die Hoffnung auf künftige tätige Beteiligung an der Leitung der Staatsgeschäfte. Dessen Vertrauen zur Regierung begann allmählich zu steigen. -5. M2 Der neue Krieg stand deutlich in Sicht. Napoleon war von Rußlands Haltung im Jahre 1809 unbefriedigt. Nicht minder reizte ihn die lässige Handhabung der Festlandssperre im Zarenreiche, dessen Handel Kaiser Alexander nicht zu tiefe Wunden schlagen wollte. Eine Hinneigung zu dem besiegten Österreich, von dem er fortan treue Gefolgschaft erwartete, machte sich bei dem Imperator fühlbar. Durch die Heirat mit der Erzherzogin Marie Luise, die er an Stelle der verstoßenen Josephine zur Gemahlin erhob, verknüpfte ihn außerdem ein verwandtschaftliches Band mit dem Wiener Kaiserhause, auf das er großen Wert legte. War er doch von der Besteigung seines Thrones ab unausgesetzt bemüht, seiner Herrschaft die nötige Beimischung von Legitimität zu geben. Vor allen Dingen aber drängte ihn der unbändige Trieb nach der Alleinherrschaft in der europäischen Kulturwelt zum Entscheidungskampfe mit Rußland. Napoleons Verhältnis zu Osterreich und Rußland 203 Dessen Argwohn ward durch die gewaltsame Einverleibung der Nordseeküste und Lübecks in das französische Kaiserreich, die Ende 1810 erfolgte, von neuem wachgerufen. Die Entthronung des ihm verwandten Herzogs von Oldenburg empfand Kaiser Alexander als einen Faustschlag ins Gesicht. Er zweifelte nicht mehr an dem nahen Bevorstehen eines Entscheidungskampfes und begann zu rüsten. Während er sich 1809 Preußen gegenüber abwehrend verhalten hatte, drängte er 1311 König Friedrich Wilhelm III. zum Bündnis. Dieser kam dadurch in eiue heikle Lage. Er durfte sich für den Fall der äußersten Not die Freundschaft Rußlands nicht verscherzen. Schloß er sich diesem aber an, so hatte Preußen mit seinen schwachen Kräften den ersten Stoß des französischen Kolosses auszuhalten. Wirksame Hilfe war von Rußland nach den Erfahrungen von 1307 nicht mit Sicherheit zu erwarten. Daß dort die Stimmung im allgemeinen gegen einen Krieg außerhalb der eigenen Grenzen ging, war aus derselben Zeit bekannt. Brach der Krieg aus, und stand Preußen sogleich auf Rußlands Seite, so wäre es zunächst überschwemmt worden und von der Landkarte verschwunden. Alles kam aber darauf an, es einstweilen zu erhalten, bis ein glücklicher Umschwung ihm gestattete, seine Unabhängigkeit wiederzugewinnen. Scharnhorst, Gneisenau, Boyen und alle Patrioten, die dem Könige nahe standen, drängten zu einem Entschlüsse, selbstredend zum Bündnis mit Rußland. Insgeheim wurden auch einige militärische Vorbereitungen getroffen, die Ausbildung von Krümpern vermehrt, die Besatzung der Festungen verstärkt. Alles aber geschah nur in den Grenzen der bestehenden Heeresverfassuug und unter dem Vorwande einer strengeren Durchführung der Festlandssperre. Im August 1311 waren 74 000 Mann vorhanden und konnten auf 100000, ja selbst auf 124 000 gebracht werden. Gneisenau, der Heißsporn unter den Reformern, in dem viele Leute den künftigen Befreier Deutschlands zu erkennen glaubten, entwarf Pläne zu einer allgemeinen Volkserhebung und überraschendem Losbruch. Doch auch Napoleon hatte längst begonnen, seine Truppen in Deutschland zu verstärken, und der nüchterne Sinn des Königs widerstrebte jeder Übereilung. Er wendete sich am 16. Juli erneut an Kaiser Alexander und sandte Scharnhorst nach Petersburg. Doch brachte dieser nur die Zusicherung zurück, daß die russischen Heere nötigenfalls bis zur Weichsel vorgehen würden. Inzwischen 204 III. Die Wiedererhebung verlangte Napoleon offen die Abrüstung, die Entlassung der Krümper, die Verabschiedung Blüchers, von dem er im Augenblicke am ehesten eine energische Tat befürchtete, und alle diese Forderungen mußten unter dem Drucke der Not erfüllt werden. Dann kam das Verlangen eines rückhaltlosen Schutz- und Trutzbündnisses, das Preußens militärische Kraft ohne Einschränkung den französischen Interessen dienstbar machen sollte. Eine Entscheidung war dringend und schnell erforderlich. Der König entschloß sich, dem allgemeinen Wunsche seiner Umgebung, ja der Mehrheit seines Volkes zu widerstreben, und dieser Entschluß ward dem Lande zum Heil. Nur wenn Österreich am Kampfe an Preußens Seite teilnehmen wollte, hielt er einen Erfolg für möglich; doch Österreich schwieg vollkommen und ließ sich zu keiner verpflichtenden Äußerung herbei. So ward am 24. Februar 1812 das von Napoleon verlangte Bündnis mit Frankreich abgeschlossen. Preußen hatte danach 20 000 Mann mit 60 Geschützen gegen Rußland zu stellen, den französischen Heeren den Durchmarsch zu gestatten und sie während desselben zu ernähren. Ohne Recht und Vertrag besetzte Napoleon außerdem die Festungen Spandau und Pillau. Den Freunden des Vaterlandes schwand die letzte Hoffnung. Eine Reihe hoher und niederer Offiziere verließ den Dienst, um nicht gegen den alten Bundesgenossen kämpfen zu müssen. „Preußen hat sich — so urteilte Stein — wehrlos und gebunden den Händen seines Feindes überliefert, bereitet mit eigenen Händen sein Grab und sieht dem Kanipf leidend und mit Schande entgegen." Blücher sah nicht nur alles außer der Ehre verloren, sondern auch die Ehre mit. Diese Empfindungen sind nur allzu verständlich. Dennoch war des Königs Tat ein Akt vorsichtiger Klugheit, den ihm freilich nicht nur sein Urteil, sondern auch sein ganzes Temperament eingegeben hatten. Diesmal war es fast ausschließlich sein Verdienst, daß Preußen gerettet wurde. Nur in dem Staatskanzler fand er eine ermutigende Stütze. Von denen, die ihn verließen, ging Gneisenau ins Ausland, um gegen Frankreich zu schüren, andere retteten sich nach Rußland und Spanien. Clausewitz schrieb die berühmten „Bekenntnisse", in denen er sein und seiner Freunde Verhalten rechtfertigte. Sie sind ein denkwürdiges Zeugnis des in jenen Männern herrschenden Idealismus. Unumwunden erkannte er an, daß die öffentliche Meinung mit wenig Ausnahmen die Unterwerfung unter Frankreichs Bündnis mit Frankreich. Clausewitz' Bekenntnisse Lg 5 Willen für unvermeidlich ansah. Aber er erklärte sie für eine Schmach. Er sagte sich los von der leichtsinnigen Hoffnung auf Errettung durch einen Zufall, von dumpfer Erwartung der Zukunft, von der kindischen Hoffnung, den Zorn eines Tyrannen durch freiwillige Entwaffnung zu beschwören, von unvernünftigem Mißtrauen in die eigene Kraft, von sündhafter Vergessenheit der Pflichten gegen das allgemeine Beste, von der schamlosen Aufopferung aller Ehre des Staates. Er erklärte zu glauben, daß ein Volk nichts höher zu achten habe, als die Würde und Freiheit seines Daseins. Er warnte davor, durch das Gift der Feigheit im Blute des Volkes auch die Kraft nachwachsender Geschlechter zu untergraben. Er wies darauf hin, daß ein Volk in dem großmütigen Kampfe um seine Freiheit meist unüberwindlich sei, und daß selbst der Untergang nach einem blutigen und ehrenvollen Kampfe die Wiedergeburt des Volkes sichere. „Auf dem heiligen Altare der Geschichte lege ich dieses leichte Blatt nieder in dem Vertrauen, daß, wenn der Sturm der Zeit es hinweggeweht, einst ein würdiger Priester dieses Tempels es sorgfältig aufheben und in das Jahrbuch des vielbewegten Völkerlebens einheften werde. Dann wird die Nachwelt richten und von dem Verdammungsurteil die ausnehmen, welche dem Strome der Verderbtheit mutig entgegengerungen und das Gefühl der Pflicht treu wie einen Gott im Busen bewahrt haben." Diese schönen Worte, die wir ebenso hoch stellen, als das andere von Clausewitz: „Des Krieges bedarf mein Vaterland" sind nicht nur ein Denkmal jener merkwürdigen Zeit der beginnenden Wiedererhebung Preußens, sondern sie sind auch an die Gegenwart gerichtet, um sie an die Größe der Väter zu erinnern und zur Nacheiferung zu mahnen. Zum Schluß war noch eine Stelle aus Friedrichs des Großen hinterlassenen Werken hinzugefügt: „Gewiß, ich kenne den Wert der Ruhe, die Annehmlichkeit der Gesellschaft, die Freuden des Lebens; auch ich wünsche, glücklich zu sein wie irgend jemand. So sehr ich aber diese Güter begehre, so wenig mag ich sie durch Niederträchtigkeit und Wehrlosigkeit erkaufen. Die Philosophie lehrt uns, unsere Pflicht zu tun, unserem Vaterlande selbst mit unserem Blute treu zu dienen, ihm unsere Ruhe, ja unser ganzes Dasein aufzuopfern." König Friedrich Wilhelms HI. zähe Geduld und Zurückhaltung, 206 III. Die Wiedererhebung Clausewitz' und seiner Freunde edle Begeisterung waren im Augenblick gleichberechtigt. Die erste hat es dazu geführt, daß die Zeit heranreifen konnte, in der die zweite sich erfolgreich zum Heile des Vaterlandes zu betätigen vermochte. 5. Der Feldzug in Aurland (S. Skizze 13.) Inzwischen war die große Armee, die diesmal ihren Namen auch nach modernen Begriffen mit Recht verdiente, über die Oder zur Weichsel vorgegangen und dort zwischen Pulawy und Danzig aufmarschiert. Sie verstand es, die Kosten beim Rückzüge eingerechnet, aus dem erschöpften Lande noch die Werte von etwa 300 Millionen Franken an Leistungen herauszuziehen. Im Osten zumal wurde alles Vieh und Angespann sortgetrieben. Um etwa fünf bis sechs Millionen Franken jährlich zu sparen, war einst vor 1806 die zeitgemäße Reform des preußischen Heeres unterblieben. Im ganzen entwickelten sich am Weichselstrome und vorwärts davon 450 000 Mann mit 1200 Geschützen. Links vorgeschoben stand von dieser Macht das preußische Hilfskorps bei Königsberg, rechts das österreichische bei Lemberg. Des Kaisers erstes Ziel war ein rascher Vorstoß auf Wilna, um den Feind inmitten seiner Vorbereitungen zu treffen. Die Russen versammelten eine erste Armee bei Wilna, die zweite bei Wolkowisk und eine dritte weiter südlich bei Luzk. Ihre Stärke ist im ganzen auf 193 000 Mann mit 900 Geschützen zu berechnen. Ihr Plan war es anfänglich, mit derjenigen der beiden ersten Armeen, welche von Napoleon angegriffen wurde, standzuhalten, mit der anderen ihm in Rücken und Flanke zu fallen. Dieser Plan indes erwies sich bei des Kaisers großer Überlegenheit bald als undurchführbar, und es wurde daraus, zwar nicht freiwillig gewählt, wohl aber durch die Macht der Umstände herbeigeführt, ein systematischer Rückzug ins Innere des Reiches. So entstand die später als wohlüberlegt so vielgerühmte Ermattungsstrategie. Am 9. Mai 1812 verließ Napoleon Paris, ging nach Dresden und hielt dort bis zum 29. einen glänzenden Hof. Dann eilte er nach Thorn, um von da aus die Befehle zum Vormarsch an die große Armee zu geben. Der Aufmarsch der großen Armee gegen Rußland 207 Diese setzte sich am 6. Juni von der Weichsel zum Niemen in Bewegung. Das preußische Hilfskorps ging bis Tilsit, das österreichische an den Bug bis Drogitschin vor. (S. Skizze 19.) In Zlelllm y clks' l^kl'e bei ke g inii ciö8 Ki'ieykZ M KULLlemci 3M ?3,^uni 181?.^ Skizze 18 Russen — >tl Franzosen, österreichisches und preußisches Hülfskorps der Nacht vom 23. zum 24. Juni begann die große Armee sodann den Niemen bei Kowno zu überschreiten, um die vor ihr stehende erste russische Westarmee anzugreifen. Aber diese ging zurück. Am 23. traf Vorgehen des 10. französischen Korps nach Kurland 209 Napoleon in Wilna ein, ohne bis dahin zu der ersehnten Schlacht gekommen zu sein. Dort blieb er zunächst eine Zeitlang stehen, wiederum mit großem Gepränge Hof haltend. Tiefer und tiefer ließ er sich dann von den ausweichenden Gegnern nach Rußland hineinziehen. Gleichzeitig ging von Tilsit aus das 10. Korps unter Marschall Macdonald vor. Seinen kernigsten Bestandteil bildeten die preußischen Hilfstruppen unter General v. Grawert, den Napoleon sich als Führer ausgebeten hatte, dem aber der König auf Scharn- horsts Betreiben den weniger gefügigen Jorck als „alter exo* beigab. Ihm gehörte ferner die Division Grandjean — Bayern, Polen und Westfalen — an. Sein Auftrag war die Sicherung der linken Flanke der großen Armee an der unteren Düna und die Belagerung von Riga, wo der Kriegsgouverneur von Kurland, General v. Essen, über etwa IS000 Mann verfügte. Vertragsmäßig hätte das preußische Hilfskorps selbständig bleiben sollen, aber Napoleon ging über diese Bestimmung hinweg, wie über manche andere. Er glaubte sich Preußen gegenüber alles herausnehmen zu dürfen, ohne zu beachten, daß er sich seinen gefährlichsten Gegner dadurch heranzog und ihn mit immer tieferem Haß erfüllte. Das preußische Korps ward zur 17., die Division Grandjean zur 7. Division der „großen Armee" gemacht. Die Mobilmachung hatte König Friedrich Wilhelm III. so angeordnet, daß alle Teile der Armee in dem bevorstehenden Feldzuge zu neuer Kriegserfahrung kommen sollten. Das Hilfskorps wurde aus Abgaben der bestehenden Brigaden gebildet. Es zählte 20 Bataillone, 7^/^ Batterien und 24 Eskadrons, um die vertragsmäßige Stärke gewissenhaft aufzubringen. Von den sechs Kavallerieregimentern wurden jedoch zwei sogleich der großen Armee, eins der Division Grandjean zugeteilt, vier Bataillone nebst einer Batterie zur Sicherung der Kurischen Nehrung und der Memel- mündung entsendet. 16 Bataillone, 6^ Batterien und 12 Eskadrons blieben beisammen. Pioniere, Train und Parkkompagnien waren zugeteilt — alles nicht reich ausgestattet, aber in bester Ordnung. Am 22. Juni war das Korps an der Memelstrecke Ragnit- Tilsit vereint gewesen. Preußische Pioniere schlugen über den Strom eine Brücke, die Marschall Macdonalds besondere Anerkennung fand. Am 23. Juni abends 6 Uhr war sie vollendet, Frhr, v, d, Goltz, Kriegsgeschichte 14 210 III. Die Wiedererhebung und zwei Stunden darauf begann der Übergang. Das Korps blieb dann aber bis zum 28. noch Tauroggen gegenüber stehen. An diesem Tage erst wurde die russische Grenze überschritten. Ein schneller Vormarsch folgte. Wie bei der „großen Armee" so war er auch hier, infolge unzureichender Anordnungen und Vorbereitungen, schon von Stockungen, Verpslegungsschwierigkeiten, Unordnung, Entbehrung und großer Anstrengung für die Truppen begleitet. Bis Rossiena, wo es am 1. Juli eintraf, blieb das Korps vereint. Dort stand es bis zum 11. Juli still und sandte nur gemischte Abteilungen nach Ponewesch, Schawli und Telsche vor. Aorck wurde nach Memel entsendet, dessen starke Besetzung Napoleon verlangte. Ein Schreiben des Kaisers vom 7. Juli empfahl dem Marschall den Dünaübergang, und Macdonald zog den größten Teil seines Korps bei Ponewesch zusammen. Aber erst als Napoleon schrieb, daß er vom 13. bis 20. Juli eine Schlacht an der Düna erwarte und Macdonald die bei Riga stehenden Russen jedenfalls festhalten müsse, setzte er sich am 16. Juli gegen Bauske in Bewegung, wo, einem Gerücht zufolge, stärkere feindliche Kräfte stehen sollten. Am 18. aber besetzte die Avantgarde der Division Grandjean den Ort, aus dem sie eine schwache feindliche Abteilung vertrieb, und nun faßte der Marschall den Plan, mit dieser Division auf Friedrichstadt und Jakobstadt an die Düna vorzustoßen, mit den preußischen Truppen aber Riga auf der Südseite abzuschließen. Deren Weg führte über Eckau. Dort stand eine vorgeschobene russische Abteilung von 6000 Mann und 10 Geschützen. Am 19. Juli kam es daher zum Gefecht von Eckau, dem ersten, das Preußen und Russen seit dem Siebenjährigen Kriege gegeneinander bestanden. General Grawert griff die in einem Flußwinkel der Eckau stehenden Russen an und zog Kleist, der zur Rechten entsendet war, gegen deren linke Flanke gleichzeitig heran. Er errang mit etwa gleichen Kräften an Infanterie, aber dreifacher Überlegenheit an Artillerie einen vollständigen Erfolg. Seine Verluste waren gering. Über 300 Gefangene, eine Fahne und drei Munitionswagen fielen in feine Hand. Die Russen hatten außerdem einige Hundert Tote und Verwundete. So unbedeutend der Vorgang im Vergleich zu den großartigen Ereignissen auf dem Hauptkriegsschauplatze auch erscheinen mag, war er für das preußische Korps doch von Bedeutung als erste Waffenprobe der er- Gefecht von Eckau 211 neuerten Armee. Sie hatte die Prüfung gut bestanden. Das Mißverhältnis bei der Einbuße auf dem Gefechtsfelde sprach deutlich dafür, daß ihre jetzige Fechtweise durchaus zweckmäßig war. Dies gab der ganzen Armee Sicherheit und Vertrauen zu ihren neuen Lehren und Vorschriften. Das Jnfanteriereglement vom IS. Januar 1812 enthielt in der Tat schon manche Elemente des modernen Gefechts, so auch die Grundlagen unserer späteren Kompagniekolonnentaktik. Die Infanterie sollte im offenen und durchschnittenen Gelände, gegen zerstreute und geschlossene Truppen fechten können, und jeder abgesonderte Haufe, sei es Bataillon, Kompagnie oder Zug in seinen verschiedenen Gliedern das Mittel für beide Fechtarten besitzen. Die Division Grandjean war inzwischen am 13. nach Schönberg abgerückt und ging von dort weiter zur Düna vor. Macdonald, erfreut über den Erfolg von Eckau, befahl nun, daß die Preußen den Feind, der noch bei Dahlenkirchen stand, unter die Mauern von Riga zurückwerfen sollten. Grawert ging bis zur Missa vor, während eine Seitenabteilung Mitau, die Hauptstadt von Kurland, besetzte. Bald ging der Feind auch von Dahlenkirchen zurück, das von Grawerts Vorhut erreicht wurde. Da Macdonald Mitau zum Hauptstapelplatz für das preußische Korps bestimmte, so folgte der General nicht weiter, sondern ließ nur seine Vorhut bei Dahlenkirchen stehen und marschierte links ab nach Olai zwischen Mitau und Riga. Trotzdem verbreitete der Schrecken sich in Riga. Übereilt wurde Feuer an Baulichkeiten gelegt, die der Verteidigung hinderlich waren, und ein daraus entstehender mehrtägiger Brand vernichtete einen erheblichen Teil der Stadt. Viele Einwohner flüchteten aus Furcht vor einer preußischen Beschießung. An diese wurde jedoch einstweilen nicht gedacht, da der Geschützpark sich erst in Danzig bildete. Marschall Macdonald hatte sich inzwischen, um der großen Armee näher zu sein, mit der Division Grandjean über Jakobstadt nach Dünaburg begeben. Dort blieb er fast zwei Monate lang untätig stehen, obschon Napoleon ihn wiederholt zum Überschreiten der Düna drängte, an der nach dem Rückzüge der russischen Hauptarmee nur das Korps Wittgenstein zurückgeblieben war. Auch die Aussicht auf die Mitwirkung Oudinots vom linken Flügel der großen Armee her und von Teilen des Victorschen Korps, das sich inzwischen hinter der Armee bei Tilsit versammelte, brachten ihn nicht zu kühneren Entschlüssen. Er ließ sogar Oudinot, 14« 212 III. Die Wtedererhebung der zwischen dem 28. Juli und 2. August einen ersten Vorstoß gegen Wittgenstein unternahm, ohne Unterstützung und trug so die Mitschuld an dessen Niederlage. Da das rechte Stromufer in den Händen der Russen blieb, so verwandelte sich die beabsichtigte Einschließung Rigas in eine Beobachtung auf der Südseite. Auf des Marschalls gemessenen Befehl nahm das preußische Korps dort eine weitgedehnte Stellung von Dahlenkirchen an der Düna über Olai bis Schlock an der Ostsee ein. Schlechte Querverbindungen machten dabei die Lage der beiden Flügel recht gefährlich. Anfangs blieben die Russen in Riga ruhig. Sie hatten noch mit sich selbst zu tun. Als aber ihre Streitkräfte einigermaßen geordnet waren, begannen sie mit Vorstößen. Am 5. August wurde der Posten bei Schlock auf dem äußersten linken Flügel mit großer Übermacht zu Lande und durch bewaffnete Fahrzeuge auch von der See- und Wasserseite her angegriffen und geworfen. Tags darauf wurde von dorther sogar Mitau bedroht. Am 7. aber warf Kleist die gegen diese Stadt vorgedrungenen Kolonnen im Gefecht von Wolgund und Kliwenhos zurück. Die Kanonenschaluppen, die bis nahe an Mitau herangekommen waren, mußten ihren Rückzug auf der Aa unter Verlust bewerkstelligen. In den folgenden Tagen wurden auch die alten Stellungen wieder eingenommen. Dorck kehrte von Memel zurück, um am 13. August an des schwer kranken Grawert Stelle den Oberbefehl zu übernehmen. Seine Truppen waren zum größten Teil bereits vorher von Memel wieder herangerückt. Das Korps zählte um diese Zeit noch 16000 Mann. Den Feind in Riga kann man auf mindestens dieselbe Stärke veranschlagen, da er Zuschub erhalten hatte. Einstweilen blieb Jorck in seinen Stellungen, die er ohne Macdonalds Zustimmung nicht ändern konnte; doch ließ er die einzelnen Posten zu hartnäckiger Verteidigung einrichten. Dann belebte er den Vorpostenkrieg, den er zur Schulung aller seiner Truppen in zerstreutem Gefecht benutzte. Am 22. August ließ General v. Essen ein größeres Unternehmen durch General v. Löwis gegen Dahlenkirchen ausführen (S. Skizze 20, Nebenkärtchen), gerade als Oberst v. Horn, der dort den Befehl führte, durch vorübergehende Entsendung einer fliegenden Kolonne gegen Friedrichstadt nicht unerheblich geschwächt war. Er verfügte nur über etwa 1500 Mann, während Löwis Gefechte von Kliwenhof und Dahlenkirchen 213 mit mehr als der doppelten Stärke herankam. Der Angriff erfolgte im Morgennebel von zwei Seiten her, längs der Rigaer Straße am Südufer der Düna gegen die Front und über die auf Felsriffen durchwatbare Düna sowie die Insel Dahlen hinweg in den Rücken der preußischen Stellung. Nach äußerst hartnäckigem Widerstand zog Horn über Gange gegen die Hauptmacht bei Olai ab. Er hatte mehr als die Hälfte seiner Leute, nämlich 26 Offiziere, 775 Mann verloren. Dennoch gereichte dies blutige Gefecht von Dahlenkirchen den Truppen zur hohen Ehre. Überrascht und von Übermacht angegriffen, hatten sie sich unerschrocken mit großer Standhaftigkeit und Umsicht geschlagen. Ein gleichzeitiger Vorstoß der Russen gegen das Hauptkorps bei Olai mißglückte unter erheblichem Verluste für sie; dagegen mußte der preußische Posten bei Schlock seine Stellung neuerdings vor großer Übermacht räumen. Er zog geschickt teils auf Tuckum, teils gegen Mitau hinab. Die Russen folgten nur bis Dahlenkirchen und Schlock. Vorübergehend wurde der erste Ort bald wieder von den Preußen besetzt, dann aber der rechte Flügel bis Tomoschna zurückgezogen, weil der Belagerungspark von 130 Geschützen bei Ruhental westlich von Bauske einzutreffen begann. Zu seinem Schutze galt es nunmehr, die Truppen enger zusammenzuhalten. Schlock, das die Russen verlassen, wurde wieder besetzt. In den nächsten Wochen trat bis auf kleine Scharmützel und Vorpostenneckereien Rnhe ein. Am 23. September kam die Nachricht von Napoleons Einzug in Moskau, um die gleiche Zeit traf jedoch auf russischer Seite das Korps des Grafen Steinheil, das in Finnland verfügbar geworden war, auf dem Seewege bei Riga ein. Es sollte die Festung entsetzen, den Belagerungspark fortnehmen und zugleich Macdonald an der Düna von Wittgenstein ablenken. Im ganzen standen dazu außer den Besatzungen von Riga und Dünamünde 22000 Mann zu Gebote, erheblich weniger, als Kaiser Alexander glaubte. Trotzdem ging Graf Steinheil vor, und es kam nunmehr größere Bewegung in die kriegerischen Ereignisse. Unter Entsendung schwacher Abteilungen gegen Schlock und Mitau brach die russische Hauptmacht am 26. September von neuem über Dahlenkirchen vor, warf unter wiederholten Gefechten die preußischen Vortruppen und Horns rechte Flügelabteilung zurück und richtete ihren Marsch am 27. auf Bauske, somit den Belagerungspark ernsthaft bedrohend. (S. Skizze 20.) Schnell 214 HI. Die Wiedererhebung entschlossen vollzog an diesem Tage Jorck von Olai her einen Rechtsabmarsch nach der Straße von Eckau auf Bauske und vereinigte sich mit Horn. Auch rief er von links Kleist und von rechts eine zurzeit bei Friedrichstadt stehende, von Oberst v. Hüner- bein befehligte Brigade der Division Grandjean heran. Am 28. nahm er bei Schloß Ruhenthal Aufstellung, wo der Park seit dem 10. September versammelt war. In der Nacht traf dort auch 8ki??s ?u cten gizfizMen vom 28. Leptembep bis 2.0^00^1812 s 5^!gLlil de> k^ske l Skizze 20 Kleist und am 29. früh bei Zerraukst Hünerbein ein, freilich nur mit drei polnischen Bataillonen, einer halben polnischen Batterie und zwei schwachen preußischen Eskadrons. Nun hatte Jorck alle erreichbaren Kräfte beisammen. In ungünstiger Lage, von Wäldern und Sumpf umschlossen, durch die schwerfällige Geschützmasse in seinen Bewegungen behindert, erwartete er bei übelster Stimmung den feindlichen Angriff. Doch dieser kam nicht. Steinheil hatte, zum Teil auf Essens Betrieb, seine Kräfte gegen Mitau hin zer- Die Schlacht von Bauske 215 splittert und rückte zudem in mehreren Kolonnen durch ein Gelände heran, in dem jede seitliche Verbindung äußerst erschwert war. Eine derselben holte bis über Gräfenthal aus, eine andere ging auf Mesoten vor. Die Hauptkräfte scheinen bei Zoden geblieben zu sein. Da entschloß sich der preußische Führer, seinem Temperament entsprechend, zum Vorstoße gegen die vereinzelten feindlichen Kolonnen. Ein kraftvoller Angriff sollte ihn aus seiner peinlichen Lage befreien. Freilich wurde es spät, ehe es dazu kam, aber in kurzem Gefecht warf er erst die eine feindliche Abteilung am Kosakenkruge, dann die andere bei Gräfenthal mit Verlust zurück. Hünerbein war inzwischen in Bauske eingerückt. Am 30. wurde die Offensive zu beiden Seiten der Aa nördlich fortgesetzt und der Feind unter neuen Gefechten am Lautschkruge und beim Pastorat Sallgallen mit bedeutendem Verluste geworfen. Etwa 1400 Gefangene blieben an diesem Tage in preußischen Händen. Dennoch vermochte Dorck, durch die Sicherung des Belagerungsparks gebunden, seinen Sieg nicht so auszunutzen wie er wünschte. Essen war in Mitau eingerückt, Steinheil sollte bei Eckau stehen. Von beiden Seiten drohte also noch Gefahr. Bis zum Morgen klärte sich jedoch auf, daß der Feind Eckau geräumt habe und zum Teil westlich nach dem Garossenkruge, zum Teil nach Dahlenkirchen abgezogen sei. Dadurch bekam Aorck mehr Freiheit, und er setzte am 1. Oktober seine Angriffe fort. Die Avantgarde ging rechts der Aa gegen den Garossenkrug vor, wohin auch Hünerbeins Abteilung herangezogen wurde. Am linken Aaufer rückte Jorck selbst mit der Hauptmacht gegen Mitau vor. Dies führte zu dem heftigen Gefechte der Avantgarde bei Garosfenkrug, das erst mit Einbruch der Dunkelheit endete, während Mitau bereits vom Feinde frei gefunden wurde. Am 2. Oktober gedachte Jorck nun von dort her den Russen an der Garosse in den Rücken zu fallen; doch war der Krug noch am Abend vorher genommen worden. Es hatte daselbst nur eine starke Nachhut gefochten, und das preußische Korps fand die Gegner bereits im vollen Rückzüge auf Riga. Einige hundert Nachzügler wurden noch aufgegriffen. Die Preußen besetzten mit einer Vorhut Peterhof und verblieben im übrigen bei Mitau, wo Aorck seine Truppen am nächsten Tage auf dem linken Ufer der Aa versammelte, um ihnen Ruhe zu gönnen. 216 III. Die Wiedererhebung Die fünftägigen Gefechte, die zuweilen in ihrer Gesamtheit als „Schlacht von Bauske" bezeichnet werden, hatten eine für diesen Feldzug ungewöhnliche Hartnäckigkeit gezeigt. Die Preußen verloren 42 Offiziere 1177 Mann; doch fielen im ganzen 2500 Gefangene in ihre Gewalt, und der Gesamtverlust der Russen kann zu 4—5000 Mann veranschlagt werden. Jorcks Umsicht und Tatkraft verdankten die Preußen neben ihrer Tapferkeit den Erfolg. Der russische Vorstoß gegen den Belagerungspark war an der Zersplitterung der Kräfte und dem Mangel einheitlicher Handlung gescheitert. Selbst Napoleon mußte die soldatische Tüchtigkeit des ihm so wenig sympathischen Jorck unumwunden anerkennen. Merkwürdigerweise sollte das russische Unternehmen dennoch für die eigene Sache zu einem Vorteil führen. Macdonald, beunruhigt über das Schicksal des preußischen Korps, war auf die Nachricht vom Vorbrechen der Russen mit dem größten Teil der Division Grandjean von Dünaburg herbeigeeilt, während andererseits Steinheil am ö. Oktober mit 8200 Mann und 18 Geschützen von Riga zu Wittgenstein abrückte und diesen verstärkte. An der Düna erlangten die Russen daher nicht nur das entschiedene Übergewicht, sondern auch die Freiheit der Bewegung. So kam Wittgenstein in die Lage, den äußersten linken Flügel der großen Armee erfolgreich anzugreifen und später für des Kaisers Rückzug von Moskau gefährlich zu werden. Obwohl Macdonald am 8. Oktober von Steinheils Abmarsch Kenntnis erhielt, benachrichtigte er den bei Polozk an Stelle des verwundeten Oudinot jetzt kommandierenden General St. Cyr nicht einmal von der ihm drohenden Gefahr. Er blieb vor Riga gebannt. Dort befahl er, daß das preußische Korps wieder in die alten ausgedehnten und gefährdeten Stellungen vorgehen, die Division Grandjean die Düna zwischen Jakobstadt und Friedrichstadt sichern sollte. Der Belagerungspark wurde auf Napoleons Geheiß nach Memel und Tilsit zurückgeschafft. Aorck erhob Vorstellungen gegen die Zersplitterung seiner Truppen, aber erst als die Russen am 16. und 17. ihre Unternehmungen, zumal bei Dahlenkirchen, wieder aufnahmen und neue Gefechte folgten, gab der Marschall endlich nach und gestattete Aorck eine engere Versammlung hinter der Eckau und Aa. Am 27. Oktober trafen auch noch einige Verstärkungen an Artillerie ein. Bis gegen die Mitte November herrschte verhältnismäßige Macdonalds Untätigkeit 217 Ruhe. Einmal wurde wohl Friedrichstadt von den Russen genommen, aber bald wieder geräumt. Seit Beginn des Monats befehligte an des abberufenen Essen Stelle General Marquis Paulucci in Riga, und da der beginnende starke Frost Sümpfe, Flüsse und Ströine gangbar machten, so nahmen die kriegerischen Vorgänge wieder größere Lebhaftigkeit an. Die Russen, die noch einige Verstärkungen erhalten hatten, gingen zwischen Dahlenkirchen und Friedrichstadt über das Dünaeis und drangen in das von Macdonald besetzte Gebiet ein. Friedrichstadt wurde am 13. November abermals überfallen und genommen. Neue Expeditionen waren erforderlich, um sie zu vertreiben. Macdonald, der diese selbst anordnete, erkannte dabei die Tapferkeit der Preußen und die Umsicht ihrer Offiziere an. „Meine Achtung vor ihnen steigt mit jedem Tage," schrieb er einmal. Mit einem Verluste vou 1000 Gefangenen wurden die Russen wieder über die Düna zurückgetrieben. Mehrfach lobte Jorck in seinen Berichten an den König die Tüchtigkeit seiner Truppen, denen der mühevolle, wenn auch wenig ereignisreiche Feldzug zu einer vortrefflichen Schule wurde, in der zumal bei den vielen kleinen Gefechten, Scharmützeln und Unternehmungen die einst so bitter vermißte Selbständigkeit der Führer sich zusehends hob. Auch das Selbstvertrauen kehrte in ihre Reihen zurück. Die erzwungene Teilnahme an diesem Kriege ward ihnen am Ende zum Segen. Groß waren übrigens die Beschwerden, die mit der rauhen Jahreszeit über das Korps hereinbrachen. Es fehlte an Kleidung, an hinreichender Verpflegung und an Geld. Trotz aller Anstrengungen des vortrefflichen Intendanten Nibbentrop war nur wenig Abhilfe zu schaffen, zumal weil die „große Armee" alle Transportmittel für sich in Anspruch genommen hatte. Die scharfe Kälte steigerte die Leiden der ganz ungenügend untergebrachten Soldaten. Endlich begannen auch die Vorgänge bei der großen Armee ihre Schatten vor sich her zu werfen. Es kamen die ersten Nachrichten von der im Innern Rußlands eingetretenen Katastrophe. Anfangs waren es nur Gerüchte. Dann erhielt Aorck über Tilsit genauere Mitteilungen, die Macdonald als Übertreibungen auffaßte. Seine Versuche, sich selbst bestimmte Kenntnis vom Vorgefallenen zu verschaffen, scheiterten. Die Berichte der von ihm 218 III. Die Wiedererhebung abgesandten Offiziere wurden aufgefangen. Am 16. Dezember erfuhr Aorck in Mitau, daß die Überreste des kaiserlichen Heeres im traurigsten Zustande auf preußischem Boden eingetroffen seien. Am 18. zerstreuten ein mit einem Befehle von Berthier eintreffender Augenzeuge, sowie das berühmte 29. Bulletin, das der Welt den Verlust der „großen Armee" verkündete, die letzten Zweifel. Wirklich war eingetreten, was sich schon 1807 vorahnen ließ, als aus Napoleons Heer die Mannszucht zu schwinden begann und in den denkwürdigen Tagen von Eylau Banden von Marodeuren Ostpreußen bis zur Weichsel und selbst das Land westlich dieses Stromes überschwemmten. Damals hatte des Kaisers Kriegsglück noch die Bedenken der Einsichtigen beschwichtigt. Jetzt kehrten ihre Erinnerungen zu jener Zeit zurück. Die Verachtung der Masse durch den Eroberer, dem sie als Werkzeug diente, hatte sich gestraft, sein Beispiel Nachahmung gefunden. Auch seine zu Grafen, Fürsten und Herzögen erhobenen Marschälle kümmerten sich wenig mehr um die innere Ordnung ihrer Truppen. Die nationale Buntscheckigkeit der großen Armee von 1812 hatte das ihrige getan, um die Auflösung zu beschleunigen. Nicht erst auf dem am 23. Oktober begonnenen Rückmärsche von Moskan, sondern schon auf dem Vormarsch dahin war die große Armee an ihrem Mangel inneren Halts zugrunde gegangen. Sie vermochte die Anforderungen, die ein Krieg auf einem menschenarmen ausgedehnten Kriegsschauplatze, wie dem russischen, durch die natürlichen Umstände an sie stellte, nicht zu erfüllen. Ihrer ganzen Natur nach war sie für einen solchen Krieg ungeeignet, und dies ist die erste und wichtigste Ursache für Napoleons Niederlage. Von den 612 000 Mann, welche nach und nach den russischen Boden betreten haben, ist nur ein Sechstel etwa von Moskau abmarschiert. Die Zerstörung hatte schon vorher ihr Werk getan, war aber der Welt, die nur von französischen Siegen hörte, bis dahin verborgen geblieben. Erst als der Kaiser am 6. Dezember zu Smorgonoj östlich Wilna die Trümmer seines Heeres verließ, um mit geringer Begleitung im Schlitten nach Paris vorauszueilen, wurde das unerhörte Geschehnis der Öffentlichkeit bekannt. Die Reste der großen Armee zu bergen überließ Napoleon seinem Schwager Murat. Nun sah sich auch Marschall Macdonald bewogen, dem allgemeinen Rückzüge zu folgen. Es war ein Glück für ihn, daß er Rückzug der „großen Armee" aus Rußland 219 die Division Grandjean schon auf die ersten Hiobsposten hin nach Bauske herangezogen hatte. So konnte der Abmarsch noch am 18. Dezember beginnen. Dorck deckte ihn mit den preußischen Truppen. Er folgte erst am 20. und blieb zwei Tagemärsche hinter den anderen zurück. Der große Wendepunkt in der Geschichte Preußens nahte heran, und der wichtige Augenblick fand an der rechten Stelle den rechten Mann. Durch die sonderbare Fügung des Schicksals gewann das schwache preußische Korps eine Bedeutung, die weit über das Gewicht seiner Zahl hinausging. Wie ein Wunder nimmt es sich aus, daß es in dem Augenblick, als die Überbleibsel der französischen Heeresmacht sich Waffen- und wehrlos den preußischen Grenzen näherten, die stärkste geschlossene und verwendbare Truppenmacht darstellte, die auf diesem Teil des Kriegstheaters vereinigt war. Auch die Russen sahen sich völliger Erschöpfung nahe. Ihre Neigung, nach dem unerwarteten großen Erfolge die heimischen Grenzen zu verlassen, um auf fremdem Boden womöglich die Früchte ihres Sieges wieder einzubüßen, war gering. Sie glaubten getan zu haben, was man von einem Volke verlangen konnte. Blieb Aorck fest bei der französischen Sache, so würde das österreichische Korps, das auf dem entgegengesetzten Flügel Napoleons Flanke deckte, wohl ein gleiches getan haben. Beide, verstärkt durch die etwa 40000 Mann kriegsfertiger Truppen, über die Napoleon um die Jahreswende östlich der Elbe verfügte, hätten der Verfolgung Einhalt tun können. Diese wäre vielleicht schon am Pregel, der masurischen Seenkette und dem Narew, spätestens aber an der starken Weichsellinie zum Stehen gekommen. Sicher wäre es der Fall gewesen, wenn Preußen dem mächtigen Bundesgenossen auch seine noch übrigen Truppen zur Hilfe sandte. Ob der König hierin gewilligt haben würde, wenn das nun folgende Ereignis ausgeblieben wäre, ist heute nicht mehr zu entscheiden. Napoleon hätte jedenfalls Zeit zu seinen Rüstungen gefunden, und der nächste Feldzug möchte an der Weichsel, nicht an der Elbe und Saale begonnen haben. Es bleibe dahingestellt, ob Aorck die volle Bedeutung der Lage übersah oder ob er sie, von richtigem soldatischem Gefühle geleitet, mehr empfand als erkannte, sein Temperament wies ihm den rechten Weg, wie es so oft für den Soldaten der beste Pfadfinder ist. 220 III. Die Wiedererhebung Unerwartete Zwischenfälle, die dem Kühnen meist begegnen, kamen ihm zu Hilfe. Macdonald hatte sein ganzes 10. Korps bei Janischki versammeln wollen, um geschlossen weiterzumarschieren. Als Jorck aber nach einem schwierigen Nachtmarsche von vier Meilen bei 24" Kälte zu Kalwe ankam, hatte Macdonald seinen Entschluß geändert und war weiter marschiert. Jorck fand nur den Befehl vor, nachzurücken. Der Vorsprung, den der Marschall gewonnen, ließ sich nun nicht mehr einholen. Zum zweiten Male wollte derselbe bei Tauroggen Halt machen, um alle Kräfte dort zu vereinigen und, wenn nötig, schlagen zu können. Bis dahin sollte jedes vereinzelte Gefecht vermieden werden. Aber selbst bei Tauroggen blieb Macdonald, obwohl er Jorck seine Absicht mitgeteilt hatte, nicht stehen, sondern marschierte ohne Aufenthalt nach Tilsit weiter. Wenn die Eile sich auch aus den Umständen erklärte, so konnte Jorck sich doch bis zu einem gewissen Grade als im Stiche gelassen ansehen. Seine Lage war dabei um so bedenklicher, als er den gesamten Troß mit sich zu schleppen und zu schützen hatte, die Märsche sich aber bei der eintretenden Kälte immer furchtbarer gestalteten. Leicht konnte den Seinen völliger Untergang drohen. Nur ein Jorck vermochte sie zu retten, der Mann, der „scharf war wie gehacktes Eisen", zugleich aber ein warmes fürsorgendes Herz für die Truppen besaß. Die geheimen Verhandlungen zwischen Russen und Preußen vor Riga hatten früh begonnen und während der Dauer des Feldzuges nie ganz aufgehört. Sie wurden jetzt von russischer Seite mit großem Geschick wieder aufgenommen. Wittgenstein eilte mit seinem Armeeslügel gegen den Riemen heran, und es gelang ihm, schwache Abteilungen in den Raum hineinzuschieben, der Jorck und Macdonald trennte. Jorck sah am 25. bereits bei Koltynjany durch den russischen General Diebitsch seinen Rückzug, verlegt, während Macdonald sich am 26. den Zugang nach Tilsit, wohin er jetzt in kleinen Märschen weiterrückte, durch ein Gefecht bei Piktupönen eröffnen mußte. (S. Skizze 21.) Er traf dort schon russische Abteilungen des Generals Kutusow, die, südlich des Niemen anrückend, ihm bei Tilsit zuvorgekommen waren. Freilich hätte auch Jorck sich den Weg gewaltsam bahnen können, aber der Anlaß, den inneren Wünschen seines glühenden patriotischen Herzens zu folgen, war ihm gegeben. Im Verlaufe des Feldzuges soll er einmal eine vertrauliche Verhandlungen zwischen Preußen und Russen 221 Weisung des Königs erhalten haben, sich auf Graudenz zurückzuziehen, falls der französische Angriff auf Rußland mißglückte. Dort sollte er unter dem Schutze der Festung lagern und weder If'up pekiZtsllun g ssi 3M 25. DsiLmkep 1812. Skizze 21 Russen — M Franzosen und Preußen Franzosen noch Russen den Zutritt gestatten. Dies paßte indessen nicht für die ungewöhnlichen Verhältnisse, welche jetzt eingetreten waren. Über des Königs und seiner nächsten Berater Ansicht befand sich Aorck völlig im unklaren. Ein Offizier, den 222 III. Die Wiedererhebung er nach Potsdam entsandt und der ihn am 29. Dezember über Memel wieder erreichte, brachte nichts mit, als den Befehl, nach Umständen zu handeln. Zudem war der König bei dessen Abreise noch nicht über den vollen Umfang der großen Katastrophe unterrichtet gewesen. So blieb Jorck in gerechten Zweifeln, welchen Sinnes sein Kriegsherr wäre. Tatsächlich dachte der König um diese Zeit noch nicht an den Bruch mit Frankreich. Er hoffte einen so entscheidenden Schritt vermeiden zu können. Die dringenden Mahnungen seiner treuesten Anhänger, die eigene Person in Sicherheit zu bringen und Potsdam zu verlassen, wies er mit Schärfe zurück. Seine Hoffnungen waren zunächst wohl nur darauf gerichtet, von Napoleon, nach dessen Niederlage, Erleichterungen des Loses von Preußen auch ohne Krieg zu erreichen. Hardenberg hat sich vorübergehend mit gleichen Gedanken getragen. Ob Jorcks selbständiges Vorgehen in dieser Lage später als eine heroische Tat oder als ein strafwürdiges Verbrechen angesehen werden würde, hing von den Folgen ab. „Wenn also jetzt der General Jorck für sich, auf seine Gefahr einen Entschluß faßte, der die preußische Politik in eine entgegengesetzte Richtung mit fortreißen sollte, so war dies eine der kühnsten Handlungen, die in der Geschichte vorgekommen sind." Und dennoch entschloß er sich dazu. Am 30. Dezember kam in der Mühle von Poscherun nahe von Tauroggen die seitdem so berühmt gewordene Konvention zustande, durch die sich der preußische General von den Franzosen lossagte und seine Truppen einstweilen in dem Dreieck heimischen Gebietes zwischen der Memel, der russischen Grenze und dem Kurischen Haff neutralisiert wurden. Macdonald entließ hierauf großmütig auch die bei Tilsit schon eingetroffene preußische Kavalleriebrigade Massenbach und setzte seinen Rückzug auf Königsberg fort. Diesen hätte ihm Wittgenstein freilich verlegen können. Er ließ ihn indessen unachtsam entkommen, und am 3. Januar erreichten die Franzosen ohne weitere Verluste Königsberg. Dort fand der Marschall nicht unbeträchtliche Verstärkungen vor, folgte aber doch in den nächsten Tagen dem allgemeinen Rückzüge gegen die Weichsel. Jorck berichtete in tiefer Bewegung seinem Könige über den getanen Schritt. „Eurer Königlichen Majestät Monarchie, obgleich beengter als im Jahre 1805, ist es jetzt vorbehalten, der Erlöser und Beschützer ihrer und aller deutschen Völker zu werden..... Die Konvention von Tauroggen 223 Der Zeitpunkt muß aber schnell benutzt werden. Jetzt oder nie ist der Moment, Freiheit, Unabhängigkeit und Größe wieder zu erlangen." Nach der Tat war also das Bewußtsein von deren Bedeutung dem General vollkommen erwacht. Ganz entflammt von der Idee der Befreiung und der Wiederaufrichtung des Vaterlandes eilte er, der vor dem Kriege Generalgouverneur von Ostpreußen gewesen war, mit einigen Truppen nach Königsberg voraus und traf dort am 8. Januar ein. Sogleich ergriff er selbständige Maßregeln, sein Korps durch Einstellung von Rekruten wieder auf den früheren Stand zu bringen. Die großen Tage Ostpreußens brachen an. Die Provinz hatte am meisten durch die Kriege gelitten; sie war von den befreundeten Russen fast ebenso verwüstet und ausgesogen worden, als von den Franzosen. Aber jene nahten jetzt als Befreier, und das von ihnen angetane Leid war vergesfen. Gegen die Franzosen und ihren Kaiser, die alles geschehene Unheil heraufbeschworen hatten, richtete sich der ganze glühende Haß des Volkes, bei dem die Nachricht von der Konvention von Tauroggen die höchste Erregung und einen nachhaltigen Eifer für die Sache des Krieges hervorrief. Der Oberpräsident Auerswald, die Regierungspräsidenten Schön aus Gumbinnen und Wißmann von Marienwerder waren zur Stelle. Freilich zögerten sie noch, eine bewaffnete Erhebung einzuleiten, solange der König keinerlei Zeichen dazu gegeben hatte. Bei ihnen, wie zuvor bei Jorck, mochte auch wohl das ernste Bedenken aufsteigen, daß sie durch ein zu schnelles und kühnes Vorgehen die Person Friedrich Wilhelms III. in Gefahr bringen konnten. Am 22. Januar aber brachte Steins Erscheinen iu Königsberg die Ereignisse in Fluß. Er kam als Träger einer Vollmacht des Zaren, wonach er bis zuni Abschlüsse eines endgültigen Vertrages mit dem Könige die Leitung der Behörden übernehmen und die Kräfte des Landes zur Unterstützung des Kampfes gegen Frankreich nutzbar machen sollte. Als er in seinem Feuereifer an die buchstäbliche Ausführung dieser Vollmacht ging, als er anfing, die öffentlichen Kassen zum Zwecke der russischen Kriegführung mit Beschlag zu belegen, als er dann weiterhin den Behörden den Verkehr mit der preußischen Regierung verbot und von Jorck verlangte, daß er mit den Russen sogleich gemeinsame Sache mache, stieß er freilich trotz seines hohen Ansehens und der Autorität, die 224 III. Die Wiedererhebung er von 1807 her genoß, auf Widerstand. Allein es kam am Ende eine Einigung dahin zustande, daß der ostpreußische Generallandtag zu berufen sei und das Weitere zu beschließen habe. Der gesetzliche Sinn der Beamten ließ diesen zwar nur als eine Versammlung von Abgeordneten der Stände erscheinen und vermied den amtlichen Ausdruck. Aber in der Sache kam es auf dasselbe hinaus. Die Einberufung erfolgte für den S. Februar. Der Generallandtag sollte vor allen Dingen über eine allgemeine Landesbewaffnung beraten. Der frühere Minister Dohna hatte durch seine beiden Brüder Ludwig und Friedrich sowie durch Clausewitz eine Vorlage hierfür schon vorbereitet. Sie enthielt die wichtigsten Punkte der nachherigen Verordnung über Landwehr und Landsturm. Die Verhandlungen begannen unter dem tiefgehenden Eindruck der Nachricht von der Abreise des Königs nach Breslau, die verfrüht bereits als Lossagung von Frankreich gedeutet wurde. Eine Abordnung erschien bei Jorck und lud ihn ein, „der Versammlung seine im Namen des Königs zu machenden Vorschläge und Forderungen bekannt zu geben". Jorck überwand die anfänglichen Bedenken gegen einen solchen Schritt, erschien auf dem Landtage und erklärte, „daß er, da man die Befehle des Königs nicht einholen könne, kraft der ihm als Generalgouverneur zustehenden Gewalt, zu einer kräftigen Verteidigung des Vaterlandes auffordere". Seine begeisterte Ansprache fand allgemeinen stürmischen Beifall. Dann legte er den Dohna-Clausewitzschen Entwurf zur allgemeinen Landesbewaffnung vor, und schon in der zweiten Sitzung war das Wesentliche erledigt. Am 9. konnte der Landtag sich auflösen. Graf Ludwig Dohna reiste ab, um die Zustimmung des Königs einzuholen. Friedrich Wilhelms IH. engem und in allen Dingen, die seine souveränen Rechte berührten, auch strengem Sinne entsprach weder Jorcks Vorgehen, noch die Selbständigkeit in der Handlungsweise der Provinz. Jorcks eigenmächtiger Schritt von Tauroggen war zunächst durch eine Absetzungsorder beantwortet worden; doch ließen die Russen den damit abgesandten Offizier nicht durch ihre Vorposten, und sie blieb wirkungslos. Mit der Zustimmung zu den Königsberger Beschlüssen zögerte der König bis zur förmlichen Kriegserklärung. Die Konvention mit Frankreich vom 8. September 1808 untersagte ihm ausdrücklich Massenaufgebote und Beschlüsse des ostpreußischen Geiierallandtages 225 ähnliches. Seinem Mißfallen gab er entschiedenen Ausdruck, aber der Gang der Ereignisse versöhnte ihn mit dem Unabänderlichen. Die Vorbereitungen zur Aufstellung der neuen Truppen waren sofort getroffen worden, und die ostpreußischen Landwehren konnten zuerst zur Verwendung kommen. Das war auf alle Fälle ein großer Vorteil. Die Zurückhaltung des Königs, der noch immer gefürchtet hatte, daß ein vorzeitiger Losbruch alles verderben und die von ihm für Preußen aus den Ereignissen erwarteten Vergünstigungen unmöglich machen könne, wich nur allmählich. Nm so Heller strahlt Aorcks und seiner Landsleute Verdienst; vom Zuge ihrer Seelen fortgerissen, zeigten sie sich hier als große und weitblickende Patrioten. Die Festlandssperre hatte Stein bereits aufgehoben, und die dadurch aus ihrer Not befreite Kaufmannschaft bewilligte 300000 Taler für die Ausrüstung und Verstärkung des Jorckschen Korps. Außer den schon einberufenen 6000 Rekruten waren ihm noch 13 000 frische bewilligt worden. Die Landwehr sollte 20 000 Mann stark sein. Jorck zog nunmehr auch seine Truppen sämtlich nach Königsberg vor und setzte sich mit Bülow, der die immobilen Truppen östlich der Weichsel kommandierte, zu gemeinsamem Handeln in Verbindung. Auch Bülow zog Rekruten, Pferde und Material an sich, beantwortete die Aufforderung der Franzosen zur Teilnahme an der Weichselverteidigung ausweichend und rückte schließlich, auf seine Selbständigkeit bedacht, nach Pommern ab, wo General v. Borstell die Truppen der Provinz bei Kolberg versammelte. Am 8. Februar kapitulierte Pillau, die erste Festung, welche die Franzosen auf dem Kriegsschauplatze verloren. 6. Rückzug der Franzosen hinter die d> Goltz, Kriegsgeschichte 15 226 III. Die Wiedererhebung Eugen gelang es, aus den erreichbaren Trümmern bei Posen vier schwache Divisionen und eine Kavalleriebrigade, im ganzen 16 000 Mann mit 27 Kanonen, zu vereinigen, und er hoffte, wie es des Kaisers Wunsch war, dort schon der Verfolgung Halt gebieten zu können. Österreich und Preußen aber hatten inzwischen die Forderung Napoleons, neue Kontingente zu stellen, abgelehnt. Schwarzenberg war mit den österreichischen Truppen auf Krakau zurückgegangen. Er schloß mit den Russen ein Abkommen und entblößte so die rechte Flanke der Franzosen. König Friedrich Wilhelm III. hatte sich unterdessen, wie schon bekannt, in der zweiten Hälfte des Januar mit den märkischen Truppen nach Schlesien begeben und am 25. die Regierung nach Breslau verlegt. Dort erstand also im Rücken der Franzosen ein neuer Gegner, denn auch in Schlesien ward jetzt lebhaft gerüstet. Kosakenschwärme folgten in breiter Front über die untere Weichsel, dann Wittgensteins russische rechte Flügelarmee und hinter ihr Jorck. Von Pommern drohte gleichfalls Gefahr, und im ganzen Lande begann die Gärung unverkennbar, je mehr die Königsberger Vorgänge bekannt wurden. Napoleons Unklugheit, Preußen bis zum letzten Augenblick erniedrigend zu behandeln, begann ihre Früchte zu tragen. „Ich werde das Schwingen, Klingen und Ringen dieser Morgenröte deutscher Freiheit, diesen so leuchtenden Aufgang eines neuen jungen Lebens nimmer vergessen," schrieb Ernst Moritz Arndt in jenen Tagen. Der Osten Deutschlands war dem allgemeinen Erwachen nahe. Unter diesen Umständen fühlte der Vizekönig sich bei Posen nicht sicher. Am 12. Februar rückte er weiter zur Oder ab. Nach des Kaisers Meinung hätte er sich vorwärts dieses Stromes bei Küstrin ausstellen und ihn offensiv verteidigen sollen. Es wäre wohl möglich gewesen, dort 35 000 Mann zusammenzubringen. Die Verfolger, weit zerstreut, und nach der Zurücklassung von Beobachtungstruppen vor den von den Franzosen noch besetzten Festungen nur wenig zahlreich, hätten sich schwerlich sogleich zu einem ernsten Angriff entschlossen. Aber zu so kühnen Plänen vermochte sich des Kaisers Stiefsohn nicht aufzuschwingen. Ihm fehlten Erfahrung und Tatkraft dazu. Zudem wirkte der Schrecken der russischen Katastrophe noch nach. Des Kaisers Mahnungen kamen zu spät. Am 20. Februar statteten bereits die Kosaken der preußischen Hauptstadt einen ersten kurzen Rückzug der Franzosen bis hinter die Elbe 227 Besuch ab. Bei Kalisch erschien die russische Hauptarmee, freilich nur noch 45 000 Mann stark. Ihre Avantgarde, von Wintzingerode geführt, hatte am 13. Februar die Sachsen unter Reynier von dort vertrieben und war ihnen gefolgt, als sie sich auf Glogau zurückzogen. Unter diesen Umständen wurde auch die Oderlinie von den Franzosen aufgegeben, und der Vizekönig sammelte alles, was er an Truppen zu erreichen vermochte, gegen Ende des Monats bei Berlin. Dort hoffte er zunächst, sich halten zu können, änderte aber seinen Sinn und ging über Wittenberg am 6. März hinter die Elbe zurück, an der er 60 000 Mann vereinigte. Sein Hauptquartier nahm er in Leipzig. Russen und Preußen besetzten die Marken, und die Kosaken, von fliegenden Kolonnen gefolgt, schwärmten durch Norddeutschland gegen Hamburg. -i- » Der russische Nachstoß hatte also bis zur Elbe gereicht, und Dorcks selbständige Handlungsweise wesentlich dazu beigetragen. Alles kam jetzt auf Preußens schnellen Entschluß und sein kräftiges Eingreifen an. Einem solchen stand des Königs Zweifelsinn, ja seine ganze, zum Zögern und zu düsterer Auffassung der Dinge neigende Natur im Wege. Das Drängen der patriotisch gesinnten Männer zum Losbruch beunruhigte ihn; das revolutionäre Element, das durch die allgemeine Volkserhebung hindurchschimmerte, erschien ihm bedenklich. Er rang sich schwer zum Vertrauen auf die Kraft und Nachhaltigkeit der ganzen Bewegung hindurch. Den Vorschlag des Aufrufes von Freiwilligen beantwortete er nach seiner Art, in abgerissenen Sätzen zu sprechen, anfänglich mit dem skeptischen: „Schöne Sache — aber keine kommen." Der materielle Notstand legte der Volksbewaffnung überall Fesseln an. Nur langsam und nach und nach folgten die Maßnahmen der Regierung. Am 28. Januar war in Breslau das „Kommissarium wegen Vermehrung der Armee" eingesetzt worden, an dessen Spitze Harden- berg, Scharnhorst und der Kriegsminister Hake standen. Da aber der Bruch mit Napoleon damals noch keineswegs beschlossen war, so hatten zunächst nur geringfügige und der bestehenden Heeresverfassung angepaßte Rüstungen vorgenommen werden können. Der Geldmangel zwang dazu,die Verpflegung, die Ausrüstung, dieStellung der Pferde usw. vom Lande zu fordern. Um die wohlhabenderen 15* 223 III. Die Wiedererhcbung höheren Stände, die von der Verpflichtung zum persönlichen Waffendienste auch jetzt noch immer gesetzlich befreit waren, für das Heer nutzbar zu machen, war am 3. Februar die Verordnung über die Bildung von freiwilligen Jägerdetachements bei allen Truppenteilen ergangen. Aus Rücksicht auf Napoleon trug sie nicht des Königs, sondern nur Hardenbergs Unterschrift. Es war die erste außerhalb der bestehenden Heereseinrichtungen liegende und daher augenscheinlich gegen Frankreich gerichtete Maßregel. Zahlreiche Meldungen beantworteten sie wider des Königs Erwarten. Ein wichtiger Schritt zur sozialen Hebung des Soldatenstandes vollzog sich damit. Am 9. Februar folgte endlich die Aufhebung der Ausnahmen von der Kantonpflicht, die fchon unmittelbar nach den Niederlagen von Jena und Auerstedt aus Magdeburg oder Berlin hätte verfügt werden sollen. Je weiter die französische Armee zurückwich, desto mehr stieg die Aufregung im Lande. Abordnungen aus allen Teilen des Staates bestürmten den König, das erlösende Wort zu sprechen. Auch aus der Armee wurden immer mehr Stimmen laut, um ihn vorwärts zu drängen. Nicht nur Blücher, sondern auch Bülow und Borstell ermannten sich zu ernsten Vorstellungen. Aber das Vertrauen zur Kraft und zum festen Willen des Volkes kam dem Könige nur ganz allmählich. Noch hielt er eine Verordnung für notwendig, die mit schweren vermögensrechtlichen und bürgerlichen Nachteilen die Versuche derjenigen bedrohte, welche etwa sich oder ihre Angehörigen den Wirkungen des Erlasses vom 9. Februar zu entziehen versuchen sollten. Durch Krusemarck und Hatzfeld, der dem französischen Kaiser eine besonders genehme Persönlichkeit war, wurde während des Januar und Februar fast unausgesetzt in Paris verhandelt. Beide Teile waren dabei bestrebt, die Entscheidung hinauszuschieben. Napoleon leitete der natürliche Wunsch, mit seinen Rüstungen zur Fortsetzung des Krieges, zu der er fest entschlossen war, vorerst fertig zu werden. Beim Könige wirkte die Abneigung gegen den Krieg überhaupt, der Mangel an Zutrauen zu sich selbst und zum Volke, die Scheu vor der zu übernehmenden ungeheuren Verantwortung. Auch die Sorge vor der russischen Begehrlichkeit und eine Überschätzung der russischen Kräfte waren von Einfluß. Mit Recht sah der König die russischen Bemühungen, Jorck mit sich vorwärts in den Kampf zu ziehen, für einen Versuch an, ihn selbst Friedrich Wilhelms III. abwartende Haltung 229 bei Napoleon verdächtig zu machen und zum bedingungslosen Anschluß an den östlichen Bundesgenossen zu zwingen. Die Hoffnung auf Zugeständnisse Napoleons, die dem Könige einen Systemwechsel erspart und das Land von den drückendsten Lasten befreit hätte, wollte nicht schwinden. Österreichs Zurückhaltung vermehrte die Unentschlossenheit. Nicht zu übersehen ist, daß auch die Meinungen seiner Ratgeber geteilt waren. So sprachen Hatzfeld und der durch seine Verteidigung von Danzig zu einem nicht voll berechtigten Ansehen gelangte Kalckreuth gegen den Krieg und für die Fortsetzung des Bündnisses mit Frankreich. Andere, wie der in des Königs Vertrauen mehr und mehr steigende Knesebeck, hielten den Anschluß an Rußland nur für ratsam, sobald man Österreichs sicher sei. Auch sie also wollten abwarten, und das war der Standpunkt, dem der König am meisten zuneigte. Militärische Bedenken kamen hinzu. Es liegt in der Natur der strategischen Verteidigung, in die Napoleon jetzt zurückgedrängt war, daß sie stärker wird, je mehr sie sich den heimischen Hilfsquellen nähert. Das größte Beispiel dieser Art, das der Russen von 1312, lag frisch und lebendig vor aller Augen. Am Rhein oder gar im Innern Frankreichs würde Napoleon weit stärker als im Osten Deutschlands sein, so dachte der König. Gegen Ende des verflossenen Jahres hatte er selbst in einem Aufsatze niedergeschrieben, daß es wohl am besten sei, wenn Rußland die Weichsel gar nicht überschreite; dort müsse es Napoleon erwarten und sogar wieder vor ihm nach Litauen zurückweichen. Erst, wenn er von neuem geschwächt wäre, dürfe das preußische Hilfskorps abfallen; dann erst könnten auch die Truppen in Pommern und Schlesien wirksam gegen seine Flanken eingreifen. Nachdem Schwarzenbergs seitlicher Rückzug bekannt geworden war und den russischen Hauptkräften der Weg nach Schlesien offen stand, so daß wenigstens mit ihnen die ungestörte Verbindung gesichert erschien, begann sich die Umstimmung beim Könige zu vollziehen. Längst hatte der Zar dringend zum Anschlüsse aufgefordert, Napoleon dagegen jede Unterhandlung mit Rußland, selbst über eine Neutralisierung Schlesiens, untersagt. Am 12. Februar befahl König Friedrich Wilhelm III. daher schweren Herzens die Mobilmachung der schlesischen und pommerschen Truppen. Dann wurde der Rückzug der Franzosen zur Oder bekannt. Am 230 III. Die Wiedererhebung 23. Februar stand endlich der Entschluß zum Bündnis mit Rußland fest, das am 27. nach langen Verhandlungen in Kalisch unterzeichnet wurde. Dies war vornehmlich Scharnhorsts Verdienst, den der König ins russische Hauptquartier entsendet hatte, und der auf die energische Fortsetzung der Angriffbewegung drang. Freilich hatte er, trotz Steins Anwesenheit und Hilfe, nur halben Erfolg. Kutusow, der russische Oberbefehlshaber, körperlich gebrechlich, von der Furcht vor Napoleon erfüllt, besorgt wegen der weiten Entfernung von den heimischen Hilfsquellen und der Unsicherheit der polnischen Verhältnisse, widerstrebte. Noch waren im Rücken der Verbündeten Danzig, Thorn, Modlin und Zamosz in französischen Händen. Zu ihrer Belagerung fehlte es an schwerem Geschütz und Munition. In den Kriegsvorbereitungen war Napoleon den Verbündeten voraus. An diesen rächten sich jetzt die Unterlassungssünden der letzten Monate. Erst im März wurden in Schlesien zehn preußische Reservebataillone fertig, zehn weitere im April. Man zweifelte, ob man die Oder überschreiten dürfe, und dachte an Verteidigungsmaßregeln längs der Warthe und Weichsel. Schließlich wurde der Vormarsch gegen die Elbe vereinbart, doch ohne die von Scharnhorst gewünschte Schnelligkeit der Ausführung. Yorck, Bülow und Borstell sollten unter Wittgensteins Befehl treten, sich aber noch der Feindseligkeiten gegen die Franzosen enthalten. Blücher wurde am 28. Februar an die Spitze der schlesischen Truppen gestellt. Auch dabei hatte Scharnhorst den Ausschlag gegeben; denn Kalckreuth, Rüchel, Tauentzien und sogar L'Estocq wurden gleichfalls genannt — und wie wichtig war die Wahl in diesem Augenblick. Sie gebührte dem einzigen General, der sich vor Napoleon nicht fürchtete. Das russische Korps Wintzingerode wurde Blücher unterstellt. Eine dritte Gruppe hatte die sogenannte russische Hauptarmee von Kalisch unter Tormassow zu bilden; ihre Avantgarde stand, jetzt unter Miloradowitsch, vor Glogau. Wittgenstein erhielt die Richtung auf Berlin und Magdeburg hinter Eugen, Blücher diejenige auf Dresden hinter den bei Kalisch geschlagenen Franzosen her. Die Hauptarmee sollte langsam folgen; für die spätere Einschließung der Oderfestungen durch pommersche und schlesische Reservetruppen sowie durch russische Milizen wurde gesorgt. Das Bündnis von Kalisch. Vormarsch der Verbündeten 231 So ging der Vormarsch in breiter Front langsam weiter. Am 11. März traf Wittgenstein in Berlin ein, wo er zwei Wochen stehen blieb. Seine leichten Truppen streiften gegen die untere Elbe, gegen Magdeburg und Wittenberg. Jorck, Bülow und Borstell folgten nach und nach. Sie vereinigten im ganzen schon etwa 30000 Mann mit 120 Geschützen. Auf diesem Vormarsche erhielt Jorck die Nachricht, daß der König sein Verhalten bei Tauroggen billige. Es war die erste seit jener Tat; er machte sie noch kurz vor dem Einzüge in Berlin seinen Truppen bekannt. Am 17. März betrat er mit diesen die Hauptstadt, von ungeheurem Jubel der Bevölkerung empfangen; Bülow und Borstell rückten nach. General Tauentzien verblieb mit einigen abgezweigten Truppen vor Stettin. Blücher sammelte bei Breslau und Neisse seine, 27 600 Mann mit 100 Geschützen starken Kräfte; Wintzingerode schloß sich ihm von Rawicz her mit 13 000 Mann und 72 Geschützen an. Die Hauptarmee verblieb noch bei Kalisch, ihre Verstärkungen erwartend. Diese Ereignisse, zumal die Räumung Berlins durch die Franzosen und deren Zurückweichen hinter die Elbe, ließen es jetzt auch dem Könige möglich erscheinen, die Maske abzuwerfen. Seit dem 6. März war Scharnhorst wieder bei ihm und betrieb eifrig alle Vorbereitungen. Fünf Tage darauf wurde er Generalquartiermeister der Armee, blieb aber noch in Breslau. Am IS. März traf Zar Alexander dort ein, und tags darauf wurde dem bereits abgereisten französischen Gesandten St. Marsan die Erklärung nachgeschickt, daß Preußen im Verein mit Rußland die Waffen gegen Frankreich erheben werde. „Endlich am 16. März hatte das faule diplomatische Wesen ein Ende, und die frische Luft des Krieges strich erquickend über die vaterländischen Fluren einher." Am Geburtstage der Königin Luise war die Urkunde über Stiftung des Eisernen Kreuzes unterzeichnet worden, am 17. der berühmte Aufruf „An mein Volk", ferner die Landwehr- und Landsturmordnung, die alle Mannschaften vom 17. bis zum 40. Lebensjahre ohne Ausnahme zum Eintritt in das Heer verpflichtete. Diese entscheidenden Maßregeln wurden am 20. März gleichzeitig mit der Veröffentlichung des russischen Bündnisses dem Volke bekanntgegeben und Preußen für den kommenden Krieg in vier Militärgouvernements eingeteilt, nämlich in die Lande zwischen Elbe und 232 III. Die Wiedererhebung Oder mit Ausnahme Schlesiens, die Lande zwischen Oder und Weichsel, diejenigen rechts der Weichsel und Schlesien. Eine Komission, deren Seele der Reichsfreiherr vom Stein war, übernahm die Ordnung in den deutschen Gebieten, die von den Verbündeten besetzt werden würden. Schon stand Tettenborn in Mecklenburg, also auf Rheinbundsboden. Die Wirkung der Erlasse auf die Bevölkerung war eine ungeheure. Allgemeine Begeisterung und Opferfreudigkeit antwortete dem Rufe des Königs. „Jeder gab viel, viele gaben alles." Bereit zur Verwendung war einstweilen freilich nur die ostpreußische Landwehr, aber die Aufstellung der übrigen wurde mit höchstem Eifer betrieben. Als am 27. März die Kriegserklärung durch General Krusemarck in Paris abgegeben wurde, zählte man in Preußen bereits 107 600 Mann an Feld- und Reservetruppen, 30000 an Besatzungs- und Ersatztruppen. Mit der Rüstung und Bewaffnung sah es freilich dürftig genug aus. Die Landwehr wurde von den Kreisen mit dem Nötigen versehen, erhielt aber bei dem herrschenden Geldmangel nur eine für den Sommer berechnete Bekleidung buntscheckiger Art. Sattel und Zaumzeug für die Kavallerie lieferten Kreis und Gemeinde. An Gewehren wurde verwendet, was gerade vorhanden war; das dritte Glied der Infanterie erhielt zunächst nur Piken, Schaufel und Beil. Feldgeschütze wurden teilweise aus dem Material der 1807 nicht verloren gegangenen Festungsartillerie gegossen. Für den ersten soldatischen Unterricht leistete der amtlich herausgegebene Kriegskatechismus gute Dienste. Offiziere und Unteroffiziere der neu aufgestellten Truppen waren vielfach ohne jede soldatische Vorbildung. Allein der beste Wille beseelte die junge Mannschaft und ihre Führer. Mit Vertrauen sah man der Zukunft entgegen. Mächtig loderte die Überzeugung im Volke auf, daß Preußen zur alten Größe wieder auferstehen müsse. Friedrichs Bild zierte die eisernen Ringe, die man als Ersatz für die auf dem Opferaltar des Vaterlandes gespendeten goldenen gab. Man hat sich nur die friderizianische Überlieferung fortzudenken und wird eingestehen müssen, daß die Bewegung von 1813, wie sie in Preußen stattfand, eine Unmöglichkeit gewesen wäre. Der alte Staat und der Geist seines großen Königs hat auch über die Katastrophe von 1806 hinweg gewirkt. IV. Die Befreiungskriege 5. Der FrühjahrsfeldMg von 181(5 Wer heute auf die Vorgänge von 1813 zurückblickt, begreift in seiner Ungeduld schwer, warum der Sturm nicht gleich losbrach, als Jorcks Tat von Tauroggeu in Norddeutschland bekannt wurde. Nahezu drei Monate verstrichen, ehe es zur allgemeinen Erhebung kam, und das war unstreitig eine große Versäumnis. Ohne diese hätte der neue Krieg von Anbeginn an den Rhein verlegt werden können. Jetzt mußte das Erscheinen Napoleons mit überlegenen Streitkräften an der Elbe erwartet werden, und die Dinge bekamen dadurch ein ganz anderes Gesicht. Zu beklagen ist insonderheit, daß bei der Lauheit im Vorgehen der Verbündeten der erste ernste Versuch eines Volksaufstandes gegen die Fremdherrschaft vom Feinde blutig unterdrückt werden konnte, und dies Ereignis hemmend auf die große politische Bewegung einwirkte. Am 18. März hatte Tettenborn, von Wittgenstein ausgesendet, Hamburg besetzt, und seine Kosaken streiften über die Elbe hinaus. Die schwachen französischen Streitkräfte, die sich aus dem Küstenlande nach Hamburg zusammengezogen hatten, wichen unter dem Eindruck der Winterkataftrophe ohne Widerstand zur unteren Weser nach Bremen zurück. In ihrem Rücken erhob sich der Aufruhr. Die Bauern zwischen Niederelbe und Weser bewaffneten sich; die französischen Behörden wurden vertrieben; in Hamburg suchte Tettenborn, freilich mit nur geringem Erfolge, ein Bürgerkorps zu organisieren. Die Bildung der hanseatischen Legion machte nur langsame Fortschritte. In der Gegend um Lüueburg und Stade aber scharte sich eine größere Zahl von Freiheitskämpfern zusammen, die unter der Bezeichnung »Hannoveriarl levies« auf den König von England vereidigt wurden. Auf Befehl des Vizekönigs Eugen drangen daher die Franzosen, bis zu 6000 Mann verstärkt, von Bremen aus von neuem vor. Die Aufstandsversuche im Gebiete der Elb- und Wesermündung wurden durch Massenhinrichtungen blutig unterdrückt; Lüueburg, der Hauptherd der Bewegung, nach geringem Widerstand des schwachen Bürgerkorps am 31. März wieder besetzt. Leider fehlte den mutigen Empörern jede kräftige Unterstützung durch reguläre Truppen. Der König von England 234 IV. Die Befreiungskriege hatte freilich 380 Mann mit sechs Geschützen in Kuxhaven landen lassen, aber diese geringe Macht vermochte natürlich nichts auszurichten. Eine preußisch-russische fliegende Kolonne unter Tschernitschew und Dörnberg überschritt nach einem ersten, durch französische Truppen aus Magdeburg verhinderten Versuche am 29. März die Elbe unterhalb Havelberg. Sie umzingelte und stürmte am 2. April Lüneburg und nahm, von der Bevölkerung .unterstützt, die Besatzung in der Stärke von etwa 100 Offizieren und 2200 Mann gefangen. Neun Geschütze und mehrere Fahnen wurden erbeutet. Das war die erste bedeutende Waffentat der Verbündeten. Sie erregte im Lande lauten Jubel. Aber sie blieb leider ohne dauernden Erfolg, da die Kräfte fehlten, um weiter vorzudringen. Auf die Nachricht vom Anrücken stärkerer französischer Streitkräfte gingen Dörnberg und Tschernitschew schon am 3. bei Boitzenburg wieder über die Elbe zurück und blieben nun vorläufig untätig am anderen Ufer stehen. Rücksichtslos schritten die fremden Unterdrücker mit Exekutionen, Gefängnis und Galeerenstrafen, sowie mit der Auferlegung von Kontributionen gegen die Häupter des Aufstandes ein. Gewaltsam wurde die Ruhe wiederhergestellt und der Keim vernichtet, aus dem ein kräftiger Baum Hütte ersprießen können. Erst als die Parteigänger der Verbündeten mit Wiedervergeltung an den französischen Gefangenen drohten, begann man drüben größere Milde walten zu lassen. Davout war mittlerweile an der unteren Elbe erschienen. Er hatte bis dahin bei Dresden auf dem rechten französischen Flügel gestanden und sein Abmarsch von dort einen besonderen Grund gehabt. Der Kaiser war mit dem Zurückweichen des Vizekönigs Eugen in der Richtung auf Leipzig sehr unzufrieden gewesen, denn es stimmte durchaus nicht mit seinen Plänen für die Wiederaufnahme des Feldzuges überein. Diese liefen auf eine neue großartige Offensive hinaus, die er von der unteren Elbe her überraschend in der Richtung auf Stettin und Danzig bis zu den Weichselmündungen zu führen gedachte. So wollte er sich mit den von ihm an den großen Strömen noch behaupteten Festungen in Verbindung setzen, die dort zurückgebliebenen alten Truppen durch die jungen der neuen Armee ersetzen, um seiner Feldarmee einen festen Kern zu geben und mit dieser die Verbündeten später von Norden her anzugreifen. Wiederholt wies er den Vizekönig auf die Wichtigkeit der unteren Elbe hin. Er wollte die Verbündeten Voltserhebung an der Niederelbe 235 lieber bei Leipzig, Erfurt und Gotha sehen, als in Hannover und Bremen. Aus diesem Grunde hatte er den tüchtigsten seiner Marschälle, Davout, gewählt, um an der Niederelbe die französische Herrschaft wiederherzustellen, und Davout hatte, nach Zurücklassung schwacher Kräfte, von Dresden in der Richtung auf Hamburg abrücken müssen. - -1° * » Skizze 22 Vergegenwärtigen wir uns jetzt, wie ausgedehnt das napoleonische Reich zur Zeit der großen Katastrophe gewesen ist, so wird das 236 IV. Die Befreiungskriege zögernde Vorgehen der Verbündeten verständlicher. (S. Skizze 22.) Das ganze linke Rheinufer, die Niederlande und die deutsche Nordseeküste mit den Hansestädten Bremen und Hamburg, sowie das Gebiet von Lübeck an der Ostsee waren Frankreich einverleibt. Unter dem Protektorate Napoleons und zur Heeresfolge verpflichtet, gehörten sämtliche ehemals deutschen Staaten mit alleiniger Ausnahme von Preußen und Österreich dem Rheinbunde an. Das Protektorat aber bedeutete nicht viel anderes, als die Herrschaft. Unbedingt verfügte er ferner über das Herzogtum Warschau, das, aus den von Preußen und Osterreich abgetretenen polnischen Landesteilen bestehend, ebenso groß war, wie der verstümmelte preußische Staat. Die Rheinbundstaaten übertrafen Preußen fast um das Doppelte an Gebiet, um das Dreifache an Einwohnerzahl. Von ihnen standen das Königreich Westfalen und das Großherzogtum Berg unter französischen Fürsten, der Bezirk von Erfurt unter unmittelbarer französischer Herrschast. Zu dem Frankreich Napoleons gehörte sodann der ganze nordwestliche Teil von Italien einschließlich Rom, ferner die Insel Corsica und das illyrische Küstengebiet. Im nordöstlichen Italien, dem Königreiche, ließ er sich durch seinen Stiefsohn Eugen Beauharnais vertreten. Süditalien stand unter der Herrschaft seines Schwagers Murat. In Spanien saß noch sein Bruder Joseph auf dem Throne. Danzig war dem Namen nach ein Freistaat, tatsächlich aber durch die starke Besatzung in französischer Hand. Haben auch die nun folgenden Jahre bewiesen, auf wie schwachen Füßen diese Herrschaft außerhalb des eigentlichen Frankreich stand, so war sie im Augenblicke doch immer noch ein imposantes Gebilde, das an das Reich Karls des Großen erinnerte, ja es sogar noch übertraf. Wie winzig nahm sich dagegen Preußen aus, auf dem augenblicklich die Last des kommenden Krieges hauptsächlich ruhen mußte. Seit dem Tilsiter Frieden stellte es sich als ein verhältnismäßig schmales Küstengebiet an der Ostsee dar, von dem aus nur ein Arm, Schlesien, bis zum Riesengebirge hin nach Süden vorgestreckt war. Schneidemühl, Bromberg, Kulm und Thorn gehörten schon zum Herzogtum Warschau, Rügen und der gegenüberliegende Teil von Vorpommern zu Schweden. Die sächsische Grenze, vom Jsergebirge anfangend, trat nahe an Sagan und Crossen heran; gegen Potsdam und Brandenburg a. H. sprang sie bis auf zwei und drei Meilen nach Norden vor. Bei Magdeburg gehörte Napoleons Rüstungen 237 ein Halbkreis von einer Meile Durchmesser am rechten Elbufer zum Königreich Westfalen. Seit Pillau gefallen, befanden sich auf preußischem Boden noch Stettin, Küstrin, Glogau und Spandau in französischer Hand. Die einzigen festen Plätze, die dem Könige verblieben, waren Kolberg, Graudenz, Glatz und Silberberg. Die Werke von Breslau und Schweidnitz hatten die Franzosen geschleift, Das von allen Seiten eingeengte Gebiet aber seufzte unter den allerschwersten Bürden; es war materiell total ruiniert. So sah es damals aus, und erst wenn man sich diesen Zustand vor Augen hält, vermag man die Größe und Bedeutung des beginnenden Dramas richtig einzuschätzen. Über des Kaisers Rüstungen wurden Nachrichten bekannt, die seine Macht auch für die Zukunft äußerlich noch als eine erdrückende ansehen ließen. Von den Truppen, die er 1812 über den Riemen geführt hatte, waren eine halbe Million dem Untergange verfallen und kaum 112000 diesem entronnen. Unter den Geretteten befanden sich wenig mehr als 40 000 Franzosen. Es handelte sich für ihn also um die völlige Neubildung des Heeres, eine Riesenaufgabe, der er sich unmittelbar nach der Rückkehr nach Paris mit der ganzen ihm eigenen unermüdlichen Tatkraft widmete. Die geringe Meinung, die er von seinen Gegnern hegte, ließ ihn hoffen, die nötige Zeit dazu zu gewinnen, um so mehr, als er erwartete, daß die Heerestrümmer an der Weichsel, spätestens aber an der Oder, imstande sein würden, dem Vorschreiten des Gegners ein Ziel zu setzen. Im Lande fand er größere geschlossene Truppenkörper, die zur Neubildung des Heeres verfügbar gewesen wären, nicht mehr vor, sondern nur vereinzelte Regimenter und zahlreiche schwache Stämme, die sich auffüllen ließen. Dazu kamen die Marineartillerie und 78000 Mann Kohorten der Nationalgarde, die schon Besatzungsdienst in der Heimat getan hatten, die aber den Bestimmungen der Verfassung nach nicht außerhalb Frankreichs verwendet werden durften. Viele Truppenteile mußten gänzlich neu aufgestellt werden. Dazu benötigte es eines zahlreichen Rekrutenmaterials. Schon im September 1812 war eine Aushebung von 137000 Mann der Jahresklasse von 1813 angeordnet worden. Im Januar verfügte ein Senatsbeschluß die Verwendung der Kohorten jenseits der Grenzen und eine neue Aushebung von 100000 Mann aus den Resten der älteren Jahrgänge von 1809—1812, sowie von 150000 Mann aus dem Jahr- 233 IV. Die Befreiungskriege gang 1814. Nach Preußens Kriegserklärung folgte eine weitere von 90000 Mann aus derselben Altersklasse und das Aufgebot von 80000 aus den älteren Jahrgängen. Auch eine Ehrengarde von 10000 Mann sollte gebildet werden und die Gendarmerie 8000 Mann stellen. Dazu kamen als ein wichtiger Bestandteil der Zukunftsarmee die vom Vizekönig zurückgesandten dienstfähigen Offiziere uud Mannschaften der untergegangenen großen Armee, etwa 9000 Mann nebst 10000 unberittenen Kavalleristen. Von den auf der iberischen Halbinsel stehenden Heeren wurden alle entbehrlichen Offiziere und Mannschaften, im ganzen an 40 000, herangezogen. Selbstverständlich verwirklichten sich die in Aussicht genommenen Ziffern nicht vollkommen, aber sie gestatten ein Urteil über die Großartigkeit der gewaltigen Anstrengung, und etwa 600 000 Mann sind tatsächlich auf die Beine gebracht worden. Geld wurde durch Einziehung und Verkauf von Gemeindeländereien beschafft. Am 12. März verkündete Napoleon der Welt die Zusammensetzung der neuen großen Armee. Sie sollte 12 Korps zählen, das 1., drei Divisionen stark, unter Marschall Davout, das 2. in gleicher Stärke unter Victor, das 3., 4., S. und 6., aus je vier Divisionen gebildet, unter Ney, Bertrand, Lauriston und Marmont, das 7., aus zwei sächsischen und einer französischen Division bestehend, unter Reynier. Als 8. Korps sollten die Polen unter Poniatowski, zwei Divisionen stark, eingereiht werden; denn dem Fürsten war es gelungen, sich durch Verhandlungen mit Österreich den freien Abzug zur französischen Armee zu erwirken. Die an der einen Grenze ihm abgenommenen Waffen wurden ihm an der anderen wieder zurückerstattet. Als 9. Korps sollten zwei bayrische Divisionen zusammengefügt werden; als 10. galten die drei Divisionen Rapps in Danzig. Das 11. Korps, Macdonald, in drei Divisionen, entstand aus den während des Rückzuges die Nachhut bildenden Truppen. Ende April befahl der Kaiser noch die Aufstellung eines 12. Korps unter Qudinot, das zwei französische uud eine bayrische Division vereinigen sollte. Einige Divisionen blieben außerhalb dieser großen Verbände. Auch die Garde, die Infanterie unter Mortier, die Kavallerie unter Bessieres, wurde erneut aufgestellt. Drei Kavalleriekorps, Latour Maubourg, Sebastiani und Arrighi, gehörten der Die große Armee von 1813 239 wiedererstandenen großen Armee gleichfalls an. Die Aufbringung dieser Waffe machte jedoch die meisten Schwierigkeiten, und sie wäre vielleicht überhaupt nicht zustande gekommen, wenn nicht der Pferdereichtum Deutschlands dem Kaiser dabei ausgeholfen hätte. Außer den für den Feldgebrauch bestimmten Truppen wurde noch die Aufstellung von Garnison- und Reservetruppen angeordnet, die zum Grenzschutz und zur Erhaltung von Ruhe und Sicherheit im Jnuern des Landes dienen sollten. Die Errichtung dieses gewaltigen Heeresbaues konnte natürlich nur nach und nach vor sich gehen, und in vollem Umfange ist er überhaupt nicht mehr fertig geworden. Denn so säumig die Verbündeten auch bei ihrem Vordringen nach Westen waren, ließen sie dem Kaiser doch nicht die hinreichende Zeit. Die kriegerischen Operationen begannen vor der Vollendung. Auch Änderungen in der Zusammensetzung und Führung der Korps traten in der Folge mehrfach ein. — Seinem Plane entsprechend, von der unteren Elbe aus den Angriff zu eröffnen, befahl der Kaiser dem Vizekönige, nach Magdeburg abzurücken, sich dort am rechten Ufer aufzustellen und zu verschanzen, sowie überallhin die Nachricht zu verbreiten, daß er seinerseits zum Vorgehen wieder bereit wäre. Er fand jedoch in seinem Stiefsohn nicht den Mann, diesen Gedanken mit der nötigen Energie zu verfolgen. Zwar ließ Eugen an der mittleren Elbe und Saale nur schwache Kräfte zurück und erschien am 21. März mit seinen Hauptkräften bei Magdeburg. Er führte sie sogar, nachdem er zwei Tage darauf die preußische Kriegserklärung erfahren hatte, in die vom Kaiser gewünschte Stellung vorwärts von Magdeburg hinein. Dort vereinigte er bei Nedlitz hinter dem sumpfigen Ehlebach das 5., 11. und das Kavalleriekorps Latour, zusammen 32 700 Mann. Nun zeigte sich auch, wie richtig der Kaiser gerechnet. Drüben hatten sich von Berlin her Wittgenstein, Jorck, Bülow und Borstell genähert, aber aus dem großen Hauptquartier der Verbündeten bereits den Befehl zum Linksabmarsch über die Elbe und zum gemeinsamen Vorgehen mit Blücher und der Hauptarmee erhalten. Die Meldungen über des Vizekönigs erneuten Elbübergang brachten diese Bewegung sofort ins Stocken. Um Berlin zu decken, entschloß sich Wittgenstein zum Angriff. Dabei zeigte sich die Schwäche Eugens, der an die schwierige ihm vom Kaiser aus der Ferne erteilte Aufgabe ohne Vertrauen auf eine 240 IV. Die Befreiungskriege glückliche Lösung gegangen war. Obwohl es seinen Gegnern nicht mehr gelang, die noch weit zerstreuten Truppen zu vereinigen und nur etwa 23 000 Mann zusammengebracht werden konnten, wich er doch vor diesen nach dem wenig bedeutenden Gefecht von Möckern am 5. April wieder über die Elbe zurück. Dieser Erfolg steigerte nicht nur die kriegslustige Stimmung in Norddeutschland, sondern er schuf auch Klarheit in der Lage der verbündeten Truppen. Als der Vizekönig sich gar entschloß, die bei Magdeburg geschlagenen Schiffbrücken wieder abzufahren, gewannen sie die Sicherheit, daß eine Offensive von den Franzosen einstweilen nicht zu befürchten sei. Sie hatten nunmehr die Freiheit der Bewegung für sich. Bülow und Borstell blieben vor Magdeburg, Wittgenstein mit den Preußen unter Jorck und den Russen unter Berg rückte nach Köthen und Dessau ab. Die Verhandlungen mit den Sachsen, die sich nach Torgau zusammengezogen, und deren Führer, General Thielmann, mit der Sache der Verbündeten sympathisierte, blieben freilich erfolglos. Die verbündeten Monarchen ließen es an entschiedenem Auftreten in bezug auf die Zukunft Sachsens fehlen, obwohl dessen König sich nach Regensburg begeben, sich damit also zu Napoleon bekannt hatte. Auch ein Versuch gegen Wittenberg schlug fehl. Als Wittgenstein am 19. April erfuhr, daß Napoleon bei seinem Heere in Deutschland erschienen sei, rückte er näher an Leipzig nach Delitzsch heran und schob seine Vortruppen bis Halle a. S. Bülow, durch die Russen vor Magdeburg abgelöst, und Kleist von Wittenberg her vereinigten sich dort mit ihm. Inzwischen war vom schlesischen Heere Wintzingerode bei Leipzig eingetroffen und hatte seine Vorhut nach Merseburg vorgeschoben, so daß die Verbindung der beiden vorn marschierenden Heeresgruppen der Verbündeten damit hergestellt war. Streifparteien gingen über die Saale hinüber. Wintzingerodes Korps zählte mit den Kosaken freilich nur 15 000 Mann. , -i- 5 -I- Blücher war von Breslau und Neisse aufgebrochen und hatte am 30. März Dresden erreicht. Auf dem Marsche nahm er den Kott- buser Kreis, der, ehemals zu Preußen gehörig, an Sachsen gefallen war, sofort wieder für seinen König in Besitz. Dann richtete er seinen Weitermarsch auf Chemnitz. Scharnhorst befürchtete, daß die Franzosen, wie 1806, von Hof her vorgehen und die Ver- Das Gefecht von Möckern 241 bündeten von Dresden trennen könnten, dessen Behauptung ihnen mit Rücksicht auf die Beziehungen zu Österreich von großer Wichtigkeit war. An der Zwickauer Mulde blieb Blücher daher einstweilen stehen. Zu seiner Rechten rückte Miloradowitsch, der ihm gleichfalls unterstellt worden war, von Glogau her mit 12 500 Mann heran. Weit zurück war noch die sogenannte Hauptarmee, die übrigens zurzeit nur aus 17 000 Mann unter Tor- massow bestand. Der Ausfall an Truppen, der dadurch entstand, war also nicht bedeutend, beschwerlich wegen des weiten Weges aber die gesamte Befehlsführung, der die Zersplitterung der Kräfte und das Schleppende in allen Bewegungen zuzuschreiben ist. In Kalisch herrschte die Meinung, daß Napoleon nicht vor dem 20. Mai zum Aufbruch fertig sein könne. Das hätte ein Grund sein sollen, um schnell und energisch zu handeln, führte aber gerade das Gegenteil herbei. Nach großen kriegerischen Anstrengungen und glücklich überstandenen Gefahren Pflegt sich eine Abspannung geltend zu machen. Dies war augenscheinlich auch nach der Krisis von 1812 bei den Russen der Fall. Erst am 7. April brach die Hauptarmee von Kalisch auf, überschritt am 14. bei Steinau die Oder und hielt am 24. ihren feierlichen Einzug in Dresden. Der alte Kutusow war auf dem Vormarsch in Bunzlau krank zurückgelassen worden und starb bald danach. Auch der Vizekönig war nicht bei Magdeburg verblieben. Er glaubte den Anmarsch der Verstärkungen aus Frankreich, der über den Main gegen Erfurt ging, sichern und sich geradeswegs davor aufstellen zu müssen. Deshalb rückte er mit etwa 50 000 Mann zunächst an den Nordfnß des Ostharzes bei Ballenstedt ab. In und nahe Magdeburg blieben an der Elbe nur 11000 Mann zurück. Viktor besetzte mit 5000 Mann die untere Saale bei Kalbe und Bernburg. Die Wolken begannen sich zusammenzuziehen; eine Entladung konnte nicht mehr lange auf sich warten lassen. Unmöglich war es, mit den verhältnismäßig schwachen Kräften der Verbündeten in der aus dem Vormarsch sich ergebenden weiten Trennung zu verharren. Zwei Dinge schienen möglich. Blücher konnte zu Wittgen- stein abmarschieren, um einen gemeinsamen Angriff auf den Vizekönig zu unternehmen, oder Wittgenstein konnte sich Blücher nähern, um mit ihm vereint die frisch aus Frankreich anrückenden französischen Streitkräfte zu schlagen, ehe sie vereint waren. Dem Frhr, v. d. Goltz, Kriegsgeschichte 16 242 IV- Die Befreiungskriege ersten widersprach Blücher auf Scharnhorsts Rat, zum zweiten waren die Kräfte zu gering, denn ein Teil derselben hätte dem Vizekönige gegenüber stehen bleiben müssen, um ihn festzuhalten. Schon wurde Bertrands Anrücken mit vier Divisionen aus Italien bekannt. Ney befand sich mit einem starken Korps im Vormarsch auf Erfurt. Napoleons gesamte Streitmacht wurde auf 150 000 Mann geschätzt. Im großen Hauptquartier führte tatsächlich Kaiser Alexander den Oberbefehl, beraten durch den General Grafen Toll, einen noch jungen aber begabten und kriegserfahrenen Mann von weitem Blick, der auch fernerhin den größten Einfluß auf die Leitung der Heere behielt. Toll riet zur Versammlung aller Kräfte bei Altenburg, da der Kampf zwischen Saale und Elbe gewagt werden müsse, um die Elblinie nicht aufzugeben und Sachsen nicht verloren gehen zu lassen. Der Zar verlangte darüber Wittgensteins und Blüchers Meinung. Zu beiden eilte Toll, und es gelang ihm, sie zu überzeugen. Unterdessen kam die Nachricht von Neys Eintreffen bei Weimar, und Toll kehrte nach Dresden zurück. Dort traf er wunderlicherweise alles in tiefer Ruhe, den eigentlichen Chef des Generalstabes, Fürsten Wolkonski, krank und den Kaiser von Rußland nach Teplitz verreist. Energisch suchte er die Geister aufzurütteln, denn die Gefahr stand vor der Tür. In der Tat war Napoleon, auf die Nachricht von Wittgensteins Elbübergang und dem Eintreffen der russischen Hauptarmee bei Kalisch, am 15. April von St. Cloud aufgebrochen und am 17. nach vierzigstündiger Reise in Mainz eingetroffen, wohin die Garde und das Hauptquartier vorausgegangen waren. Die Stärke der Verbündeten links der Elbe schätzte er richtig auf 60—70 000 Mann, also dem eigenen Heere weit unterlegen, und er wollte nicht eine Minute mehr verlieren. Bereit zum Angriff waren zurzeit Ney mit 45 000 Mann, Marmont mit 26 000, Bertrand mit 27 000, Oudinot mit 23000 und die Kaisergarde unter Mortier mit 12000, so daß die Hauptarmee über 130000 Mann zählte. Außerdem stand Davout mit 30000 Mann an der unteren Elbe, und der Vizekönig am Ostharz, der unteren Saale und bei Magdeburg mit 66 000 Mann. Berthier übernahm auch diesmal die Funktionen des Hlajor A6o,6ra1 der Armee. Nicht ohne Bewunderung überblickt man, was der Kaiser in der kurzen Zeit nach der Katastrophe geschaffen hatte, ein Heer Napoleon trifft in Deutschland ein 243 von nahezu einer Viertelmillion stand wieder, seiner Winke gewärtig, auf deutschem Boden. Freilich besaß dieses Heer, das Ergebnis einer tatkräftigen Improvisation, seine Schwächen, die in den Kauf genommen werden mußten, und die selbst das Genie eines Napoleon nicht beseitigen konnte. Die jungen Soldaten, die er um die Fahnen geschart, waren an Strapazen nicht gewöhnt, gegen einreißende Massenerkrankungen nicht hinreichend gehärtet, zur Disziplin nicht so erzogen, wie es beim Kriegsausbruch hätte sein sollen. Dazu kam, daß das Offizierkorps berechtigten Anforderungen nicht entsprach. Zu viele seiner alten und erfahrenen Mitglieder waren umgekommen; junge Leute von einiger Bildung hatten an ihrer Stelle eingereiht werden müssen, wo und wie man sie fand. Man darf sich daher nicht wundern, wenn der Kaiser unwillig von den „unfähigen Offizieren" sprach, die der „Spott der Soldaten" seien. Während des ganzen Feldzuges machte sich dieser Mangel an diensterfahrenen Offizieren fühlbar, und nicht ohne Grund schrieb Napoleon ärgerlich an den Kriegsminister: „Sie schicken mir Offiziere, die Kinder sind, die nichts wissen und keinerlei Anleitung zu geben vermögen. Schicken Sie mir Männer!" Auch in den oberen Regionen der Armee stand es nicht zum besten. Freilich sehen wir an der Spitze der großen Heereskörper nur berühmte Namen, Generale, die sich auf vielen Schlachtfeldern ausgezeichnet hatten. Aber sie waren in den bisherigen mühevollen Feldzügen an das Ziel ihrer Wünsche gelangt, hatten Ruhm, Ansehen und Reichtum gewonnen. Gesättigt strebten sie mehr nach Ruhe und dem Genuß des Erworbenen, als nach dessen Vermehrung. Es fehlte ihnen der lockende Preis und daher auch der eigene innere Trieb zu neuen Großtaten. Insgeheim mag den einen und andern auch wohl die Vorahnung vom Umschlage in des Kaisers Laufbahn beschlichen haben, und er trachtete im stillen sehnlich danach, aus dem nahenden Schiffbruch das Seinige in Sicherheit zu bringen. Wie anders sah es im preußischen Heere aus. Die Ruhepausen an der Mulde und Pleiße waren ihm sehr zugute gekommen, um die inneren Mängel, die auch hier nicht fehlten, nach Kräften auszugleichen. Die neue Fechtweise wurde fleißig geübt. Es war Scharnhorsts Verdienst, daß mit den Exerzierkünsten von 1806 vollständig aufgeräumt wurde. „Die Friedensübungen waren von allen Spielereien freigehalten und nur auf den Felddienst 16' 244 IV. Die Befreiungskriege gerichtet." Das neue Reglement von 1812 mit der Anregung der Selbsttätigkeit aller einzelnen Teile, das sich in Kurland so trefflich bewährt hatte, lebte sich überall ein. Die Verbindung des Schützengefechtes mit dem Stoß der beweglichen Kolonnen trat in den Vordergrund, Linie und Salve dagegen zurück. Jorcks Jäger hatten vorbildlich in der neuen Fechtart gewirkt. Die Dienstzeit der Mehrzahl der Mannschaften übertraf die der napoleonischen Truppen; ihre Ausbildung und Erziehung zur Mannszucht war der französischen weit überlegen. Dies ist auch von den Russen zu sagen. Ohne Zweifel handhabten die Generale der Verbündeten ein schärferes und besseres Werkzeug als der Kaiser. Dies trat insbesondere bei der Reiterei hervor, die auch bei weitem zahlreicher als die feindliche war. Kavallerie läßt sich nicht improvisieren. Die Beherrschung des Pferdes will erlernt sein. Der Franzose ist im allgemeinen kein Naturreiter. Ein trefflicher Sinn herrschte unter den preußischen Truppen. Sie sehnten sich dem Kampfe entgegen, um die lange mit Ingrimm ertragene Unbill zu rächen und die alte Schmach der Niederlage endlich vollkommen zu sühnen. Kriegslustiges Aussehen und ein gutes, ernstes Benehmen der Mannschaft erregte überall wohlverdientes Aufsehen. Die freiere Stellung des Bauernstandes, der Einfluß der aus den gebildeten Klassen herbeigeeilten Freiwilligen und die bessere menschliche Behandlung des Untergebenen durch seine Borgesetzten kamen deutlich zur Geltung. Ein stilles Vertrauen auf sich und den Triumph seiner Sache leuchtete aus jedes Einzelnen Mienen. „Nie war eine Armee von besserem Geiste beseelt" urteilt Clausewitz. Wohl vermag das Genie auch mit einem Werkzeuge von geringerem Werte Großes zu vollbringen; doch auch hierin kennt seine Macht ihre Grenzen. Es muß versagen, sobald es anfängt, dies Werkzeug zu vernachlässigen, wie es bei Napoleon 1812 geschah, oder auch, wenn es Unmögliches von ihm verlangte, wie es 1813 noch geschehen sollte. Die bedeutsamste aller Ursachen für des Kaisers Niederlage in dem bevorstehenden großen Kriege war die moralische und physische Überlegenheit des Heeres seiner Gegner. Seinen ersten Plan hatte der Kaiser mittlerweile fallen lassen müssen. Das Vorbrechen über Havelberg auf Stettin war jetzt nicht mehr möglich; dazu standen die Verbündeten zu nahe in seiner rechten Flanke. Sie hätten ihm freilich Schlimmeres antun Stimmung und Zustand der Heere 245 können als bisher geschehen war. Wären sie schneller und energischer über die untere Elbe vorgedrungen, um die Volkserhebung, die jetzt kläglich hatte scheitern müssen, dort kräftig zu entflammen, so würde er zum Ausbiegeu auf Hannover gezwungen worden sein und hätte zunächst die Elbe überhaupt nicht erreicht. Aber auch so war ihr Vorrücken bis zur Saale störend geworden. Sie mußten erst beseitigt werden. Des Kaisers Entschluß war deshalb nunmehr, auf Leipzig zu marschieren, sich dieser großen Stadt und ihrer Hilfsmittel zu bemächtigen und zugleich den Punkt zu erreichen, an dem sich die wichtigsten Straßen Mitteldeutschlands vereinigten. Dort stand ihm noch die Wahl frei, ob er weiter auf Dresden oder Berlin operieren sollte. Seinem Grundsatze getreu, „stets in Masse vorzubrechen", ordnete er zunächst die Versammlung des ganzen Heeres an der Saale an. Auch Eugen sollte mit seinen Hauptkräfteu dorthin heranrücken und dann die Richtung über Merseburg einschlagen. Er selbst wollte über Weißenfels vorgehen. Am 24. April verließ er mit diesen Plänen Mainz und war am 25. in Erfurt. An demselben Tage bildete seine Armee in der Vorwärtsbewegung gleichsam drei Gruppen. Rechts ging Bertrand auf der uns von 1806 her wohlbekannten Straße über Saalfeld vor, in der Mitte über Erfurt und Weimar Ney, Marmont und die Garde. Zur Linken kam der Vizekönig mit einer Gardedivision, Lauriston Macdonald und dem ersten Kavalleriekorps vom östlichen Harz heran. Drüben bei den Verbündeten stand Wittgenstein hinter Halle; Blücher war bis nach Altenburg und Borna vorgerückt, Milorado- witsch bis Chemnitz gekommen. Die Hauptarmee befand sich noch in und bei Dresden. Am 27. April übernahm Wittgenstein den Oberbefehl, und der an Jahren und Dienstzeit ältere Blücher ordnete sich ihm im Interesse der gemeinsamen Sache gern und freiwillig unter. Die französische Armee rückte weiter an die Saale heran und schloß in sich mehr und mehr auf. Am 29. erschien der Vizekönig vor Merseburg und nahm die Stadt. Ihre Besatzung ging nach tapferem Widerstände östlich zurück. Auch Halle wurde geräumt, und Lauriston, der tags zuvor, im Anblick der festen und sicheren Haltung der Preußen, den Angriff nicht gewagt hatte, ließ es nunmehr besetzen. Über Weißenfels kam Napoleon heran, um am 246 I V. Die Befreiungskriege 1. Mai den allgemeinen Vormarsch in der Richtung auf Markran- städt fortzusetzen. Langsam und fechtend wichen auch vor ihm die Vortruppen der Verbündeten von der Saale gegen die Elster südlich Leipzig zurück. Im russisch-preußischen Hauptquartier war inzwischen auf Tolls Rat die Vereinigung des Heeres südlich Leipzig zwischen dieser Stadt und Borna angeordnet worden, um dem Kaiser eine Schlacht zu liefern. Am 1. Mai versammelte sich die Hauptmasse des Heeres, zurzeit 71200 Mann im ganzen stark, um Rötha. Sie ging einer zwiefachen Überlegenheit entgegen. Rechts blieb Kleist mit 5000 Mann und 400 Kosaken zum Schutze Leipzigs bei Lindenau stehen, links entsandt, ging Miloradowitsch nach Altenburg vor. Der erste entscheidende Waffengang der neuen Heere mit ihrem alten Besieger sollte nun folgen. (S. Skizze 23.) Des Kaisers Plan war, am 2. Mai mit der linken Kolonne Leipzig zu besetzen, von der mittleren das vordere Korps Ney in der Gegend von Lützen anzuhalten, die übrigen und so auch die rechte Kolonne Bertrand heranrücken zu lassen. Denn er hatte erfahren, daß die Verbündeten, die vor ihm gestanden, von der Saale auf Zwenkau südlich von Leipzig zurückgegangen seien und daß auch von Leipzig Truppen abmarschiert wären — wohin, das war ungewiß. Mit dem ihm eigenen Scharfsinn aber nahm er die Versammlung der Verbündeten richtig in der Gegend von Zwenkau und Pegau an. Sollten sie ihn am 2. Mai angreifen, so wollte er sich mit der Mitte zunächst verteidigen, mit den beiden Flügeln umfassend vorgehen. Wenn sie stehen blieben, so beabsichtigte er den Angriff, wobei sein linker Flügel über Leipzig ihnen in Flanke und Rücken gehen sollte, um sie auf die böhmische Grenze zurückzuwerfen. Die ältere Annahme, daß Napoleon sich getäuscht, die Verbündeten hinter Leipzig vermutet und durch ihren Flankenstoß von Süden her am Schlachttage von Groß-Görschen überrascht worden wäre, ist also eine irrige. Die Kriegslage erinnert ein wenig an die verhängnisvollen Oktobertage von 1806. Mit dem Marsche auf Leipzig umging Napoleon zunächst die rechte Flanke der Verbündeten, sie so von ihren Hilfsquellen trennend, noch ehe sie versammelt waren. Dennoch sind die Verhältnisse hier andere. Von seiten der Verbündeten erfolgte kein erschreckter Rückmarsch, wie ihn der Herzog von Braunschweig am Tage vor Auerstedt ausgeführt hatte, sondern Vorbereitungen zur Schlacht 247 Skizze 23 ^> Verbündete (Russen und Preußen) — M Franzosen-->- Anmarsch- richtungen der französischen Armee. Die Korps sind mit römischen Zahlen bezeichnet (»I Ney. IV Bertrand, V Lauriston, VI Marmont, XI Macdonald XII Oudinot). 1 1. Kavalleriekorps 243 IV. Die Befreiungskriege die Antwort durch einen entschlossenen Gegenstoß. Im Hauptquartier der Monarchen wurde für den 2. Mai der Vormarsch über Zwenkau und Pegau gegen Napoleons rechte Flanke beschlossen. Kleist sollte dabei Leipzig decken und, wenn nötig, vor der Übermacht auf Würzen ausweichen, Bülow zwischen Köthen und Dessau die Eibübergänge sowie die Marken und Berlin schützen, Miloradowitsch zur Linken auf Zeitz vorgehen. Der Gedanke war der beste, der sich im Augenblicke fassen ließ, die Ausführung dagegen mangelhaft. Zu viel Truppen drängten sich am Elsterübergange von Pegau zusammen. Stockungen und Kreuzungen entstanden. Unverhältnismäßig starke Kräfte blieben zur Deckung der Übergänge über den Floßgraben und die Elster zurück. Die Aufklärung war trotz der Anwesenheit der starken Kavallerie eine mangelhafte. „Man hielt sich mit Förmlichkeiten und Truppenentwicklungen auf, statt mit Kolonnen auf den überraschten Feind zu gehen." Die ganze Armee wurde noch nach alter Art einheitlich geleitet, statt daß ihre Korps selbständige Aufgaben erhalten hätten. Miloradowitschs Entsendung war bei der numerischen Schwäche der Verbündeten ein entschiedener Fehler. Nur allmählich vollzog sich bis 11 Uhr vormittags Wittgen- steins und Blüchers Aufmarsch hinter den Höhen zwischen Werben und Domsen an der Straße nach Lützen. Die Monarchen gingen um 41/2 Uhr früh nach Groitzsch. Das Korps Blücher nahm die vorderste Linie der sich bildenden Schlachtordnung ein, links dahinter stellte sich Jorck, rechts die Infanterie der russischen Korps Berg, links von Jorck das Korps Wintzingerode auf. Die Hauptarmee, russische Garden und Grenadiere folgten und sollten als Reserve Verwendung finden. Die preußische Reservekavallerie, welche Blücher nur höchst ungern abtrat, wurde links herausgezogen und mit dem leichten russischen Kavalleriekorps vereinigt, dessen Befehl Wintzingerode persönlich führte. Die Schlacht von Groß-Görschen am 2. Mai ^g^I (S. Skizze 24) Vorwärts von Leipzig bei Lindenau erwartete General v. Kleist den Anmarsch des Vizekönigs von Merseburg her. Als das vorderste französische Korps, Lauriston, sich zu entwickeln begann, erkannte er schnell dessen große Überlegenheit. Nach kurzem Kampfe, Aufmarsch der Verbündeten 249 den vornehmlich die Artillerie führte, wich er daher durch Leipzig zurück und traf abends 11 Uhr in Würzen ein. Hiermit hatte er Lauriston freigegeben. Aber dieser machte den entsprechenden Fehler, ihm gegenüber stehen zu bleiben, statt auf das Schlachtfeld ab- Lclilsclis bei Lmss-Löi'Zcliöii sm 2. IVIsi 131Z. , Skizze 24 Preußen — -nim Russen — M Franzosen zumarschieren. Der Mangel an Initiative, den Napoleons gewaltige, seine Gehilfen niederdrückende Persönlichkeit in den französischen Generalen und Marschällen erzeugt hatte, machte sich geltend. Der Kaiser wartete darauf, daß der Vizekönig ihm Lauriston aus 2S0 IV. Die Befreiungskriege eigenem Antriebe zuschicken werde; der Vizekönig wieder und ebenso Lauriston warteten auf einen Befehl des Kaisers. Ähnliches hatte auch Friedrich der Große von seinen Unterführern erfahren. Moltkes Verdienst bestand darin, die Selbsttätigkeit seiner Untergebenen aufs höchste zu entwickeln, und er dachte groß genug, um auch mit ihren Fehlern zu rechnen. So hat er sich von ihnen die trefflichste Unterstützung gesichert. Napoleon befand sich am Morgen bei Ney und spähte nach Südosten aus. Als es 10 Uhr geworden, glaubte er an keinen Angriff der Verbündeten mehr. Er konnte nicht wissen, daß diese ihre Zeit mit dem Aufmarsche verloren hatten. Der Marschall bestätigte ihn in seiner Auffassung, und beide eilten mit der Gardekavallerie nach Markranstädt, um Lauristons Kampf bei Leipzig zu beobachten, von wo sich der Kanonendonner hören ließ. Dort erst erhielt Napoleon die überraschende Meldung, daß die Verbündeten im Anmärsche von Pegau auf Groß-Görschen wären. Bald hob der von halb rückwärts her erschallende Kanonendonner jeglichen Zweifel. Ney eilte zu seinen Truppen voraus. Es ist ihm wohl klar geworden, daß er unachtsam gewesen sei und seine Reiterei nicht richtig zur Aufklärung benutzt habe. Da, wo der Floßgraben in der Mitte seines Laufes südlich Markranstädt eine scharfe Biegung nach Westen macht, liegen an seinem linken Ufer die vier Dörfer Groß- und Klein-Görschen östlich, Rahna und Caja westlich nahe beieinander, eine Viertelmeile westlich dieser Dörfergruppe die langgestreckten Häuserreihen von Starrsiedel inmitten freier Felder. Das ist das Hauptschlachtfeld dieses blutigen Tages. Nach kurzem Besinnen gab der Kaiser noch bei Markranstädt seine Befehle aus. Ney sollte mit seinen 40000 Mann die vier Dörfer halten, Bertrand von Taucha heranrücken, die Garden nach Lützen. Marmont wurde im Vormarsch von Rippach auf Pegau angenommen, so daß er ohne weiteres auf die Verbündeten stoßen mußte. Des Vizekönigs Armee sollte bei Markranstädt warten, um entweder auf das Schlachtfeld zu eilen oder den feindlichen rechten Flügel von Norden her zu umfassen. Napoleon, gefolgt von der Gardekavallerie, begab sich sodann im schnellen Galopp auf das Schlachtfeld, wo er um 2 Uhr nachmittags hinter Caja eintraf und den Kampf in vollem Gange fand. Was war hier inzwischen vorgefallen? Napoleons Gegenmaßregeln 251 So nahe man einander gegenüber gestanden hatte, herrschte doch hüben und drüben Unklarheit über Stellung und Verteilung der Kräfte. Die französische Kavallerie hatte ihrer Schwäche halber keine gründliche Aufklärung schaffen können; die Verbündete wurde nicht gebraucht, wie es geschehen sollte. Lange Staubwolken auf der Weißenfels-Leipziger Straße deuteten den Verbündeten an, daß die französische Armee dort, gegen Süden hin anscheinend ungedeckt, im Marsche sei. Das lud zum schnellen Vorstoße ein, um sie in der rechten Flanke oder gar am Ende zu fassen und ihr womöglich den Rückzug auf Lützen zu nehmen. Wittgenstein befahl das Antreten. Im letzten Augenblick erst, etwa um 12^ Uhr mittags, als seine Streitkräfte bis auf Kanonenschußweite an Groß-Görschen herangerückt waren, wurden dort starke französische Truppenmassen entdeckt, die man zunächst als die Nachhut des Feindes ansah. Nun vollzog die Armee noch eine Rechtsschwenkung und eröffnete sodann den Angriff. Es gingen indessen zunächst viel zu schwache Kräfte vor, nämlich nur eine Brigade vom Blücherschen Korps. In dem Dörferviereck und dem von Gärten und Pflanzungen bedeckten inneren Raume stand zur Zeit eine Division vom Neyschen Korps und General Kellermanns Reiterei, zusammen gegen 13 000 Mann. Trotz dieser Überlegenheit stürmten die Preußen nach heißem Kainpfe Groß- Görschen. Inzwischen überraschte zur Linken die preußische Kavallerie bei Starrsiedel erscheinende feindliche Massen, die sich zu entwickeln begannen, jetzt aber schnell in das Dorf zurückwichen. Leider war ein entschlossener Angriff auf dieselben unterblieben, und auch Wittgenstein unterließ es, Starrsiedel wegnehmen zu lassen, um so die linke Flanke seines Angriffs sicherzustellen. Über dieser Zögerung gewann Marmont die Zeit, nach Starrsiedel heranzurücken, und die dort befindlichen Kräfte vom Neyschen Korps vermochten sich den Verteidigern des Dörfervierecks anzuschließen. In diesem wurde der Kampf immer ernster. Nach und nach zog er den größten Teil von Blüchers Truppen an, denen es, freilich unter großen Anstrengungen, gelang, auch Nahna und Klein-Görschen zu erobern. Die Franzosen wichen auf Caja zurück. Das geschah etwa um 1 Uhr, als Ney bei den Seinen eintraf und, nun über alle Divisionen seines Korps verfügend, sofort zum Gegenangriff schritt. Rahna und Klein-Görschen gingen für die Preußen wieder verloren, und lebhaft drängten die Franzosen nach; doch vereinigte Blücher 252 IV. Die Befreiungskriege bei Groß-Görschen starke Artillerie und überschüttete sie mit heftigem Feuer. Dann setzte er seine letzten Reserven ein, nahm Rahna und Klein-Görschen zum zweiten Male und drang sogar mit seiner braven Infanterie in Caja ein. Der Sieg schien sich auf die Seite der Verbündeten zu neigen und ein großer erster Erfolg hätte wirklich errungen werden können, wenn die starke Kavallerie des linken Flügels jetzt in den Zwischenraum zwischen Starrsiedel und dem Dörferviereck sich auf die geschlagenen Franzosen geworfen hätte. Doch sie versäumte die kostbare Gelegenheit. — Drüben hatte bisher nur das Korps Neys gefochten. Es war Napoleons Art, das Gewicht der Schlacht lange auf der zuerst angegriffenen Truppe ruhen zu lassen, sollte sie selbst zur Schlacke ausbrennen. Inzwischen versammelte er seine übrigen Kräfte gegen Flügel, Flanke oder gar Rücken des Feindes, um daun zum gewaltigen Entscheidungsstoße vorzugehen. So mußte auch hier bei Groß-Görschen Neys Korps ihm als Wellenbrecher dienen. Er fand bei seinem Erscheinen noch eine Division von Ney unverbraucht, Marmont znr Rechten, die Garde bereits hinter sich. Ein neuer allgemeiner französischer Angriff begann. Wittgen- stein sah ihm mit Besorgnis entgegen, denn die Hauptarmee war noch immer nicht heran. Er hielt daher Berg und Jorck zurück, so daß Blücher allein die Wucht des kommenden Stoßes auszuhalten hatte. Caja ging bald verloren, und wie von einer mächtigen Woge wurden seine erschöpften Truppen wieder auf Groß-Görschen zurückgeschwemmt. Selbst ein Teil dieses Dorfes geriet in Feindeshand, der andere wurde mit Mühe behauptet. Voll Zuversicht harrten der General und sein treuer Scharnhorst aus. Bei diesem war das Feuer erwacht, das auf dem Grunde seiner Seele glimmte. „Es schien ihm nichts zu entgehen, er ordnete an, machte Blücher auf mancherlei aufmerksam und veranlaßte mehrfache Veränderungen bei den Truppen." „Blücher hielt meist in der größten Ruhe an mehr oder minder gefährlichen Stellen, unermüdlich feine Pfeife rauchend. War sie ausgeraucht, fo streckte er sie hinter sich und rief: ,Schmidts worauf feine Ordonnanz ihm eine frischgestopfte reichte und der alte Herr gemütlich weiterrauchte." Nur der unerschütterlichen Ruhe beider Männer war es zu verdanken, daß die Truppen nicht gänzlich wichen und die Schlacht bis 4 Uhr nachmittags auf der Stelle stand. Freilich war auch Der Kampf um das Dörferviereck 253 dies zu Napoleons Vorteil, von dessen Armee immer stärkere Kräfte heranrückten und zwar zur Linken Macdonald von des Vizekönigs Heer, zur Rechten Bertrand. Die Lage der Preußen wurde von Stunde zu Stunde bedenklicher. Wir erinnern uns dabei unwillkürlich der Lage Hohenlohes bei Vierzehnheiligen. Hier kam indessen den Bedrohten die Hilfe noch zur rechten Zeit. Vom Dörferviereck aus wird die Sicht gegen Süden hin durch eine Höhe abgeschlossen, von der aus Kaiser Alexander und König Friedrich Wilhelm dem Gange der Schlacht folgten, und die daher heute der Monarchenhügel heißt. Um 4 Uhr marschierte endlich die Hauptarmee, die russischen Garden und Grenadiere, hinter dieser Höhe auf. Jetzt getraute sich Wittgenstein, auch das Korps Dorck links neben Blücher einzusetzen. Rahna und Klein-Görschen werden zum dritten Male von den Preußen gestürmt, und ein erbitterter Kampf wogte um die flache Windmühlenhöhe nördlich von Rahna. Blücher, verwundet und befürchtend, daß er bald zusammenbrechen würde, gab zeitweilig das Kommando an Jorck ab, konnte jedoch nach kurzer Zeit wieder auf den Kampfplatz zurückkehren. Schwer getroffen mußte Scharnhorst das Schlachtfeld verlassen. Inzwischen hatte Ney die letzten Reserven eingesetzt und Rahna und Klein-Görschen wiedergenommen. Wittgenstein erhielt die Nachricht von Bertrands Anrücken und begriff, daß der letzte Augenblick, eine günstige Entscheidung herbeizuführen, jetzt auf alle Fälle sür ihn gekommen sei. Er verstärkte Blücher und Jorck nun auch durch das Korps Berg. Rahna und Klein-Görschen werden zum vierten Male genommen. Es war Uhr nachmittags geworden, der eben errungene Erfolg aber schon nutzlos, deun der Tag währte noch eine Reihe von Stunden, und der Stand der Schlacht hatte sich dadurch vollständig zum Vorteil Napoleons geändert, daß nunmehr Macdonald und Bertrand auf dem Plane erschienen. Napoleon „urteilte, daß der Augenblick der Krise, der über Gewinn und Verlust der Schlachten entscheidet, gekommen sei". Zwischen Starr- siedel und Caja entwickelte er nach seiner Gewohnheit eine große Batterie, um den letzten vernichtenden Schlag vorzubereiten. Mortier nahm mit der jungen Garde die verlorenen Dörfer wieder, und selbst Groß-Görschen ging den Verbündeten verloren. Freilich eroberten die Preußen unter dem Aufgebot der letzten noch vorhandenen Kräfte Groß-Görschen abermals und behaupteten es. Dann aber trat die Erschöpfung ein. Auf dem engen Raume, 254 IV. Die Befreiungskriege der zum Kampfplatz diente, waren die Truppen arg durcheinander gekommen. Die Dunkelheit ließ den Kampf allmählich ersterben, die brennenden Dörfer erleuchteten die Wahlstatt. Zur Rechten hatten sich die Russen nur noch mit Mühe des Vizekönigs erwehrt, ebenso Bertrands zur Linken bei Starrsiedel. Blücher, Jorck und Berg sammelten ihre Truppen hinter Groß-Görschen. Als Caja zum letzten Male umstritten wurde, war König Friedrich Wilhelm III. dort erschienen, von seinen Truppen mit Jubel begrüßt. Dann ritt er nach dem Monarchenhügel zurück und begab sich mit Kaiser Alexander in der Dunkelheit wieder nach Groitzsch. Beide Monarchen lebten in der Hoffnung, die Schlacht am anderen Morgen erneuern zu können. Der König sandte Nachricht über einen errungenen Sieg nach Berlin. Er faßte mehr und mehr Vertrauen zur Tüchtigkeit seines neuen Heeres. Schon am Vormittage hatte er beim Anblick der Truppen gesagt: „Nun mag es in Gottes Namen werden, wie es will, ein Auerstedt wird es nicht." Wittgenstein rief inzwischen um 9 Uhr die Generale zu einer Beratung auf den Monarchenhügel zusammen, und der Rückzug wurde beschlossen. In der Tat war auch nichts anderes möglich, denn am nächsten Tage konnte Napoleon das ganze Gewicht seiner Überlegenheit fühlbar machen und selbst den noch nicht eingetroffenen Lauriston mit seinem Korps heranrufen. Die Verbündeten konnten nur noch, wenn sie blieben, ihre Niederlage herbeiführen. Blücher allein, der immer Unerschrockene und Unverdrossene, widersprach. Nach seiner Meinung sollte das vergossene Blut nicht umsonst geflossen sein. Er wollte mit der vereinigten Kavallerie trotz Einbruchs der Nacht noch über den Feind herfallen und ihn vom Schlachtfelde verjagen. Die russische Reiterei indessen verweigerte ihre Teilnahme an dem tollkühnen Versuch. So kam es, daß nur neun Schwadronen unter Oberst v. Dolffs bei Rahna vorüber den Feind attackierten. Es gelang ihnen, die Franzosen zu überraschen. Marschall Marmont mußte in ein zurückgehendes Karree flüchten; große Verwirrung entstand. Die französischen Bataillone feuerten in der Dunkelheit aufeinander. Aber um eine Wendung im Schicksal der Schlacht herbeizuführen, waren die eingesetzten Kräfte zu schwach. Der Erfolg blieb ein vorübergehender; doch mag er mitgewirkt haben, die Franzosen zum Nachsetzen am andern Morgen untüchtig zu machen. Ausgang der Schlacht 255 Wenn der erste große Kampf der neuen Armee gegen den Unterdrücker nicht von einem Siege gekrönt wurde, so trug daran, abgesehen von der Überzahl der Feinde, vor allen Dingen der Mangel an einheitlicher und sicherer Führung der Truppen die Schuld. „Die Idee der Schlacht war gut, die Anlage war schlecht." Durch ungeschickte Maßregeln und überlanges Zögern hatten die Verbündeten den rechten Zeitpunkt zur Überraschung des Gegners, auf die der Gedanke der Schlacht gebaut war, versäumt. Das tropfenweise Einsetzen der Streitkräfte ermöglichte Napoleon, seine Überlegenheit heranzuholen, ehe ein entscheidendes Unglück beim Neyschen Korps geschehen war. Die Verwirrung in der Befehlsführung tat das übrige. „Es kommandierte in der Schlacht von Groß-Görschen niemand oder vielmehr jedermann." Oft hatte Kaiser Alexander eingegriffen, jedesmal aber, ohne sich mit Wittgen- stein zu verständigen. Dieser, der im Jahre zuvor sein Heer an der Düna mit Erfolg geführt, fühlte sich durch seines Herrn und Gebieters Anwesenheit beengt und brachte seinen Willen nicht bestimmt genug zum Ausdruck. Die Übermacht an Kavallerie und Artillerie war bei weitem nicht hinreichend ausgenutzt worden. Zumal blieb Wintzingerode auf dem linken Flügel fast vollkommen untätig. Schlimmer noch wäre es den Verbündeten wohl ergangen, wenn Napoleon nicht allzustreng an seinem Grundsatze der engen Versammlung der Massen vor der Schlacht festgehalten hätte, sondern die Garden mit Macdonald weiter östlich herumgreifend in die rechte, Bertrand mehr südlich in die linke Flanke Wittgen- steins entsandt hätte. Und dennoch war die Schlacht von Groß-Görschen ein Gewinn sür die Verbündeten. Der blutige Tag hatte sie einander näher gebracht. Die Tapferkeit der Preußen erweckte das Staunen und die Achtung der russischen Bundesgenossen. Die jungen Truppen hatten an Selbstvertrauen, Heer und Volk an Zuversicht gewonnen. Die Streiter von Groß-Görschen waren keineswegs niedergebeugt, sondern trugen die bestimmte Empfindung von ihrer moralischen und physischen Überlegenheit über die bisherigen Unterdrücker als Ernte des blutigen Tages davon. Die Hoffnung auf den endlichen glücklichen Ausgang des ganzen Krieges schlug selbst in zaghaften Seelen Wurzel. Auch der Feind hatte seine Fehler begangen. Neys Sorg- 256 IV. Die Befreiungskriege losigkeit hätte fast die von den Verbündeten beabsichtigte Überraschung gelingen lassen. Seine Truppen waren anfangs nicht versammelt und mußten nach und nach eingesetzt werden. So kam es, daß sein starkes Korps bald nach vier Uhr nachmittags verbraucht war. Bertraud und der Vizekönig versagten insofern, als sie auf Befehle warteten und darum verspätet auf dem Schlachtfelde erschienen. Die jungen Soldaten schlugen sich freilich gut, und ihres Kaisers Genius hatte die Mängel an Eigenschaften bei der Unterführung des Heeres wieder einmal ausgeglichen. Die Verluste waren auf französischer Seite sehr bedeutend. Sie be- liefen sich auf 22 000 Mann, darunter allein 15000 vom Nehschen Korps. 9 Generale waren tot und verwundet. Geschütze waren nicht erobert worden und nur wenig unverwundete Gefangene in die Hand der Sieger gefallen. Die Einbuße der Verbündeten betrug nur 11500 Mann, also etwa die Hälfte, und es ist wohl zu ermessen, daß die Eindrücke davon den Stolz und die Haltung der Truppe gehoben haben. Rückzug der Verbündeten hinter die Elbe und Spree Die Preußen sollten auf Meißen, die Russen auf Dresden zurückgehen, Kleist von Würzen auf Mühlberg weichen und Bülow, der, bei Groß-Görschen unbeteiligt, zwischen Dessau und Köthen stand, die Elbe bei Roßlau überschreiten, um Berlin und die Marken zu decken. Er rückte in die Gegend nordöstlich von Wittenberg und später zum Schutze der Hauptstadt in die Linie Trebbin—Mittenwalde ab. Am 3. Mai erfolgte zunächst, von den Franzosen unbelästigt, der Abzug des Heeres bei Pegau über die Elster und am Abend noch, nördlich von Altenburg, über die Pleiße. Miloradowitsch zog sich an den linken Flügel der Armee wieder heran. Trotz mancherlei Kreuzungen in den Kolonnen und Stockungen im Marsch war die Haltung der Truppen eine gute; keinerlei Trophäen blieben in des Feindes Hand. Am 4. Mai ging die Armee hinter die Zwickauer Mulde; Blücher feuerte seine Truppen durch eine kräftige volkstümliche Rede an und erklärte jeden, der von Rückzug spräche, für einen „Hundsfott". Scharnhorst hatte ihn zu seinem Schmerze verlassen müssen, aber in Gneisenau, der sich selbst freilich tief unter diesen stellte, sollte er einen vortrefflichen Ersatzmann finden. Zuversichtliche Stimmung der Truppen 257 Alles war in guter Stimmung. „Der Soldat glaubte nicht geschlagen zu sein," und sah vertrauensvoll ueuen Kämpfen entgegen. Wie anders gestaltete sich dieser Rückzug, als der unglückselige in der Nacht zum 15. Oktober 1806 nach Jena und Auerstedt. Freilich vermochte Napoleon keine Verfolgung durchzuführen, die der damaligen ähnlich sah. Seine jungen Truppen hatten sich auf dem Schlachtfelde gut geschlagen, aber ihre ungeübten Kräfte versagten nach der gewaltigen Anspannung, die sie hinter sich hatten. Die Marschleistungen mußten gering bemessen werden, um sie nicht aufzulösen; die Zahl der Marodeure und Deserteure wuchs erschreckend. Der Kaiser kam am 4. Mai nur bis Borna. Dort traf er seine neuen Anordnungen für die Fortsetzung des Feldzuges. Gegen seine Gewohnheit teilte er die Armee in zwei große Gruppen, die selbständig handelten. Ney sollte mit seinem Korps und den Truppen des Vizekönigs auf Torgau vorgehen, die an der unteren Saale verbliebenen Streitkräfte und die Sachsen zu sich heranziehen und mit diesem starken Heere Berlin bedrohen. Der Kaiser schlug selbst die Richtung auf Dresden ein. So hoffte er, Russen und Preußen voneinander zu trennen oder, wenn sie beisammen blieben, auf ihrem weiteren Rückzüge von Norden her zu umfassen. Unter lebhaften Nachhutgefechten, „bei welchen die Verbündeten sich dem Gegner in bester Haltung und ungebrochener Kraft zu zeigen vermochten," vollzogen sich die folgenden Bewegungen. Am 6. Mai gingen Kleist bei Mühlberg, Blücher und Jorck bei Meißen hinter die Elbe, tags darauf begannen die Russen bei Dresden den Strom zu überschreiten. Am 8. Mai wurde das linke Elbufer geräumt. Die Franzosen folgten auf dem Fuße. Von da ab begann im Hauptquartier der Verbündeten der Zweifel. Als sich die Preußen am 9. nordwärts nach Großenhain, die Russen östlich auf Radeberg wendeten, schien es, als sollte Napoleons Absicht gelingen. Vieles sprach überhaupt für einen weiteren Rückzug über die Oder oder gar bis zur Weichsel hin. Bei diesem wäre man auf die herankommenden Verstärkungen zurückgegangen; die vor den Festungen stehenden Einschließungstruppen konnten herangezogen werden. An der Weichsel war mittlerweile Thorn gefallen. Somit befanden sich zwei Festungen in der Gewalt der Verbündeten. Dort konnten die ostpreußischen Landwehren sämtlich versammelt werden. Es unterlag kaum einem Zweifel, Frhr. v. d. Goltz, Kriegsgeschichte 17 258 IV. Die Befreiungskriege daß Napoleons gegenwärtige Offensive bei einer so weiten Fortsetzung durch die Erschöpfung seiner Truppen zum Stehen kommen mußte. Dann war der Zeitpunkt für Österreich gekommen, wirksam in feinem Rücken einzugreifen. Aber von Österreichs Haltung hing dabei alles ab, und vielleicht hätte es gehandelt, wie Preußen 1805 und 1809. Damit wäre der Feldzug am Ende doch verloren worden und eine zweite Erhebung unmöglich gewesen. So siegte der Gedanke ob, vereint und Österreich nahe zu bleiben. Die Verbündeten entschlossen sich zum Rückzug hinter die obere Spree auf Bautzen. Die Preußen schlugen wieder die östliche Richtung nach Königsbrück ein, während die Russen Bischofswerda erreichten. Die Monarchen eilten nach Bautzen voraus. Dort mußte in den nächsten Tagen Barclay von Thorn her mit Verstärkungen eintreffen. Der Entschluß zu einer neuen Schlacht wurde gefaßt. Anfangs sollte sie an der Spree selbst geschlagen werden, aber bei näherer Untersuchung des Geländes ergab sich, daß der Flußlauf schwer zu verteidigen wäre. Seine Tiefe bildete kein wesentliches Hindernis; er war vielfach zu durchwaten. Das linke Ufer überhöht teilweise das rechte; die vielen Furten und Krümmungen ließen sich schwer überwachen, die Bewegungsfreiheit war am Flußlaufe selbst für den Verteidiger beengt. So ward beschlossen, die Schlachtstellung auf den Höhen vier Kilometer hinter der Stadt zu nehmen. Sie sollte dort mit dem rechten Flügel an die Teiche von Preititz uud Pließkowitz gelehnt werden, nach Süden über die Kreckwitzer Höhen laufen und sich mit dem linken Flügel bis in die waldigen Vorberge des Lausitzer Grenzgebirges erstrecken. Auch diese Stellung hatte ihre Mängel, aber eine bessere war nicht zu finden und weiterer Rückzug bedenklich. An der Spree wollten die Verbündeten nur eine leichte Verteidigung mit den Nachhuttruppen führen, um dem Feinde den Übergang zu erschweren. Ein solches Beginnen hat freilich oft den Vorteil, daß der Feind seine Kräfte dort schon zum großen Teile verbraucht, führt aber leicht den Nachteil herbei, daß der Verteidiger überhaupt in den Kampf um die vorwärts gelegene Linie gezogen wird und seine Schlacht in einem Gelände schlägt, wo er es nicht wollte. Ein besonderer Nachteil war, daß gegen den rechten Flügel hin nördlich von Bautzen die vorwärts gelegene uud die Hauptstellung ineinander übergingen, hier also nur eine Linie gehalten werden konnte. Dazu kam, daß Kaiser Alexander, der bei der Gefechte von Schmiedefeld, Bischofswerda und Göda 259 Führung meist den Ausschlag gab, Napoleons Angriff auf dem linken Flügel am Gebirge und nicht auf dem rechten erwartete. Auch war die Schlachtlinie verhältnismäßig lang. Sie maß zwei deutsche Meilen; das war zu viel, selbst für die nach Barclays Eintreffen auf rund 100000 Mann mit 600 Geschützen anwachsende Armee. Verschanzungen sollten diesem Mangel abhelfen. In den nächsten Tagen rückten Russen und Preußen in die gewählte Stellung ein. Am 13. kam auch Kleist, der über Großenhain gefolgt war, und am 16. Barclay heran. Miloradowitsch führte inzwischen die Nachhut und bestand am 11. und 12. Mai bei Schmiedefeld und Bischofswerda, am 15. bei Göda neue Gefechte gegen Macdonalds nachdrängendes Korps. An der Spree blieben beim Übergange die Nachhuttruppen stehen. Langsam folgte der Kaiser. Zwar waren die vordersten Truppen unmittelbar hinter den Russen über die Elbe gegangen, aber die übrigen befanden sich noch weit zurück. Ney blieb aus gleichem Grunde bei Torgau stehen. Auch zögerten die Sachsen, bis ein Ultimatum des Kaisers an ihren König die Tore der Festung öffnete. Der Bau einer Kriegsbrücke dicht unterhalb Dresdens wurde erst durch Miloradowitschs Nachhut aufgehalten und dann durch Hochwasser verhindert. Eine Notbrücke in der Stadt Dresden kam am 10. zustande, tags darauf gingen die beiden Heeresgruppen hier und bei Torgau über die Elbe. So hatten die 125 Kilometer vom Schlachtfelde von Groß-Görschen bis zur Elbe den Kaiser neun Tage gekostet, das heißt fast ebensoviel Zeit, wie 1806 der Marsch von der Saale bis vor die Tore Berlins. Die Rücksicht auf den inneren Zustand der jungen Milizarmee, als die sich Napoleons Heer im Frühjahr 1813 darstellt, zwang den Kaiser, auch nach dem Überschreiten der Elbe die Bewegungen zunächst zu verlangsamen. Zahlreiche Nachzügler folgten dem Heere und mußten abgewartet, die Verpflegung und der Etappendienst geordnet werden. Hierzu kam die Ungewißheit über den Verbleib des Feindes, der durch seine überlegene Reiterei alle Bewegungen verschleierte. Der Kaiser nahm an, daß die Preußen sich auf Berlin gewandt hätten, und Ney erhielt am 13. Mai früh entsprechende Befehle. Dann kam in der Nacht zum 14. die Kunde, daß Preußen und Russen auf Bautzen zurückgegangen seien. Die von rückwärts herankommenden Verstärkungen sollten überdies die schon eingetretenen starken Verluste ersetzen, ehe weiteres geschah. 17* 260 VI. Die Befreiungskriege Des Kaisers Heer bei Dresden bestand aus der Garde, den Korps von Bertrand, Marmont, Macdonald und Oudinot sowie dem starken ersten Kavalleriekorps. Es zählte um diese Zeit 92 000 Mann Infanterie, 14 000 Reiter und 360 Geschütze. Ney bei Torgau befehligte außer dem eigenen Korps noch die von Lau- riston, Reynier und Victor sowie das zweite Kavalleriekorps, 73000 Mann Infanterie, 5600 Reiter und 200 Geschütze. Am 15. Mai traf Macdonald vor Bautzen ein. Die übrigen Korps von des Kaisers Heer reichten noch bis Dresden zurück. Ney war zwischen Luckau und Wittenberg angekommen. So hatte sich das französische Heer über einen weiten Raum hin ausgedehnt. Es scheint, daß der Kaiser die so oft von ihm betonte Regel, daß man sich an jedem Tage vorstellen müsse, vom Feinde angegriffen zu werden, ohne in Verlegenheit zu geraten, diesmal selbst außer acht gelasseu hatte. Wenn die Verbündeten damals mit der vereinigten Kraft einen schnellen Vorstoß in der Richtung auf Dresden unternommen, so hätte ein großer Erfolg ihnen kaum entgehen können. Der ihnen gegenüberstehende Kaiser verfügte nur über die gleiche Anzahl Truppen wie sie, und die ihren waren bei weitem besser. Aber so kühne Entwürfe und schnelle Entschlüsse konnteil schon deshalb in ihrem Hauptquartier uicht keimen, weil in dem Oberbefehl noch die alte Unklarheit herrschte. Wittgenstein hing von Zar Alexander ab; dieser mischte sich in die Führung, ohne die Verantwortung zu übernehmen; Barclay, Miloradowitsch und andere Generale standen an Dienstalter vor Wittgenstein. Auch hier wieder war es eine Art von Kongreß, der die Armee leitete. Alle Entscheidungen wurden nur nach längerem Meinungsstreite gefällt. Die Armee blieb in ihrer Stellung hinter Bautzen stehen; die Schlacht sollte gewagt, aber der Angriff des Feindes abgewartet werden. Mehr traute mau sich noch nicht zu. In den folgenden Tagen schoben sich die Korps von Napoleons Armee näher an Bautzen heran, Ney erhielt die Richtung gegen Südost. So benutzte der Kaiser die Untätigkeit feiner Gegner, um seine ganze Macht zur Schlacht heranzubringen. Ein gleichzeitiger Angriff aus zwei Richtungen, wie er bei Königgrätz am 3. Juli 1866 geschah, sollte damals hier an der Spree den Verteidiger vernichten. Das war in Napoleons Schlachtenführung eine Ausnahme, die den Verlauf der Schlacht von Bautzen besonders merkwürdig macht. Franzosen und Verbündete an der Spree 261 Den Verbündeten war bekannt, daß der Feind in zwei Gruppen über Dresden und Torgau gefolgt sei. Sie rechneten daher bei Bautzen nur mit der Dresdener Gruppe und nicht auf den umfassenden Angriff von Norden her. Das hätte ihr Verderben Wvii SoÄS/V? Lciilscti! bsi Lsutisn. LwIIusiHLN 2M IZ.I^si Hbericls, >»/sF>5/sS ?>>>>>" ^Lpremdsi'g 3^ivn.!Il //0j«/!5«S/i/s 20ivn.lll ^ ^s^s^Sd^ 6/?5s/?n5s/7^ 1 vlV. IV VtzbV-Ä /l'ö/?^^/'//'?^ ?^^7A^5 „ SZ-c/?-//^ ^ ^G^Zgi-KI^ ^ >M -^»^6^/-/^ . Fs^Hz ^^^X!Mie?6ük,^f6 XI!^ V >5//7^»tV^ Skizze 25 Verbündete — M Franzosen. Die Korps sind mit römischen Zahlen bezeichnet, das 1. Kavalleriekorps mit der arabischen werden können. Am 18. erfuhren sie jedoch, daß ihnen auch Neys Heer von rechts drohte und leicht die rückwärtigen Verbindungen abschneiden könnte. Nun wäre eigentlich, im Hinblick auf das beiderseitige Zahlenverhältnis der Streitkräfte, der Rückzug geboten 262 IV. Die Befreiungskriege gewesen. Dagegen aber sprachen berechtigte Bedenken. Eine verhängnisvolle Wirkung auf die bisher mutige und vertrauensvolle Stimmung in Heer und Volk wäre unvermeidlich gewesen, Österreichs Beitritt immer zweifelhafter geworden. Man entschloß sich also, stehen zu bleiben. Ein Vorstoß vom rechten Flügel aus mit 23 600 Mann unter Barclay nnd Jorck sollte Ney zum stehen bringen. Er führte zu den blutigen Gefechten von Königs- wartha und Weißig am 19. Mai. (S. Skizze 25.) Eine italienische Division, die Napoleon — gegen seine sonstigen Gewohnheiten — zur Verbindung mit der Neyschen Heeresgruppe abgesandt hatte, erlitt eine völlige Niederlage, und der tüchtige Geist, der in den verbündeten Truppen herrschte, konnte sich von neuem betätigen. Barclay, der sein eigenes Korps unter Langerons Führung als linke Kolonne vorgehen ließ, überfiel nach fünfzehnstündigem Anmärsche jene Division im Orte Königswartha vollständig. Inzwischen hielt Jorck bei Weißig den von Neys Armee herankommenden Lauriston trotz dessen Übermacht bis zum Dunkelwerden hin. 10 Geschütze und 1000 Gefangene fielen den Verbündeten in die Hand. Ihre Verluste waren nicht leicht; sie beliefen sich auf 3000 Mann. Barclay trat nach Beendigung des blutigen Treffens den Rückzug zur Armee wieder an. Gewonnen war, von dem unmittelbaren taktischen Vorteil abgesehen, nichts. Die Bildung einer starken, zurückgezogenen Staffel von Truppen hinter dem rechten Flügel der Verbündeten würde zur Abwehr nützlicher gewesen sein. Dem Erscheinen Neys scheinen die Verbündeten nicht genug Beachtung geschenkt zu haben. Wie aber im Kriege oft Fehler eine unerwartete Wirkung üben, fo ging es auch hier. Sie wurden dadurch vor einem übereilten Rückzüge bewahrt, so daß sie den Kampf lange genug durchführten, um danach mit neuem Stolz die Wahlstatt verlassen und ihren Abmarsch fortsetzen zu können. Die Schlacht bei Bautzen am 20. und 2^. Mai ^3 (S. Skizze 26) Am 20. Mai wollte Napoleon die vordere Stellung der Verbündeten an der Spree nehmen. Dazu sollten Oudinot rechts oberhalb von Bautzen, Macdonald gegen Bautzen selbst, Marmont und Soult, dem auch das Korps Bertrand und die Kavallerie Gefechte von Königswartha und Weißig 263 unterstellt waren, unterhalb der Stadt den Fluß überschreiten und den jenseitigen Talrand stürmen. Die Garden folgten Macdonald. Der Kaiser begab sich auf die Höhen gegenüber Bautzen, Zelilscli! bei Lsut^en sm 20.U.21, KW, 1313. l.sgs sm 21.1^31 fs'üli. 6/s,?5/s5 / Skizze 26 Verbündete — M Franzosen um den Kanrpf zu beobachten. Die verbündeten Monarchen hielten auf einer Höhe bei Nieder-Kaina. Gegen Mittag begann Oudinots Angriff. Er ging bei Singwitz über die Spree und drängte die Russen in erfolgreichen 264 IV. Die Befreiungskriege Kärnpfen durch das Don Dörfern und Gehölzen bedeckte Hügelgelände am Fuße des Gebirges bis auf die Hauptstellung zurück. Dadurch wurde die Aufmerksamkeit der Verbündeten, die ohnehin auf den linken Flügel gerichtet war, noch mehr dahin gelenkt. Zumal glaubte Kaiser Alexander seine vorgefaßte Meinung bestätigt zu sehen, daß der Hauptangriff Napoleons auf jener Seite zu erwarten wäre, und der linke Flügel der Verbündeten wurde noch mehr verstärkt. Gneisenau riet zum Gegenangriff; doch ward seine Stimme nicht gehört. Bautzen wurde um Mittag von Macdonald angegriffen und, als Marmont die Stadt auch von Norden her umfaßte, nach hartem Kampfe genommen. Der Kaiser zog darauf seine Garden durch Bautzen vor und begab sich selbst auf den Ostrand des Tales. Soult drängte inzwischen den General Kleist, der mit Teilen seiner Truppen noch am linken Spreeufer verblieben war, nach hartnäckigem Widerstande schließlich bis gegen Litten zurück. Abends um 7 Uhr war die vordere Linie der Verbündeten völlig genommen. Nun traf auch Ney mit seinen Truppen bei Sdier ein uud zwang die Russen zum Abzüge auf Klix, vermochte aber die Spree, an der er weiteren Widerstand sand, nicht mehr zu überschreiten. Napoleons Zweck war erreicht; er hatte festen Fuß am rechten Spreeufer gefaßt und Neys Heer zu der beabsichtigten Umfassung nahe genug herangezogen. Der Hauptangriff konnte beginnen. Alles schien nach Wunsch gegangen zu sein; indessen die Verluste waren bereits sehr schwer. Sie hatten 5600 Tote und Verwundete betragen; nur etwa die Hälfte dieser Zahl ließen die Verbündeten auf dem Kampfplatze liegen. Am Morgen des 21. Mai standen die Verbündeten kampfbereit in ihrer Hauptstellung: zur äußersten Rechten Barclay mit 15 000 Mann nördlich der Plieskowitzer Teiche, links neben ihm auf den Kreckwitzer Höhen Blücher mit 23 000 Mann. Bei Litten und Purschwitz Dorck und Kleist mit nahe an 10000 Mann; beide waren Blücher unterstellt. Weiter nach links, bei Baschütz, hielt Großfürst Konstantin mit 18000 Russen und Preußen, sowie der Masse der Artillerie, bei Jenkwitz Graf Berg mit 5000 Russen und endlich das auf 23 000 Maun gebrachte Korps von Milora- dowitsch zwischen dort und den Bergen von Mehltheuer. Von den Kreckwitzer Höhen ab nach links war die Stellung durch Schanzarbeiten verstärkt; zahlreiches Geschütz überall verteilt. Auf der Aufstellung der beiden Heere am 21. Mai früh 265 im ganzen 15 Kilometer langen Front standen somit 94000 Mann vereint, für die damalige Zeit eine geringe Stärke im Verhältnis zur Ausdehnung. Dazu kam, daß ein Rückhalt für die ganze Linie fehlte. Am schwierigsten war die Verstärkung des von Natur schwachen rechten Flügels wegen der den Verschiebungen wenig günstigen Geländeverhältnisse. Drüben stand Oudinot vor Miloradowitsch bei Binnewitz mit 17 000 Mann, Macdonald zu seiner Linken bei Strehla mit 15 000, in der Mitte, Jorck und Kleist gegenüber, Marmont mit 19000 Mann, auf den Höhen von Burk, Soult noch auf dem linken Ufer der Spree bei Nieder-Gurig mit 17 500 vor Blücher, hinter der Mitte der Linie vorwärts von Bautzen die Garde und das Kavalleriekorps, zusammen an 26000 Mann stark. So waren die Kräfte in der Front fast gleich; doch kam auf französischer Seite von links her Ney mit 64 000 Mann heran. Freilich stand davon das schwache Korps Neynier noch weit zurück bei Hoyerswerda; mehr als 50 000 Mann aber vermochte er auf das Schlachtfeld zu bringen. Der Kaiser begab sich mit Tagesanbruch auf die Höhen bei Bautzen. Die verbündeten Monarchen erschienen um 3 Uhr früh bei Baschütz. Der Kampf begann auf dem rechten französischen Flügel, wo Oudinot schon uin sechs Uhr früh in den Bergen von neuem angriff und Miloradowitsch zurückdrängte. Dieser aber ward durch die russischen Garden unterstützt, nahm die verlorenen Dörfer, Höhen und Gehölze wieder und ging nun seinerseits gegen Oudinot vor, dessen Bitten um Unterstützung der Kaiser beharrlich ablehnte, da er die Entscheidung nicht dort, sondern auf dem anderen Flügel suchte. Hier, wie bei Groß-Görschen, blieb er seinem ersten Plane treu. In der Mitte der Schlachtlinie beschränkte der Kampf sich zunächst auf eine hinhaltende Kanonade, da der Kaiser Neys Eingreifen abwarten wollte. Diesem Marschall ließ er durch einen Generalstabsoffizier den 6 Kilometer hinter der Front gelegenen, weithin sichtbaren Kirchturm von Hochkirch als Nichtungspunkt bezeichnen und den weiteren Befehl erteilen, um elf Uhr vormittags bei Preititz zu sein. Ney war in voller Frühe vorgegangen; langsam wich Barclay vor ihm zurück, und schon um 9^/„ Uhr näherte sich der Marschall dem ihm gegebenen Ziele; bald danach war Preititz genommen, Barclay auf Baruth zurückgetrieben. Nun aber 266 IV. Die Befreiungskriege zögerte der Sieger; er glaubte, überlegene Kräfte vor sich zu haben und an Napoleons Befehl gebunden zu sein. Nicht vor elf Uhr wollte er weiter vorrücken und zog daher zunächst seine Truppen bei Preititz zusammen. Damit begann er die Wirkung der Umfassung selber aufzuheben. Lauriston, der am weitesten links marschiert war, wurde aus dieser für den Rückzug der Verbündeten gefährlichsten Richtung herangerufen, gerade als nun endlich auch im Zentrum der Schlachtlinie der Hauptangriff begann. Napoleon hatte damit noch gezögert, bis auch Soult, der die Spree erst überbrücken mußte, am rechten Ufer bereitstand. Nun aber wurde Blücher auf den Kreckwitzer Höhen durch das gemeinsame Vorgehen aller französischen Kräfte, der Mitte und des linken Flügels auf das höchste bedroht. Wohl hatte er Preititz noch einmal durch die Brigade Röder und das Kleistsche Korps wieder einnehmen lassen; dafür aber war Plieskowitz in Feindes Hand gefallen. Dann hatte auch Ney mit drei seiner Divisionen Preititz zurückerobert und Kleist in der Richtung auf Wurschen geworfen. Bald sah sich Blücher mit seinem Korps auf drei Seiten umringt. „Blücher hielt mit Gneisenau und den Offizieren des Hauptquartiers da, wo das Kanonenfeuer am wirksamsten war, und übersah ruhig, was wir nicht hindern konnten, daß wir allmählich umringt wurden." Alle Reserven waren eingesetzt, das Korps glich einem Viereck mit einem einzigen noch offenen Ausgang in der Richtung auf Purschwitz und Litten. Endlich wurde Dorck von den Monarchen zu Blüchers Unterstützung freigegeben; allein er kam bereits zu fpät. Blücher hatte um 3^ Uhr nachmittags schweren Herzens den Rückzug befehlen müssen. Es war im letzten Augenblicke, der für die Rettung noch blieb. Würde Ney unverwandt mit seinen starken Kräften auf den Kirchturm von Hochkirch losgegangen sein, gleichgültig, ob die Uhr schon elf oder noch früher sei, so wären die Preußen verloren gewesen. Auch jetzt noch griff er nicht zu, sondern vollzog erst eine Rechtsschwenkung gegen die Kreckwitzer Höhen, statt gegen Südost hin in den Rücken der Verbündeten zu marschieren. Dadurch büßte er von neuem Zeit ein und kam auf den Kreckwitzer Höhen an, als dort auch schon der in der Front vorgegangene Soult erschien. Wie so oft, war der umfassende Angriff zu nahe und eng angesetzt worden und stieß mit dem frontalen zusammen. Blücher entkam in guter Blücher aus den Kreckwitzer Höhen 267 Ordnung, freilich in beiden Flanken von Neys und Marmonts Artillerie lebhaft kanoniert. Um vier Uhr nachmittags war die Schlacht für die Verbündeten verloren. Einer Erneuerung des Widerstandes hinter dem Albrechtsbach bei Klein-Bautzen und Purschwitz erwies sich das Gelände zu Blüchers Schmerz nicht günstig. In niedergeschlagener Stimmung setzte er sich dort zur kurzen Rast auf einen Stein, bis der Befehl zum allgemeinen Rückzüge bei ihm eintraf. Auch Kaiser Alexander hatte sich schwer entschlossen, seine Zustimmung zu erteilen; denn der linke Flügel, den er für den wichtigeren gehalten, hatte glücklich gefochten und war in siegreichem Vordringen. Allein er fügte sich doch dem Zwange der allgemeinen Lage und ordnete das Abbrechen des Kampfes an. Barclay, Blücher, Jorck und Kleist schlugen die Richtung auf Weißenberg, die Russen diejenige auf Löbau ein. Ein Gewitterregen und die starke Kavallerie hinderten die kräftige Verfolgung durch den Feind. Napoleon kam mit seinem Heere wenig über das Schlachtfeld hinaus bis nach Wurschen und Drehsa. Der Kampf hatte seine Truppen ermattet und die feste Haltung der Verbündeten weitere Erfolge unmöglich gemacht. Wohl hatte er einen Sieg erfochten, aber nicht den entscheidenden, auf den er hoffte. Die Verluste waren wiederum unverhältnismäßig hart. Sie betrugen 7000 Tote, 14S00 Verwundete und 3700 Vermißte, von denen nur 800 Gefangene in Feindeshand gefallen waren. An 3000 Flüchtige wurden an der Elbe aufgegriffen, ein übles Zeichen für die Mannszucht im Heere. Groß war der Abgang an höheren Führern. Drei Generale blieben tot, zwei schwer und sieben leicht verwundet auf dem Platze. Die Einbuße der Verbündeten belief sich auf 10 350 Mann im ganzen, von denen 2791 auf Blüchers Korps entfielen. Die Schlacht von Bautzen hätte eine vernichtende Niederlage werden können, wie die vom 3. Juli 1866 für die Österreicher. Allein der Versuch des Kaisers mit dem Anmarsch auf getrennten Linien und der Vereinigung auf dem Schlachtfelde selbst, mit dem er, den vorangegangenen Umständen folgend, der kriegshistorischen Entwicklung seiner Zeit vorausgeeilt war, mißglückte, weil Ney versagt hatte. Das waren die Früchte der Erziehung der Generale durch den Kaiser selbst, der bis dahin für sie gedacht und gehandelt hatte und nur Gehorsam verlangte, nicht aber Selbständigkeit. 268 IV- Die Befreiungskriege Die Fehler der Verbündeten hätten das Werk der Zerstörung erleichtert. Ihr starres Festhalten an der Verteidigung ließ vie kostbare Gelegenheit zum erfolgreichen Gegenstoße sowohl, als auch die zum rechtzeitigen Ausweichen vor der Umfassung verstreichen. Dazu kam der Mangel an Tatkraft in der Abwehr Neys und der Irrtum über den Punkt, wo die Entscheidung lag. In der höchsten Führung während der Schlacht hatte, wie bei Groß-Görschen, Einheit und Klarheit gefehlt. 5 5 Am Morgen des 22. Mai setzten die Verbündeten aus den beiden Gruppen, in denen sie, durch zehn Kilometer getrennt, während der Nacht hinter dem Löbauer Wasser gestanden, den Rückzug zunächst auf Görlitz und dann in den folgenden Tagen auf zwei getrennten Straßen fort. Die nördliche Gruppe marschierte über Bunzlau, Hainau auf Liegnitz, die südliche über Löwenberg auf Goldberg. Sie waren noch 45000 und 40 000 Mann stark. Barclay übernahm an Wittgensteins Stelle den gemeinsamen Oberbefehl. Die Franzosen vereinigten auf dem Schlachtfelde bis zum Abend noch 144 000 Mann. Schwer war die Entscheidung, was weiterhin geschehen solle. Barclay, ein General von festem und vornehmem Charakter, aber sehr methodischen Ansichten, glaubte vor allem, die russische Armee von Grund aus neu ordnen zu müssen. Das konnte in Napoleons Gegenwart auf schlesischem Boden nicht vorgenommen werden. Er wünschte daher den Rückzug nach Polen hinein. Dem widerstrebten die preußischen Generale aufs äußerste. Sie hatten schon hinter Görlitz stehen bleiben wollen. Sowohl die preußische wie auch die russische Kavallerie warf dort die feindliche glücklich zurück. Napoleon hatte vor der russischen Nachhut an der Landskrone bei Görlitz die Verfolgung eingestellt, weil er erkannte, daß Bautzen ebensowenig wie Groß-Görschen die Widerstandskraft der Verbündeten gebrochen habe. „Keinen Kanonennagel" hatte er zn seinem großen Verdruß ihnen bei der Verfolgung abnehmen können. Schon der Weitermarsch von der Görlitzer Neiße zum Queiß verstimmte das Blüchersche Hauptquartier stark. Jorck blickte vollkommen düster in die Zukunft. Ruhe war den Truppen dringend nötig, nicht ein unaufhörlicher Rückmarsch. Nun war man für den Notfall entschlossen, sich selbst von den Russen zu trennen, aber den heimischen Rückzug der Verbündeten nach Schlesien 269 Boden nicht zu verlassen. Alles war für dessen Verteidigung geopfert worden, und diese Anstrengung durfte nicht noch einmal umsonst gewesen sein. „Verlieren wir in diesem Augenblicke die Besinnung, so vertraut uns Österreich nicht, und wir gehen dann durch Kleinmut zugrunde," schrieb Gneisenau dem Staatskanzler. Seinem Könige aber hatte er schon früher einmal berichtet: „Im unglücklichsten Falle wird es ehrenvoller fein, in unseren eigenen Provinzen umzukommen, wie als Flüchtlinge mit einem unbedeutenden Truppenreste im fremden Lande umherzuirren." Zar Alexander, lebhaft zum Bleiben gedrängt, erkannte die politischen Vorteile des festen Zusammenhaltens mit den Preußen auf deutschem Boden und wies Barclay die Richtung auf Schweiduitz an. Das war ein wichtiger, an Folgen reicher Entschluß. Das Gefecht von Hainau Am 26. Mai traf die südliche Kolonne bei Goldberg ein. Blücher war tags zuvor aufgefordert worden, dem nachdrängenden Feinde an der Katzbach womöglich einen Tag Aufenthalt zu bereiten, und mit Freuden ergriff er die Gelegenheit zu einem glänzenden Streich, der schon weiter vorwärts bei Hainau an der Schnellen Deichsel fiel. Er legte am 26. nach dem Durchzuge durch das Städtchen mit seiner Reiterei den Verfolgern einen wirksamen Hinterhalt. Während seine Nachhut langsam an der Liegnitzer Straße vor der französischen Division Maison zurückging, stellten sich 22 preußische Schwadronen unter dem Obersten v. Dolffs südlich derselben verborgen auf und blieben unentdeckt, bis sie am Nachmittage um fünf Uhr überraschend gegen die rechte Flanke der nachfolgenden französischen Kolonne vorbrachen und über sie herfielen, als sie sich eben für die Nachtruhe einrichten wollte. Beinahe die ganze Division Maison wurde im ersten Anprall gesprengt. Die Sieger machten 500 Mann zu Gefangenen, erbeuteten fünf Kanonen und vernagelten eine Anzahl anderer, die stehen geblieben waren. Flüchtend stürzte die französische Infanterie in voller Verwirrung wieder nach Hainau hinein. Dort verblieb sie den Tag über, der auf diese Art von den Verbündeten wirklich gewonnen wurde. Der Verlust der Franzosen betrug nach ihrem eigenen Geständnis 1350 Mann. Wenn Blücher auch die einzelnen Anordnungen zu dem Überfall seinen Generalstabsoffizieren und die 270 IV. Die Befreiungskriege Ausführung General v. Zieten sowie dem tödlich verwundet auf dem Kampfplatze gebliebenen tapferen Obersten v. Dolffs überlassen hatte, so gebührt ihm doch das Hauptverdienst der Anlage. Sein Name kam in aller Mund. Die Siegeszuversicht hob sich in der gesamten Verbündeten Armee. Sie empfing die Nachricht von dem schönen Reiterstück überall mit Jubel. Langsam folgte Napoleon in den nächsten Tagen dem Abmarsch der Gegner, ließ Glogau entsetzen und Breslau nehmen. Die Verbündeten wichen noch bis Nimptsch und Strehlen vor ihm aus. Dort traf Sacken, aus Polen kommend, bei der Armee ein. Deren Lage war trotzdem kritisch. Bei weiterem Zurückgehen hätten die Russen ihre Verbindungen mit den herankommenden Verstärkungen völlig aufgeben müssen, und die Frage der Trennung von den Bundesgenossen wäre erneut zur Entscheidung gekommen. Da trat der Waffenstillstand ein, über den die Verhandlungen längst im Gange waren. Anfangs vereinbarte man am 1. Juni nur eine Waffenruhe für 36 Stunden, bald danach aber am 4. Juni zu Ploischwitz einen Waffenstillstand von sieben Wochen, nämlich bis zum 20. Juli. Später wurde noch eine Verlängerung bis zum 10. August vereinbart. Hierzu trat dann eine Kündigungsfrist von sechs Tagen. Eine Demarkationslinie trennte fortan die Kämpfenden. Sie begann, in der Gestalt einer neutralen Zone, die — Breslau umschließend — sich quer durch Schlesien erstreckte und bis zur Oder ging. Dann folgte sie im allgemeinen der damaligen preußischsächsischen Grenze bis gegen Magdeburg zur Elbe, ließ Hamburg und Lübeck den Franzosen, Mecklenburg aber den Verbündeten. -I- » Kurz vor der Schlacht von Bautzen war Bülow, da er Berlin nicht bedroht sah und da er durch eine dort zusammengestellte Brigade unter Boyen verstärkt worden war, nach Baruth vorgegangen. Von dort marschierte er in die Gegend von Luckau ab, um sich den kämpfenden Heeren zu nähern. Am 25. Mai erfuhr er den Rückzug der Verbündeten von Bautzen und blieb stehen, da er es nicht wagte, mit seinen 15—16 000 Mann in Napoleons Rücken vorzustoßen. Am 24. Mai war Oudinot inzwischen von Görlitz aus, wie zuvor Ney vou Torgau, durch den Kaiser gegen die Marken ent- Ereignisse in der Lausitz und an der unteren Elbe 271 sendet worden, um Berlin zu bedrohen. Am 28. Mai kam es bei Hoyerwerda zu einem ernsten Gefecht. Bald danach traf er mit feiner Heeresabteilung bei Luckau auf Bülow, der ihm deu Weg verlegte. Vergebens griff der Marschall die von festen Mauern umgebene Stadt am 4. Juni an und zog sich, da er sie nicht nehmen konnte, nach Übigau südwestlich hinter die Schwarze Elster zurück. Sein Verlust war nicht unbedeutend. Er scheint an 1500 Tote und Verwundete gehabt zu haben. 1000 Versprengte liefen den Bülowschen Truppen noch in den nächsten Tagen in die Hände. Diese hatten nur 720 Mann verloren, 1 Geschütz erobert. Bülow versammelte nuu alle seine Kräfte, um die Franzosen anzugreifen, als die Nachricht vom Waffenstillstände ihn erreichte und er nach Berlin abmarschierte, wo er am 12. Juni eintraf. Auch Oudinots unsicherer und tastender Vorstoß war damit beendet. 5 5 Ein Blick ist noch nach der unteren Elbe zu werfen, wo auf feiten der Verbündeten um die Mitte April General Graf Wall- moden-Gimborn den einheitlichen Befehl übernommen hatte. Der französische Gegenangriff sollte dort nicht lange auf sich warten lassen. Davouts Truppen besetzten am 27. April, auf ihrem Marsche nach Hamburg, zunächst Lüneburg. Vandamme kam von Bremen heran. Beide vereinigten sich, nunmehr 24 000 Mann stark, bei Harburg. Tettenborn und Dörnberg waren vor ihnen hinter die Elbe zurückgewichen. Tettenborn übernahm die Verteidigung von Hamburg. Er besetzte die Elbinsel Wilhelmsburg, vernachlässigte aber die Befestigung der wichtigen Punkte. Nach einer Reihe von Scharmützeln und Gefechten mußte er sich auf die Norderelbe und die Stadt zurückziehen, obwohl Dörnberg wieder auf dem linken Stromufer erschienen war und die Franzosen beunruhigte. In der Nacht vom 29. zum 30. Mai räumte Tettenborn dann auch das bis dahin noch behauptete Hamburg, weil Dänemark sich inzwischen für Napoleon entschieden hatte und die von Schweden in Aussicht gestellte Unterstützung nichts von sich spüren ließ. Eine vorübergehend erschienene schwedische Brigade wurde zurückberufen, und der Senat betrieb die Vorkehrungen für die Verteidigung und die Bewaffnung der Bürgerschaft ohne die nötige Energie. Am 30. Mai nachmittags rückten die Franzosen in Hamburg ein. So 272 IV. Die Befreiungskriege war diese wichtige Position an der unteren Elbe und das vielversprechende Aufstandsgebiet verloren gegangen, während Bernadotte, seit dem 21. August 1810 erwählter Kronprinz von Schweden, mit 25000 Mann untätig in Mecklenburg gestanden hatte. Am 9. Juni wurde auch auf diesem Teile des Kriegsschauplatzes die Nachricht vom Waffenstillstände bekannt. 2. Z>er Waffenstillstand Napoleon hatte vor der Schlacht von Bautzen am 18. Mai seinen Vertrauten Caulaincourt mit Vorschlägen an Zar Alexander senden wollen, deren Zweck ein Sonderfrieden mit Nußland war, ohne daß es damals zur Aufnahme ernster Verhandlungen kam. Politische Erwägungen waren vorerst für ihn maßgebend. Nach der Schlacht von Bautzen traten die militärischen in den Vordergrund. Er wünschte, trotz seiner Erfolge, die Unterbrechung der Operationen. Wer nur die augenblickliche militärische Lage der beiden Parteien im Auge hat, den muß diese Stimmung des Kaisers wundernehmen. Noch hatte er die Überlegenheit der Zahl für sich, wenn er alle seine Kräfte heranzog. Mit einem Teil derselben konnte er den Verbündeten geradeswegs entgegengehen, um sie festzuhalten nnd sie gleichzeitig mit der bei Breslau versammelten Masse in der rechten Flanke und im Rücken anzugreifen. War ihm noch einmal der Sieg beschieden, so wäre die preußisch-russische Armee, ihrer natürlichen Verbindungen beraubt, auf die österreichische Grenze zurückgeworfen worden. Nur höchst wichtige Gründe konnten einen Feldherrn von seinen Eigenschaften dazu bewegen, auf diese Aussicht zu verzichten. Nicht die Sorge vor einem Eingreifen Österreichs, das sich gegen ihn erklären und ihm seinerseits den Rückweg verlegen konnte, war für ihn ausschlaggebend. Im Angesichts der Möglichkeit eines großen entscheidenden Sieges haben weder Alexander noch Hannibal oder Cäsar sich solchen Sorgen hingegeben. Napoleon hatte sich 1805 von ähnlichen Bedenken ganz frei gemacht. Er wäre auch diesmal darüber hinweggekommen. Eines aber tat seinem mächtigen Willen Gewalt an, das war der Zustand seiner Armee. Sie schmolz wie der junge Schnee an der Frühjahrssonne, und er befürchtete, daß das soeben mit den größten Anstrengungen geschaffene Zustände in der französischen Armee 273 Kriegsinstrument bei der ununterbrochenen Fortsetzung der Märsche und Gefechte einer inneren Auflösung verfallen werde, welche die Wiederherstellung unmöglich machte. Wie begründet diese Besorgnis war, zeigte sich sofort nach Eintritt der Waffenruhe, als die übernatürliche Anspannung der Kräfte nachließ und verheerende Krankheiten in den Reihen des Heeres um sich griffen. Augenscheinlich war dasselbe der Kraftprobe nicht gewachsen, der es durch den Krieg unterzogen wurde. Die kurze und matte Verfolgung nach der Bautzener Schlacht hatte einen Abgang von nahe an 11000 Mann verursacht, trotzdem nur wenig Gefechte vorgefallen waren, und er wuchs von Tage zu Tage in erschreckender Art. Ganz ungenügende Ausbildung und Vorbereitung der Mannschaft, mangelhafte Fürsorge jeder Art, nicht hinreichende Verpflegung und ungeschickte Führung sörderten das Zerstörungswerk. Die in nichts erfahrenen Offiziere besaßen keine Fähigkeit, um als Berater ihrer Leute aufzutreten. Dies alles machte das Übel unheilbar, wenn die Bewegung fortdauerte. Dehnte der Feldzug sich weiter nach Osten aus, so wurden auch die Flankendeckungen immer schwieriger und die Rücksicht auf Österreich ernster. Schließlich hätte sich die Armee aufgelöst. Trotz der eintretenden Ruhe lagen am Ende des Waffenstillstandes noch viele Tausend französische Kranke in den Lazaretten. Der Kaiser begriff, daß die Natur des Werkzeuges, mit dem er Krieg führte, selbst in seiner Meisterhand nicht gleichgültig sei, sondern sorgsame Beachtung verdiene. Der Widerstand, den er bei Groß-Görschen und Bautzen gefunden hatte, verleitete ihn, den Zustand der verbündeten Heere zu überschätzen. So fügte er sich, wie einst im Dezember 1806 an der Wkra, den Umständen, die stärker waren als er, schloß den Waffenstillstand und machte sich daran, zunächst seine Truppen wiederherzustellen, sie zu kräftigen und zu vermehren, ehe er an die endgültige Entscheidung ging. Es kam auch hinzu, daß seine rückwärtigen Verbindungslinien lebhaft beunruhigt wurden. Freikorps erschwerten den Nachschub. Dicht hinter der Armee streiften russische Kavallerieabteilungen am Bober und an der Queiß und richteten, Schrecken verbreitend, großen Schaden an. In der Mark war Hellwig, der Befreier der Gefangenen von Erfurt, aufgetaucht. Tschernitschew hatte bei Halberstadt einen Artilleriepark überfallen, Woronzow, der vor Leipzig Frhr. v, d, Goltz, Kriegsgeschichte 13 274 IV. Die Befreiungskriege stand, drohte mit einem Anschlage auf diese Stadt. Rittmeister v. Colomb streifte mit dem Jägerdetachement des Brandenburgischen Husarenregiments und Lützow mit seinem gemischten Parteigängerkorps in Thüringen. Sie nahmen Geschütze, Fahrzeuge, Vorräte, hoben Gefangene in größerer Zahl auf, veranlaßten deutsche Abteilungen im französischen Dienste zum Übertritt und hatten begonnen, der „großen Armee" ernsthaft gefährlich zu werden. Klarheit und Ruhe in deren Rücken mußten wiedergewonnen werden. Das war nur durch eine Unterbrechung im Gange des großen Krieges zu erreichen. Es gelang auch, das Lützowsche Korps auf dem Rückmärsche zur Neutralitätszone in trügerische Sicherheit zu wiegen und am 17. Juni bei Kitzen in der Nähe von Leipzig zu überfallen — ein Schlag, von dem es sich trotz verstärkten Zulaufs nicht wieder erholt hat. Der politische Zweck, Österreich durch eine größere Machtentfaltung vom Beitritt zum Bündnis gegen Frankreich abzuhalten, sowie die Rücksicht auf die Stimmung in Frankreich, wirkten gleichfalls auf vorläufige Waffenruhe hin und hatte des Kaisers Entschluß reifen lassen. Wäre er noch der Napoleon von 1805 gewesen, so hätte er ihn vielleicht trotz alledem verworfen. Tatsächlich ist der Stillstand den Verbündeten mehr als ihm zugute gekommen. Sie hatten aus den Versäumnissen vom Frühling 1807 gelernt und waren andere geworden wie zur unseligen Zeit der Bartensteiner Konvention. Der Entschluß, der sich mit vielen wichtigen Gründen rechtfertigen läßt, schlug am Ende zu des Kaisers Nachteile aus. Er selbst hat ihn später den größten Fehler seines Lebens genannt. Vor allen Dingen war es Preußen, das die ihm gewährte Frist auf das energischste ausnutzte. Es kämpfte um die Existenz und war sich dessen bewußt. Sein Volk war erwacht und zeigte sich zu jedem Opfer bereit, wie einst zu König Friedrichs Zeiten, als es galt, die Selbständigkeit inmitten der großen Mächte zu behaupten. Die Truppen der alten Armee wurden wieder auf den ursprünglichen Stand gebracht, die Reservebataillone, die freiwilligen Jägerdetachements und die Freikorps vermehrt. Sodann aber betrieb man die Aufstellung der Landwehr in allen Provinzen auf das eifrigste. Mangelhaft gerüstet, ausgebildet und geführt, anfangs zum Teil noch mit Piken bewaffnet, gar nicht oder nur ganz ungenügend im Schießen geübt, vermochte sie freilich im Preußen während des Waffenstillstandes 275 freien Felde zunächst noch keine großen Dienste zu leisten. Aber vor den Festungen, zu Besatzungen, zu Sicherungs- und Verteidigungszwecken war sie schon brauchbar und konnte überdies das Gewicht ihrer Masse in die Wagschale werfen. Im ganzen zählte die Landwehr 149 Bataillone mit 100 000 Mann, dazu 116 Eskadrons mit 10 500 Reitern. In Regimenter eingeteilt, kam sie nach und nach auch als Verstärkung der Feldarmee, gemischt mit den Linientruppen, zur Geltung. Die Stände von Ostpreußen, Pommern und Schlesien stellten außerdem drei National-Kavallerieregimenter mit zusammen 954 Pferden auf. Ersatztruppen wurden gleichfalls gebildet, um fortdauernden Nachschub zu liefern. Beim Ablaufe des Waffenstillstandes hielt Preußen nicht weniger als 271000 Mann unter den Waffen, sechs Prozent seiner Bevölkerung. Das war ein Aufgebot sondergleichen — das Ergebnis einer Anstrengung, von der ein Teil in den Unglücksjahren von 1806 und 1807 vielleicht genügt haben würde, um die Niederlage abzuwenden, aus der die jetzigen schwierigen Umstände hervorgegangen waren. „Wir haben eine Armee, wie Preußen nie, selbst in seiner glänzendsten Periode nicht hatte," urteilte Gneisenau. An eigentlichen Feldtruppen wurden vier Korps aufgestellt. Sie bestanden aus je 4 Brigaden zu 1 Linien-, 1 Reserve-, 1 Landwehr-Infanterieregiment, 1 Kavallerieregiment und 1 Batterie, im ganzen 10 Bataillonen, 4 Eskadrons, 8 Geschützen. Dazu kam noch eine Reservekavallerie von 3 Brigaden oder 20 bis 30 Eskadrons. Nur das vierte Korps war in seiner Zusammensetzung etwas abweichend davon. In Schlesien blieben das 1. und 2. Korps unter Jorck und Kleist; das 3., Bülow, und das 4., Tauentzien, wurden in der Mark gebildet. Mit den Freikorps und den nach der Unterelbe entsendeten Abteilungen zählten diese Feldtruppen an 162 000 Mann. 30 600 Mann standen außerdem vor den Festungen Stettin, Küstrin, Glogau und Danzig. Der Rest war im Lande verteilt. Die russischen Jnfanterieregimenter waren durch den weiten Verfolgungsmarsch von der Heimat her, sowie durch den Frühjahrsfeldzug in ihrer Zifferstärke sehr herabgekommen. Manche zählten nur noch die Mannschaft einer einzigen vollen Kompagnie. Viele konnten auch im Laufe des Sommers durch die nachrückenden Ersatzleute nur auf ein Bataillon gebracht werden. Aber Bekleidung, 18* 276 IV. Die Befreiungskriege Ausrüstung und Bewaffnung waren gut, jedenfalls reichlicher als bei den Preußen. Die Kavallerie wurde nach ihrer Gattung in 16 Divisionen von je 2 Brigaden zu 2 Regimentern eingeteilt. Diese sollten je 6 Eskadrons besitzen, kamen aber vielfach nur auf 2 bis 4, jede zu etwa 120 Pferden. Allein sie waren im allgemeinen hinreichend beritten, bewaffnet und ausgerüstet. An Kasaken verfügte die Armee über eine große Zahl. In der Artillerie sah es, was die Geschütze anbetraf, wohl etwas bunt aus. Bespannung, Ausrüstung und Ausbildung entsprachen aber auch hier den Forderungen der Zeit. Viel Troß folgte dem russischen Heere; die Verwaltung und das Sanitütswesen waren mangelhaft, wie ehedem. In Schlesien bildeten sich vier Korps von verschiedener Stärke unter Langeron, Sacken, Wittgenstein und St. Priest, sowie die starken Garden und Reserven unter Großfürst Konstantin — zusammen 145000 Mann. Dazu kamen die Truppen in der Mark unter Wintzingerode, Woronzow und Tschernitschew, sowie Wall- modens Streitkräfte in Mecklenburg, im ganzen an 39 000 Mann. So hatte Rußland in erster Linie 184 000 Streitbare im freien Felde und dahinter noch eine Reservearmee unter Bennigsen bei Warschau, sowie die Belagerungskorps vor Zamoscz, Modlin und Danzig — abermals an 112 000 Mann. In Österreich begriff man, daß es unmöglich sein werde, dauernd nur den Vermittler zu spielen. In einer zu Reichen- bach, dem Hauptquartier der verbündeten Monarchen, am 27. Juni abgeschlossenen Übereinkunft hatte es sich verpflichtet, den Krieg an Frankreich zu erklären, wenn Napoleon seine Friedensvorschläge nicht annähme. Man begann eifrig zu rüsten; doch ging es auch hier nur langsam vorwärts, da der zerstörende Feldzug von 1809 bitteren Mangel an Kriegsmaterial hinterlassen hatte. Das böhmische Observationskorps wurde bis zum Ende des Waffenstillstandes immerhin auf ein Heer von 127 000 Mann gebracht. An der Enns und Traun marschierten 30000 Mann auf, 36 500 bildeten eine Armee im Innern, und 27 500 standen in Prag, Königgrätz und Josephstadt. Die Bildung einer Reservearmee bei Wien und Preßburg wurde in Angriff genommen. Hierzu kamen noch 27 000 Schweden, ferner 9000 Mann deutsch-englischer Streitkräfte und 6000 Mecklenburger. Rechnet man auch nur die in vorderer Linie auftretenden Napoleon während des Waffenstillstandes 277 Kräfte, so konnten die Verbündeten, beim Anschlüsse Österreichs, mehr als eine halbe Million Streiter gegen den Unterdrücker der Freiheit Europas in Bewegung setzen, eine Heeresmasse, wie sie die moderne Welt, außer bei dem Zuge Napoleons gegen Rußland, noch nicht auf den Beinen gesehen hatte. s » 5 Der Kaiser verkannte die drohende Gefahr keineswegs, sondern entfaltete die ihm in allen kritischen Lagen eigene unermüdliche Tätigkeit, um die Aufstellung der „großen Armee", wie er sie geplant hatte, zu vollenden und sie auch innerlich zu festigen. In dem vollen Bewußtsein dessen, daß er, der Usurpator, keine politischen Konzessionen machen dürfe, wenn er nicht seine Macht in ihren Grundfesten erschüttern wollte, war er zum Äußersten entschlossen. Dahin gehörte auch die Bekämpfung Österreichs, dessen Übertritt zu seinen Feinden er als eine Möglichkeit ansah, mit der er rechnen müsse, wenn er auch lange Zeit nicht daran glaubte. Sein Heer sollte, wie ursprünglich geplant, aus der starken Garde, zwölf Armeekorps und vier Kavalleriekorps bestehen, als dreizehntes Korps aber Davout bei Hamburg, als vierzehntes ein neues, St. Cyr, bei Dresden hinzutreten, ebenso ein fünftes Kavalleriekorps. Die Stärke dieser großen Einheiten war jedoch eine sehr verschiedene, da nicht alle Neubildungen so vollendet wurden, wie der Kaiser es beabsichtigt hatte. Die Garde zählte 58 000 Mann, das unfertige 8. Armeekorps, das polnische, nur 7500. Die Nummer 9 war dem bayerischen Hilfskorps unter Wrede bestimmt, ging aber später auf das in zweiter Linie aufgestellte Korps Augereau über. Die Besatzung von Danzig unter Rapp rechnete als das zehnte mit; denn noch immer hoffte Napoleon, ihr im Laufe des Feldzuges die Hand reichen und sie zur Armee heranziehen zu können. Im ganzen brachte er bis zum Ablause des Waffenstillstandes 443 000 Mann an Feldtruppen auf. In den Waffenplätzen an der Elbe standen außerdem 26 000 Mann Besatzung, in zweiter Linie, einschließlich Augereaus, 43 000 Mann, 55 000 in den Festungen Polens und Ostdeutschlands im Rücken der Verbündeten — davon allein 25 000 in Danzig. Alle festen Plätze wurden verstärkt, Dresden und Hamburg durch angestrengte Schanzarbeit in solche umgewandelt. So waren die Kräfte auf beiden Seiten an Zahl annähernd 278 IV. Die Befreiungskriege gleich, der inneren Verfassung nach aber bei den Verbündeten erheblich überlegen. In ihren Reihen standen die kräftigeren Soldaten von reiferem Lebensalter und gründlicherer Ausbildung für ihren Beruf. Die Franzosen hatten dafür das Genie des Kaisers an ihrer Spitze für sich. Schwer war vorauszusehen, welchen Ausgang der kommende Riesenkampf haben würde. -i- °>- ü- Die Entwürfe für denselben wurden während des Waffenstillstandes erwogen. Jeder der beiden verbündeten Monarchen, Kaiser Alexander sowohl als König Friedrich Wilhelm, stützte sich auf einen Berater, der sein besonderes Vertrauen genoß. Es waren dies die Generale Toll und Knesebeck, die natürlich verschiedene Kriegspläne bereit hielten. Bernadottes Feldherrnansehen erforderte, daß man seine Meinung gleichfalls höre. Er durfte nicht übergangen werden. Als zu Ende des Waffenstillstandes Österreich im Bunde erschien, gesellten sich neue Vorschläge hinzu. Zu Trachenberg in Schlesien kamen zunächst Alexander, Friedrich Wilhelm und der Kronprinz von Schweden zusammen, dem man willig den Oberbefehl über alle auf den nördlichen Teilen des Kriegsschauplatzes versammelten Streitkräfte eingeräumt hatte. Uns würde heute nichts natürlicher erscheinen, als mit den drei großen Heeresgruppen einheitlich gegen das gemeinsame Ziel, die Hauptmasse der französischen Armee, vorzugehen, diese anzugreifen und, gestützt auf die höhere innere Tüchtigkeit der Truppen durch wuchtige Schläge am Ende zu zerstören. Aber noch lag die Zeit der künstlichen und gelehrten Kriegführung zu wenig weit zurück, um einfache Entwürfe gelten zu lassen. Einem so rohen Grundgedanken, wie der Vernichtung des Gegners durch die Schlacht, räumte man noch nicht das Vorrecht ein. Ohne Aufwand an „Geist der Kombination" durfte es nicht abgehen. Auch gab es im ganzen Heerlager der Verbündeten wohl nur drei Männer, denen der Gedanke eines Angriffs gegen den bisherigen Überwinder Europas nicht als eine Ungeheuerlichkeit erschien. Das waren Blücher, sein Stabschef Gneisenau und Toll. Alle anderen stimmten für Vorsicht, für Lavieren, Abwarten und Ermüden. Bernadotte ging gar darauf aus, sich jederzeit möglichst weit ab von der Kriegspläne der Verbündeten 279 ernsten Berührung mit dem Kaiser zu halten und sich seine Nück- zugslinie zu den schwedischen Schiffen nicht rauben zu lassen. Es wurde angenommen, daß Österreich und die österreichische Armee, als derjenige Gegner, der am frischesten in die Kriegshandlung eintrat, des Kaisers nächstes Ziel sein werde. Auch politische Rücksichten machten dies wahrscheinlich. Deshalb sollte der größere Teil der jetzt in Schlesien versammelten russischpreußischen Heeresmacht nach Böhmen abrücken, um die Österreicher zu verstärken. Die Monarchen wollten ihn begleiten, um dem Dritten im Bunde, dem Kaiser Franz, nahe zu sein. Der Oberbefehl wurde dem österreichischen Feldmarschall Fürsten Schwarzenberg anvertraut. Bernadottes Rolle war so gedacht, daß er nur schwache Kräfte gegen die Niederelbe stehen zu lassen und zwischen Torgau und Magdeburg die mittlere Elbe zu überschreiten habe, um gegen Leipzig vorzugehen, während die schlesische Armee — der Rest der in der Provinz Schlesien verbliebenen Kräfte — sich mit der Nordarmee jenseits der Elbe vereinigen würde, falls nicht ihr Abmarsch nach Böhmen noch vorher nötig wurde. Die böhmische — die Hauptarmee — aber hatte sich nach den Unternehmungen Napoleons zu richten, also nach Schlesien, nach Sachsen, über Hof nach Thüringen oder gar zur Donau zu wenden. Die russische Reservearmee unter Bennigsen sollte zur Oder in der Richtung auf Glogau folgen. Als allgemeine leitende Absicht galt noch die Offensive und die gegenseitige Unterstützung. „Alle koalierten Armeen werden die Offensive ergreifen, und das feindliche Lager wird ihr Treffpunkt sein." Selbst dieser Plan, der am 12. Juli in einem Protokoll niedergelegt wurde, erschien dem österreichischen Hauptquartier noch zu gewagt. Dort herrschte der Geist Erzherzog Karls, der für den einzigen ebenbürtigen Gegner Napoleons galt, und der in zwei kriegswissenschaftlichen Werken seine Gedanken zum Ausdruck gebracht hatte. Seine Kriegführung ruhte noch auf dem Fundament alter Methodik, sprach nicht von der Vernichtung der lebendigen feindlichen Streitmacht und suchte die Lösung der großen Aufgaben des Krieges im Bodengewinn, im Druck auf die rückwärtigen Verbindungen des Feindes und in der Einwirkung des Manövers. Einen Entwurf dieser Art hatte am nämlichen Tage — dem 12. Juli — General Radetzky, Fürst Schwarzenbergs Generalstabschef, dem Kaiser Franz überreicht, und dieser zollte ihm Beifall. 280 IV. Die Befreiungskriege Das Prinzip der Vorsicht, das zu Trachenberg nur der schwächsten, der schlesischen Armee, als Richtschnur gegeben wurde, war nach Radetzkys Meinung auf alle drei Heere auszudehnen. Selbst wenn der Kaiser sich in der Verteidigung hielt, sollten nur die Nord- und die schlesische Armee vorgehen, die böhmische aber abwarten, bis deren Einwirkung den Feind zur Teilung der Streitkräfte veranlaßt haben würde. Mit solchen Änderungen ging der Trachenberger Entwurf an die Monarchen nach Reichenbach zurück und ward angenommen, um eine Einigung zu erzielen und zum Abschlüsse zu kommen. Danach wurde als Grundsatz für die verbündeten Heere aufgestellt, mit den Hauptkräften gegen die Flanken und die Straßen im Rücken des Feindes vorzugehen, feine Verbindungen zu unterbrechen, aber auszuweichen, wenn er dann mit versammelten Kräften erschien, und eine Schlacht nur zu wagen, falls die Überlegenheit entschieden auf ihrer Seite wäre. Wendete er sich gegen eine der Armeen, so sollte diese sogleich den Rückzug antreten, während die anderen wieder lebhaft vorgingen. So dachte man des Kaisers Kräfte allmählich zu erschöpfen, nicht mit großen Schlägen zu vernichten. Man ist versucht, das Bild des Ebers zu brauchen, der von den Bracken umstellt ist, die den Stößen seiner Fänge ausweichen, sich aber an seinen Rücken und seine Seiten hängen, um ihn in zwecklosen Anstrengungen sich selbst zu Tode mühen zu lassen. So wenig ein solches Beginnen im Hinblick auf die beiderseitigen Stärkeverhältnisse und die Natur der fechtenden Truppen unserer heutigen Auffassung entspricht, hat es doch zu Napoleons Niederlage geführt. Es stellte zwei Umstände klug in Rechnung: Napoleons große Überlegenheit als Führer in der Schlacht, die damit unwirksam gemacht wurde, und die geringe Solidität seiner Truppen, die sich in dem Hin und Her zwischen den feindlichen Gruppen aufzehren mußten, wenn diese nur zweckmäßig handelten. Wie anders als die strategischen Abmachungen der Verbündeten, klar, einfach und schlagend war des Kaisers Plan. Auf ein Vorgehen gegen die Österreicher in Böhmen verzichtete er, da er nicht imstande gewesen wäre, sie bis zur Auflösung zu verfolgen, und er nur einen Luftstoß geführt, zugleich aber die Elbe, sowie Norddeutschland aufgegeben hätte. Daß seine Gegner dort die Hauptarmee bilden würden, hat er nicht vorausgesehen. Auch ein Vorstoß gegen Napoleons Kriegsplan 281 Schlesien, dem die Verbündeten wieder ausweichen konnten, versprach nicht zum Ziele zu führen. Von der Elbe durfte er sich nicht endgültig trennen. Sie ersetzte ihm mit ihren Plätzen und den darin aufgehäuften Vorräten, als Quelle der Kraft, das eigene Land und bildete die starke Sehne des Bogens, auf dem, von Mecklenburg über Schlesien nach Böhmen hin, ihn seine Feinde umgaben. Sie wurde die Basis seiner Operationen. Hamburg und Dresden sollten deren sichere Stützpunkte an den Enden bilden, Magdeburg, Torgau und Wittenberg beide verbinden, ein neuer Platz an der Havelmündung und ein anderer an der des Plauen- schen Kanals die Basis noch verstärken. So dürfte er, ohne Sorge, sie zu verlieren, seinen Feinden, wo sie sich näherten, entgegen gehen, um sie zu schlagen. Auf diese Art wollte er zum ersten Male in seinem Feldherrnleben eine Verteidigung durchführen, aber eine tätige Verteidigung großen Stils zwischen den feindlichen Heeresgruppen, wie sie vor ihm Friedrich im Siebenjährigen Kriege und alle Heerführer ersten Ranges da geführt hatten, wo sie ans die Abwehr beschränkt waren. Die offensive Ergänzung sollte dieser Verteidigung nicht fehlen. Sie bestand in der Wiederaufnahme seines ersten Entwurfes vom Frühjahr, in einem Vorgehen auf und über Berlin. Nur sollte es jetzt nicht die Hauptarmee sein, die diesen Weg nahm, sondern die Nebenarmee Oudinots, das 4., 7. und IS. Armeekorps mit dem 3. Kavalleriekorps, die sich schon auf dem Wege dahin befand. Von Hamburg her sollte Davout und von Magdeburg aus das neu gebildete Zwischenkorps Girard sie unterstützen. 110000 Mann hätten auf diese Art zum einheitlichen Zwecke und gegen das gleiche Ziel — Berlin —, wenn auch auf verschiedenen Straßen und von verschiedenen Entfernungen her zusammengewirkt. Der Kaiser rechnete mit Sicherheit auf ein Gelingen. Allein gerade hier lag die Schwäche seines Planes. Sein Haß gegen Preußen, der Wunsch, Berlin zu besetzen, ließen ihn über die Schwierigkeit hinwegsehen, welche das Zusammenwirken der drei Heerteile unter anderer Führung als der seinigen haben mußte. Zudem unterschätzte er den moralischen Wert sowie die Stärke der ihm im Norden gegenüberstehenden Feinde. Seine Hauptkräfte hatten während des Vorstoßes die übrigen feindlichen Heere in Schach zu halten, Dresden und die Elblinie zu schützen. 282 IV. Die Befreiungskriege Hierzu stellte der Kaiser das 14. Korps mit dem ö. Kavalleriekorps unter St. Cyr bei Dresden und Pirna, das von Norden herangezogene 1. unter Vandamme bei Bautzen auf, bei Zittau das 2. und 8. Korps unter Victor und Poniatowski mit dem 4. Kavalleriekorps. Zusammen waren es 99 000 Mann, von denen 60—70000 schnell bei Dresden versammelt sein konnten, wenn dort Gefahr drohte, ohne daß die Grenze entblößt wurde. Die Garden und das 1. Kavalleriekorps, 75 000 Mann, hielt der Kaiser bei Görlitz bereit. Das 3. Armeekorps, Ney, mit dem 2. Kavalleriekorps, das 5., 6. und 11. Korps, Lauriston, Marmont, Macdonald, 130000 Mann, blieben den Verbündeten in Schlesien gegenüber. Sie standen bei Liegnitz, Goldberg, Bunzlau und Löwenberg. Bei Leipzig war zum Schutze der großen Vorräte eine Division zurückgelassen worden. Eine breite Naturstraße, einen sogenannten Kolonnenweg, ließ der Kaiser von der Bautzen-Dresdener Straße ab über Stolpen gegen Königstein anlegen, um das Heranführen starker Truppenmassen zum Schutze der sächsischen Hauptstadt zu erleichtern. Kriegsbrücken entstanden bei Pirna und Königstein. Die Hauptetappenstraße lief über Leipzig, Naumburg, Erfurt, Kassel nach Mainz, eine andere für den linken Flügel von Hamburg über Hannover nach Wesel. So stand sein Heer am 16. August 1813, als der verlängerte Waffenstillstand endgültig ablief. -5 » » Nach dem Abrücken des größeren Teils der russisch-Preußischen Kräfte aus Schlesien, das am 7. August begann, marschierten die Verbündeten dem Kaiser gegenüber folgendermaßen auf: Die Hauptarmee, bestehend aus den drei österreichischen Korps Prinz von Hessen-Homburg, Gyulai und Klenau, sowie den leichten österreichischen Divisionen Liechtenstein und Bubna, dem russischen Korps Wittgenstein, den Garden und Reserven des Großfürsten Konstantin, sowie den: Preußischen Korps Kleist, im ganzen 230000 Mann mit 750 Geschützen an der Eger unter dem Fürsten Schwarzenberg und den ihn begleitenden Monarchen. Nur die leichte Division Bubna war am rechten Elbufer verblieben. Über den russisch-preußischen Heerteil führte Barclay den gesonderten Oberbefehl. Stellungen am Schluß des Waffenstillstandes 283 Die schlesische Armee unter Blücher, jetzt noch aus dem preußischen Korps Jorck und den russischen von Sacken, Langeron und St. Priest gebildet, 95 000 Mann mit 350 Kanonen bei Breslau, Striegau und Landshut. Die Nordarmee unter dem Kronprinzen von Schweden, bestehend aus den russischen Korps Wintzingerode und Woronzow, den preußischen von Bülow und Tauentzien, sowie der schwedischen Armee, 128000 Mann stark, bei Berlin und Spandau. Ihr gehörte auch Wallmoden an, der mit etwa 28000 Mann Davout gegenüber an der Niederelbe stand. So kamen hier auf dem nördlichen Kriegsschauplatze an 156000 Mann zusammen. Da aber Wallmoden und Teile des zu den Festungsbelagerungen bestimmten Korps Tauentzien ausfielen, so blieben nur 110 000 Mann mit 350 Geschützen im freien Felde verfügbar. Die russische Reservearmee Bennigsens zählte zunächst noch nicht mit. 3. Zier Herbstfeldzug von 1(8^3 Am 15. August verließ der Kaiser Dresden, um sich nach Schlesien zu begeben, wo er den Anmarsch der Verbündeten zuerst erwartete. Am 13. erfuhr er jedoch in Görlitz den Abmarsch eines großen Teiles der Russen und Preußen von Schlesien nach Böhmen und den Übergang der Österreicher auf das linke Elbufer. Das war eine erste Enttäuschung in seinen Plänen, die Hoffnung schwand, daß ihm die feindliche Hauptarmee nahe genug kommen werde, um einen überraschenden Schlag gegen sie führen zu können. Vorübergehend dachte er nun daran, über die auf dem Marsche befindlichen Kolonnen herzufallen. Die nötigen Kräfte wurden dazu bereitgestellt. (S. Skizze 27.) Er selbst begab sich am 19. August nach Gabel auf böhmisches Gebiet. Allein die Erkundung der über Rumburg und Zittau vorgehenden vordersten Truppen ließ ihn schnell erkennen, daß es schon zu spät sei, und daß der in Aussicht genommene Vorstoß zu einem Luftstoß werden müsse. Der Kaiser kam daher auf den ersten Gedanken zurück, sich nach Schlesien zu wenden und dort Blücher anzugreifen, der sich bereits regte. Am 20. August befand sich Napoleon in Lauban. Blücher hatte die bisherige Demarkationslinie schon vor Ab- 284 IV- Die Befreiungskriege lauf des Waffenstillstandes, am 14. August, überschritten und sich den Franzosen dicht gegenüber aufgestellt, um Napoleon, der mit der Hauptarmee in unmittelbarer Berührung stand, nicht die drei Tage Vorsprung zu lassen, die er selbst zum Durchschreiten der neutralen Zone brauchte. Ney war vor ihm hinter den Bober bei Löwenberg und Bunzlau zurückgewichen. Am 21. früh, als Napoleon mit den Garden und dem 1. Kavalleriekorps Skizze 27 ^> Verbündete — M Franzosen Latour-Maubourg ebenda eintraf, trennte nur der Fluß die beiden Heere. Eine entscheidende Schlacht schien bevorzustehen, wie der Kaiser sie wünschte, wenn sie nun auch nicht gegen die stärkste Armee der Verbündeten geschlagen werden konnte. Sogleich traf er seine Maßregeln. Die Masse seines Heeres, das ö., 6., 11. Korps, die Garden und das 1. Kavalleriekorps, im ganzen mehr als 150000 Mann, sollten über Löwenberg und nahe nördlich Napoleons erster Marsch gegen Blücher 285 davon, Ney aber mit dem 3. Korps und dem 2. Kavalleriekorps, 50000 Mann stark, umfassend über Bunzlan und dann scharf südöstlich gegen Giersdorf vorgehen. (S. Skizze 28.) So gedachte der Kaiser Blücher in der Front festzuhalten, während Ney, der zwei Stunden Vorsprung erhielt, ihm in die rechte Flanke fallen würde. Allein das geschlossene Vorgehen so großer Massen in derselben Richtung gerade auf das Ziel los, war zu auffallend, um Heilungen vom A.Hu g usi 1313 3M Kodes'. überraschen zu können. Das Auftauchen zahlreicher Gardeuniformen und die vielstimmigen stürmischen Begrüßungsrufe der französischen Marschkolonnen an ihren Kaiser kündeten Außergewöhnliches an. Blücher schloß daraus auf Napoleons Anwesenheit, blieb vorsichtig hinter dem Bober und ging dann unter lebhaften Nachhutgefechten am Abend über die Schnelle Deichsel zurück. Bei Plagwitz gegenüber von Löwenberg hielt seine bisherige Vorhut den Feind im heftigen Kampfe stundenlang auf, und Sacken zog bei Bunzlau vor Ney überhaupt erst gegen Abend in der Richtung auf Modelsdorf Skizze 28 ^> Verbündete — ^> Franzosen 286 IV. Die Befreiungskriege südlich von Hainau ab. Getreu dem vereinbarten Programm wich Blücher am 22. noch weiter bis hinter die Katzbach aus, gefolgt von Ney, Lauriston, Macdonald und der Kavallerie Latour- Maubourgs. Unwillig sah der Kaiser zu, wie sein erfahrener und entschlossener Gegner, dessen praktischer Scharfblick sich in diesen Tagen so recht bewährte, ihm die Möglichkeit zu einem großen Schlage entzog. Er mußte es sich daran genügen lassen, ihm, zumal am 23. August in den heftigen Gefechten von Niederau und Goldberg, einen Verlust von einigen tausend Mann beizubringen. Am nämlichen Tage erhielt er eine Meldung St. Cyrs, daß die Verbündeten von Böhmen in Sachsen eindrängen und daß Dresden bedroht wäre. Nun blieb nichts übrig, als die Umkehr. Dresden durfte auf keinen Fall verloren gehen. Zudem stimmte das Erscheinen der böhmischen Armee mit des Kaisers Wünschen überein. Es enthob ihn der Notwendigkeit, tief nach Böhmen hineinzugehen, um sie aufzusuchen, was er sür bedenklich hielt. Sogleich standen seine Entschlüsse fest. Macdonald sollte mit dem 3., 5. und 11. Korps sowie dem 2. Kavalleriekorps die schlesische Armee weiter zurückwerfen und sie dann später in einer Stellung am Bober in Schach halten. Dort hatte er darauf zu achten, daß sie nicht etwa gegen Oudinot abmarschiere, der im Begriffe war, gegen Berlin vorzugehen. Blücher zog am 23. nach kurzem Vorstoß, der ihn von der Überlegenheit des Gegners überzeugte, weiter bis hinter Jauer ab. Dort wollte er auf alle Fälle stehen bleiben; denn er nahm an, den Kaiser nicht mehr vor sich zu haben. Napoleon begab sich in der Tat am Abend nach Görlitz, um von dort aus seinen Zug gegen die böhmische Armee einzuleiten. Im befestigten Lager von Dresden wollte er ihr eine große Schlacht liefern. Ney, ohne sein Korps, begleitete ihn; die Garden, Marmont und die Kavallerie Latour-Maubourgs kehrten nach Lauban um. Vandamme sollte nach Dresden marschieren, Victor erhielt gleichen Befehl. Ponia- towski verblieb bei Gabel. Die Schlachten von Dresden und Rulm am 26./27. und am 29-/Z0. August ^5 (S. Skizzen 29 u. 30) Die Hauptarmee der Verbündeten, die anfänglich vergebens auf Napoleons Einfall in Böhmen gewartet, hatte inzwischen tat- Einbruch der böhmischen Armee in Sachsen 287 sächlich am 22. August in vier Kolonnen unter Wittgenstein, Kleist, Hessen-Homburg nnd Gyulai das Erzgebirge überschritten. Sie wandte sich westlich erst gegen Leipzig, um auf Napoleons rückwärtige Verbindungen zu drücken; dann, als sie sich von der Unwirksamkeit dieser Richtung überzeugte, auf Dresden zu. Nach kurzem Kampfe mit Wittgensteins Avantgarde bei Pirna zog St. Cyr sich abends auf die sächsische Hauptstadt zurück. Dieser Einbruch in Sachsen gab den Verbündeten für den Augenblick die Herrschaft über den Gang der Operationen, lim sie zu behaupten kam es aber darauf an, Napoleon durch Schnelligkeit zu übertreffen. Das geschah indessen nicht. Erst am 25. trafen sie vor dem nahen Dresden ein, ohne an diesem wichtigen Tage, der ungenützt verloren ging, anzugreifen. Ihre Kräfte waren noch weit zerstreut und von den 230000 Manu, die über das Erzgebirge gegangen, nur 70 000 Mann zur Stelle. Von Wittgensteins Truppen war ein Teil unter dem Herzog Eugen von Württemberg vor Pirna und dem Königstein geblieben. Die übrigen hatten Seidnitz erreicht; die Avantgarde stand noch weiter gegen Dresden hin. Kleist traf bei Leubnitz ein, links vor ihm die vordersten Divisionen der Kolonne Hessen-Homburg, während die Hauptkräfte noch bei Dippoldiswalde zurück waren. Der linke Flügel der Österreicher unter Gyulai blieb bei Freiberg, und die preußisch-russischen Garden und Reserven befanden sich noch im Erzgebirge oder gar an dessen Südfuß. Verschanzungen deckten die Stadt, die von St. Cyr mit drei Divisionen verteidigt wurden, während er die vierte beim Königstein bereitstellte. Erst am 26. schritten die Verbündeten zum Angriff. Den langatmigen Dispositionen des Fürsten Schwarzenberg aber fehlte die drängende Energie, die der Augenblick erfordert hätte. Schon war es zu spät, um den für Napoleon vernichtenden Schlag zu tun. Nach unerhörten Marschleistungen war der Kaiser mit seinen Streitkräften aus Schlesien an der Elbe eingetroffen. Unterwegs hatte er seine anfängliche Absicht geändert und einen Plan gefaßt, der an die besten Jahre seiner Laufbahn erinnerte. St. Cyr, nur von Vandamme unterstützt, sollte Dresden behaupten. Der Kaiser selbst wollte Stolpen erreichen, in der Nacht vom 26. zum 27. August die Elbe bei Königstein überschreiten und am 27. mit 100000 Mann südlich Pirna auf der Straße nach Böhmen im 283 IV. Die Befreiungskriege Nucken der Verbündeten stehen. Von dort sollten die weiteren Schläge gegen diese erfolgen. Er wollte vor ihnen in Böhmen sein. Das versprach bei der unentschlossenen Haltung der Verbündeten die größten Ergebnisse. Vandamme mußte am 25. in der Richtung auf Königstein vorauseilen und sich dort mit St. Cyrs Division vereinigen. Mein wieder trat eine Änderung ein. Napoleon war nicht mehr derselbe, der er bei Ulm, bei Jena und Friedland gewesen. Die wenig zuversichtliche Stim- mnng St. Cyrs und ungünstige Meldungen eines von ihm abgesandten Offiziers erfüllten ihn noch am Abend des 25. mit Sorge um die Sicherheit von Dresden und bestimmten ihn, am 26. früh dorthin und nicht nach Königstein zu marschieren. Nur Vandamme blieb in der Richtung auf Königstein. Die dort stehende Division von St. Cyr trat unter seinen Befehl. „Nicht ohne Bedauern" hatte Napoleon seine Absicht aufgegeben. — Noch ehe der Kampf um Dresden ernsthaft geworden war, traf er mit den ersten Verstärkungen, der jungen Garde, ein und sandte sie an die bedrohtesten Punkte. Alte Garde und die Division Teste von Vandammes Korps, die sich schon bei Dresden befand, folgten nach. St. Cyr verteidigte mit einer Division die Ränder der Friedrichstadt zwischen der Elbe und der Weißeritz, mit der anderen die Vorstädte auf der Süd- und der Ostseite, mit der dritten den „Großen Garten", der in der Mitte von einem starken Verhau durchschnitten wurde. Er selbst nahm seine Aufstellung an der steinernen Elbbrücke, um von dort aus die Schlacht zu leiten. In fünf Kolonnen waren die Verbündeten gegen die Stadt vorgegangen: rechts Wittgenstein über Blasewitz und Striesen, links neben ihm Kleist über Strehla gegen den Großen Garten, dann die Österreicher über Räcknitz und Planen und endlich auch zwischen Weißeritz und Elbe. Aber die ersten drei Kolonnen sollten überhaupt nur demonstrieren und die beiden anderen auf dem linken Flügel die Vororte angreifen. Das übrige blieb in Reserve. Diese Anordnungen trugen den Keim des Mißerfolges in sich. Es glückte den 150000 Angreifern nicht, die 70000 Mann, welche die Franzosen ins Feuer brachten, zu schlagen. Bei den einleitenden Kämpfen vor den Verschanzungen waren die Orte Strehla, Planen, das Feldschlößchen und sogar der Große Garten bis zum Verhau hin in die Hände der Preußen und Österreicher geraten. Nur Frhr. v, d, Goltz, Kriegsgeschichte 19 290 IV. Die Befreiungskriege die Russen ^auf dem äußersten rechten Flügel wurden abgewiesen. Trotzdem wurde im Hauptquartier der Verbündeten bei Räcknitz der Entschluß gefaßt, den Angriff abzubrechen. Die Nachricht vom Eintreffen Napoleons in Dresden ließ, den Trachenberger Abmachungen entsprechend, sofort den Gedanken an den Rückzug erwägen. König Friedrich Wilhelm HI. widersprach lebhaft, wurde aber überstimmt. Der Abmarsch sollte eingeleitet werden; eine lange Pause unterbrach den Kampf. Noch ehe die Befehle von Schwarzenberg erlassen waren, gab jedoch eine russische Batterie das früher verabredete Signal zum allgemeinen Angriff durch drei Kanonenschüsse. Um vier Uhr nachmittags begann daher der Sturm auf die Schanzen und Vorstädte. Wittgensteins Bataillone kamen auf dem äußersten rechten Flügel an der Elbe, nach Wegnahme der vor der Stadt gelegenen Höfe und Gärten, bei der Lunette I zum Stehen, und ein furchtbares Geschützfeuer vom anderen Elbufer her überschüttete sie. Neben ihnen zur Linken eroberte Kleist mit den Preußen nach starken Anstrengungen den Verhau und dann auch den westlichen Teil des Großen Gartens. Hierauf griff er Lunette II und den zur Verteidigung eingerichteten Stadtrand dahinter mit viel Tapferkeit an. Aber diese beiden Versuche schlugen fehl, und mit einem dritten traf schon Napoleons Gegenstoß zusammen. Auch südlich des Großen Gartens waren die Preußen vorgegangen, hatten einen Teil ihrer Reserveartillerie auf dem Hügel am Roten Hause in Stellung gebracht und beschossen die Stadt sowie Lunette III. Ihre Sturmkolonnen gelangten bis an den Dohnaer Schlag, wurden dort aber durch Mauern und Gräben aufgehalten, die ohne besondere Vorbereitungen nicht zu überwinden waren. Die Österreicher brachten auf der Bodenwelle vorwärts von Räcknitz eine große Batterie von 72 Geschützen gegen die Lunetten III und IV in Tätigkeit, beide litten in kurzer Zeit erheblich; französische Feldbatterien, welche die Verteidigung unterstützten, mußten abfahren. Die Besatzung erlitt schwere Verluste; Lunette IV mußte sogar vorübergehend geräumt werden. Als die Österreicher sie aber vom Feldschlößchen aus besetzen wollten, warf eine äußere Reserve der Franzosen, zur alten Garde gehörig, sie wieder zurück. Dann ging die österreichische Artillerie näher an die Stadt heran, um in die Umfassungen Bresche zu legen. Ein zweimaliger Angriff auf Lunette III wurde unter schweren Verlusten zurückge- Angriff der Verbündeten. Französischer Gegenstoß 291 wiesen. Ein dritter gelang, da der Besatzung gerade die Munition ausgegangen war. Allein das weitere Vordringen wurde durch die hohe Mauer des Hospitalgartens im Stadtrande aufgehalten. Ein kühn auf Seitenwegen eindringendes Bataillon mußte nach ruhmvollem Widerstande im Innern die Waffen strecken. Auch hier kam das Vordringen ins Stocken, ehe der allgemeine französische Ausfall erfolgte. Um 6 Uhr nachmittags brachen die Franzosen aus Dresden hervor. Zur Linken, längs der Elbe, war es Mortier mit zwei Divisionen der jungen Garde. Er warf Wittgenstein nach heftigem Kampfe um den Windmühlenberg auf Striesen zurück und entriß ihm am Ende um Mitternacht auch dieses Dorf noch, das in Brand geraten war. Die Avantgarde, die am Großen Garten und bei Lunette III gefochten hatte, mußte auf Gruhna zurück. Die Division Barthezene vom Korps St. Cyr wandte sich, von der Garde unterstützt, gegen die Preußen, gerade, als diese sich abmühten, mit dem letzten Rest der Kräfte den Stadtrand zu nehmen. Unter großen Verlusten mußten sie durch den Großen Garten bis nach Strehla hin weichen. Ney fiel unter den Augen des Kaisers mit zwei Divisionen der jungen Garde über die Österreicher her, entriß ihnen das Feldschlößchen, das in Brand gesteckt und, soweit es anging, noch während des Gefechts sowie in der folgenden Nacht durch Sappeurs weggeräumt wurde. Eine andere Kolonne nahm die Lunette III mit stürmender Hand. Auch an der Weißeritz entlang drangen die Franzosen vor und nahmen den Holzhof und die Pulvermühle. Dieser gewaltige Vorstoß zwang die Österreicher zum Abzüge in die Linie Zschertnitz—Räcknitz—Plauen. Gegen den äußeren linken Flügel der Verbündeten zwischen der Weißeritz und der Elbe, der bis nahe an die Friedrichstadt herangekommen war, brach Murat mit zwei Divisionen und der Kavallerie Latour-Maubourgs hervor, nahm den Österreichern dort einen Teil des eroberten Geländes wieder ab und drängte sie bis in die Linie Wölfnitz—Cotta—Prießnitz zurück. Die Schlacht war für die Verbündeten verloren. Das glänzende aber so seltene Beispiel des einheitlichen Gegenstoßes nach gelungener Abwehr des Feindes — eine Lieblingsfigur der Theorie — war hier verwirklicht. Von neuem hatte Napoleon sich als Meister im Gebrauche der Reserven erwiesen. Am Abend durch- 19* 292 IV. Die Befreiungskriege eilte er die Lager seiner siegreichen Truppen, um ihre Stellungen zu mustern. Die Aussichten für den nächsten Morgen waren die günstigsten. Den Verbündeten ging die Nachricht zu, daß es Vandamme gelungen sei, bei Pirna die Elbe zu überschreiten, und daß die ihn beobachtenden russischen Truppen des Herzogs Eugen von Württemberg im heftigen Feuer stünden. Seine Meldung fand aber über den Aufregungen des Tages nicht die gehörige Würdigung. Er blieb ohne Unterstützung und mußte am Abend nach einem Verluste vou 1800 Mann in eine Stellung bei Zehista an der Gott- leube südlich Pirna zurückweichen, um den Rücken der vor Dresden kämpfenden Armee zu sichern. Im Hauptquartier der Monarchen wurde an ein Zurückgehen nach Dippoldiswalde gedacht, von wo aus neue „Manöver" beginnen sollten. Aber es kam nicht dazu, sondern am Ende nur zu dem wenig klaren Entschlüsse, auf den Höhen vor Dresden stehen zu bleiben. Die Verfassung der Armee war traurig. Es mangelte an Verpflegung, die Ermüdung war groß, das Vertrauen zur Führung verloren gegangen. Um Mitternacht öffnete der Himmel seine Schleusen und machte es unmöglich, Lagerfeuer zu unterhalten. Auf französischer Seite trafen in der Nacht Victor und Marmont auf dem Schlachtfelde ein, und Napoleon versammelte am frühen Morgen des 27., noch immer bei strömendem Regen, seine Armee, nunmehr schon 147 000 Mann stark in den wiedergewonnenen Stellungen. Zur Rechten stand Murat mit 39000 Mann, nämlich dem Korps Victor, der Division Teste und dem Kavalleriekorps Latour zwischen der Weißeritz und Elbe. In der Mitte Hielt die alte und junge Garde, Marmont und St. Cyr unter Ney, 81000 Mann und zur Linken Mortier mit junger Garde und die Kavallerie von Nansouty, an 27 000 Mann. Des Kaisers Absicht war es, wenn die Verbündeten stehen bleiben sollten, sie in der Mitte festzuhalten, auf den beiden Flügeln aber anzugreifen, um ihnen die beiden besten, hinter diesen gelegenen Straßen nach Böhmen, die Pirnaer und die Freiberger, zu rauben und sie auf die dazwischen gelegenen schlechten Bergwege zu drängen. So hoffte er ihre Auflösung zu beschleunigen und sie zugleich von den anderen Heeren zu trennen. Der Plan war um so verwegener, als des Kaisers Heer den Verbündeten gegenüber noch immer in der Minderzahl war. Murats Angriff am zweiten Schlachttage 293 Gegenüber stand Wittgenstein mit 23 900 Mann zwischen Reick und Leubnitz, seine Avantgarde deckte bei Gruhna die Pirnaer Straße. Neben ihm dehnte sich Kleist bis nach Mockritz aus, die Österreicher waren zwischen Räcknitz und Plauen entwickelt. Im ganzen zählte diese Mitte des Heeres 91000 Mann. Den Raum zwischen der tief eingeschnittenen Weißeritz und der Elbe hielten 24000 Mann von Gyulai und Klenau. Der größte Teil des Korps Klenau stand noch weit zurück und wirkte zunächst nicht mit. Die russisch-preußischen Garden und Reserven, 27 000 Mann, vermochten erst um Mittag hinter der Mitte einzutreffen. — Napoleon wählte seinen Standpunkt bei Lunette IV. Bald erkannte er den Fehler in der Stellung seiner Gegner, nämlich die Schwäche des österreichischen linken Flügels. Dort mußte nach einleitender Kanonade Murat angreifen, während die starke Mitte der Verbündeten durch lebhafte Tätigkeit so beschäftigt wurde, daß sie den Angegriffenen nicht zu Hilfe zu eilen vermochte. Murats Vorstoß hatte vollen Erfolg. Geschickt benutzte er die von der Elbe her aufsteigenden Gründe und Schluchten, um seine Gegner von Hause aus mit großen Reitermassen in der linken Flanke zu umgehen, noch ehe der entscheidende Schlag erfolgte. Als dieser auf des Kaisers erneuten Befehl um 2 Uhr nachmittags begann, gelang es dem Marschall Victor, das Dorf Gorbitz zu nehmen und die österreichische Linie zu durchbrechen, während Murat im Rücken auftauchte und über sie herfiel, als sie zurückwich. Der fortwährende Regen hatte alles Pulver durchnäßt und die Gewehre unbenutzbar gemacht. Der Tag gehörte der Kavallerie. Die fast wehrlosen, durch Hunger und Märsche erschöpften österreichischen Bataillone streckten nach kurzem Kampfe die Waffen. Der linke Flügel der Verbündeten war damit vernichtet und die Flanke der westlich der Weißeritz stehenden Kräfte entblößt. Den Plauenfchen Grund überschritt Murat jedoch nicht mehr, um jene direkt anzugreifen. In der Mitte hielten die Österreicher und Preußen stand. Zschertnitz und Räcknitz gegenüber verhielt sich Marmont im ganzen abwartend. Nur die Kanonade rollte unaufhörlich. Bei Leubnitz dagegen griff St. Cyr vom Großen Garten her wiederholt kräftig an; doch wies ihn Kleist jedesmal unter starken Verlusten zurück. Die äußerste Rechte der Verbündeten aber wurde von Mortier ebenso geworfen, wie die Linke von Murat. Wenn der Kampf 294 IV. Die Befreiungskriege bei Seidnitz auch lange hin und her wogte, blieb der Vorteil doch auf feiten der Franzosen. Wittgensteins Avantgarde verlor Seidnitz etwa um 11 Uhr vormittags und bald danach auch Dobritz. So blieb ihr nichts übrig, als die Pirnaer Straße zu räumen und auf Reick zurückzuweichen. Hier fand sie an Wittgensteins Hauptmacht und an den Preußen Halt. Im Hauptquartier der Verbündeten wurde ein allgemeiner Angriff gegen Mortier erwogen, um ihn an die Elbe zu werfen und dadurch die Pirnaer Straße wieder frei zu machen. Jomini und Moreau, die sich beide bei Kaiser Alexander befanden, rieten dazu, und dieser befahl um 1 Uhr nachmittags Barclay die Ausführung, aber Barclay hatte Bedenken, und ehe diese gehoben waren, ging der Tag vorüber. Das aussichtsvolle Unternehmen kam nicht mehr zustande. Vandamme hatte inzwischen Pirna und den nahen Kohlberg besetzt, von dem aus er die Teplitzer Straße beherrschte. Regen und Nebel verhinderten ihn jedoch, die ihm gegenüberliegende Stellung des Herzogs Eugen deutlich zu erkennen. Er hielt dessen Kräfte für stärker als sie waren und verschob sein Vorgehen nach Berg- gießhübel und Hellendorf auf den nächsten Morgen. Napoleon erhielt ebenso wie die Verbündeten noch auf dem Schlachtfelde Nachricht davon, daß Vandamme am linken Elbufer stünde. Befriedigt vom Ergebnis des Tages ritt er, völlig durchnäßt, um 4 Uhr in die Stadt zurück, gefolgt von einem langen Zuge Gefangener. 3 Generale, 13 000 Mann, meist Österreicher, 15 Fahnen und 26 Kanonen waren in seine Hand gefallen. „Heute rettete das schlimme Wetter den Feind vor völliger Vernichtung." — „Ich denke eher in Böhmen zu sein, als meine Herren Kollegen" — äußerte er in vergnügtester Stimmung. Auf beiden Flügeln waren die Verbündeten am 27. geschlagen. Der Rückzug war trotzdem noch nicht unvermeidlich. Die Mitte hatte sich behauptet. An Kräften waren sie jetzt, wo auch Klenau heran kam und sie die ganze Macht versammelt hatten, Napoleon überlegen. Sie verfügten bei Dresden über mehr als 180 000, bei Pirna über etwa 20 000 Mann gegen 140000 und 40 000 Napoleons. Die Schlacht konnte mit guten Aussichten erneuert werden. Blieben sie stehen und hielten sie Napoleon fest, so hätte dieser sich schwächen müssen, sobald die schlesische und Nordarmee sich regten. Dann wäre der Umschwung eingetreten. Entschluß der Verbündeten zum Rückzüge 295 Aber Kleinmut und Not herrschten im Lager der Verbündeten, freilich auch Mangel an Munition und Lebensmitteln. Der Rückzug wurde endgültig beschlossen. Da Schwarzenberg wohl einsah, daß er nun auch bis nach Böhmen sortgesetzt werden müsse, so erteilte er sofort die nötigen Befehle hierzu. Barclay wurde mit allen russischen und preußischen Truppen auf die Straße über Dohna und Peterswalde nach Teplitz verwiesen, die man trotz der Bedrohung durch Vandamme nicht entbehren konnte. Die Österreicher sollten in zwei Kolonnen, nämlich die östlich der Weißeritz stehenden über Dippoldiswalde, Altenberg auf Dux und die westlich der Weißeritz verwendeten über Freiberg auf Komotau abmarschieren. Abends ging die böhmische Armee so weit zurück, als es nötig war, um den Kampf abzubrechen. Wittgenstein blieb ans den Höhen von Leubnitz stehen, um den Rückzug zu decken — bei ihm auch eine Brigade von Kleists Korps. Der Gesamtverlust in der zweitägigen Schlacht ist auf 25 000 Mann an Toten, Verwundeten und Gefangenen zu veranschlagen. Der Rückzug begann noch in der Nacht. Die östliche Kolonne der Österreicher setzte sich auf Dippoldiswalde in Bewegung. Sie erreichte mit den Hauptkräften am 28. Altenberg; denn sie sand ihre Straße noch srei. Anders stand es auf den Flügeln. Die Freiberger Straße war in der Gewalt des Feindes. Klenau, der dort den Befehl führte, bog daher südlich über Pretschen- dorf aus und gelangte, an den nächsten Kämpfen unbeteiligt, am 30. nach Marienberg. Die Teplitzer Straße war von den Franzosen noch nicht besetzt, wohl aber vom Kohlberge aus bedroht. Ohne Kampf konnte sie nicht passiert werden. Barclay, der den Rückzug des rechten Flügels einheitlich leitete, hielt sie für unbenutzbar. Er wollte westlich ausbiegen und ließ Kleist auf Glashütte und Maxen, die preußisch-russischen Reserven, gefolgt von Wittgenstein, auf Dippoldiswalde marschieren, wo sie sich mit den Österreichern mischten. Selbst dem General Graf Ostermann, der mit einer russischen Gardedivision zu Herzog Eugen nach Zehista geschickt worden war und dort befehligte, wurde es freigestellt, gleichfalls über Maxen zu marschieren. Wären diese Anordnungen wörtlich durchgeführt worden, so hätte sich ein Heeresstrom von 120000 Mann auf die enge, schlechte, vom Regen tief aufgeweichte Bergstraße über Dippoldiswalde er- 296 IV. Die Befreiungskriege gössen. Vandamme aber hätte den besseren Weg ins Teplitzer Tal völlig offen gefunden; er konnte dort früher eintreffen, die Ausgänge aus dem Erzgebirge sperren und über die erscheinenden Marschkolonnenspitzen der Verbündeten nacheinander herfallen. Dem energischen Herzog Eugen gelang es zum Glück, Ostermann zu bestimmen, daß er sich nach Peterswalde gewaltsam Bahn brach. So konnte diese eine Kolonne wenigstens sich am 29. Vandamme im Teplitztale vorlegen, um ihn aufzuhalten und der böhmischen Armee den Austritt aus den Bergpässen zu ermöglichen. » -i- Der Kaiser hatte die unmittelbare Verfolgung am 27. August versäumt. Am 28., bei Tagesanbruch, begab er sich zu Marmont, der auf der Straße über Altenberg folgen sollte. Die ganze Armee setzte sich in Bewegung. Mortier und St. Cyr sollten Vandamme verstärken, der bestimmt war, den Verbündeten den Rückzug zu verlegen, während die übrige Armee sie in der Front energisch drängte. Ein entscheidender Erfolg konnte errungen werden, wenn der Kaiser selbst die Vernichtung des halb geschlagenen Feindes betrieb. Aber in dem schicksalsschweren Augenblicke trat eine ganz unerwartete Wendung ein. Napoleon ritt nach Pirna hinüber, um die Verhältnisse dort zu beobachten. Bald gewann er die Überzeugung, daß die Verbündeten nicht über Peterswalde, sondern mehr südwestlich zurückgingen, Vandamme also nur wenig Kräfte vor sich finden würde. Statt nun desto lebhafter auf Teplitz vorzugehen, um der böhmischen Armee zuvorzukommen, verlegte er die Verfolgung mehr nach Westen uud überließ sie zugleich seinen Mar- schällen. Murat sollte über Freiberg, Marmont über Dippoldis- walde dem Feinde auf allen Wegen folgen, die er einschlagen werde; St. Cyr erhielt die Richtung über Maxen, Mortier mit der jungen Garde nach Pirna, die alte Garde ebendahin. Der Plan, mit der Armee früher in Böhmen zu sein, als die Gegner, war danach aufgegeben. Immerhin wäre auch durch die direkte Verfolgung noch viel zu erreichen gewesen, wenn die Armee heftig nachdrängte und Murat die Verbündeten überholte, um ihnen in der Richtung auf Frauenstein in die linke Flanke zu fallen. Aber die Marschälle verfolgten nur langsam und zögernd. Die Armee zeigte nach den Aufregungen und Anstrengungen der letzten Tage sichtliche Erschöpfung. Der Kaiser drängte nicht wie Napoleons Versagen nach der Schlacht von Dresden 297 sonst. Er ließ sogar nach einiger Zeit die alte Garde nach Dresden umkehren und die junge Garde bei Pirna halten. Dann kehrte er selbst nach Dresden zurück, als er keine feindlichen Truppen mehr wahrnahm. Vandamme allein ging energisch vor, auf des Kaisers Hilfe vertrauend, aber gerade darum dem Verderben entgegen. Nur geringe Verstärkungen waren ihm noch überwiesen worden. Freiwillig hatte der Kaiser seinen Vorteil aus der Hand gegeben, der vielleicht die Einleitung zur Beendigung des Krieges hätte werden können. Zwar war ihm mittlerweile die Nachricht von der Niederlage seiner Marschälle in der Mark und in Schlesien geworden, aber das erklärt sein auffallendes Verhalten nicht. Gerade diese Unglücksbotschaften hätten ihn doppelt antreiben sollen, das Äußerste zu tun, um der böhmischen Armee das Garaus zu machen und danach freie Hand auf den anderen Teilen des Kriegsschauplatzes zu gewinnen. Unstreitig verstieß der Kaiser am 28. August gegen die eigenen Grundsätze, die er sich über den Krieg gebildet und die er so oft seinen Generalen anempfohlen hatte. Der Frieden zu Tilsit hatte den Zenit seines Ruhmes und seiner Größe bezeichnet. Jetzt aber, wo er nur junge Truppen befehligte, wäre die Anspannung seines kriegerischen Genius zu den höchsten Leistungen mehr als je notwendig gewesen. ->- -» ^ Napoleons Versagen vom 28. zog sogleich eine weitere Niederlage nach sich. Vandamme drängte am 29. August den Herzog Eugen und sein arg gelichtetes Korps unter neuen verlustreichen Kämpfen von den Höhen des Erzgebirges in das Kulmer Tal zurück. Ostermann war ihm mit der Gardedivision, die er glaubte unversehrt der Armee und seinem Kaiser zuführen zu müssen, schon vorausgeeilt und hatte Kulm bereits durchschritten, als König Friedrich Wilhelm III. ihn bei Priesten festhielt. Er hatte nachts in Teplitz Meldung über das Vorgefallene erhalten und übersah sofort die Gefahr, in der die ganze Armee schwebte, wenn Ostermann noch weiter zurückging. Dieser mußte Widerstand leisten; denn noch waren die Verbündeten nicht aus dem Erzgebirge herausgetreten. Auch Zar Alexander befand sich in den Bergengen. Er hatte in Altenberg genächtigt. Bei Dippoldiswalde war der lang erwartete österreichische Troß den Marschkolonnen entgegengekommen und die Verwirrung dadurch erhöht worden. Alle Wege wurden 293 IV. Die Befreiungskriege j ^ n verstopft. Das größte Unheil drohte von Vandammes ferneren Fortschritten. Kaiser Alexander übersah nachmittags 2 Uhr von der Höhe des Erzgebirges den Stand der Dinge und griff ebenso zweckmäßig ein wie der König von Preußen. Verstärkungen wurden heran- vie Zelilsclit von Kulm sm 29.U.30,Au g ust 1813, >Vo//s/70's/'/' ppSI^SN //o/vc/?«?/? ^//^ -^"^ ^ ^ .t/.n-ws' ^ ^„^^ ß //s/S-,sS 7 ^^K^—<—>->->—^-> Skizze 30 ^ Verbündete — M Franzosen gezogen, wo sie zu finden waren. So gelang es während des 29., den wütenden Angriffen der Franzosen bei Priesten standzuhalten. Freilich verloren Ostermann und Eugen von ihren 14 700 Mann an 6000 Tote und Verwundete. Aber das Schicksal des Tages und die Armee wurden gerettet. l ^ Vandammes Untergang 299 Am 30. August war Vandamme schon in der Minderzahl. Dennoch beschloß er bei Kulm auszuhalten, bis die anderen Korps der Armee herankommen und gemeinsam erneut zum Angriff vorgehen würden. Mühsam behauptete der Marschall sich zwischen dem Erzgebirge und Striesowitz gegen die immer stärker werdenden Angriffe der Russen und Österreicher. Sehnsüchtig schaute er nach den ankommenden Waffengefährten aus. Schon war er auf seinem linken Flügel völlig umfaßt, die Striesowitzer Höhe in Feindes Hand. Da erschien hinter ihm bei Vorder-Tellnitz eine Kolonne aus dem Erzgebirge. Er vermutete den mit der jungen Garde von Pirna herankommenden Mortier. Zu seinem Schrecken aber erkannte er bald preußische Truppen. — Kleist, der die Nacht bei Fürstenwalde zugebracht hatte, konnte am Morgen des 30. auf den überfüllten Straßen nicht vorwärts. Um den vor ihm liegenden Weg bei Schloß Geyersberg vorüber frei zu macheu, hätte es 24 Stunden bedurft. Seine Lage wurde bedenklich; denn hinter ihm mußte von Dresden der Feind allmählich herankommen. Er faßte daher den kühnen Entschluß, auf der Höhe des Erzgebirges östlich auszubiegen und gelangte auf einem leidlichen Wege ungefährdet nach Nollendorf. Dort stand er im Rücken Vandammes. Dieser erkannte sofort die große Gefahr, in der er und sein Korps schwebten, aber er bewahrte die Ruhe. Ohne Zögern beschloß er, einen Teil seiner Truppen zu opfern und vorn gegen Priesten hin weiteren Widerstand zu leisten, mit allem übrigen aber nach rückwärts durchzubrechen. Anderes blieb in der verzweifelten Lage nicht übrig; denn im Verlaufe des Kampfes wurde er schließlich auf drei Seiten, im Südwesten, Südosten und Nordosten durch die Verbündeten umschlossen. Im Nordwesten aber erhoben sich die steilen und damals fast ungangbaren Abhänge des Gebirges. Der Durchbruch gelang zum Teil. Allein die Masse des Korps wurde doch zersprengt; nur Trümmer retteten sich durch das Gebirge nach Sachsen hinein, Vandamme selbst wurde gefangen. Er war von der eigenen Armee im Stiche gelassen worden; ihn traf kein anderer Vorwurf, als vielleicht der einer zu großen Verwegenheit. 82 Geschütze, 5 Feldzeichen und 10000 Gefangene mit zahlreichen Generalen waren die Trophäen der Verbündeten, die an diesem Tage angeblich nur 3319 Mann verloren haben sollen. Der Gesamtverlust der Franzosen ist schwer festzustellen. Er wird auf mehr als 15000 Mann angegeben. ZOO IV. Die Befreiungskriege Marschall St. Cyr, der Vandamme am nächsten gewesen war, hatte Kleist bei Glashütte aus dem Auge verloren und gelangte am Abend erst nach Lauenstein, wo er die Reste von zwei Divisionen des bei Kulm zertrümmerten Korps aufnahm. Der Sieg von Kulm verwischte den moralischen Eindruck, den der verfehlte Vorstoß auf Dresden bei den Verbündeten hinterlassen hatte; sie unterbrachen den Rückzug und blieben am Fuße des Erzgebirges stehen. Die Franzosen ließen von ihnen ab. Mar- monts prophetische Worte: „Ich sürchte sehr, daß Eure Majestät an dem Tage, an dem Sie glauben, eine Schlacht gewonnen und einen entscheidenden Sieg errungen zu haben, die Nachricht erhalten, daß Sie zwei verloren" — bestätigten sich. Bei Groß-Beeren und an der Katzbach hatten Napoleons Marschälle sich nicht auf der Höhe ihrer Aufgabe gezeigt. Die Schlacht von Groß-Beeren am 22. August ^813 (S. Skizze 31) Oudinot hatte mit seinen drei Korps, sowie dem Kavalleriekorps Arrighi am 19. August seinen Vorstoß gegen Berlin begonnen. Der Kaiser wußte, daß der Kronprinz von Schweden dort mit einem an Zahl starken Heere stand, aber er befürchtete nicht viel von seinem alten Marschall, in dessen Natur die politische Seite überwog. „II teia yus xialler!" Nur gering schlug er die Eigenschaften der Nordarmee an, die er für ein locker gefügtes Aufgebot von Bewaffneten hielt. Er erwartete daher mit Sicherheit einen schnellen Erfolg von Oudinot und empfahl dem Marschall einen geschlossenen Vorstoß, ohne viel Manöver, um den Feind über den Haufen zu rennen. Ohne das Feuer und die Entschlußkraft der preußischen Generale im Heere des Kronprinzen hätte die Rechnung wahrscheinlich auch gestimmt. Oudinot verlor Zeit, da er sich mit seinem Heere zunächst auf die Straße Jüterbog—Berliu setzte, um sich Girard zu nähern und nötigenfalls des Rückzuges auf Wittenberg sicher zu sein. Ein Feldherr, der beim Angriff von der Sorge um den Rückzug ausgeht, hat selten einen Sieg errungen. Am 21. August mittags war die Armee bei Trebbin versammelt. Bernadotte vereinigte seine Armee, die bis dahin hinter der Havel und Spree in Unterkunft gestanden hatte, südlich von Berlin. Oudinots Vormarsch über Trebbin 301 Vor ihm in weitem Bogen von den Seen bei Königswusterhausen ab über Zossen und Trebbin sich hinziehend, lag die breite sumpfige Niederung des Notte- und Nuthegrabens. Diese starke Linie mußte Oudinot zunächst überwinden. Er fand sie jedoch nur von Vortruppen verteidigt und durchbrach sie Lclilsclit von Lmss kser'eii sm?3./w g usN812. Skizze 31 ^ Verbündete — M Franzosen am 21. und 22. August nach ziemlich lebhaften Gefechten bei Trebbin sowie bei Wilmersdorf, Wittstock und Jühnsdorf. Vorsichtig hielt der Kronprinz sich zurück. Seinen ersten kühneren Gedanken, den über das Hindernis vordringenden Franzosen von Saarmund her in die Flanke zu fallen, hatte er schnell aufgegeben und sich den Ankommenden vorwärts von Teltow bei Gütergotz, Ruhlsdorf und Heinersdorf fast gerade gegenübergestellt. Die preußische Division Hirschfeld deckte bei Saarmund die rechte 302 IV. Die Befreiungskriege Flanke, das Korps Tauentzien bei Blankenfelde die linke. Die ganze Stellung bildete einen flachen, nach Süden geöffneten Bogen. Oudinot rückte am 23. August in diesen Bogen hinein. Seine 67 000 Mann mit 216 Geschützen fanden dort 105 000 Mann mit 290 Geschützen vor sich. Wenn Oudinot des Kaisers Befehl befolgt hätte, geradeswegs und geschlossen auf Berlin zu marschieren, so wäre eine Katastrophe seines ganzen Heeres wohl nicht ausgeblieben. Er ging indessen vorsichtiger zu Werke. Nördlich der Notte- und Nutheniederung zog sich eine damals noch zusammenhängende Wald- und Buschzone hin, aus der man weiter nach Norden in das freiere sanft gewellte Gelände südlich Berlin heraustrat. Um die Engen leichter zu durchschreiten, gingen die Franzosen in drei, ziemlich weit getrennten Kolonnen von Jühns- dorf, Genshagen und Ahrensfelde vor. Rechts stieß Bertrand mit dem 4. Korps auf Tauentziens Stellung von Blankenfelde, fand um die Mittagszeit heftigen Widerstand und gab die weiteren Versuche auf. Er wollte nunmehr bei Jühnsdorf den Erfolg und die Einwirkung des Vorgehens der Nachbarkolonnen abwarten. In der Mitte wurde der Kainpf ernster. Dort rückte der tüchtige Reynier, auf dessen Tapferkeit und Umsicht Napoleon gerechnet hatte, mit dem 7. Korps an. Ihm gegenüber stand Bülow bei Heinersdorf, seine Vorposten hielten Groß-Beeren. Dieses Dorf griff Reynier zwischen 3 und 4 Uhr nachmittags kräftig an und entfaltete dazu gleich so bedeutende Kräfte, daß die Preußen den Widerstand aufgaben und es räumten. Reynier richtete sich daraufhin mit feinem Korps westlich des Dorfes ein, geschützt durch den Windmühlenhügel, den er stark besetzte. Vorposten wurden nicht ausgesetzt; von der unmittelbaren Nähe der verbündeten Armee hatte man im französischen Lager keine Ahnung. Man hielt die kriegerischen Vorgänge des Tages für beendet; starker Regen ging hernieder und machte weiteres unwahrscheinlich. Der Kronprinz von Schweden billigte unter diesen Umständen Bülows schnell gefaßten Entschluß zum Gegenangriff, der die Franzosen völlig überraschte. Das preußische Korps ging aus dem Lager von Heinersdorf geradeswegs auf Groß-Beeren und die Windmühlenhöhe los. Das war gerechtfertigt, wenn auch der Angriff auf den feindlichen linken Flügel, der eben erst eintraf, noch mehr Erfolg versprochen hatte. Die vorgerückte Stunde verbot jeden Zeitverlust. Bülows Angriff bei Groß-Beeren 303 Starke Artillerie — 80 Geschütze — leitete den Angriff ein. Sie kämpfte die schwächere französische Artillerie auf der Windmühlenhöhe bald nieder. Dann wurde das Dorf Groß-Beeren von der Nord- und Ostseite her gestürmt und damit auch die Stellung an der Windmühle unhaltbar gemacht. In Eile gingen die dort kämpfenden sächsischen Truppen auf den Wald zurück. Vergeblich suchte Reynier den Kampf durch Heranholen feines linken Flügels wiederherzustellen. Er fand die verlorene Stellung von den Preußen schon zu stark besetzt. Nunmehr flüchtete alles gegen den Wald zurück. Die preußische Kavallerie folgte, warf die feindliche Reiterei und nahm eine Batterie. Mit Einbruch der Dunkelheit waren die Franzosen verschwunden. Sie setzten in der Nacht noch den Rückzug bis Löwenbruch und am Morgen bis Wittstock fort. Die Preußen waren bei Groß- und Neu-Beeren stehen geblieben, als sie auf ihrem äußersten rechten Flügel unerwartet noch einmal angefallen wurden. Dort erschienen die vorderen Divisionen des 12. Korps, dessen Kommando Oudinot selbst behalten hatte. Sie waren bei Sputendorf, auf den Schlachtenlärm hin, aus ihrer Marschrichtung abgebogen. Preußische Kavallerie warf sich ihnen entgegen, wurde von französischer Reiterei angegriffen, mußte zurück und eilte durch die eigenen Truppen hindurch, sammelte sich aber bei Heinersdorf, bis wohin die Verfolger nachsetzten, um dann auf Umwegen zu den ihrigen zurückzugelangen. Reyniers Korps war außer stände gewesen, die neue Vorwärtsbewegung mitzumachen, und Oudinot befahl daher den allgemeinen Rückzug. Bei den beiderseitigen Stärkeverhältnissen entschied der Unfall eines Korps über das Schicksal der ganzen Armee. Aber diese war noch glimpflich davongekommen, besser jedenfalls, als wenn sie versammelt auf die feindliche Mitte gestoßen und bald nicht nur in der Front, sondern auch in beiden Flanken angegriffen worden wäre. Langsam wich Oudinot nach der Schlacht erst auf Jüterbog, dann in den folgenden Tagen nach Wittenberg zurück, wo er am 3. September eintraf. Berlin war gerettet und durch Bülows schnelles Zugreifen ein leichter Sieg errungen. Der Gesamtverlust seines Korps betrug nur 1000 Mann. Die Franzosen verloren an 3000 und 13 Geschütze. Eine lebhafte Verfolgung hätte die geschlagene Armee auflösen können. Daran aber fehlte es. Bernadotte zog langsam 304 IV. Die Befreiungskriege hinter dem geschlagenen Feinde her und stellte sich am 4. September Wittenberg gegenüber auf. Beim Vormarsche hatte Tauentzien das von den Franzosen noch besetzte und zur Verteidigung hergerichtete Luckau genommen, acht Geschütze erbeutet und die Garnison von 37 Offizieren, 1012 Mann zu Gefangenen gemacht. Das Treffen von Hagelberg am 27. August (S. Skizze 32) Oudinots Niederlage veranlaßte den am 21. August von Magdeburg gegen Berlin aufgebrochenen General Girard, mit seiner Division in der Richtung auf Belzig auszubiegen. Am 25. hatte er Brück erreicht, dort zu seinem Erstaunen statt französischer Reiter russische Kasaken angetroffen und abends die Nachricht von Groß- Beeren erhalten. Bei Belzig blieb er stehen, die Front nach Osten, von wo er den Gegner erwartete. Die gleiche Richtung nach der Gegend von Belzig nahm auch die preußische Division Hirschfeld, die, von Saarmund abgesandt, ihm bei Brandenburg den Weg hatte verlegen sollen. Sie marschierte von dort südlich und erschien am 27. bei Benken nordwestlich Hagelberg, wo sich das französische 5kii?e ?um 1>effeli von lw qeloes'o. sm 27 August 1813. Skizze 32 Hauptlager befand, unvermutet in Girards Rücken. Statt sogleich über ihn herzufallen, rückte sie zunächst gegen dessen linke Flanke Fehlschlagen des Unternehmens gegen Berlin 305 in der Richtung auf Lübnitz ab und griff von dort aus an. Nach kurzem, heftigem Kampfe wurde die französische Division fast vollständig gesprengt, wobei drei von der Nordarmee herbeigeeilte Kasaken- regimenter erfolgreich mitwirkten. Etwa 3000 Mann retteten sich nach Magdeburg, einige andere Trupps nach Wittenberg, 3000 fielen in Feindes Hand, ebenso viele waren tot und verwundet, 8 Geschütze verloren. 6000 Gewehre, eine wertvolle Beute, sammelten die Sieger auf dem Kampsplatze. General Girard selbst wurde schwer verwundet. Der preußische Verlust betrug 37 Offiziere und 1722 Mann, war also erheblicher, wie in der Schlacht von Groß-Beeren. Die schwache Division Dombrowski, die sich von Wittenberg her Girard hatte anschließen sollen, war nicht erschienen. So hatten die Franzosen den 12000 Mann Hirschfeld nur etwa 9000 entgegenstellen können. Ganz unwirksam war Davouts Vorgehen von der Unterelbe her geblieben. Wir werden es später verfolgen. Das erste große Unternehmen gegen Berlin, auf welches Napoleon so bedeutende Hoffnungen gesetzt hatte, war mißlungen. Weit voneinander getrennt drangen die französischen Kolonnen vereinzelt gegen das gemeinsame Ziel Berlin vor. Keine war stark und nach der Beschaffenheit der Truppen innerlich kraftvoll genug, einen energischen Schlag zu führen. Die Niederlage einer von ihnen entschied über das Ganze. 100 000 Mann wichen zurück, weil 18 000 und 9000 überrascht und geschlagen worden waren. Der Kaiser gab Oudinot die Schuld; der Fehler lag in der Anlage, im Mangel an Übereinstimmung der Bewegung der drei Heeresabteilungen, die aus ganz verschiedenen Entfernungen kamen und von denen die eine noch dazu voreilig an den Feind getrieben wurde. Zudem war auch Oudinots, meist aus Italienern, Sachsen, Württembergern, Bayern und nur zum kleinen Teil aus Franzosen zusammengesetztes Heer zu einer schnellen kräftigen Offensive überhaupt nicht recht befähigt. Die Schlacht an der Katzbach am 26. August 1.31.3 (S. Skizze 33) Macdonald hatte am 24. August, nach des Kaisers Fortgange aus Schlesien, die Offensive noch weiter führen wollen. Irrtümer in der Befehlsübermittelung verhinderten es. Das 3. Korps war Frhr. v> d. Woltz, Kriegsgeschichte 20 306 IV. Die Befreiungskriege anfänglich seinem Marschall gefolgt und mußte zurückgeholt werden. So konnte Blücher an diesem Tage vorwärts von Striegau seine Truppen zum Wiedervorgehen ordnen, das am 25. begann. Als er am 26. eben im Begriff stand, die Katzbach zwischen Liegnitz und Goldberg zu überschreiten, um Macdonalds Heer anzugreifen, erkannte er, daß dieses ihm entgegenkam. Es sollte heute verspätet Napoleons Befehl ausführen und Blücher über Jauer zurückwerfen, um sich dann am Bober aufzustellen. Stoßen zwei Heere an einem Flußlaufe aufeinander, so wird dasjenige im Vorteil sein, welches in die Lage kommt, das andere beim Übergange anzufallen. Dieser Vorteil war hier auf Blüchers Seite, und er benutzte ihn mit Glück und Geschick. Der Unterschied im Verhalten der Oberbefehlshaber entschied den Tag. In beiden Armeen waren die Zustände übel. Die Truppen litten arg unter schlechtem Wetter und Mangel an Verpflegung. Nicht nur bei den jungen französischen Konskribierten, sondern auch bei den preußischen Landwehren, die erst im Eingang ihrer Kriegs- erfahrung und Gewöhnung standen, machte sich dies fühlbar. Unter solchen Umständen ist ein Angriff und ein tüchtiger Kampf das beste Mittel, die Truppen zusammenzuhalten. Macdonald wollte mit dem 5. und 11. Korps in der allgemeinen Richtung über Seichau, mit dem 3. Korps, das an Neys Stelle Souham übernommen hatte, über Liegnitz und südlich, mit dem Kavalleriekorps Sebastiani zwischen beiden Gruppen über Krayn auf Jauer vorrücken. Dort vermutete er Blüchers Heer, an der Katzbach und Wütenden Neiße aber nur eine Nachhut. Die Division Puthod des 5. Korps sollte weiter südlich am Fuße der Gebirge ausholen und die schlesische Armee umgehen. Der weite Weg brachte es mit sich, daß sie während der Schlacht fehlte. Eine Division des 11. Korps ging auf Hirschberg vor, wo russische Streitkräste standen. Im ganzen führte Macdonald 80—90000 Mann gegen Blüchers etwa gleichstarke Kräfte heran. Allgemein aber herrschte bei den Franzosen der Glaube, daß es am 26. zu keinem ernsten Gefecht kommen werde. Tatsächlich befanden sich jene gefechtsbereit nahe gegenüber zu beiden Seiten der Wütenden Neiße. Auf der Straße nach Jauer stand Langeron bei Seichau. Er war den anrückenden Franzosen anfänglich überlegen, wollte aber dennoch vor ihnen zurückweichen. Blücher hielt ihn fest. Nun Macdonalds Vorgehen über die Katzbach 3l)7 nahm er Stellung mit seiner Vorhut südöstlich von Seichau, mit der Hauptmacht zwischen Schlaupe und Hermannsdorf. Dort wehrte er den Tag über die Angriffe der Franzosen ab und zwang diese am Abend, wieder auf Goldberg zurückzugehen. Zeklsciit ciel' !<3f?b3cli sm?S,Hugust 1312. Skizze 33 Verbündete — ^> Franzosen Auf der Hochfläche zwischen der Wütenden Neiße und der Katzbach führte Blücher zur Linken das Korps Dorck, zur Rechten Sacken vor. Hier erschienen von Kroitsch her zunächst das Kavalleriekorps Sebastiani, gefolgt von 6 Bataillonen des 11. Korps, sodann die 8. und weiter rückwärts die 9. Division vom 3. Korps. 20* 308 IV. Die Befreiungskriege Aber sie erschienen, da Macdonald nicht eingriff, Stockungen und Verwirrung vorkamen, vereinzelt nacheinander auf der Höhe und wurden geschlagen. Als das Kavalleriekorps und der größere Teil der Infanterie erst die Katzbach, dann die Neiße mühsam überschritten hatten und sich aus der Höhe entwickelten, hielt Blücher den Augenblick für gekommen, über den Feind herzufallen. Der Stoß gelang vollkommen. Die Franzosen sahen sich von dem überlegenen Korps Aorck bei Bellwitzhof in der Front heftig angegriffen, von Sacken über Eichholz in der linken Flanke gefaßt und wurden geworfen. Ein Angriff der gesamten russischen Kavallerie, die bis in den Rücken der Franzosen vordrang, vervollständigte den Sieg. Nur die 9. Division, welche als Reserve hatte dienen sollen und zwar die Katzbach, aber noch nicht die Wütende Neiße überschritten hatte, bewahrte einige Ordnung. Die beiden anderen Divisionen des 3. Korps trafen, weiter östlich von Liegnitz her, verspätet ein, als schon alles entschieden war. Sie überschritten zwar noch die Katzbach bei Schmoch- witz, wagten aber keinen Angriff mehr, sondern gingen gleichfalls zurück. Die Niederlage der Boberarmee war zwar keine allgemeine; denn nur Teile hatten gefochten. Aber sie war dennoch empfindlicher und wurde noch schwerer durch die sich anknüpfende Verfolgung. Der Regen strömte seit dem Morgen des Schlachttages ununterbrochen vom Himmel herab und verwandelte selbst kleine Wasserläufe in reißende Flüsse. Schon beim Vordringen war der Übergang der französischen Kolonnen ein schwieriger gewesen; das Zurückgehen wurde verhängnisvoll. Menschen und Pserde kamen in den wirbelnden Fluten um; die Unordnung wurde allgemein. Wege und Äcker weichten tief auf und hinderten das Fortkommen. Blücher hatte noch am Abend des Schlachttages die kräftige Verfolgung des geschlagenen Feindes über die Katzbach befohlen. Das geschieht regelmäßig. Die Ausführung ist selten. Der Anspannung aller Kräfte vor dem Siege Pflegt eine Erschöpfung und vorübergehende Tatenunlust zu folgen. Hier war es anders. Unausgesetzt trieben Blücher und Gneisenau die Truppen an. „Es ist nicht genug zu siegen, man muß auch den Sieg zu benutzen wissen. Gehen wir dem Feind nicht auf den Leib, so steht er natürlich wieder, und wir müssen durch eine neue Schlacht erreichen, was wir aus dieser erhalten können, wenn wir mit Energie verfahren." Blücher fällt über die Franzosen her 309 Sie erreichten nicht so viel, als sie gewollt hatten, aber doch genug, um dem Feinde gewaltige Verluste beizubringen. Hier war es, wo General v. Katzeler, der unermüdliche Avantgardenführer der schlesischen Armee, zuerst seinen hohen Ruf begründete. Die angeschwollenen Gewässer wurden freilich auch der Verfolgung sehr hinderlich; für Macdonalds Rückzug aber waren sie geradezu verderblich. Alles, was die vielfach verstopften Brücken nicht erreichen konnte, fiel dem Feinde in die Hände oder ertrank beim Suchen nach einem Übergange. Die Gefechtsverluste der schlesischen Armee sind nicht genan bekannt; sie waren im Vergleich mit den glänzenden Erfolgen der Schlacht jedenfalls nur gering. Die Marschverluste jedoch steigerten sich so, daß die Armee am 1. September kaum noch kampffähig war. Macdonalds Rückzug ging auf Löwenberg und Bunzlau hinter den Bober. Sein Heer befand sich in traurigster Verfassung. Die Soldaten begannen sich zu zerstreuen; sie scheuten die Gefangennahme nicht mehr. Die ganze Schwierigkeit, mit einer neu aufgestellten, für den Krieg nicht vorbereiteten Armee unter solchen Umständen wie hier zu fechten, trat deutlich hervor. Die Klagen der französischen Generale sind dieselben, wie sie sich 1870/71 bei den Mobilgarden an der Loire und in den Tagen von Le Mans vernehmen ließen. Die vor der Schlacht entsendete Division Puthod hatte den Versuch gemacht, über Hirschberg die Armee wieder zu erreichen, konnte dort den angeschwollenen Bober aber nicht überschreiten und suchte abwärts nach einem Übergange. So traf sie am 29. August bei Löwenberg am rechten Ufer ein, als die Gewässer dort bereits die Brücke fortgerissen hatten, von Goldberg her aber das Korps Langeron herankam. Von diesem umringt, die Waffenstreckung verweigernd, fand sie einen ehrenvollen Untergang. Was nicht getötet oder gefangen genommen wurde, ertrank in den Fluten des Bober. Von der ursprünglich nahe an 12 000 Mann starken Division kehrten nur 2S0 Versprengte zur Armee zurück. Am 31. August ging Macdonald an den Queis und in der folgenden Nacht bis hinter Görlitz zurück. Seine Armee war vorerst nicht mehr verwendbar. Blücher folgte an und über den Queis. Dort erst machte er am 1. September einen Ruhetag. 103 Kanonen, 250 Munitionswagen, 18000 Gefangene waren die Frucht seines Sieges. Unter 310 IV. Die Befreiungskriege der Einwirkung der letzten furchtbaren Regentage aber hatte auch die schlesische Armee ungemein gelitten. Eines ihrer Regimenter, das mit 3200 abmarschiert war, zählte in vier Bataillonen nur noch 320 Mann; bei anderen sah es ähnlich aus. Manche waren dem Auseinanderlaufen nahe. -i- » -i- Der große Kriegsmeister in Dresden mußte nach Macdonalds Niederlage mit dem Geschehenen rechnen. Seine Lage wurde bedenklicher. Mit weitem Blicke überschaute er sie und legte sein Urteil, wie er es oft zu tuu Pflegte, schriftlich nieder. Uns scheint es heute, als wäre es für ihn das richtige gewesen, sich mit allen verfügbaren Kräften auf die böhmische Armee zu werfen, die er eben abgewehrt hatte. Ein großer Schlag mußte geschehen, der auf sämtliche verbündeten Heere Einfluß übte; denn ging das Spiel fort wie bisher, so verbrauchten seine wenig kriegstüchtigen Truppen sich in den unaufhörlichen Hin- und Hermärschen. Die Zusammensetzung der böhmischen Armee aus Truppen dreier Staaten, die Anwesenheit der Monarchen, die eigentümliche Verfassung des großen Hauptquartiers, alles versprach hier den eindrucksvollsten Erfolg. Diese Armee war die verwundbarste der Verbündeten. Die auseinandergehenden politischen Interessen machten sich dort am ehesten geltend. Unzweifelhaft wäre bei einer ernsten Niederlage oder selbst bei der drohenden Gefahr einer solchen Blücher nach Böhmen abberufen worden, und er war dort weniger gefährlich, als wenn er selbständig in Schlesien blieb. Der Sieg über die Hauptarmee konnte am ehesten eine entscheidende Wendung im gesamten Feldzuge herbeiführen. Des Kaisers Gedanken richteten sich indes mehr auf das Unternehmen gegen Berlin, das zu Beginn des Feldzuges ohne Zweifel den Vorzug verdient, jetzt aber viel von seiner Bedeutung verloren hatte. Die preußische Hauptstadt war mittlerweile durch eine starke Armee geschützt, das Monarchenbündnis gegen Napoleon fest geknüpft, der König bei der böhmischen Armee, mit deren Schicksal er das seinige verband. Dennoch mochte Napoleon auf den alten Plan nicht verzichten. Ohne Zweifel spielte der Haß gegen Preußen dabei seine Rolle. Nur Vandammes Mißgeschick und Blüchers Erfolge ließen ihn noch zögern. Als er am 2. September von Oudinots Rückzug bis Wittenberg hörte, sowie von der Weg- Napoleons zweiter Marsch gegen Blücher 311 nähme des befestigten Luckau, wodurch das ganze Land zwischen Elbe und Spree für die Nordarmee offen wurde, traf er seine Anordnungen. Ney übernahm Oudinots Heer, der Kaiser mit den Garden wollte bei Hoyerswerda sein, um von dort über Baruth nach Berlin zu marschieren und auch Ney dazu heranzuziehen. Bernadotte vermochte durch sein Vorgehen jede Offensive nach Schlesien in der Flanke zu bedrohen. Blücher konnte am Bober, am Queis oder an der Neiße aufgehalten werden. Als aber die Nachricht von dessen schnellem Vordringen eintraf, schwankte der Kaiser, ob er sich Macdonald zuwenden oder mit Ney nordwärts marschieren sollte. Am 3. fällt die Entscheidung; die Garden gehen direkt nach Bautzen, weil Macdonald mittlerweile bis dorthin zurückgewichen ist und der Unterstützung am dringendsten bedarf. Auch Marmonts Korps und die Kavallerie von Latour-Maubourg werden zum gleichen Ziele in Bewegung gesetzt. Der Kaiser selbst folgt. Alles übrige bleibt zum Schutze Dresdens zurück. Wider seinen Willen mußte der Kaiser den neuen Zug gegen Blücher unternehmen. Dieser hatte der Aufforderung, die Hauptarmee durch einen Marsch nach Böhmen zu verstärken, widerstanden, verhieß aber seine Unterstützung durch energischen Vorstoß auf Dresden. Nach dem Ruhetage vom 1. September war er durch Görlitz vorgegangen, und am 4. näherte er sich Bautzen. Allein schon vor der Stadt, bei Hochkirch, traf die Vorhut auf festen Widerstand. Blücher schloß sofort aus der veränderten Haltung der französischen Truppen auf die Anwesenheit des Kaisers. Sein Scharfblick täuschte ihn nicht. Sogleich stellte er sein Vorgehen ein und wich vor dem sich verstärkenden Gegner erst hinter die Neiße, dann hinter den Queis bei Lauban zurück. Unwillig sah Napoleon die Aussicht auf einen wirksamen Schlag wieder schwinden. Am 6. abends traf er von neuem in Dresden ein. Auch Schwarzenberg hatte sich geregt. Der Zug nach Schlesien war nochmals erfolglos geblieben. Kaum war Napoleon weg, da wurden auch die Fortschritte der Franzosen langsamer, und sogleich beschloß Blücher, zur Offensive zurückzukehren. Langerons Behutsamkeit aber verhinderte dies und nötigte die schlesische Armee, am 7. September zu ruhen. 312 IV. Die Befreiungskriege Die Schlacht von Dennewitz am 6. September ^8^3. sS. Skizze 34) Inzwischen war, trotz Neys Führung, auch der zweite Vorstoß gegen Berlin gescheitert. Der Marschall war am 3. September in Wittenberg eingetroffen, hatte dort die Korps Oudinot, Reynier, Bertrand und die Kavallerie Arrighis, rund 60000 Mann mit 200 Geschützen, am rechten Elbufer vereinigt gefunden und ihnen gegenüber die Nordarmee der Verbündeten. Diese bildete, etwa 100 000 Mann stark, einen weiten flachen Bogen auf einen Tagemarsch Abstand um die Franzosen; Vortruppen waren bis auf einige Kilometer an den Feind herangeschoben. Bei Zahna auf der Straße nach Jüterbog stand Tauentzien, der nach der Einnahme von Luckau dorthin herangerückt war. Neys Auftrag war, sein Heer zunächst auf die Straße zu versetzen, die über Baruth nach Berlin führt, um sich dem von Hoyers- werda kommenden Kaiser zu nähern, der erst Luckau wieder nehmen und am 9. oder 10. September schon Berlin angreifen wollte. Für Ney war also Eile geboten, und am 5. September brach er auf; denn obschon Napoleon seine Pläne geändert hatte, war der Marschall ohne Gegenbefehl geblieben und über dem Hin und Her nach Bautzen und Dresden vergessen worden. Neys Weg führte über Zahna; er mußte also auf den linken Flügel der Verbündeten stoßen und behielt diese drohend in seiner linken Flanke. An den sichereren Weg hinter der Elbe entlang und dann über Herzberg nach Luckau scheint er nicht gedacht zu haben. Bei Zahna verdrängte er unter lebhaftem Gefecht Tauentzien, der schwere Verluste erlitt. Am 6. September sollte der Marsch fortgesetzt werden, „dem Kaiser entgegen". Voran marschierte das Korps Bertrand, das den Befehl erhielt, Jüterbog links zu lassen und den Marsch nach der Luckauer Straße einzuleiten. Das Korps Reynier sollte über Oehna auf Rohrbeck gehen, Oudinot bis Oehna folgen. Ganz verständlich sind diese Anordnungen nicht. Denn der direkte Weg nach Dahme, wohin Ney zuvörderst abrücken wollte, führt weiter südlich über Wendisch Linda/ und er muß auch damals schon gangbar gewesen sein. Der Kronprinz von Schweden hatte, durch Neys Vormarsch aufgescheucht, seine Armee noch am 5. bei Lobesse zwischen Wittenberg und Niemegk versammelt, Bülow näherte sich noch in der Neus Zug nach Dennewitz „dem Kaiser entgegen" 313 Nacht dem bedrängten Tauentzienschen Korps. Dieses war vor den Franzosen auf Jüterbog zurückgewichen. Der kommandierende General, der sich am Tage beim Oberbefehlshaber befunden hatte, fand es, nach einigen Irrfahrten, dort am Abend vor. Er erwartete, am nächsten Morgen erneut angegriffen zu werden und setzte sich mit Bülow in Verbindung. Dieser forderte ihn auf, ihm entgegenzukommen, um die Vereinigung zu erleichtern. 3c'n!gclit von venliewiti sm b.Zepwmbel' 1813. Skizze 34 ^ Verbündete — M Franzosen So befand sich Tauentzien am Morgen des 6. September gerade im Begriff, von Jüterbog nach rechts hin abzumarschieren, als die Kolonne Bertrands bei Dennewitz ankam. Bülow, der erst geglaubt hatte, selbst angegriffen zu werden, setzte seinen Marsch gegen Jüterbog fort, als er die französische Armee in Bewegung dorthin wahrnahm. Bernadotte befahl am Nachmittage die Versammlung der übrigen Armee bei Feldheim zwischen Wittenberg und Treuenbrietzen. Zunächst stieß Bertrand auf Tauentzien. Hinter ihm in größeren Zeitabständen trafen erst Reynier dann Oudinot auf 314 IV. Die Befreiungskriege dem Schlachtfelde ein. Tauentzien, anfangs allein der Übermacht entgegengestellt, durfte darauf rechnen, daß Bülow im Laufe des Tages dem Feinde in die linke Flanke fallen werde und am Nachmittage auch der Kronprinz mit der übrigen Armee herankommen könnte. Die Lage war eine sehr spannende. Der Landrücken des Hohen Fläming, der von Wittenberg her südlich an Jüterbog vorüber bis in die Gegend von Baruth streicht, ist kahl und übersichtlich. Es muß zu Ende August dort weniger geregnet haben, als weiter südlich. Dicke Staubwolken verrieten die heranziehenden Marschkolonnen, entzogen aber die Einzelheiten dem Blicke der Späher. Als Tauentzien gewahrte, daß er seinen Flankenmarsch zu Bülow nicht weiter fortführen könne, ließ er sein Korps am Wege von Jüterbog nach Kaltenborn aufmarschieren. Nach mancherlei Entsendungen und dem Zurücklassen einer stärkeren gemischten Abteilung bei Jüterbog waren indes nur 11 Bataillone, 16 Eskadrons und 19 Geschütze beisammen. Dazu kamen noch vier von Bülow vorausgesandte Schwadronen. Drüben marschierte Bertrand mit zwei Divisionen rechts und links des von Dennewitz nördlich führenden Feldweges auf, die dritte blieb hinter Dennewitz in Reserve, die Kavallerie bildete den linken Flügel. Um seine des Kampfes ungewohnte Landwehr nicht der schweren Probe auszusetzen, daß sie stehenden Fußes den Feind erwarten müßte, ging Tauentzien diesem entgegen. Aber der Stoß mißlang. Seine Infanterie und Artillerie erlitten eine völlige Niederlage und fluteten nordwärts zurück. Ney, der selbst auf dem Kampfplatze eingetroffen war, hätte jetzt östlich abmarschieren sollen. Aber er blieb. Tauentzien, für den es galt, wenigstens so viel Zeit zu gewinnen, daß der schon nahe herangekommene Bülow eingreifen konnte, raffte daher alles, was er auf seinem rechten Flügel an Kavallerie verfügbar hatte, zusammen und warf den feindlichen linken Flügel durch einen glänzenden Reiterangriff, bei dem sich auch die Landwehr-Kavallerie bewährte. Bertrands Vorgehen geriet in Unordnung und begann zu stocken. Tauentziens Reiter hatten zunächst die Ehre des Tages gerettet. Um 12^/2 Uhr traf Bülow auf dem Schlachtfelde bei Nieder- Görsdorf ein. Die Stimmung der Truppen war durch die Siegesnachricht von der Katzbach gehoben. Sofort ging seine vorderste Tauentziens Notlage, Bülows Erscheinen 815 Brigade zum Angriff auf die Höhe östlich des Dorfes vor, die heute von einem Denkmal gekrönt wird, und auf der Bertrands linker Flügel stand. Der Angriff aber mißlang. Noch einmal war es den Gegnern möglich abzumarschieren, aber auch dieser Augenblick verstrich. Als Bülow stärkere Kräfte zur Stelle hatte, sie zu beiden Seiten des Ahebaches entwickelte und den Angriff nach gehöriger Einleitung wiederholte, wurden die Franzosen geworfen. Bertrand wich in eine neue Front zwischen dem Kiefernwäldchen nördlich Dennewitz und der Windmühlenhöhe bei diesem Dorfe zurück. Auch hier jedoch vermochte er sich nicht dauernd zu behaupten. Auf seinem rechten Flügel bei dem Wäldchen umfaßt, mußte er den Rückzug auf Rohrbeck antreten. Württembergische Bataillone, von Bertraud selbst vorgeführt, fanden einen ruhmvollen Untergang. Schon war Bertrand geschlagen, als, um 2 Uhr nachmittags, Reynier bei Dennewitz und Göhlsdorf erschien. Er wandte sich gegen die südlich des Ahebaches vorgehenden Truppen Bülows. Sein Eingreifen wurde freilich durch die ihm entgegenkommenden geworfenen Truppen und davoneilende Fuhrparks aufgehalten. Dennoch gelang es ihm nach lebhaftem Kampfe, sich Göhlsdorfs zu bemächtigen und dort für das hinter den Ahebach zurückgewichene Korps Bertrand einen starken Flankenschutz zu bilden. Drüben aber setzte Boyen, der auf den rechten Flügel entsandte Generalstabschef Bülows, die letzten zur Stelle befindlichen Reserven ein und eroberte Göhlsdorf unter heißem Kampfe zurück. Zugleich kam südlich des Orts die bis dahin noch vor Wittenberg zurückgelassene starke Brigade Borstell heran. Auch eine schwedische Batterie erschien bereits auf dem Kampfplatze. Reyniers Lage wurde gefährlich. Er ritt dem sich nunmehr nähernden Marschall Oudinot entgegen, bewog ihn, vom Wege nach Oehna abzubiegen und den bedrohten linken Flügel bei Göhlsdorf zu unterstützen. Dieses wurde von den Franzosen noch einmal genommen. Wenn Oudinot jetzt mit seinem noch frischen Korps links einschwenkte, hätte er die preußischen Truppen südlich der Ahe aufrollen können; denn der Kronprinz von Schweden war noch zu weit entfernt, um Hilfe zu leisten. Die Schlacht wäre für die Preußen verloren gewesen. Eine sonderbare Wendung verhütete dies. Ney befand sich noch beim Korps Bertrand, sah dessen üble Lage und sandte an Oudinot den Befehl, dieses Korps zu unterstützen und zu verhindern, daß es rechts umfaßt werde. Auf beiden Flügeln war 316 IV. Die Befreiungskriege seine Hilfe nötig. Oudinot hätte besser getan, zu bleiben, wo er einmal war. Unter solchen Umständen darf ein Unterfeldherr vom Gehorsam absehen. Ney vermochte von seiner Stelle aus den Stand der Dinge bei Reynier nicht zu übersehen. Er wollte noch immer auf Jüterbog vordringen, wozu es längst zu spät war. Nicht dort, sondern südlich der Ahe bei Göhlsdorf lag im Augenblicke die Entscheidung. Oudinot erkannte das, und dennoch gehorchte er. Die persönliche Verstimmung über seine Entfernung vom Oberkommando ließ ihn Neys Anordnung wörtlich befolgen, obschon Reynier ihn bat, ihm wenigstens eine Division zu lassen. Er marschierte rechts ab. Zur gleichen Zeit kam Bülow nach dem rechten preußischen Flügel hinüber und befahl einen allgemeinen Angriff. Reynier wurde geworfen und verlor nicht nur Göhlsdorf, sondern auch die nördlich davon gelegene Windmühlenhöhe mit den darauf stehenden Geschützen. Der linke Flügel der französischen Schlachtlinie war um 5 Uhr nachmittags eingedrückt, das Schicksal des Tages jetzt endgültig entschieden. Seinem Gedankengange beharrlich folgend, hatte Ney inzwischen einen letzten Offensivstoß Bertrands von Rohrbeck aus befohlen, und es spricht für die Bravour der jungen französischen Truppen, daß dieser Befehl noch ausgeführt werden konnte. Nach kurzem vorübergehenden Erfolge aber brach das Korps zusammen, noch ehe Oudinot zur Stelle war. Bei Göhlsdorf trafen jetzt auch schon russische und schwedische Truppen, namentlich Kavallerie uud Artillerie ein. Reyniers Batterien, die auf den Höhen östlich Göhlsdorf in Stellung gegangen waren, um den Ansturm der Preußen aufzuhalten, mußten abfahren, und das französisch-sächsische Korps eilte gegen Oehna hin zurück. Es zog auch das noch im Marsche befindliche Korps Oudinot in den Strudel hinein, und der breite Strom der Weichenden wälzte sich nach Oehna hin, wo auch Bertrand eintraf. Hier ging der letzte Halt der bis dahin noch leidlich geordneten Truppen verloren. In wilder Auflösung eilten sie zum Teil dem südlich Oehna gelegenen Walde zu. Erst die Dunkelheit machte der Verfolgung ein Ende, bei der sich namentlich russische und schwedische Batterien sowie die russische Kavallerie betätigt hatten. Zahlreiche Gefangene und Geschütze wurden die Beute des Siegers, viele Bataillone waren völlig zersprengt worden. Ney hatte eine vollständige Niederlage erlitten. Oudinots Verhalten. Neys Rückzug nach Torgau 317 Großbeeren ist nur der Folgen halber, die Reyniers Unfall nach sich zog, eine Schlacht zu nennen. Dennewitz war eine der entscheidendsten Schlachten des Feldzuges. Sie zog noch einen weiteren Verlust nach sich. Ney hatte um 6 Uhr abends den Rückzug auf Dahme befohlen, immer noch an die Vereinigung mit Napoleon denkend. Aber nur das Korps Bertrand und wenig andere Truppen vermochten noch von Oehna aus die Richtung dorthin einzuschlagen. Die Trümmer der beiden anderen Korps wurden nach Torgau zurückgeführt; denn Reynier und Oudinot, die während des Rückzuges zusammentrafen, entschieden sich dafür, zunächst das Gerettete in Sicherheit zu bringen. Die Verbündeten folgten vom Schlachtfelde noch eine Strecke über Oehna hinaus. Wäre Ney bei Dahme geblieben, so würde die Armee in zwei Gruppen getrennt worden sein. Auch er entschloß sich daher, am 7. September nach Torgau abzuziehen. Von Luckan her aber kam an diesem Tage die zu Tauentzien gehörige Brigade Wobeser heran, die bis dahin die Stadt besetzt gehalten hatte. Sie umzingelte in Dahme Neys Nachhut und nahm an 3000 Mann gefangen. Im ganzen hatte die französische Armee am 5., 6. und 7. September 22 000 Mann, darunter 13 000 Gefangene, 53 Geschütze, über 400 Fahrzeuge und 4 Fahnen verloren. Sie war zunächst zu jeder weiteren Unternehmung unfähig. Die beiden preußischen Korps erkauften ihren großen Erfolg durch einen Verlust von 10 500 Toten und Verwundeten, die Gefechte von Zahna und Dahme eingerechnet. Verzweifelt berichtete Ney dem Kaiser, daß er gänzlich geschlagen sei; er warnte ihn wegen der Entblößung der linken Flanke der großen Armee und riet dazu, die Elbe zu verlassen. Er selbst wich sogar in den nächsten Tagen an die Mulde zurück, als sich die falsche Nachricht von einem Elbübergange der Nordarmee verbreitete, allein Napoleon hieß ihn von neuem vorgehen. So stand er um die Mitte des September wieder an der Elbe; doch war sein Heer auf 36 000 Mann zusammengeschmolzen. Das Korps Oudinots wurde am 19. September auf die beiden anderen Armeekorps verteilt. Marschall Oudinot ging nach Dresden und übernahm zwei Divisionen der jungen Garde. 318 IV. Die Befreiungskriege Von den Generalen der Nordarmee drängte freilich Bülow schon jetzt zum Elbübergange; doch widerstrebte der Kronprinz von Schweden, so lange nicht Napoleons Absichten am rechten Elbufer geklärt waren. Neue französische Truppenversammlungen bei Großen- hain, wo Murat den Oberbefehl übernahm, ließen ihn an einen durch den Kaiser selbst geführten Vorstoß gegen Berlin denken. Er stellte sich daher südlich Jüterbog mit dem rechten Flügel vor Wittenberg, mit dem linken bei Luckau abwartend auf. Streifkorps unter Tschernitscheff und Marwitz überschritten die Elbe, um die Verbindungen der großen Armee zu beunruhigen und das Land in ihrem Rücken zur Erhebung zu bringen. Die Belagerung von Wittenberg, dessen Besitz Bernadotte für notwendig hielt, ehe er Weiteres unternahm, wurde eingeleitet. Bülow erhielt den Auftrag dazu. Tauentzien sollte Torgau beobachten, die Elbe bei Elster, Roslau und Wen überbrückt werden. Vom linken Flügel aus wurde die Verbindung mit der schlesischen Armee hergestellt, die wieder bis Bautzen vorgedrungen war. Ein gemeinsames Handeln beider Heere, die den Kern der preußischen Macht in sich schlössen, stand damit in Aussicht; die Entscheidung rückte näher. Bülow machte sich ungern an seine Aufgabe. Am 24. September ließ er freilich die Vorstädte von Wittenberg stürmen, in den nächsten Tagen auch wiederholt die Stadt beschießen; allein zur Wegnahme kam es nicht, und die Annäherung der schlesischen Armee, sowie der Beschluß zum Elbübergange beider Heere änderten die Lage. Bülow ließ nur den General v. Thümen vor Wittenberg zurück und folgte am 4. Oktober der Bewegung der Nordarmee nach Roslau. Die drei Brücken wurden bis zum 24. September fertig, erhielten Brückenköpfe zu ihrem Schutze, und kleine Abteilungen besetzten die nächstgelegenen Orte am linken Ufer. Ney rührte sich nicht. Am 25. September hatte mittlerweile Marwitz, der sich bei Hagelberg als Führer hervorgetan, Braunschweig überfallen. Tschernitscheff verjagte am 28. den König Jervme aus Kassel. Zwar mußte er die Stadt vor anrückenden westfälischen Truppen wieder räumen, aber durch Überläufer und genommene Geschütze verstärkt und von den Einwohnern unterstützt, kehrte er zurück, vertrieb die Gegner und hielt am 1. Oktober unter dem Jubel der Bevölkerung erneut einen Einzug. Er erklärte das König- Zustand der beiden Heere im September 1313 319 reich Westfalen für aufgelöst, führte 2000 Gefangene, 30 Geschütze und den Inhalt der Staatskassen fort und stellte aus westfälischen Freiwilligen ein Bataillon für die Verbündeten auf. Dann erreichte er auf Umwegen wieder die Nordarmee, die inzwischen über die Elbe gegangen war und an den Kämpfen um Leipzig teilgenommen hatte. Kehrte König Jerüme auch für kurze Zeit noch einmal in seine Hauptstadt zurück, so war ihm und aller Welt doch klar geworden, auf wie schwachen Füßen die französische Herrschaft in Deutschland schon stand. Des Kaisers Genie reichte nicht mehr ans, die Mängel im Heere und in der Führung zu ersetzen. Seine Marschälle und Generale zeigten sich den Anforderungen nicht gewachsen. Die furchtbare Niederlage von Dennewitz erklärt sich vornehmlich daraus, daß Ney und Oudinot in Bülow und Tauentzien auf zwei größere Gegner gestoßen waren. „Mein Schachspiel kommt in Verwirrung," schrieb Napoleon zu Ende September an Marmont. Die Armee begann den Dienst zu versagen. Die Truppe murrte, weil sie sich vielfach mit gleichgültiger Sorglosigkeit behandelt sah und entsetzlichen Mangel litt. Der Kaiser sah die Dinge nur noch, wie er sie sehen wollte, und seine Menschenverachtung, seine Geringschätzung der Massen wandelte sich mehr und mehr in Überanstrengung der Truppen um. Seine Unterfeldherren waren reich an Titeln, Ehren, Gold und Erfolgen aller Art geworden. Sie sehnten sich nach Ruhe und Genuß. Das Heer fing an des Krieges überdrüssig zu werden; den härtesten Proben unterworfen, löste sein weicher Stoff sich auf. Ganz Mittel- und Westdeutschland bedeckte sich mit französischen Marodeuren. Mit jedem Tage steigerten sich Kraft und Zuversicht der Gegner. Die jungen Truppen, von denen manche ohne hinreichende soldatische Schule, anfangs bei jedem Zusammenstoß mit dem Feinde der Auflösung nahe gewesen waren, gewannen im kriegerischen Leben an innerem Halt und mit den Erfolgen an Selbstvertrauen. Ihre Führer aber, die, soweit sie die höheren Stellen einnahmen, alle die brennende Schmach der Unglückszeit erlebt und zu tilgen hatten, waren von frischer Spannkraft und beseelt von dem glühenden Wunsche, den alten Ruhm des preußischen Heeres und deutscher Waffentüchtigkeit wieder aufzurichten. Die theoretische Vorbildung, welche sie aus der Aufklärungsperiode in die neue Zeit der eisernen Praxis mit hinübergebracht hatten 320 IV. Die Befreiungskriege kam ihnen reichlich zugute. Sie zeigten sich den meistens nur aus der eigenen Erfahrung schöpfenden französischen Befehlshabern überlegen. » s Am 8. September war die schlesische Armee wieder gegen Görlitz vorgegangen. Macdonald räumte diese Stadt am 9., um auf Bautzen zurückzuweichen. Er wagte mit dem Alten von der Katzbach keinen neuen Waffengang mehr. Dieser aber drängte auf eine vollständige Entscheidung hin. Er suchte mit seinem vorgeschobenen linken Flügel Macdonald südlich zu umgehen und den Rückzug abzuschneiden, allein dieser wich noch rechtzeitig auf Bischofswerda und Stolpen aus. Blücher folgte. Als er dann aber erfuhr, daß starke französische Kräfte bei Großenhain ständen, versammelte er sein Heer um Bautzen. Schwarzenberg hatte eigentlich im Bielatale stehenbleiben wollen, bis Bennigsen mit seinen 50 000 Mann von Polen herangekommen sein würde. Als er aber erfuhr, daß der Kaiser nach Schlesien geeilt wäre, beschloß er, dessen Wege durch einen Vormarsch zu kreuzen und überschritt mit einem Teile der österreichischen Truppen die Elbe. Barclay sollte in seiner Abwesenheit Dresden bedrohen. Er schob die Avantgarde vor, die aber am 8. September von den Franzosen zurückgewiesen wurden; denn schon war der Kaiser wieder zur Stelle. Dieser gab am 9. auf St. Cyrs Betreiben den Befehl zum allgemeinen Vormarsch. Am Abend desselben Tages aber erhielt er Neys Meldung über dessen Rückzug hinter die Elbe und seine Absicht, zwischen diesem Strome und der Mulde Verstärkungen abzuwarten. Sein Erscheinen hatte auch Schwarzenberg zur Umkehr veranlaßt, der am 10. September seine Armee auf den Höhen von Aussig in Schlachtordnung aufmarschieren ließ. Ihr gegenüber erschien am gleichen Tage der Kaiser drohend ans dem Kamm des Erzgebirges bei Nollendorf. Durch sein Glas vermochte er den Feind deutlich zu erkennen, auch wahrzunehmen, daß die Österreicher sich noch nicht mit den Russen und Preußen wieder vereinigt hätten. Allein eine Offensive nach Böhmen hinein lag, wie wir wissen, nicht in seinem Sinn. Neys Niederlage machte sie jetzt auch höchst bedenklich. Er dachte an einen Angriff gegen die linke Flanke der Verbündeten, aber die Schwierigkeit, Napoleon gegen Schwarzenberg 321 Geschütz den Abhang des Erzgebirges hinunter zu bringen, schreckte ihn ab. Langsam zog er daher seine Truppen gegen Dresden zurück. Nur St. Cyr, dem auch das wieder gesammelte 1. Korps, Lobau, unterstellt wurde, blieb auf dem Gebirgskamm stehen. Napoleon selbst ging am 11. nach Pirna, tags darauf nach Dresden zurück, wo er sich neuerdings mit dem Plane eines Zuges nach Berlin beschäftigte. Noch einmal, am 15. September, kehrte er indessen um, als Wittgenstein über Nollendorf vorging und die französischen Vortruppen zurückwarf. Die Nachricht vom Siege von Dennewitz war bei den Verbündeten eingetroffen, und Wittgenstein hatte feststellen sollen, ob der Kaiser sich nicht infolgedessen schon auf dem Rückzüge zur Saale befände. Ihn trieb Napoleon nun wieder in die Ebene hinab bis nach Kulm, wo Schwarzeuberg jetzt sein Heer zusammenrief und der Verfolgung am 17. September durch das Eingreifen der Österreicher gegen die linke Flanke der Franzosen Einhalt tat. Am 18. erkundete der Kaiser persönlich Schwarzenbergs Stellung. Er beobachtete die böhmische Armee längere Zeit, sah, daß sie sich noch verstärkte und nahm abermals vom Angriff Abstand. Abends schlug er sein Hauptquartier in Pirna auf, zog die Armee nach Dresden und St. Cyr mit Lobau in die den Platz deckenden Stellungen heran. So wogten hier die Truppen unter Gefechten hin und her, ohne daß es zu einer ernsten Entscheidung mit der ganzen Kraft kam. Dennoch legten ihnen diese Tage ebenso große Anstrengungen auf, wie die gewaltigen Schläge, die Napoleon früher geführt. Mehr und mehr verzehrten sie sich, und sie waren von den Quellen ihrer Kraft weiter entfernt, als die Verbündeten. Zudem begann es auf dem sächsischen Kriegstheater, das seit Beginn des Feldzuges unausgesetzt starke Heere beherbergt hatte, bedenklich an Lebensmitteln zu fehlen. „Die Armee ist nicht mehr ernährt. Es wäre eine Täuschung, die Dinge anders sehen zu wollen," klagte der Kaiser. Seine Lage verschlechterte sich zusehends. Die Vortruppeu der Verbündeten wurden immer kühner. So überfielen die Österreicher in der Nacht vom 17. zum 18. September Freiberg, wo fast kein Mann der Besatzung entkam. Düstere Ahnungen über den Ausgang des Feldzuges beherrschten ihn seit einiger Zeit. „Generale und Offiziere, vom Kriege ermüdet, haben nicht mehr den Schwung, der sie große Taten vollbringen ließe. Der Kaiser ist überall dort Sieger, wo Frhr, v. d, Goltz, Kric»sgeschichte 21 322 IV. Die Befreiungskriege er anwesend ist; aber er kann nicht überall sein, und die Führer, die selbständig kommandieren, entsprechen selten seinen Erwartungen," so befahl er, unter dem Eindruck der Niederlage von Dennewitz, dem Kriegsminister zu schreiben. Seine Lage erinnert an Hannibals Geschick, dessen Unterfeldherren die Römer planmäßig angriffen und schlugen, bis er selbst erlag. -i- » 5 Inzwischen hatte Blücher am 13. September früh ein Schreiben des Kaisers Alexander mit dem erneuten Verlangen, sich der böhmischen Armee anzuschließen, erhalten. Rein militärisch genommen, erschien diese Vereinigung durchaus vorteilhaft. Dennoch entsprach der Vorschlag Blüchers Wünschen durchaus nicht. Er kannte nur zu genau die endlosen Rücksichten und Bedenken, von denen jede Entscheidung im großen Hauptquartier der Monarchen abhing, und wußte, welch ein schleppender Gang der Kriegführung sich daraus ergab. Er fürchtete mit Recht die Fesseln, die man ihm dort anlegen werde. Leidenschaftlich bat er darum, ihm seine Freiheit und Selbständigkeit zu lassen. „Um des allgemeinen wohl und Besten," schrieb er an den, den König Friedrich Wilhelm HI. beratenden General Knesebeck, „bewahren si mich vor einer Vereinigung mit der großen armeh." Oft ist die Kenntnis der persönlichen Verhältnisse im Kriege ebenso wichtig und nützlich, als strategische Weisheit. Blücher und Gneisenau wollten aber mehr tun, als nur versagen. Sie dachten groß genug, um sich, der gemeinsamen Sache zu nutz, in die Wünsche und Eigentümlichkeiten anderer zu fügen. Wohl war ihnen klar, daß der Kronprinz von Schweden sich zum Elbübergange nur dann entschließen würde, wenn die schlesische Armee in unmittelbarer Verbindung mit ihm daran teilnahm. Sie faßten daher den Rechtsabmarsch ins Auge, so sehr der Umweg und der Zeitverlust ihnen auch sonst zuwider waren. Dem Rechtsabmarsche sollte sogleich der Elbübergang folgen und dieser die Nordarmee mit fortreißen. Zuvor aber mußte noch mit den bei Großenhain stehenden feindlichen Kräften abgerechnet werden, die jetzt der König von Neapel befehligte. Dazu gedachte Blücher sich Tauentziens Mitwirkung zu sichern und trat mit ihm in Verbindung. Der gemeinsame Angriff wurde auf den 24. September festgesetzt, aber zwei Tage zuvor schon lief die Nachricht ein, daß das Heer Murats nach Dresden Blüchers Entschluß zum Rechtsabmarsch 323 abberufen worden sei. Zugleich erschien auch der Kaiser wieder vor der schlesischen Armee. Napoleon hatte in Pirna den dritten Vorstoß gegen Blücher geplant. Im Augenblicke standen Murat und Marmont bei Großenhain, Macdonald mit seiner Armee nahe nordwestlich von Stolpen, Poniatowski zn seiner Rechten bei Lohmen, die Garden unter Mortier bei Pirna. St. Chr und Victor hielten noch die Pässe des Erzgebirges und Freiberg. Leipzig war mit 10000 Mann besetzt, und die Kavalleriedivision Lefebvre-Desnouettes hielt von Döbeln aus die Verbindungen nach Dresden offen. Dort hatte der österreichische Oberst Mensdorff bisher den Verkehr gestört, während General Thielmann an der Saale streifte, französische Kavallerie bei Zeitz geschlagen hatte und Naumburg und Merseburg nahm, wo 1800 Mann Besatzung das Gewehr vor ihm streckten. Am 19. und 20. September herrschte indes wieder Regenwetter, und der Kaiser verschob die Operation. Das war früher nicht seine Art gewesen. Die Regentage im Oktober 1805 hatten die Märsche seiner Armee nach Ulm nicht verlangsamt. Er dachte daran, die ganze Armee uin Dresden und Meißen zu versammelt? und ihr die dringend erforderliche Ruhe zu gewähren, während Ney die Elbe von Magdeburg bis Torgau bewachte. Aber Blücher war zu nahe, um ihn ungestört zu lassen. Seine Vortruppen hatten Bischofswerda besetzt. Sie mußten vertrieben werden, damit es möglich wurde, zu erkennen, wo die Hauptkräfte stünden. Macdonald meldete den Abmarsch von Teilen der schlesischen Armee nach rechts gegen die Elbe. Auf eine Schlacht gegen die schlesische Armee wagte der Kaiser nicht mehr zu hoffen. Blücher hatte sich ihm zweimal mit Geschick entzogen. Es wäre vermessen gewesen, anzunehmen, daß er das drittemal in die Falle ging. Am 21. September abends war der Kaiser wieder nach Dresden gekommen, am 22. früh 2 Uhr erhielt Macdonald den Befehl, mit seinen drei Korps vorzugehen. Mittags traf Napoleon selbst auf dem Gefechtsfelde ein und begab sich auf den Kapellenberg bei Schmiedefeld südwestlich Bischofswerda. Wieder machte sein Erscheinen sich fühlbar. Blüchers Vortruppen, von Katzeler geführt, wurden zurückgeworfen und Bischofswerda nach lebhaftem Kampfe genommen. Das Nachdrängen der Franzosen aus der Stadt heraus verhinderte die preußische Artillerie. Am 23. setzte der Kaiser die Offensive noch fort. 21» 324 IV. Die Befreiungskriege Katzeler wich über Noth-Naußlitz, nordöstlich Bischofswerda, zurück und benutzte dann einen günstigen Augenblick, um mit seiner Kavallerie über die unvorsichtig folgenden Franzosen herzufallen. 10 Offiziere und 320 Mann an Gefangenen waren das Ergebnis des kühnen Angriffs. Am Abend wurde Gödau erfolgreich gehalten. Mit der Hauptmacht war Blücher bei Bautzen hinter die Spree in eine starke Stellung zurückgegangen. Dort wartete er am 24. September festen Fußes auf seinen Gegner. Er hätte die Schlacht angenommen, die Napoleon zuvor so sehr ersehnt hatte. Aber dieser ergriff jetzt die Gelegenheit nicht mehr. Er war unsicher geworden. In der Nacht hatte er außerdem eine Meldung Neys aus Düben erhalten, daß der Elbübergang der Nordarmee bevorstünde, und schon beherrschte ihn der Entschluß, das rechte Elbufer aufzugeben. Freilich wollte er noch eine große Zahl von Brücken zwischen dem Königstein und Meißen in der Hand behalten und durch Verschanzungen schützen. Am 24. begann der Rückzug auf Dresden, den Macdonald zu decken hatte. Dort wollte sich der Kaiser auf die Lauer legen, um über den Feind herzufallen, wenn er irgendwo zum Angriff vorginge. Am Abend kehrte er nach Dresden zurück. Er fand sich mehr und mehr in die Rolle des abwartenden Verteidigers hinein, dem der Feind das Gesetz des Handelns gab. Die nächsten Tage vergingen über organisatorischen Maßnahmen und weitausschauenden Vorbereitungen für die fernere Verteidigung seiner Stellungen in Deutschland. Am 27. September erließ er ein Dekret über die Aushebung von 120000 Mann der Jahrgänge von 1812, 1811 und 1810, sowie von 160000 Mann der Konskription von 1815. Er wies dabei auf das Beispiel Preußens hin, in dem er längst seinen gefährlichsten Gegner erkannt hatte. Auch die Einleitungen für einen möglichen Rückzug hinter die Saale, sowie für die Sicherung der rückwärtigen Verbindungen wurden geordnet. Am 1. Oktober erfuhr Napoleon, daß die böhmische Armee links abzumarschieren beginne. Dies erfüllte ihn mit der Hoffnung, daß er sie werde erreichen können, ohne die schwierigen Pässe des Erzgebirges durchschreiten zu müssen. Der König von Neapel mußte nach Freiberg gehen und dort den einheitlichen Befehl über alle auf der Südfront zunächst zu vereinigenden Heerteile zu übernehmen. Er war bestimmt, den Angriff einzuleiten. Napoleon abwartend bei Dresden 325 Dann aber trat eine Überraschung ein, die alles wieder über den Haufen warf. Der Kaiser hatte Blücher aus dem Auge verloren. Dieser erhielt noch am 24. abends durch Katzeler die sichere Nachricht von des Kaisers Rückkehr nach Dresden und besetzte sofort die alten Stellungen von Harthau und Bischofswerda von neuem. Weiter vorzugehen widerriet Gneisenau. Abermals drohte ein Stillstand. Bei der großen Armee entwarf man noch immer Pläne und kam nicht zum Schlüsse. Der Kronprinz von Schweden trieb sich nach seinen beiden Siegen zwischen Elbe und Nuthe umher. Er operierte, nach einem Worte Tauentziens, „daß es Gottes Wille sein mußte, daß die Sachen noch so gut stehen." Mit wachsender Ungeduld wartete das Volk auf den entscheidenden Schlag, der nach so vielen Opfern doch yndlich jetzt fallen mußte. Blücher hatte bisher seinen Ruf als kluger und entschlossener Truppenführer begründet. Ihm gelang dreimal die schwere Aufgabe, rechtzeitig zu erkennen, daß der Feind überlegen und der Augenblick gekommen sei, vor ihm auszuweichen. Dreimal hatte er das noch schwierigere Problem gelöst, sofort herauszufühlen, wenn der Feind sich ihm gegenüber schwäche und war wieder vorgegangen. Die entscheidende Wendung Der Llbübergang und das Treffen von ZVartenburg am 3. Oktober (S. Skizze 35) „Wir wollen die Szene eröffnen und die Hauptrolle übernehmen, da die anderen es nicht wollen," schrieb Gneisenau damals — und so geschah es. Die Entscheidung gegen Napoleon sollte jenseits des Stromes fallen. Tauentzien und Bülow hoffte Blücher jedenfalls mit sich fortzureißen, wenn der Kronprinz von Schweden auch noch widerstrebte. Im Bunde mit diesen beiden Generalen hoffte der Alte im Notfalle feinem großen Gegner gewachsen zu sein. Das erregte in einem Teile seiner Umgebung die äußersten Bedenken. Von russischer Seite wurde über das gewagte Unternehmen ein Kriegsrat verlangt, den Blücher schroff zurückwies. Mit den „Sicherheitskommissaren" hatte er eine 326 IV. Die Befreiungskriege „Teufelsarbeit". Aber er blieb fest, wenn er sich auch die Gefahr des Unternehmens nicht verhehlte. Er „bewährte hier die großen Führereigenschaften, die ihn auszeichneten, den richtigen Blick für die Verhältnisse im Großen, die unwandelbare Festigkeit des Charakters, die kühne und großartige Gleichgültigkeit in Beziehung auf alles, was persönliche Verantwortung und überhaupt seine persönlichen Verhältnisse betraf." Am 26. September begann die schlesische Armee ihren Marsch auf Elsterwerda, während 9500 Mann vom Langeronschen Korps unter Schtscherbatow zur Deckung Schlesiens zurückblieben. Er verlief für die Hauptkräfte ungestört, da Napoleon auf den Besitz des rechten Elbufers keinen Wert mehr legte. Nur das links hinausgeschobene Korps Sacken stieß bei Großenhain und Meißen auf die Franzosen uud hatte hier am 28. September ein lebhafteres Gefecht zu bestehen. Als Übergangspunkt war anfangs Mühlberg ausersehen, wo Tauentzien früher Vorbereitungen getroffen hatte, ein alter Brückenkopf auch noch vorhanden und die Bewachung durch den Feind schwach war. Da ließ der Kronprinz durch den von Blücher vorausgesandten Generalstabsoffizier, Major v. Rühle, der sich bei ihm meldete, erklären, daß auch er jetzt zum Elbübergange bereit wäre und sogar mit Blücher vereint auf Leipzig vorgehen wolle, um die entscheidende Schlacht gegen den größeren Teil von des Kaisers Streitkräften zu suchen. Dies gebot, sich ihm mehr zu nähern, um gleich nach dem Übergange gemeinsam mit ihm handeln zu können. Der Marsch wurde also zur Elstermündung fortgesetzt, um dort überzugehen. Dem stimmten auch die Monarchen zu. Die böhmische Armee sollte ebenfalls aufbrechen und in das westliche Sachsen einfallen. Wir wissen, daß sie den Marsch bereits angetreten hatte. Jetzt kam alles in Bewegung. Wieder zeigte sich, daß in solchen kritischen Lagen immer nur der Mann fehlt, der den ersten entscheidenden Entschluß faßt, um die allgemeine Erlösung aus den herrschenden Zweifeln zu bringen. Frischen Muts und mit frohem Vertrauen auf das Gelingen ging Blücher an den Elbübergang, um — wie er seiner treuen Lebensgefährtin schrieb — „dem Herren Napoleon bey die Ohren zu kriegen". Hinter der Elbe hatte Ney mit dem Korps Bertrand bei Kemberg und Wartenburg, mit dem Korps Reynier bei Oranien- baum und Wörlitz östlich von Dessau gestanden. Auf die ersten Wahl des Übergangspunktes an der Elstermündung 327 bedrohlichen Anzeichen schob er am I.Oktober das ganzeBertrandsche Korps nach Wartenburg vor. Gerade dort aber wählte Blücher, auf Rühles Vorschlag, seinen Übergangspunkt. Ein weit nach Osten vorspringender Strombogen begünstigte bei dem Flecken Elster den Brückenschlag, nnd einige Vorbereitungen bestanden schon daselbst, weil Bernadotte, wie bekannt, bereits einmal eine Brücke hergestellt, aber beim Erscheinen der Franzosen wieder hatte abbrechen lassen. Jetzt sollte er Blüchers Unternehmen durch Bedrohung des Gegners von Aken und Roßlau her erleichtern. Der Übergang gelang auf zwei bis zum 3. Oktober früh vollendeten Kriegsbrücken, obwohl die Unterstützung durch die Nordarmee ausblieb. Es kostete aber noch einen harten Kampf, ehe die schlesische Armee drüben am westlichen Ufer festen Fuß fassen konnte. Das flache Wiesengelände im inneren Raume des Flußbogens schloß gegen Westen hin in ganzer Breite ein hoher Damm ab, vor dem ein breites und tiefes Altwasser der Elbe lag. Dahinter erhob sich Dorf und Schloß Wartenburg. Auch das Wiesengelände bis dorthin, vielfach von Gewässern durchsetzt, mit Busch und Wald bedeckt, war schwer zu durchschreiten. lassen vm^sl'senbul'q 3M 3, okwbel-1813, Skizze 35 ^ Verbündete — M Franzosen 328 IV. Die Befreiungskriege Durch die ersten Übergangsversuche aufmerksam gemacht, hatte Marschall Ney bis zum 2. Oktober das ganze Korps Bertrand bis Wartenburg vorgeschoben, und dieses, 14 000 Mann mit 32 Geschützen, erwartete die Ankömmlinge in der starken Stellung. Zuerst ging das Korps Jorck über. Drüben wurde es lebendig. Bald war es den vordersten preußischen Truppen klar, daß sie mehr Feinde vor sich hatten, als sie vermutet. Die Bewegung wurde eingestellt, um stärkere Kräfte herankommen zu lassen. Beim erneuten Vordringen stellte sich sodann heraus, daß Wartenburg auf dem geraden Wege durch verwachsenes Buschwerk, Gehölz und moorige Wassergräben nicht zu erreichen sei, sondern nur über das südlich gelegene Bleddin, wo sich die französische Stellung wieder der Elbe anschloß. Erst um 2 Uhr nachmittags konnte dieses von der württembergischen Division Franquemont verteidigte Dorf nach hartem Kampfe durch Herzog Karl von Mecklenburg genommen werden. Unter unsäglichen Mühen gelang es auch, Geschütz und Kavallerie dort vorzubringen, die geworfenen Württemberger zu überraschen, ihre Artillerie zu erobern und sie nach großem Verlust in Verwirrung vom Kampfplatze zu vertreiben. Etwa zu derselben Zeit ging es auch in der Front vorwärts, wo der Kampf solange gestanden hatte und die Franzosen sogar einen Vorstoß mit starken Kräften unternahmen. Als Bertrand Klarheit über die Vorgänge bei Bleddin gewonnen hatte, begann er seine Truppen zurückzuziehen und das nunmehr umgangene und unhaltbar gewordene Wartenburg zu räumen. Sein Rückzug folgte dem Südufer der Elbe, wo er noch einige Verluste durch Geschütze des Bülowschen Korps erlitt, die vom Nordufer über den Strom feuerten. Auch die über Bleddin vorgedrungene Reiterei griff ihn noch mit Erfolg an. Dorcks stegreiche Bataillone besetzten Wartenburg. Die Russen waren inzwischen über die Brücken bei Elster gefolgt. Auch Sacken wurde herangezogen. Der Elbübergang war erzwungen, ein schöner Erfolg vom Jorckschen Korps, freilich unter schweren Opfern errungen. 67 Offiziere, IS48 Mann betrug sein Verlust; 1000 Gefangene und 11 Kanonen, sowie 70 Munitions- und andere Fahrzeuge waren in seinen Händen geblieben. Bei der Armut Preußens an Kriegsmaterial war jede Beute solcher Art von Wert. Aber nicht in dieser unmittelbaren Siegesernte war die Bedeutung des Tages von Wartenburg zu suchen, sondern in seiner Bertrands Niederlage. Bedeutung des 3. Oktober 329 Nachwirkung auf den Gang der Dinge im großen. Blücher erkannte das sehr richtig: „Die Tropeen sind bei weitten nicht so bedeüttend als an der Katzbach aber die Vollgen deß sigs müssen groß sein denn geht alles über der Elbe und die große arins kan aus Böhmen vordringen. Der große man soll in Leipzig sein und ich werde ihm in einigen Tagen aufwahrten." Die starke Barriere war durchbrochen, auf deren Behauptung der Operationsplan Napoleons beruht hatte und die ihm als Basis für die Wiedergewinnung des Verlorenen und die Neubegründung seiner Herrschaft über Europa hatte dienen sollen. Der Felsblock kam ins Rollen, der den Bau der Fremdherrschaft in Deutschland zu zertrümmern bestimmt war. Kein Zögern, keine Bedenklichkeit in den verbündeten Hauptquartieren konnte ihn mehr aufhalten. Im alten Schlosse von Wartenburg erhob sich Blücher an diesem Abend und brachte in ergreifenden Worten den Manen Scharnhorsts, des preußischen Waffenschmiedes, seine Huldigung dar. Ein tragisches Geschick hat ihn die Erfolge seiner treuen rastlosen Arbeit nicht mehr sehen lassen. Am 28. Juni war er in dem Monarchenhauptquartier zu Gitschin an den Folgen seiner Verwundung gestorben. Sein Geist aber schwebte über der jungen preußischen Armee, für die er noch auf dem Sterbelager unermüdlich gewirkt hatte. Er lebte auch in den Männern fort, die in Blüchers Stäbe vereint waren. Sein tiefer Ernst, sein stilles inniges Pflichtgefühl, seine glühende Vaterlandsliebe, seine Selbstlosigkeit hatten sich auf sie übertragen und wirkten während des ganzen Feldzuges in ihren Herzen fort. Wieviel Blücher durch ihn gewonnen, hat der greise Feldherr oft genug persönlich anerkannt. Sein Einfluß hat auch auf dessen Gehilfen veredelnd eingewirkt, bei dem genialen, groß angelegten Gneisenau angefangen. In der gemeinsamen heiligen Sache, der sie dienten, und der ihr verklärtes Vorbild das ganze Sein geweiht hatte, fanden sie sich, trotz aller Verschiedenheiten der Charaktere, der Temperamente und der Beanlagung immer wieder zusammen. So kam es, daß eine Fülle eigenartiger Individualitäten, die hier aufeinander angewiesen waren, doch untereinander völlig einig waren. „Diese Einigkeit, dieses gegenseitige Vertrauen, diese wechselseitige Achtung und Freundschaft wird man lange vergebens suchen" — so hat Clausewitz das Wesen gekennzeichnet, das in Blüchers Hauptquartier herrschte. Dieses ist das Muster für alle späteren geworden, zumal für die- 330 IV. Die Befreiungskriege jenigen, die unsere Heere in den großen Kämpfen um Deutschlands Einigung führten. Wer den Krieg kennt, der weiß sehr wohl, daß der Geist des Oberkommandos auch der Geist des Heeres wird. Unsichtbare Fäden leiten ihn hinüber. So ward aus der schlesischen Armee von 1813 das Vorbild für die vaterländischen Heere der nachwachsenden Generationen. Bei Wartenburg wurde sogleich der Bau eines festen Lagers begonnen, das zur Stütze der weiteren Unternehmungen am linken Ufer dienen sollte. Die Armee ging südwestlich in breiter Front vor, die Franzosen wichen hinter die Mulde zurück. Am 4. Oktober begann auch der Kronprinz von Schweden bei Aken und Roslau an der Muldemündung, wo er bereits einen Brückenkopf angelegt hatte, die Elbe zu überschreiten, voran die Russen und Schweden, dann Tauentzien und Bülow. Vor Witten- berg und Torgau blieben schwache Kräfte unter Thümen und Wobeser zurück. Um dieselbe Zeit stiegen die Kolonnen der böhmischen Armee schon von den Höhen des Erzgebirges in die sächsischen Ebenen hinab. Sie erreichten am 5. Oktober Chemnitz und Zwickau. Das Netz begann sich um den Löwen zusammenzuziehen. Die grosten Tage von Leipzig Die einleitenden Bewegungen Durch den Elbübergang der schlesischen und der Nordarmee änderte sich die Kriegslage mit einem Schlage vollkommen. Die Verhältnisse vereinfachten sich. Napoleon hatte nur noch zwei feindliche Heeresgruppen sich gegenüber, die böhmische und die vereinigte schlesische und Nordarmee. Das erleichterte ihre Überwachung. Alle Entfernungen verkürzten sich. Er konnte die Gruppe, gegen die er sich wandte, schneller als bisher erreichen. Der anderen blieb nicht mehr soviel Zeit, wie früher, um in seiner Abwesenheit Vorteile gegen die sie beobachtenden französischen Kräfte zu erringen. Auch das Ausweichen bei feinem Erscheinen war den Verbündeten erschwert. Die böhmische Armee konnte sich freilich wieder ins Erzgebirge zurückziehen. Aber sie überließ dann die Nordarmee und Blücher ihrem Schicksal, und diese hatte die Elbe nahe hinter sich. Sie hätten sich schlagen müssen. Lage der Heere vor der Entscheidung 331 Auf der anderen Seite verengerte sich der Raum, den der Kaiser noch besetzt hielt, immer mehr, und die Gefahr wurde drohender, daß seine Feinde sich auf der Walstatt ihm gegenüber vereinigten. Dann wurden sie an Zahl erheblich überlegen. Seine rückwärtigen Verbindungen waren bereits auf das ernsthafteste gefährdet; 5000 Reiter wurden aus Altenburg vertrieben. General v. Thielmann ließ an der Saale und Elster kaum einen Transport für das kaiserliche Heer unangefochten durchkommen. Jede verlorene Hauptschlacht mußte unter diesen Umständen verhängnisvoll für ihn werden. Noch standen am 4. Oktober seine Hauptkräfte bei Dresden, nämlich die Garden, das 1., 11. und 14. Korps mit dem 2. Kavalleriekorps (Sebastiani), 116300 Mann und 389 Geschütze. Sie hatten im Augenblicke nur eine leichte Division des böhmischen Heeres am rechten Elbufer unmittelbar sich gegenüber, waren also frei in des Kaisers Hand zu einem wuchtigen Schlage. Die Elbe unterhalb Dresden von Meißen bis Strehla hin hielt das 3. Korps Souham, 15 900 Mann mit 61 Geschützen. Auf der nördlichen Front vor der Nord- und der schlesischen Armee stand, nach der Räumung von Wartenburg, hinter der Mulde, Neys zusammengeschmolzenes Heer, das 4. und 8. Korps zwischen Delitzsch und Bitterfeld. Napoleon verstärkte es jetzt durch den nach Düben mit dem 6. Korps und dem 1. Kavalleriekorps Latour herangerückten Marmont, und es zählte nun wieder 71300 Mann mit 203 Geschützen. Die südliche Front am Erzgebirge, von Freiberg bis Altenberg hin, hielten das 2. und das 5., sowie das freilich nur sehr schwache 8. Korps nebst dem 4. und 5. Kavalleriekorps — im ganzen 43 550 Mann mit 156 Geschützen. Leipzig war von einem schwachen Beobachtungskorps von 7200 Mann mit 22 Geschützen besetzt. Dorthin war auch Arrighi zurückgerufen worden. Zwischen Weißenfels und Naumburg standen 5000 Reiter und 6 Geschütze. Von rückwärts her kam Augereau mit 12 700 Mann und 14 Geschützen neu nach Leipzig zur Armee heran. Seine Truppen sollten das noch fehlende 9. Armeekorps bilden. (S. Skizze 36.) Leicht ist zu errechnen, daß der Kaiser, wenn er Dresden für einen kurzen Zeitraum sich selbst überließ und mit seinen Truppen von dort und von Leipzig entweder nach der Süd- oder Nord- 332 IV. Die Befreiungskriege front abrückte, auf jeder Seite ein Heer von mehr als 200000 Mann mit einer für jene Zeit gewaltigen Artillerie in wenig Tagen hätte vereinigen können. Damit war er der böhmischen Armee an Zahl zum mindesten gewachsen, der vereinigten schlesischen und Nordarmee überlegen. Seinem Genie und seinem Schlachtende 11U N 0M3M^MMLMZ, läeocsunL Xi'onpk'. von 2M>ds??8cn«s^Sri ./?05/St/ (/v/e^so^ ksi'ribui' >>/5/>?Se^, ns»>ie /I Ves5su ölücner' ^///s/v^/I ä»H IV _ «-s„//^x vll^i^ev/ «^u?ck> ^euo'/i'X-^^ »ei'sedus'gZ^M^^Miz» ^ ^>Ec>^>lZ V//s/>^Ss/^ ^/>/7S or'gsi. »/S/'/s^ ' Su/l ^>fA !; /^So/'/is 5«? 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Eine Lage, wie sie sich nach dem Elbübergange der Verbündeten herausstellte, hatte er sich längst gewünscht. Jetzt konnte ihm Blücher nicht mehr mit der gleichen Leichtigkeit ausweichen, wie vordem in Schlesien. Auf ihn also wollte er sich werfen. Aber er vermochte sich nach anfänglichem Schwanken nicht zu entschließen, alle seine Feldtruppen aus Dresden herauszuziehen und dessen Behauptung seiner Besatzung allein anzuvertrauen. Der Platz begann für ihn an Bedeutung zu verlieren, jedoch sein Eigenwillen und sein Jmperatorenstolz sträubten sich dagegen, irgend etwas aufzugeben, auf das er einmal seine Hand gelegt hatte. Er mochte mit dem Verlust der Elblinie überhaupt nicht rechnen. Das 1. und 14. Korps blieben schließlich unter St. Cyr bei Dresden zurück, obschon er in der Nacht vom 6. zum 7. diesem selber gesagt hatte: „Sicherlich werde ich eine Schlacht haben; gewinne ich sie und hätte ich nicht alle meine Truppen bei der Hand, so würde ich es bereuen. Erleide ich eine Niederlage und lasse Sie hier, so nützten Sie mir nichts in der Schlacht, und sie würden, ohne Hilfsquellen, verloren sein." Um 40 000 Mann schwächer, als es hätte geschehen können, unternahm er also den neuen Zug. In der Nacht vom 4. zum 5. Oktober hatte er die erste Kunde von dem bei Wartenburg Vorgefallenen durch Marmont erhalten, und am frühen Morgen des 5. leitete er den Stoß gegen die schlesische Armee ein. Tags darauf war alles in Bewegung, Napoleons erstes Ziel Würzen. Die gegen die böhmische Armee zurückbleibenden Kräfte des Königs von Neapel sollten sich südöstlich von Leipzig in der Gegend von Frohburg, Rochlitz und Mitt- weida zusammenziehen. „So werde ich Herr sein, zu tun, was ich will. Von Würzen kann ich mich gegen Torgau oder gegen den Feind wenden, der über Wittenberg vorgedrungen ist, oder ich kann meine ganze Armee nach Leipzig zusammenziehen und dort eine allgemeine Schlacht haben," schrieb der Kaiser für sich selber nieder. Das war die klare und einfache Art, über seine Kräfte zu verfügen, wie in den Jahren seiner besten Feldzüge — noch dachte er auch daran, alle Dresdener Truppen nach Würzen heranzuholen. 334 IV. Die Befreiungskriege Dieses sollte an Stelle von Dresden Hauptsammelplatz werden. In der Tat konnte er von dort aus sich mit Übermacht auf alles das werfen, was der Feind über die Elbe gebracht hatte, und es arg zugerichtet über den Strom zurücktreiben, um sich dann, mit Murat vereint, der böhmischen Armee zuzuwenden. Am 7. verließ Napoleon Dresden und ging über Meißen nach Seerhausen. Am 8. traf er bei Würzen ein, wo seine Armee sich versammelt hatte, aber ohne St. Cyr, der tags zuvor von Meißen aus den verhängnisvollen Befehl erhalten hatte, bei Dresden zu bleiben. In Würzen ging dem Kaiser die Nachricht zu, Blücher stände mit 60000 Mann bei Düben. Sogleich erließ er die Befehle für den 9. Oktober zum konzentrischen Vormarsch dorthin, um ihn anzugreifen. Blücher, tatsächlich 64000 Mann mit 330 Geschützen stark, war inzwischen in breiter Front langsam gegen die Mulde vorgegangen; Kavallerie hatte den Fluß überschritten. Einige Zeit sollte der böhmischen Armee gelassen werden, näher heranzukommen. Mit dem Kronprinzen von Schweden, der seinen Stromübergang vollendet hatte, wurde am 7. Oktober eine gemeinsame Operation auf Leipzig vereinbart, um das Vorbrechen der böhmischen Armee in das flache Land südlich davon zu erleichtern. Am 8. Oktober leitete Blücher den Marsch auf Leipzig ein. Sein Heer ging an die Muldestrecke Eilenburg—Bitterfeld vor, das Hauptquartier nach Düben. Rechts neben ihm, jenseits der Mulde bei Jeßnitz und Dessau, stand die Nordarmee. Beide hatten die Front nach Leipzig gerichtet. Ein Blick auf die Karte lehrt, daß der Kaiser mit großer Übermacht in Blüchers linker Flanke stand, und daß zumal das Korps Sacken, das Blüchers linken Flügel bei Mockrehna hielt, sich in großer Gefahr befand. Über Napoleons Bewegungen hatte im Hauptquartier der schlesischen Armee bis dahin ein völliges Dunkel geherrscht. Jetzt plötzlich erhellte es sich. Ein vom Ritte gegen das französische Hauptheer zurückkehrender Offizier brachte am 8. die Nachricht nach Düben, daß Napoleon von Dresden abmarschiert wäre und bei Würzen stünde. Sogleich war Blücher entschlossen, die Schlacht südlich der Elbe in seinem festen Lager von Wartenburg anzunehmen. Der Kronprinz von Schweden sollte während des Kampfes dem Kaiser in Blücher weicht hinter die Saale aus 33S die linke Flanke fallen. Den Sieg hielt er für gewiß. Aber der zögernde Bernadotte versagte seine Mitwirkung. Eine Schlacht gegen Napoleon, noch dazu mit der Elbe im Rücken, erregte seine höchsten Bedenken. Er wollte sogleich hinter den Strom zurück, oder, wenn Blücher dies ohne ernsten Kampf verweigerte, über die Saale ausweichen, um den Kaiser festzuhalten, bis die böhmische Armee heran sei. Der Gedanke des Marsches an die Saale zündete in Blüchers Seele. Er war ungewöhnlich; denn alle eigenen Verbindungen mit der Heimat wurden dabei aufgegeben. Der gesamte Troß stand noch jenseits der Elbe; er konnte unmöglich herankommen. Dafür versprach das Wagnis aber auch große Erfolge. Man warf sich auf die Rückzugslinie des Feindes. Die Aussicht auf die Möglichkeit, sich mit der böhmischen Armee zu vereinigen und des Kaisers Heer in einer großen Schlacht mit verkehrter Front zu vernichten, eröffnete sich. Mehr bedürfte es nicht, um des alten Haudegen Tatkraft aufs höchste zu entflammen. Sofort wurden die Befehle zum Abmarsch an die Saale gegeben. Das mattherzige Streben Bernadottes, jeden Zusammenstoß mit dem gefurchtsten Gegner zu vermeiden, 'gebar im Blücherschen Hauptquartier einen Entschluß, der an Kühnheit und Größe seiner Folgen dem zum Rechtsabmarsche nach der Elster gleichkam. Als am 9. Oktober Napoleons Heersäulen sich von allen Seiten Düben näherten, befand sich die schlesische Armee bereits im Marsche muldeabwärts. Mit Mühe zog sich auch Sacken von Mockrehna her, an dem schon vom Feinde erreichten Düben östlich vorüber und durch die großen Wälder nördlich dieser Stadt hindurch, zu ihr heran. Abends lagerte alles vereint am rechten Mnldeufer unterhalb Bitterfeld. Blücher war trefflicher Stimmung, wie bei jedem verwegenen Zuge. Nachdem er in der Frühe die Bewegungen eingeleitet hatte, war er den Truppen vorausgeritten, um mit seinen Windhunden Hasen zu Hetzen. Am 10. standen die schlesische und die Nordarmee zwischen der unteren Mulde und Saale. Die Verschiedenheit der Auffassung der beiden verbündeten Feldherren über den Marsch zur Saale trat aber bereits an diesem Tage deutlich hervor. Blücher wollte bei Halle am rechten Ufer bereit sein, mit der böhmischen Armee gemeinsam zu handeln, Bernadotte bei Alsleben und Bernburg hinter den Fluß gehen, um der Elbe nahe zu bleiben. Er 336 IV. Die Befreiungskriege dachte sogar an die Rückkehr auf das rechte Ufer des Stromes, wenn Napoleon von neuem Berlin bedrohen sollte. Zunächst verlangte er, daß Blücher bei Zörbig warte, um den Rückzug der Nordarmee hinter die Saale zu sichern. Eine Übereinstimmung kam auch bei einer Zusammenkunft der Feldherren nicht zustande. Der Kronprinz bestand auf dem Saaleübergange bei Bernburg und Alsleben, Blücher sollte bei Wettin den Fluß überschreiten, und der Kronprinz verhieß, dort für ihn eine Brücke schlagen zu lassen. Blücher dachte schon an eine Trennung und bestimmte Bülow, ihm nötigenfalls zu folgen. Als dann Blücher am 11. die Brücke bei Wettin nicht vorfand, selbst keine Vorbereitungen für den Bau getroffen waren, entschloß er sich kurzerhand und gab seinen Heersäulen die Richtung auf Halle. Die Würfel waren gefallen. Am 12. Oktober stand die schlesische Armee auf dem linken Saaleufer bei Halle vereinigt. Die Verbindung mit der Hauptarmee war gesichert. „Die drei Armeen stehen nunmehr derart nahe aneinander, daß ein gleichzeitiger Angriff auf den Punkt, wo der Feind seine Kräfte vereinigt hat, stattfinden kann," hatte Blücher dem Kaiser Alexander gemeldet. „Unsere schlesische Armee erwirbt sich große Verdienste," rief Gneisenau befriedigt aus. Groß war das Wagnis gewesen, sich ganz von den rückwärtigen Verbindungen loszumachen und sich dem Kampfe mit verkehrter Front auszusetzen — groß aber auch der Erfolg. Ohne das fortreißende Ungestüm der schlesischen Armee wäre es nicht zum gemeinsamen Handeln der drei verbündeten Heere bei Leipzig gekommen. Die Nordarmee befand sich am 12. Oktober bei Alsleben am linken Saaleufer. Nur das durch Napoleons Erscheinen von Dessau aufgescheuchte Korps Taueutzien war auf das rechte Elb- user nach Zerbst zurückgewichen und hatte Thümen von Witten- berg zu sich herangezogen, die Roslauer Elbbrücke aber abbrechen lassen. Inzwischen rückte auch die Hauptarmee heran, Murat langsam unter leichteren Gefechten bei Penig, Eschefeld und Frohburg, Borua, Flößen, Wethau und Stößen vor sich herdrängend. Am 10. Oktober erreichte sie mit ihren vordersten Truppen Borna und Rötha und nahm, die Streifkorps von Thielmann und Meusdorff von Westen heranziehend, mit Blücher die Verbindung auf, der am 12. schon Merseburg besetzen ließ. Hinter Die Verbündeten westlich und südlich von Leipzig 837 der Saale und südlich auf einen knappen Tagemarsch um Leipzig herum bildeten von nun an die Verbündeten einen flachen Halbkreis um des Kaisers Heer. (S. Skizze 37.) Dresden gegenüber war mittlerweile die russische Reservearmee Bennigsens eingetroffen, die ihren Weg über Kalisch und ^ VII 52 , ^luDorndniv/ssto v5/s-/^ ^u/issende^ " Assssu ^ /-/-/-S^^öttie^V ^5„/^ Xronoi?>Xt / S///S/-/^ -Lc^eokn^/ »--„^V X.. »VI ^ e-M ölückei^ "^^-^'. ^^ltzF^ vUIsi-N .. _^ 7 Subns c>/«//,/»s,o!? ^Ä?^ "^is,/-/>o/o'/'5t"s/o's me«^>77 ^>> ^ ^sS-^s^^ssa^s ^^nsbi 'M'S^"^^ s .5>>„^""^' ^Di^> d, G oltz, Kriegsgeschichte 22 338 IV. Die Befreiungskriege am 10. nachmittags in Düben eintraf und dort in dem kleinen Schlosse abgestiegen war, erkannte er, daß Blücher ihm wieder entgangen sei. Da gebar der Unmut in seiner Seele einen der schönsten Pläne, die er je gefaßt. Er wußte, daß Schwarzenberg im Anmärsche auf Leipzig war und daß das Netz seiner Gegner sich um ihn zusammenziehen müsse, wenn er sich nicht mit kühnem Ruck daraus befreite. An diesen dachte er. Er glaubte und durfte den Umständen nach glauben, daß Blücher und der Kronprinz von Schweden im Begriffe wären, vor ihm über die Elbe zurückzugehen. Beim Übergange hoffte er, sie zur Schlacht zu zwingen, sie zu schlagen und dann selbst die Elbe zu überschreiten, um seinen Marsch am rechten Ufer auf Magdeburg zu richten. Murat sollte sich inzwischen bei Leipzig zu halten suchen, aber, wenn das nicht anging, sich über Eilenburg und Düben heranziehen, um ihm ans rechte Elbufer zu folgen. Damit wäre dem Fürsten Schwarzenberg das Ziel seines Vormarsches entzogen, der Strom zwischen die französische und die böhmische Armee gelegt worden, die beiden anderen verbündeten Heere aber — so hoffte Napoleon — würde er ernsthaft geschädigt und geschwächt haben. Seine bisherigen Verbindungslinien wären darüber verloren gegangen, aber die großen Erfolge im Norden hätten ihm neue eröffnet. Dieser geniale Entwurf bedürfte nur der tatkräftigsten Ausführung, um zu geliugen. Allein daran fehlte es, des Kaisers Charakterstärke und Energie standen nicht mehr auf der Höhe seiner Erfindungsgabe. Er wurde schnell wieder unschlüssig. Am Abend des 10. Oktober erwog er die Verstärkung Murats, ja die Rückkehr nach Leipzig. Tags darauf setzte er die Bewegung zur Elbe fort. Die Einschließungsabteilung von Wittenberg wurde auf Coswig zurückgedrängt, Tauentzien zu dem übereilten Abmärsche von Dessau veranlaßt. Schrecken verbreitete sich im Hauptquartier der Nordarmee. Dort sah man den Gefurchtsten schon auf dem siegreichen Marsche nach Berlin. Der Kronprinz wollte wieder über die Elbe zurück. In der Nacht zum 12. Oktober traf jedoch in Düben die Meldung vom Marsche der schlesischen Armee nach der Saale ein, und das Unerwartete übte wie immer seine Wirkung. Die Möglichkeit, Blücher am rechten Elbufer zu schlagen, war geschwunden. Napoleon in Düben. Marsch nach Leipzig ZZ9 Der Kaiser hoffte nur noch Bernadotte dort zu treffen. Anfangs wollte er auf dem Zuge am rechten Elbufer beharren. Um 9^/2 Uhr vormittags aber fiel dieser Entschluß wieder, und er gab die endgültigen Befehle zum Abmärsche sämtlicher Korps auf Leipzig. Sein Wille war es nun, dort mit allen seinen Streitkräften eine Schlacht zu liefern. Er nahm an, daß er dazu 190000 Mann würde vereinigen können. Trotzdem dauerten die Bewegungen zur Elbe an diesem Tage noch fort. Erst am 13. mittags wurde die neue Richtung eingeschlagen, mitten in den Halbkreis der Verbündeten hinein, die ihm die einzige natürliche Rückzugslinie zum Rhein hin genommen hatten. Keine der ungünstigen Lagen der neueren Kriegsgeschichte: Ulm, Jena oder Sedan findet man gefährlicher als die seine. Der Verlust kostbarer Stunden am 10. und 11. hatte sich gerächt. Bei Leipzig stand er inmitten der Gegner „auf dem Grunde eines Trichters". Am 13. Oktober mußte sich Murat vor der andringenden böhmischen Armee weiter zurückziehen. Blücher stand noch bei Halle, der Kronprinz bei Köthen, wohin seine Neigung zur Rückkehr ans rechte Elbufer ihn geführt hatte. Napoleons Heer war am 14. in vollem Anmärsche auf Leipzig; er selbst war vorausgeeilt und traf mittags dort ein, umritt die Stadt und begab sich zu Murat, der im Gefecht stand. Das Reitergefecht von Liebertwolkwitz am ^4. Gktober IMS (Vergl. Skizze 38) Des Kaisers Entschluß zur Schlacht in den Ebenen von Leipzig hatte Murat veranlaßt, südlich der Stadt Halt zu machen, um dort Widerstand zu leisten, solange nicht eine große Übermacht sich gegen ihn entwickelte. Er nahm von der Pleiße bei Markkleeberg über Wachau hinweg bis nach Liebertwolkwitz hin Stellung, da ein Höhenzug mit weiter Übersicht dort die Verteidigung erleichterte. An der Pleiße, auf deren jenseitigem Ufer die Verbündeten schon bis nahe vor Leipzig streiften, sicherte er seine rechte Flanke. Die Reiterei der Avantgarde der böhmischen Armee traf vor Murats Stellung ein und griff übereilt an, da sie den Gegner in unaufhaltsamem Rückzüge glaubte. Murat holte Verstärkungen herbei und wehrte die Verbündeten ab. Auf beiden Seiten traten 22* Z40 IV. Die Befreiungskriege nach und nach anwachsende Kavalleriemassen mit Artillerie in den Kampf, und es entspann sich ein achtstündiges hin und her wogendes Neitergefecht — das von Liebertwolkwitz —, das größte des ganzen Feldzuges. Auf jeder Seite traten etwa 8000 Mann in den Kampf. Dann ging Murat auch mit seiner Infanterie den Verbündeten entgegen. Der Angriff kam aber bald zum Stehen, da er bereits auf überlegene Streitkräfte der Feinde stieß. Liebertwolkwitz wurde genommen und wieder genominen. Endlich räumten es auf Klenaus Befehl bei Einbruch der Dunkelheit die Österreicher, die es zuletzt behauptet hatten. Am Abend standen die Gegner nach einem Verluste von je 2000 Mann einander wieder wie am Morgen gegenüber, d. h. die Franzosen hinter den deckenden Höhen von Markkleeberg, Wachau und Liebertwolkwitz, die Verbündeten in der Linie Seifertshayn, Groß-Pößna, Güldengossa und Cröbern. Zwecklos war der Kampf begonnen und durchgeführt worden. Zur Nacht ritt der Kaiser uach Reudnitz, das damals noch außerhalb der Stadt Leipzig lag. -I- -i- 5 Am 15. Oktober ordnete er, von Murat begleitet, seine Sreit- kräfte und stellte die ankommenden Truppen in Schlachtordnung. Südöstlich Leipzig blieb Murats Heer, dort, wo es am Tage zuvor gefochten hatte, stehen. Es bildete etwa 10 Kilometer von der alten Stadt entfernt einen flachen Halbkreis um diese her: das 8. Korps, Poniatowski, nebst dem 4. Kavalleriekorps, rechts bei Markkleeberg, an die Pleiße gelehnt, links daneben bei Wachau das 2. Korps, Victor, und noch weiter östlich das 5., Lauriston. Dahinter bei Holtzhausen war jetzt schon das 9. Korps, Augereau, mit dem 5. Kavalleriekorps als erster Rückhalt eingetroffen. Bei Reudnitz standen die Garden zum Eingreifen bereit. Diese Truppenmasse, zusammen noch 96 000 Mann mit 367 Geschützen, bildete den Kern der gesamten Gruppierung um Leipzig und das Werkzeug zum ersten großen Schlage in des Kaisers Hand. Dieser glaubte noch am 15. Oktober abends die Nord- und die schlesische Armee hinter der Elbe und Saale und hatte den Entschluß gefaßt, am 16. Oktober die vermeintlich vereinsamte böhmische Armee anzugreifen. Die übrigen von der Mittelelbe zurückgekehrten Kräfte wurden bestimmt, die beiden anderen feindlichen Heere inzwischen fernzuhalten. Beiderseitige Vorbereitungen am 15. Oktober 341 Leipzig selbst blieb noch besonders von IS000 Mann mit 26 Geschützen unter Arrighi besetzt. Nordwestlich Leipzig bei Breitenfeld und Lindenthal nahmen das 4. Korps Bertrand und das 6. Marmont Stellung, bei ihnen auf dem rechten Flügel das 2. Kavalleriekorps. Dahinter stand das 3. Korps, Souham, dem freilich noch eine seiner Divisionen fehlte, das 1. Kavalleriekorps und eine Division des 3. Im ganzen waren hier nur noch 53000 Mann mit 214 Geschützen versammelt, um der schlesischen und der Nordarmee Widerstand zu leisten, wenn sie im Rücken des Hauptheeres erscheinen sollten. Nordöstlich Dresdens bei Taucha stand, bereit in die eine oder die andere Front gezogen zu werden, das 11. Korps Macdonald, noch 20 500 Mann mit 68 Geschützen. Das 7. Korps Reynier, die noch fehlende Division des 3., die Division Dombrowski und eine Division des 3. Kavalleriekorps waren erst von Düben her im Anmärsche. Auf diese 24000 Mann mit 56 Geschützen vermochte Napoleon für den 16. Oktober nicht zu rechnen. Zählt man sie mit, so verfügte er für die nun kommende Entscheidung über das Schicksal seiner Herrschaft in Deutschland und seiner Weltmachtstellung noch über 209 000 Mann mit 731 Geschützen, d. h. über mehr, als er selbst beim Aufbruch nach Leipzig gerechnet hatte. Die Verbündeten marschierten am gleichen Tage südlich, westlich und nordwestlich um des Kaisers eng versammelte Macht herum auf. Es nahte die Schlacht mit verkehrter Front, die nach menschlicher Berechnung meist nur mit der Vernichtung des einen der beiden kämpfenden Heere enden kann. Fürst Schwarzenbergs Absicht war es noch in den Tagen vor Leipzig gewesen, ganz im Stile der Zeit und der gelehrten Strategie, deren Ohnmacht Napoleons tatkräftiges praktisches Genie auf so vielen Schlachtfeldern bewiesen hatte, den Erfolg durch ein geschicktes Manöver zu erringen. Er wollte die böhmische Armee im Vorgehen mehr und mehr nach links schieben, der schlesischen die Hand reichen, dem französischen Kaiser die Verbindung mit seinen Stammlanden rauben und ihn so zwingen, die hartnäckig verteidigten Lande an der Elbe zu verlassen. Erst Murats Widerstand bei Liebertwolkwitz überzeugte ihn, daß dies Ziel nicht ohne ernsten Kampf zu erreichen sein würde. Nun entschloß auch er sich zum Angriff. Die einleitenden Bewegungen füllten den 15. Oktober aus. Die böhmische Armee bildete dabei drei Gruppen: Z42 IV. Die Befreiungskriege Rechts zwischen Partha und Pleiße standen: das österreichische Korps Klenau bei Pomssen (vgl. Skizze 36), links daneben bis gegen die Pleiße hin das preußische Korps Kleist und das 2. russische Jnfanteriekorps. Nach Güldengossa zu war das Korps Wittgenstein vorgeschoben, ebenso die russische Kavallerie unter Pahlen, hinter der vorderen Linie das russische Grenadierkorps bei Espenhain. Es waren 84000 Mann mit 434 Geschützen, die Napoleons Hauptmacht, nämlich dem verstärkten Heere Murats, gegenüberstanden, an Artillerie freilich um 77 Geschütze überlegen, an Streitern um 12 000 Mann schwächer. Die zweite Gruppe bildete das österreichische Korps Meerveldt, die österreichischen Reserven und die russisch-Preußischen Garden zwischen Pleiße und Elster. Sie war, 46000 Mann mit 43 Geschützen stark, eng um Audigast nordöstlich Pegau vereint. Schwarzen- berg und Kaiser Alexander befanden sich in ihrer Nähe zu Pegau, die beiden anderen Monarchen in Altenburg. Westlich der Elster an der großen Straße von Weißenfels nach Leipzig stand die dritte Gruppe, das österreichische Korps des Grafen Gyulai, bei dem sich die Freischaren von Thielmann und Mensdorff, sowie die leichte Division Liechtenstein befanden, im ganzen 22 000 Mann und 54 Geschütze, bei Markranstädt und Lützen. Weiter rückwärts traf Graf Colloredo, später als die übrigen Korps aus seinen Stellungen vor Dresden abberufen, mit 20 000 Mann und 48 Geschützen bei Penig ein, zwei starke Tagemärsche südöstlich Leipzig. Auf sein Eingreifen war für den 16. Oktober nicht zu rechnen. Dagegen stand die schlesische Armee der böhmischen nahe zur Seite. Blücher hatte allen Aufforderungen des Kronprinzen von Schweden, hinter die Elbe zurückzukehren, widerstanden und war am 13. Oktober bei Halle geblieben, während jener nach Köthen zurückmarschierte. Am nämlichen Tage wurde vou der schlesischen Armee stark gegen Leipzig erkundet und in Erfahrung gebracht, daß bedeuteude Kräfte des Feindes sich dort zusammenzögen. Am 14. folgte die sichere Nachricht vom Abmärsche Napoleons auf Leipzig. Tags darauf rückte Blücher bis in die Gegend vou Schkeuditz vor, ließ aber zur näheren Verbindung mit dem linken Flügel des böhmischen Heeres den General St. Priest von Merseburg südlich der Elster nach Güntersdors marschieren. So Napoleons gefährdete Lage 343 stand seine ganze Armee, über 60000 Mann stark, westlich Leipzig znr Teilnahme an der Schlacht bereit. Weniger tat der Kronprinz für die gemeinsame Sache, obschon ihm Blücher die wichtige Nachricht sogleich mitgeteilt hatte. Zwar gab er den Gedanken des Abmarsches hinter die Elbe jetzt auf, aber er ließ sich nicht bewegen, wie Blücher es wünschte und vorschlug, geradeswegs über Bitterfeld auf Leipzig zu marschieren, sondern setzte sich — mit dem schwedischen Korps zur Rechten, mit dem preußischen Bülows zur Linken — hinter die schlesische Armee. So war er am 15. abends mit seinen 66000 Mann noch 40 bis 50 Kilometer von Leipzig entfernt und konnte am folgenden Tage nicht eingreifen. Um das Bild zu vervollständigen, muß noch erwähnt werden, daß auch von Bennigsens Reservearmee der größere Teil, 43 000 Mann mit 148 Geschützen, bis Waldheim heranrückte, während nur der geringere und weniger brauchbare unter Tolstoy vor Dresden blieb, dort aber weiterhin die beiden französischen Korps 1. und 14., Lobau und St. Cyr, fesselte. Napoleons Eigenwillen rächte sich bitter. Der Befehl zur Räumung Dresdens war noch gegeben worden, aber zu spät. Diejenigen französischen Kräfte, welche am ehesten bereit gewesen wären, auf dem entscheidenden Schlachtfelde das Gleichgewicht einigermaßen herzustellen, blieben fern. Verwegen drang er mit seinem viel schwächeren Heere in die Mitte des weiten Kreises vor, den 340000 Feinde um ihn bildeten. Ein Ausweg schien unmöglich, und wäre es auch für jeden Feldherrn von gewöhnlichem Maße geworden — nur für ihn nicht. Die Völkerschlacht ^6. Oktober ^3. ^. Tag (S. Skizze 38) Am 16. Oktober früh begann er den Angriff. Murat hielt zunächst seine alte Stellung an der Pleiße zwischen Connewitz und Markkleeberg mit dem 8. Korps und dem 4. Kavalleriekorps, bei Wachau mit dem 2. und bei Liebertwolkwitz mit dem 5. Korps und dem 5. Kavalleriekorps. Gegen Wachau rückte die Garde und das 1. Kavalleriekorps, hinter Liebertwolkwitz das 9. Korps zum Stoße heran. Das 11. sollte von Taucha über Seyffertshayn an 344 IV. Die Befreiungskriege l)ie 5ckl3Ltis voll l.eiv?i s I.Isc? 3m 16. Möbel-M3. ^ vslmss t7U III) e-zi^/s/-/ ^ Mfoui-mer-l^uZ) ^ . V ^Fvombi'owski ^^^?Zer-on ^ „ 5sc^^, ..-s X 5!>ffk'ivsf ^/>?-7iS/?/^S^ ______« Vol-c>jl Franzosen. Die Stellungen am Morgen sind bet beiden Parteien schraffiert angegeben 356 IV. Die Befreiungskriege der Mitte rückte Barclay mit den vereinigten Truppen von Gort- schakow, Pahlen, dem Prinzen Eugen von Württemberg und Kleist gegen Liebertwolkwitz und Wachau heran. Der Erbprinz von Hessen-Homburg wandte sich wiederum, an der Pleiße entlang, gegen Dösen und Dölitz. Die russisch-Preußischen Garden und das Grenadierkorps folgten Barclay. Von Norden kam nun endlich auch der Kronprinz von Schweden heran. Blücher hatte auf sein ausdrückliches Verlangen ihm sür diesen Tag die russischen Korps Langeron und St. Priest abgetreten, um ihn zum Eingreifen auf der Nordostseite des ausgedehnten Kampfplatzes zu bewegen. Das war gewiß ein Beweis von Selbstlosigkeit, wie die Geschichte deren nur wenige aufzuweisen hat; denn heute galt es ewigen Ruhm vor der Nachwelt zu erwerben, und wer möchte an solchem Tage nicht so stark als möglich sein. Aber Blücher stellte das allgemeine Wohl hoch über das eigene Interesse, und die Geschichte hat ihn dafür belohnt. Sie sieht in ihm und nicht in Bernadotte den Helden von Leipzig. Dieser sollte mit seinem verstärkten Heere die Partha überschreiten und sich zwischen die schlesische und die böhmische Armee einschicken. Dort hatte er dann zu beiden Seiten der Tauchaer Straße gegen Leipzig vorzugehen, während Blücher mit den ihm verbleibenden zwei Korps zwischen Gohlis und der Partha auf seinem bisherigen Gefechtsfelde die Stadt von der Nordseite angreifen wollte. Er und Gneisenau waren der besten Hoffnung. „Wenn nicht große Fehler gemacht werden, sind wir Sieger" schrieb dieser an seine Frau. Gyulai blieb am linken Elsterufer. Er sollte von Klein-Zschocher auf Lindenau vorgehen. Im ganzen setzten sich 295 000 Mann mit 1466 Geschützen zum gemeinsamen Angriff in Bewegung. Die Monarchen verfolgten ihn von der Anhöhe bei dem Vorwerk Meusdorf aus, die heute als „Monarchenhügel" bezeichnet wird und die eines der Denkmäler zur Erinnerung an die Völkerschlacht trägt. Die Nordarmee hatte zunächst einen Flankenmarsch hinter Blücher her zu machen; auf ihre Teilnahme am Kampfe war erst im weiteren Verlaufe des Tages zu rechnen. Südlich von Leipzig begann der Kampf schon am Morgen. Er nahm dort eine unerwartete Wendung. Der Prinz von Hessen- Homburg fand bei den Lösniger Teichen einen so heftigen Wider- Allgemeiner Angriff der Verbündeten 357 stand, daß er nicht mehr vorwärts kam. Napoleon, der auf die Behauptung seines rechten Flügels an der Pleiße begreiflicherweise hohen Wert legte, sandte eine Division der jungen Garde unter Oudinot dorthin, und die Franzosen gingen nun sogar zum Angriff über. Das veranlaßte Schwarzenberg, nicht allein zwei russische Gardedivisionen zu des Prinzen Unterstützung abzusenden, sondern auch Gyulai nach Cröbern heranzurufen. Dessen Stellung bei Klein-Zschocher hatte Bertrand, begünstigt durch den in den Morgenstunden herrschenden Nebel, soeben durchbrochen. Auf diese Art wurde Napoleons einzige Rückzugslinie über Lindenau wieder frei. Bei Cröbern kam Gyulai nicht mehr zur Verwendung, da der Kampf eine günstigere Wendung genommen hatte, wenngleich er ohne Entscheidung noch den Tag über fortdauerte. Wenig mehr als 20 000 Franzosen behaupteten sich auf dem rechten Flügel der Schlachtstellung gegen die Übermacht der Verbündeten. Inzwischen fand Barclay Liebertwolkwitz und Wachau von den Franzosen geräumt, dafür aber das von festen Lehmmauern umgebene Probstheida zur hartnäckigsten Verteidigung eingerichtet. Auf den umgebenden Höhen war eine starke französische Artillerie vereinigt, die den Dorfrand zum Teil durch seitliches Feuer zu schützen vermochte. Eine Gardedivision war herangerückt, um diese Artillerie zu decken und den Rückhalt für den rechten Flügel zu bilden. Barclay entschloß sich, erst dann anzugreifen, wenn die Truppen rechts und links auf die gleiche Höhe mit den seinen gekommen wären. Um 2 Uhr nachmittags erhielt er jedoch, wie es scheint von Kaiser Alexander, den Befehl, zum Sturme auf die starke Stellung zu schreiten. Er ward indessen von den unter den Augen des Kaisers mit Ausdauer und Standhaftigkeit fechtenden Franzosen, nach heftigem hin und her wogendem Kampfe, abgewiesen. Zweimal waren die Preußen vom Kleistschen Korps, die Mauern übersteigend, einmal die Russen des Herzog Eugen von Württemberg eingedrungen und hatten sich des Dorfes bemächtigt. Jedesmal wurden sie durch frische französische Truppen wieder hinausgeworfen. Die Monarchen sahen am Ende die Nutzlosigkeit weiterer Anstrengungen ein und befahlen, statt die hinter Meusdorf untätig stehenden Garden heranzuziehen und die Entscheidung zu erzwingen, die Einstellung der Angriffe. Barclay zog seine Truppen hierauf aus dem Kartätschfeuer zurück und beschränkte sich fortan auf eine lebhafte Kanonade, um den Feind wenigstens 358 I V. Die Befreiungskriege festzuhalten und Entsendungen nach anderen Teilen des Schlachtfeldes zu verhindern. Denkwürdig wird der Kampf um Probstheida immer bleiben durch die Hartnäckigkeit und Bravour der Truppen, die um den Besitz des Ortes stritten. Die rechte Flügelkolonne hatte mittlerweile ihre große Umfassungsbewegung ausgeführt, aber den Feind, den sie umklammern wollte, gleichfalls nicht mehr vorgefunden. Alsbald ging sie weiter gegen die neuen rückwärtigen Stellungen der Franzosen vor. Holtz- hausen und Zuckelhausen, später auch Zweinaundorf, wurden leicht genommen. An Stötteritz aber brach sich der Angriff. Die leichte Division Bubna holte weiter nördlich aus und trat bei Paunsdorf in den Kampf. Neys Heeresabteilung stand bis dahin noch unberührt nordöstlich Leipzig. Bernadottes Anmarsch verzögerte sich außerordentlich. Er hatte den Umweg über Taucha gewählt; Marschstockungen hielten ihn noch mehr auf. Ungeduldig ließ Blücher, der vom Gyps- berge bei Mockau aus die Bewegungen der Heere beobachten konnte und die Schlacht sich entwickeln sah, das Korps Langeron zunächst allein durch die Partha gehen. Um 11 Uhr stand es bei Abtnaun- dvrf bereit. Erst gegen 2 Uhr kam aber zu seiner Linken die Nordarmee heran. Jetzt schritt es zum Angriff. Vor ihm hielten die Franzosen Schönefeld stark besetzt. Der Kampf um das Dorf dauerte unentschieden fort, bis auch die Nordarmee eingriff und sich gegen Schönefeld und Paunsdorf wandte. Auf dem linken Flügel befand sich Bülows Korps, das Paunsdorf stürmte. Der größere Teil der dort stehenden sächsischen Division vom 7. französischen Korps, freilich nur noch 3000 Mann und 19 Geschütze stark, trat auf die Seite des Siegers über und wurde mit lautem Jubel empfangen. Die Verbindung mit Bubna war aufgenommen, der Kreis um die Franzosen hatte sich bis auf den einen engen Ausweg bei Lindenau geschloffen. Von der Partha bis zur Pleiße bildeten die Verbündeten eine zusammenhängende Schlachtlinie. Napoleons Lage begann verzweifelt zu werden. Ein großer Kavallerieangriff gegen die Nordarmee, an den er dachte, unterblieb zuletzt. Um 6 Uhr abends fiel Schönefeld, Bülow stürmte Seller- hausen und Stüntz. Nördlich von Leipzig nahm Blücher das Vorwerk Pfaffendorf und drang gegen die Stadt vor, erreichte sie aber nicht, da der Der Ausweg zur Saale bleibt den Franzosen offen 359 Kaiser dem General Dombrowski noch eine Gardedivision zu Hilfe gesandt hatte. Dessen Widerstand völlig zu brechen gelang nicht. An einem langen Sommertage wäre die französische Armee wohl verloren gewesen; die früh hereinbrechende Dunkelheit des 18. Oktober wendete ihre völlige Niederlage ab. Im Süden und Osten von Leipzig behauptete sie sich noch mit großer Zähigkeit; die Rückzugslinie durch Leipzig blieb in ihrer Gewalt; den einzigen Ausweg zur Saale hatte sie sich freigemacht. Bleiben, wo sie war, konnte sie allerdings nicht; das wäre ihre völlige Vernichtung gewesen. Der Kaiser gab seine Sache in Deutschland auf. Er mußte sie aufgeben und ordnete den Rückzug an. ^9. Vktober. Die Erstürmung der Stadt Leipzig Macdonald sollte den Abmarsch mit dem 8. und 11. Korps decken und Leipzig noch einen Tag lang bis zum Abend des 19. Oktobers halten. Schwarzenberg glaubte des Morgens noch an einen harten Strauß für diesen Tag. Mit dem Morgengrauen sollten alle ihre Streitkräfte auf dem Schlachtfelde bereitstehen und in fünf großen Kolonnen vorrücken, wenn der Feind zurückginge, „weil erst nach Einnahme der Stadt Leipzig der Sieg als entschieden zu betrachten". Bertrands Abmarsch war jedoch vom Kampfplatze aus beobachtet worden. Die Verbündeten schlössen daraus auf den bereits begonnenen Rückzug des Feindes. Bald drängten sie von allen Seiten heran. Um 10 Uhr standen sie zum Sturme bereit. Dann folgte noch eine halbstündige Pause, die mit Verhandlungen über die Räumung Leipzigs verloren wurde. Gegeu 11 Uhr nahm der Kampf seinen Fortgang. Hartnäckig verteidigten die Franzosen erst die Stadtränder und Tore; doch ward zuerst durch die Ostpreußen das Grimmaische, bald danach durch Pommern und Russen das Spitaltor gestürmt. Unter erbitterten: Häuserkampfe arbeiteten sich die Angreifer sodann in Straßen und auf Plätzen vorwärts, und am frühen Nachmittage war Leipzig in ihrer Hand, wo sie noch an 12 000 Mann von Reynier, Lauriston und Poniatowski zu Gefangenen machten. Um 1 Uhr nachmittags hielten Kaiser Alexander, König Friedrich Wilhelm III. und Fürst Schwarzenberg ihren Einzug. Der Abfluß der französischen Heerestrümmer hatte zuletzt durch eine einzige Straße erfolgen müssen. Zum Unheil für die letzten Truppen war die Sprengung der 360 IV. Die Befreiungskriege Elsterbrücke voreilig erfolgt, als Infanterie vom Sackenschen Korps in den auf der Nordwestseite von Leipzig gelegenen Park Rosental eindrang und den zu den Brücken führenden Steindamm beschoß, der mit marschierenden Truppen bedeckt war. 5 >>- s Die Franzosen verloren in den Tagen von Leipzig an Toten, Verwundeten, Gefangenen, Versprengten und zu den Verbündeten übergetretenen Abteilungen im ganzen 73 000 Mann, ferner 325 Kanonen, 900 Munitionswagen, 23 Adler und Fahnen sowie zahlreiches Kriegsmaterial aller Art, die Verbündeten büßten an 54000 Mann ein. Ihr Verlust an Toten und Verwundeten überwog den der Franzosen, wie es bei ihrer Rolle als Angreifer natürlich erscheint. Mit dem Rückzüge des Kaisers waren aber auch St. Cyrs Heer, Davouts Korps und alle die starken Festungsbesatzungen verloren, die noch an der Weichsel und der Elbe standen. Das Ende ihres Widerstandes war nur eine Zeitfrage, obschon Napoleon noch in der letzten Nacht, die er in Leipzig verbrachte, phantastische Pläne für die Fortsetzung des Krieges erwogen hatte, bei denen sie eine große Rolle zu spielen berufen waren. Als eine wunderbare Laune des Schicksals erscheint es, daß der Erfolg des letzten Schlachttages, abgesehen von Blüchers hochherzigem Entschluß, einen Teil seines Heeres an Bernadotte abzutreten, dem Eingreifen der so lange zaudernden Nordarmee zu verdanken war. Freilich hatte dabei Bülows unaufhaltsames Vordringen das meiste getan. -p » Von dem Schlage von Leipzig und seinen Nachwirkungen konnte sich des großen Eroberers Macht nicht mehr erholen. Der Hauptsache nach war das Drama zu Ende, wenn auch das Nachspiel noch mancherlei Wechselfälle und Rückschläge brachte. Das materielle Übergewicht der Verbündeten war zu groß geworden, um durch das Genie eines Einzigen ausgeglichen zu werden. Zudem waren seine Gegner mit ihren Aufgaben und Erfolgen gewachsen, vor allen Dingen Blücher, der ihm an Kühnheit der Entschlüsse nnd an Tatkraft in der Ausführung nicht mehr nachstand. Die unmittelbaren Folgen der Völkerschlacht 361 Napoleons Rückzug hinter den Rhein Am 19. Oktober um 9 Uhr früh verließ Napoleon Leipzig und bemühte sich, bei Lindenau in die fliehenden Massen Ordnung zu bringen, die sich unter dem Nachdrängen der Verbündeten mehr und mehr gelöst hatten. Das Durcheinander von Truppen, Geschützen und Fahrzeugen war am Ende ein unentwirrbares. Hätte Fürst Schwarzenberg rechtzeitig oberhalb Leipzig verfügbare Reserven über die Elster gehen lassen, so wäre nur wenig von der ehemaligen „großen Armee" davongekommen. Kaiser Alexander hatte am 18. Oktober abends zu Ende der Schlacht darauf gedrungen, dem geschlagenen Feind den Rückzug zu verlegen, und möglich war dies; denn an frischen Truppen fehlte es nicht. Vielleicht wäre dadurch verhütet worden, daß ein neuer blutiger Feldzug nötig wurde, Napoleon völlig niederzuwerfen. Aber es unterblieb, und noch fünf Monate unerhörter Anstrengungen und verlustreicher Kämpfe wurden erforderlich, um die Verbündeten ans Ziel zu bringen. Von Lindenau setzte der Kaiser seinen Weg nach Markranstädt fort und verteilte seine ankommenden Truppen rings um diese Stadt, sowie nach rückwärts bis Weißenfels hin, wo Bertrand bereits stand. Dort lagerten sie in der Nacht zum 20. Oktober fast auf denselben Feldern, auf denen sie im Frühjahr nach der russischen Katastrophe zum ersten Male mit dem neuen Feinde zusammengestoßen waren. Oudinot hielt mit der Nachhut bei Lindenau. Die Verbündeten blieben in und bei Leipzig. Nur das Korps Jorck, das schon am Abend vorher zur Verfolgung aufgebrochen war, stand bereits bei Halle und Merseburg. Am 20. ging der französische Rückzug auf Freyburg an der Unstrut. Oudinot, der Lindenau schon vor Tagesanbruch verließ, erreichte am Abend Weißenfels. Des Kaisers Besorgnis war, von Kösen her umgangen zu werden. Am 21. mußte Bertrand daher auf den Höhen bei Neu-Kösen an der Saale aufmarschieren, während das geschlagene Heer, noch 80—90 000 Mann stark, durch Freyburg über die Unstrut nach Eckartsberga zog, wo fast genau sieben Jahre zuvor der Waffenruhm der alten preußischen Armee zugrunde ging. Bertrand behauptete sich bis zum Abend gegen Gyulais Angriffe und folgte dann der Armee. Am 22. wurde Buttelstädt, am 23. Erfurt erreicht. Von 362 IV. Die Befreiungskriege dort ging der weitere Rückzug auf der großen Hauptstraße über Gotha, Eisenach und Fulda dem Rheine entgegen. Blücher hatte die Saale am 21. Abends zu Weißenfels auf einer Kriegsbrücke überschritten, die als Ersatz für die von den Franzosen verbrannte stehende Brücke geschlagen worden war. Er traf am 22. bei Freyburg ein, wo er sich mit Aorck wieder vereinigte, der tags zuvor dort ein lebhaftes Gefecht gegen den abziehenden Gegner bestanden hatte, das ihn noch 17 Offiziere, 827 Mann kostete, ihm aber auch 400 Gefangene und 3 erbeutete Geschütze eintrug. Da er die Nnstrutbrücken zerstört fand, bog er nördlich über Sömmerda und Langensalza aus, während Schwarzenberg südlich über Weimar folgte. So sollte der Kaiser, wenn er versuchte, hinter Erfurt neuen Widerstand zu leisten, sogleich auf beiden Flügeln umfaßt werden. Allein noch waren die Franzosen nicht imstande, an eine abermalige Aufnahme des Kampfes zu denken. Sie konnten es um so weniger, als bei Erfurt höchstens noch 70—80 000 Mann zusammenkamen, Bayern sich jedoch am 8. Oktober bereits durch den Vertrag von Ried von Frankreich getrennt und ihm am 14. Oktober den Krieg erklärt hatte. Von Süden her rückte Wrede mit einem aus Bayern und Österreichern gebildeten Heere über Rothenburg und Würzburg gegen die französische Rückzugslinie heran. Rastlos blieb Napoleon daher in der Bewegung. Als Blücher am 25. bei Langensalza, Schwarzenberg vor Weimar eintraf, hatte der Kaiser diese Stadt schon tags zuvor verlassen. Am Hörselberge und bei Eichrodt kam es den 26. Oktober noch zu Verfolgungsgefechten. Dann riß die enge Fühlung mit dem Feinde wieder ab. Die Märsche, „teils auf sehr schlechten Bergwegen, teils über aufgeweichte Tonäcker" waren außerordentlich mühselig geworden. Die Lagerplätze wurden von vielen Soldaten nicht mehr erreicht, die ankommenden aber sanken „ohne Gefühl für Nahrung" todmüde um. „Der 26. Oktober war der letzte, aber auch der schlimmste dieser schlimmen Tage." Die Verbündeten gaben die Hoffnung auf, den Feind noch zu erreichen. Blücher wurde von Eisenach aus die Richtung auf Coblenz angewiesen, um die geschlagene Armee abzufangen, wenn sie vor den Bayern etwa dorthin ausbiegen sollte. Schwarzenberg folgte, nachdem er erfahren, daß der Feind nicht auf Coblenz zurückgehe, gemächlich in mehreren Kolonnen durch den Thüringer Wald auf Hanau. Bedrohung des Rückzuges durch Wrede 363 Die Schlacht von hanau am 30. und S^> Oktober 1.31,3 (S. Skizze 40) Bei Hanau traf am 29. Oktober General Graf Wrede mit etwa 30 000 Mann ein und stellte sich nordöstlich der Stadt am rechten Kinzigufer quer über die Anmarschstraße der Franzosen auf, einen Die 8csil3clü von K°m3u sm 3v.u,31. Wobei-1313. Skizze 40 ^ Verbündete — A Stellungen der Verbündeten am 30. Oktober — v—k Reserven am 30. Oktober — lZ Streifkorps Mensdorff und Kasaken am 30. Oktober — 0—0 Besatzung der Stadt am 30. Oktober — L Stellungen während der Nacht vom 30. zum 31. Oktober — M Franzosen — a Anmarsch am 30. Oktober — b—t> Entwickelung zum Angriff am 30. Oktober, XI Korps Macdonald, ll Victor, 2 u. 5 Kavallertekorps — v, v Abmarsch am 31. Oktober 364 IV. Die Befreiungskriege großen Wald — den Lamboywald — vor der Front. Nur die Vorhut war über diesen hinausgeschoben, ward aber am 30. Oktober durch den zuerst eintreffenden Macdonald sofort zurückgetrieben, so daß sich des Kaisers weitere Maßnahmen dem Blicke Wredes entzogen. Der Kaiser, in dem an diesem Tage die alte Energie wieder aufflammte, war sofort entschlossen, das Hindernis nicht etwa zu umgehen, sondern zu durchbrechen. Nur Bagagen und Parks wurden unter Bedeckung einer Kavalleriedivision auf Umwegen nach Frankfurt a/M. vorausgeschickt. Mit den Korps von Macdonald und Victor, den alten Garden — allerdings zusammen nur noch 9000 Gewehre — sowie dem 2. und 5. Kavalleriekorps und der schweren Gardekavallerie — an 6000 Pferde — nebst der Reserveartillerie griff er an. Als er den Wald durchschritten hatte, sah er sich durch eine starke Artillerielinie vor Wredes Schlachtstellung aufgehalten. Macdonalds Infanterie wich wieder in den Wald zurück, wo diejenige Victors sie aufnahm. Die Bayern und Österreicher folgten. Ein stehendes Feuergefecht entspann sich. Die Versuche, den Feind zu werfen, mißlangen. Da ließ Napoleon dem linken feindlichen Flügel gegenüber zwischen der Gelnhauser Heerstraße und dem Fallbach unter dem Schutze einiger Gardebataillone eine Batterie von 50 Geschützen vereinigen und nahm ihn in bestreichendes Flankenfeuer. Hinter der Artillerie sammelte sich die Kavallerie der Garde und das 2. Kavalleriekorps, um über den Feind herzufallen, sobald die Artillerie, die nach einiger Zeit die Oberhand über die bayerische gewann, hinreichend gewirkt haben würde. Wrede, um sich von dem immer stärker werdenden Druck zu befreien, und um seiner Artillerie das Abfahren zu ermöglichen, führte gegen 3 Uhr nachmittags seine Kavallerie vor. Doch Napoleon hatte die seine schon in der Mitte gesammelt und warf die bayerisch-österreichische nach hin und her wogendem Kampfe zurück. Jetzt ward auch die Mitte der Verbündeten, die inzwischen gegen den Lamboywald vorgegangen war, zum Weichen genötigt und von den schnell nachfolgenden Franzosen gegen die Kinzig gedrängt, wo mehrere hundert Mann, bei dem Versuche, sich durch den angeschwollenen Fluß zu retten, in den Gewässern umkamen. Um den Rückzug des linken Flügels und der Mitte zu erleichtern, ließ Wrede den rechten Flügel vorgehen. Es gelang diesem auch, den Feind nochmals in den Wald zurückzuwerfen, aber der Erfolg war nur vorübergehend. Um S Uhr nachmittags schritten die Napoleon durchbricht Wredes Schlachilinie 365 Franzosen zum allgemeinen Angriff, Wredes Schlachtlinie sprengend. Das nördliche Kinzigufer mußte geräumt werden. Dabei gestaltete sich der Rückzug über die einzige zur Verfügung stehende Lamboy- brücke sehr schwierig. Auch hier ertranken viele Mannschaften, die durch die Kinzig an das Südufer zu gelangen suchten. Die Verbündeten gingen schließlich an der Aschaffenburger Straße bis hinter den Lehrhof zurück, hielten aber Hanau noch schwach besetzt. Oberhalb der Stadt behaupteten die Bayern sich die Nacht hindurch an der Kinzig. Der Weg für den Rückzug war frei und Napoleon zögerte nicht, den Marsch noch in der Nacht fortsetzen zu lassen, nachdem er seinen Truppen einige Stunden Ruhe gegönnt hatte. Am Morgen des 31. Oktober wurde auch Hanau, das der Kaiser lebhaft mit Granaten beWerfen ließ, von Wrede geräumt. Bertrand besetzte die Stadt zum Schutze der nach Frankfurt a/M. nördlich vorüberführenden Straßen, Marmont stellte sich an der Lamboybrücke auf, um den Vorbeimarsch der noch von rückwärts herankommenden Heeresteile zu schützen. Um 11 Uhr vormittags verließ Napoleon die Gegend von Hanau und beauftragte Marmont den Marsch der Armee weiterhin durch die Behauptung von Hanau zu decken. Bis zum Abend des 31. blieb der Marschall auch dort stehen, obwohl er sich am Nachmittage gegen heftige Angriffe des wieder vorgehenden Wrede hatte wehren müssen. Dieser drängte in richtiger Erkenntnis sofort wieder nach, als er Napoleons Abmarsch bemerkte. Die Lamboybrücke bestürmte er vergeblich, indes gelang es ihm, die Stadt zu nehmen, so daß er bis zur Kinzigbrücke an der Frankfurter Straße herankam. Dort stockte der Angriff. Marmont folgte in der Dunkelheit seinem Gebieter auf Frankfurt, nachdem er kurz zuvor uoch einen energischen aber vergeblichen Vorstoß gegen die Kinzigbrücke geführt hatte. — Die Verluste in den Kämpfen der letzten Tage waren sehr groß. Sie betrugen auf feiten der Verbündeten 197 Offiziere und 9087 Mann. Sie werden bei den Franzosen nicht geringer gewesen sein. Wrede selbst war am Nachmittage des 31. nach Wegnahme der Stadt an der Kinzigbrücke schwer verwundet worden. Die dadurch entstandene Verwirrung hatte viel dazu beigetragen, daß der Angriff nicht fortgesetzt wurde. Am 2. November kehrte Napoleon mit der Armee bei Mainz über den Rhein zurück. Sein Fuhrwesen hatte er auf den Umweg über Coblenz verwiesen. 366 IV. Die Befreiungskriege Bertrand blieb als Nachhut bei Hochheim stehen. Bei Hanau hatte Napoleon sich noch einmal glücklich durchgeschlagen und einen letzten nicht unerheblichen Erfolg auf deutschem Boden davongetragen. Die Auflösung aber war trotzdem weiter fortgeschritten. Nicht weniger als S Generale, 230 Offiziere und etwa 10 000 Mann waren während der letzten Tage als Gefangene in die Hände der Verbündeten gefallen. Die Ereignisse an der Nieder-Llbe. Wir haben nachzuholen, was seit dem Waffenstillstände in Nieder-Deutschland geschehen war. Nach den Trachenberger Entwürfen sollte der Kronprinz von Schweden ein selbständiges Korps bereitstellen, um den an der unteren Elbe stehenden Feind — Franzosen und Dänen — festzuhalten und der Nordarmee den Rücken zu decken. Den Befehl über dieses Korps erhielt der englisch-russische Generalleutnant Graf Wallmoden, dem Clausewitz, der bekannte Kriegsgelehrte, als Generalstabschef beigegeben wurde. Es zählte an 27 000 Mann, darunter viel Kavallerie; doch mußten gleich 6400 Mann an General v. Vegesack abgegeben werden, der nötigenfalls das schwedische Pommern sichern sollte und halb unabhängig gemacht wurde. Die Wallmoden unmittelbar verbliebene Streitkraft erschien einem Davout gegenüber schwach. Es kam aber noch hinzu, daß ein Teil der Truppen sich erst in der Bildung befand und daß sie sich aus Russen, Briten, Schweden, Deutschen und herbeigeeilten Fremden zusammensetzten, die der gemeinsame Haß gegen Napoleon vereinigt hatte. Manche Abteilungen waren zu Beginn vor dem Feinde kaum verwendbar. Zu Ende des Waffenstillstandes hatte Wallmoden zwischen Travemünde und der Elbe hinter Trave und Stecknitz Aufstellung genommen. Ihm gegenüber bei Bergedorf an der Elbe stand Davout mit 33 000 Mann an Truppen ähnlicher Beschaffenheit. Hamburg, das eine eigene Besatzung hatte, und Lübeck waren von ihm befestigt worden, Travemünde gegen Handstreich geschützt. Mit Ablauf des Waffenstillstandes, am 17. August überschritt der französische Marschall bei Lauenburg und Buchen unter glücklichen Gefechten die Stecknitz und ging auf Schwerin vor, das er am 23. August erreichte. Ehe er energisch handelte, sollte er entscheidende Nachrichten von Oudinot abwarten, und diese kamen Wallmoden und Davout 367 nicht; denn gerade am 23. wurde Oudinot bei Gr.-Beeren geschlagen. So blieb Davout also bei Schwerin und Wismar stehen. Wallmoden war auf Neustadt, Vegesack auf Rostock zurückgewichen. Das Gefecht an der Göhrde am ^6. September ^8^3 Infolge der Nachricht von Oudinots Niederlage räumte Davout Schwerin und ging am 3. September auf Ratzeburg zurück, wo er sich östlich der Stadt verschanzte. Wallmoden schloß daraus auf des Marschalls Absicht, zur großen Armee an die mittlere Elbe abzumarschieren und ging nach Dömitz vor. Als er erfuhr, daß General Pecheux mit einer schwachen Division wirklich die Elbe überschritten habe, ging er gleichfalls über den Strom und lagerte bei Dannenberg. Pecheux stand in Lüneburg, ging aber weiter gegen die Göhrde vor, um die von Streifparteien unterbrochene Verbindung mit Magdeburg wiederherzustellen. Obgleich Wallmoden gewärtigen konnte, daß Davout ihm den Rückweg verlegen würde, ging er Pecheux dennoch schnell entgegen, griff ihn am 16. September nachmittags aus dem Göhrdewalde heraustretend, mit Überraschung an, warf ihn trotz energischen Widerstandes auf einer günstig gelegenen Höhe bei Lüben über den Haufen und nahm ihm seine 6 Geschütze, einen Adler sowie einige hundert Gefangene ab. Pecheux büßte im ganzen 1500 Mann ein; 1500 retteten sich wieder über die Elbe. Wallmodens Verluste beliefen sich auf nur 32 Offiziere und 526 Mann. Wenn das Gefecht an der Göhrde auch nur von verhältnismäßig geringem Umfange war und der Sieg bei der großen Überlegenheit der Verbündeten keinen Augenblick zweifelhaft sein konnte, so machte es doch einen außerordentlichen Eindruck in weiten Kreisen. Der Glaube an die Unbesiegbarkeit der Franzosen schwand auch auf dem nördlichen Kriegsschauplatze. Der Geist des Widerstandes wurde in ganz Niederdeutschland neu belebt. Freier bewegten sich die Streifkorps der Verbündeten am linken User der unteren Elbe. Hamburg wurde ein vereinsamter französischer Posten, als Tettenborn die schwachen, noch am linken Elbufer zurückgebliebenen französischen Abteilungen über den Strom scheuchte. Nur Harburg blieb von ihnen besetzt. 5 » 368 IV. Die Befreiungskriege Davout hatte am 16. September während des Gefechts an der Göhrde bei Lanenburg erkundet, sonst aber nichts gegen Wall- modens geringe, am rechten Ufer verbliebenen Streitkräfte unternommen. Er blieb in seiner Stellung vor Ratzeburg stehen, Wallmoden kehrte nach Dömitz zurück. Beide Gegner beschränkten sich weiterhin auf die Beobachtung, und der kleine Krieg dauerte fort. Auch die Nachricht über den Ausgang der Völkerschlacht von Leipzig änderte hieran nichts. Davout hatte seines Kaisers bestimmten Befehl, Hamburg unter allen Umständen zu halten. Er blieb und fuhr mit der Verstärkung der Befestigungen fort. Seit dem 18. August besaß er keine unmittelbare Nachricht mehr von der großen Armee. Als er am 11. November den Befehl des Kaisers aus Mainz erhielt, nach Holland abzuziehen, war es dazu schon zu spät. Er verließ nur sein verschanztes Lager und ging hinter die Stecknitz zurück. Wallmoden folgte langsam bis an diesen Fluß, fühlte sich aber zu schwach, um anzugreifen. So dauerten die Dinge fort, bis der Kronprinz von Schweden mit stärkeren Kräften in Mecklenburg eintraf. Die Verbündeten bis zum Jahresschluß von ^3^3 Abermals auf schwierigen Wegen, bei schlechtem Wetter und starken Marschverlusten kam Blücher am 4. November mit der schlesischen Armee bei Gießen und Wetzlar an. Dort ruhte er drei Tage. Alle Truppen waren stark zusammengeschmolzen. Vor dem Korps St. Priest, das über Kassel ausholte, war König JerSme endgültig aus seiner Hauptstadt entwichen. Das Königreich Westfalen und das Großherzogtum Berg lösten sich stillschweigend auf. Die Hauptarmee hielt unter unermeßlichem Jubel der Bevölkerung am 5. und 6. November ihren Einzug in die alte Krönungsstadt Frankfurt. Dort kamen in den nächsten Tagen Bündnisverträge mit den Rheinbundfürsten zum Abschlüsse, die endlich Frankreichs Sache verließen. Sachsen, das Großherzogtum Frankfurt und die Besitzungen der durch ihre undeutsche Haltung besonders bloßgestellten Fürsten von Jsenburg wurden einem Zentralverwal- tungsdepartement unterstellt, an dessen Spitze der Reichsfreiherr vom Stein trat. Sie sollten später als Ausgleichsobjekte dienen. Die übrigen Fürsten der befreiten Länder kehrten in ihre Hauptstädte zurück. Bündnisverträge mit den Rheinbundfürsten 369 Als am 9. November auch Bertrand nach lebhaftem und für ihn verlustreichem Gefecht bei Hochheim zum Abzüge auf Mainz gezwungen war, besaßen die Franzosen am rechten Rheinufer nur noch Wesel und die Brückenköpfe von Castel und Kehl. Die Hauptarmee folgte ihnen zunächst nicht über den Strom. Anders dachte Blücher. Er erfuhr, daß der Kaiser nur noch 60 000 Mann bei sich hatte, daß am Rhein keine französische Reservearmee vorhanden sei und daß die linksrheinischen Festungen nur schwach besetzt und schlecht imstande wären. Sogleich faßte er den kühnen Entschluß, ohne Zögern bei Mülheim über den Rhein und auf Aachen vorzugehen, Holland von Napoleons Herrschaft zu trennen, die Waffenfabriken von Lüttich und Namur für seine Armee zu gewinnen und am 25. November in Brüssel zu sein. Wie einst an der Elbe bei Wartenburg, so hoffte er auch hier am Rheine die Verbündeten mit sich fortzureißen. Aber Gneisenaus Überredungskünste vermochten den Widerstand im großen Hauptquartier der Monarchen diesmal nicht zu besiegen. Dort sehnte man sich nach Frieden. Die Arbeit hielt man nach den errungenen großen Erfolgen für getan. Weitere Anstrengungen und weiteres Blutvergießen wurde für unnötig gehalten. Durch einen in die Gefangenschaft der Verbündeten geratenen Diplomaten gingen am 10. November Friedensvorschläge an Napoleon ab. Deutschland, Holland und Italien sollten wieder unabhängig werden, Frankreich dagegen seine „natürlichen Grenzen" — den Rhein, die Alpen und die Pyrenäen — erhalten. Die stille Hoffnung, daß Napoleon diese überaus günstigen Bedingungen annehmen werde, die Unlust, den Krieg fortzusetzen und die von nun ab mehr und mehr hervortretende Verschiedenheit der politischen Ziele setzten dem Feuereifer des preußischen Generals ein Hindernis entgegen, das um so stärker war, als er im Anlaufe dagegen allein blieb. Dazu kam die Rücksicht auf beabsichtigte große Rüstungen in Deutschland und auf den Zustand der eigenen Truppen. Dieser schuf sogar im eigenen Lager der schlesischen Armee dem Gedanken der unmittelbaren Fortsetzung des Feldzuges einen Gegner mit wichtiger Stimme. Mrck wetterte über die Unbesonnenheit, jetzt schon den Rhein überschreiten und eiuen Winterfeldzug beginnen zu wollen. Sein Korps hatte von 37 700 Kämpfern nicht weniger als 26400, also mehr wie zwei Drittel, eingebüßt, die Landwehr Frhr, v. d. Goltz, Kriegsgeschichte 24 370 IV. Die Befreiungskriege sogar fünf Sechstel ihres ursprünglichen Bestandes. Viele Leute gingen barfuß, Schuhwerk war nicht mehr aufzutreiben. Zum Teil trugen die Mannschaften in der Kälte noch leinene Hosen. Mäntel fehlten, obwohl man französische verwendete, wo man sie fand. Die armselige Ausrüstung der Landwehr war ganz zugrunde gerichtet. Die Litewken vom schlechtesten Stoff und die Leinwand- tornister hatten den regnerischen Herbst nicht auszuhalten vermocht. Die Pferde waren abgetrieben, die Fahrzeuge ruiniert. Zum Teil fehlten auch schon die Waffen. Ohne Frage sah es übel aus. Aorck hatte, wenn auch der Standpunkt Blüchers der höhere war, von dem seinigen aus nicht ganz unrecht. Er gab vor, aufs schwärzeste in die Zukunft zu sehen, obwohl er in seinem unerschütterlichen Herzen wohl niemals wirklich am guten Erfolge gezweifelt hat. Die Summe dieser Widerstände gegen Gneisenaus und seines Oberbefehlshabers hochfliegende Pläne war zu groß. Blücher, der sich schon nach Mülheim unterwegs befand, wurde zurückgerufen. Die schlesische Armee bezog bei Ehrenbreitstein, Wiesbaden, Frankfurt und Darmstadt ihre winterliche Unterkunft und löste die Öfterreicher vor Castel ab. Die Hauptarmee aber ging nach Baden und Württemberg, wo sie hinter dem Oberrhein verblieb. Ein Stillstand trat ein. Napoleon gewann die Zeit, einen neuen Feldzug vorzubereiten. -«- » H Die sogenannte polnische Armee der Verbündeten, nämlich Bennigsens Heerteil, der nach Leipzig herangerückt war, hatte den Auftrag erhalten, mit einem Teil die Nordarmee zu verstärken, mit dem anderen an die mittlere Elbe zu rücken, um eine Vereinigung der französischen Festungsbesatzungen zu verhindern und Magdeburg enger einzuschließen, dessen Verteidiger die Umgegend verheerten. Am 8. November warf Bennigsen auch eine starke, außerhalb der Festung stehende Abteilung der Garnison unter lebhaftem Gefecht bei Schön ebeck in den Platz zurück. Dort blieb er bis zum 10. Dezember, verstärkte dann das vor Magdeburg eingetroffene Einschließungskorps des Generals v. Hirschfeld und rückte selbst gegen Hamburg ab. Die Nordarmee war zunächst nach Göttingen marschiert, wo sie am 1. November stand. Bernadotte trug seine Pläne gegen Verteilung der Heere auf dem Kriegsschauplatze 371 Dänemark im Herzen, das er zur Abtretung Norwegens zu zwingen gedachte. Kaiser Alexander aber wollte die Nordarmee gegen Holland und Frankreich verwenden. Eine Teilung war die Folge. Bülow wurde nach dem Nordwesten Deutschlands entsendet und ging bis an den unteren Rhein vor. Wintzingerodes Korps, durch die von der polnischen Armee abgegebenen Truppen verstärkt, marschierte nach Nordwesten, Bernadotte mit seinen Schweden und 7000 Russen an die untere Elbe zwischen Lüneburg und der Nordsee. Tauentzien erhielt eine gesonderte Bestimmung gegen die Festungen, die noch in französischer Hand waren. Als Kaiser Alexander endlich die Absichten des schwedischen Kronprinzen gut hieß, überschritt dieser bei Boizenburg die Elbe und vereinigte sich an der Stecknitz mit Wallmoden. Vor seinen 45 000 Mann mit 153 Geschützen räumte Davout die Stecknitz-Stellung und ging auf Hamburg zurück. Dorthin ließ der Kronprinz den General Woronzow mit einem russischen Korps folgen und wendete sich selbst gegen die unter dem Prinzen Friedrich von Hessen bei Oldesloe stehenden Dänen. Lübeck wurde am 5. Dezember besetzt, und Bernadotte hielt seinen feierlichen Einzug in die alte Hansastadt. Dann ging es weiter in der Richtung auf Kiel. Die Dänen bahnten sich zwar am 10. Dezember durch ein glückliches Gefecht gegen Wallmoden bei Sehestedt den Weg nach dem festen Rendsburg, gerieten aber hier, von den Gegnern umringt, bald in eine bedenkliche Lage. Mit einer bisher an ihm vermißten Energie bereitete der Kronprinz die weitere Eroberung Dänemarks vor, und dieses entschloß sich, völlig verlassen, zu dem verlustreichen Frieden von Kiel, durch den Norwegen an Schweden fiel. Nnn blieb Bennigsen vor Hamburg zurück; Wallmoden ging nach Hannover, Bernadotte aber bereitete sich, dem Drängen der Verbündeten folgend, zu einem Zuge an den Rhein und gegen Holland vor. Dieses war inzwischen von Bülow angegriffen und ebenso leicht erobert worden wie Holstein von Bernadotte. Die verwegen voraufstreifenden Kasaken waren am 24. November bereits in Amsterdam eingezogen; das Volk hatte sich erhoben und den in England weilenden Prinzen von Oranien zur Rückkehr aufgefordert. Überall herrschte Gärung. Der mit etwa 14 000 Mann im Lande stehende französische General Molitor, der zahlreiche seste Plätze zu sichern hatte und nur etwa 5000 Mann zu freier Verfügung bei Utrecht übrig behielt, vermochte das Land nicht niederzuhalten. 24* 372 IV. Die Befreiungskriege Macdonald, dein die Verteidigung des Niederrheins übertragen worden war, war gleichfalls nicht imstande, das Einbrechen der Verbündeten zu hindern. Sein ganzes Korps bestand nur noch aus 7—9000 Mann kampfmüder Truppen, denen nur langsam einige Verstärkungen zuflössen. Während russische Abteilungen von Wintzingerodes Korps den Kasaken nach Nordholland folgten, nahm Bülows Avantgarde unter General v. Oppen durch kühne Überfälle zu Ende November die kleinen Melplätze Deventer, Zütphen und Doesborgh. Der ihm mit der Hauptmacht folgende Bülow stürmte am 30. Arnheim und setzte den Marsch noch auf Utrecht fort. Am 2. Dezember zog Prinz Wilhelm von Oranien feierlich in Amsterdam ein und erklärte sich zum souveränen Fürsten des Landes. Schnell fielen die meisten kleineu Festungen und Forts, die nur eine ganz ungenügende Besatzung hatten. Selbst Breda wurde von Benkendorf und Colombs Streifkorps genommen, Gorkum, der „Schlüssel Hollands", von Bülow umstellt. Die Kasaken streiften bis nach Antwerpen und Brüssel, wohin sich die französischen Truppen zusammenzogen. Obwohl Bülow, der auch Wesel hatte einschließen müssen, nur noch über 18 000 Mann verfügte, so rief sein schnelles Vordringen bei Napoleon anfangs den Eindruck hervor, daß der Hauptangriff der Verbündeten durch Holland kommen werde. Er setzte verhältnismäßig bedeutende Verstärkungen nach den Niederlanden in Bewegung und ordnete einen Vorstoß von Antwerpen zur Wiedereroberung von Breda an, der am 19. Dezember begann, aber scheiterte. Inzwischen hatte der Abmarsch der verbündeten Hauptarmee an den Oberrhein die Lage geklärt; Napoleon hielt einen Teil der schon abgesandten Truppen wieder sest und beließ bei Antwerpen nur das in der Neubildung begriffene 1. Korps unter Maison, sowie Macdonald mit dem 11. zwischen Maas und Rhein. Aber auch Bülow vermochte mit seinen geringen Streitkräften nichts weiteres zu unternehmen. Seine Gegner schätzte er zusammen auf 30 000 Mann, hielt sie also den eigenen Kräften für bedeutend überlegen. Vergeblich bat er um Verstärkungen, vergeblich drängte er die Russen zur Ablösung seiner Truppen vor Wesel, vergeblich auch die Holländer zur Teilnahme am Kampfe für die eigene Befreiung. Es gelang ihm nicht, die Gleichgültigkeit Eroberung Hollands durch Bülow 373 des unkriegerischen Handelsvolkes zu überwinden und den trotzigen Nationalstolz, der einst seine Vorfahren zu dem Kampfe mit den Spaniern begeistert hatte, wiederzuerwecken. Mit der Rückkehr des Oraniers und der Vertreibung der Franzosen sah das Volk seine eigenen Wünsche erfüllt, und seine neue Negierung dankte den deutschen Befreiern dadurch, daß sie am 23. Dezember das Dekret außer Kraft setzte, durch welches Napoleon am 21. Oktober 1811 dem Rheinhandel die See freigegeben hatte. Immerhin hatte Bülow viel erreicht. Seine Stellung am Waal, mit Breda als Vorposten, entzog dem französischen Kaiser ein reiches Gebiet und viele Mittel zur Wiederherstellung seiner zerstörten Waffenmacht. Sie sicherte den Verbündeten für den Einmarsch nach Frankreich wirksam die rechte Flanke. ^. Der Aainxf uin die Festungen Während die verbündeten Heere in Holland und am Rheine die Gegenden erreichten, von denen aus sie im folgenden Jahre nach Frankreich hinein vorgingen, ward in ihrem Rücken der Kampf gegen die von den Franzosen besetzten Städte durchgeführt. Noch hielten sie, zum größten Teil mit starken Besatzungen, östlich der Weichsel: Zamoscz, an der Weichsel: Danzig und Modlin, an der Oder: Stettin, Küstrin und Glogau, an der Elbe: Dresden, Torgau, Wittenberg, Magdeburg und Hamburg, ferner zwischen Elbe und Rhein: Würzburg und Erfurt, fowie am Rhein: Kehl, Castel und Wesel — im ganzen 16 feste Plätze. An 140 000, ja nach anderer Angabe 190 000 Mann, also ein ganzes großes Heer, war darin gebannt, und es bestand noch dazu aus alten, kriegserfahrenen Truppen, die den Beschwerden des Lebens im freien Felde weit besser widerstanden haben würden, als des Kaisers junge Kon- skribierte. Wieviel hätte sein Genie damit ausrichten können! Als der Feldzug von 1813 durch die Völkerschlacht von Leipzig entschieden und an eine Rückkehr Napoleons nicht mehr zu denken war, hatte die Behauptung der nun vereinsamten Festungen keinen anderen Zweck mehr, als einen verhältnismäßig geringen Teil der verbündeten Streitkräfte fern vom Kriegsschauplatz festzuhalten. Dieser Teil bestand zudem noch vielfach aus Truppen, die für den Gebrauch im Feldkriege ohnehin wenig geeignet erschienen. 374 IV. Die Befreiungskriege Die Zeit war für die Besatzungen gekommen, an Selbstbefreiung zu denken, um sich vor der Kriegsgefangenschaft zu retten. Dazu hätte St. Chr, der mit mehr als 30000 Mann ausrücken konnte und Napoleons Zustimmung zum Verlassen von Dresden sicher war, das Signal geben müssen. In zwei Tagen konnte er bei Torgau stehen, wo er 16—20000 Mann fand, von dort Wittenberg und Magdeburg erreichen, wodurch er sich abermals um 20 000 Mann und mehr zu verstärken vermochte, um mit einem ansehnlichen Heere von 70000 Mann Davout an der Unterelbe die Hand zu reichen. Dann wären mit Einschluß der Dänen über 100000 Mann bereit gewesen, um einen neuen Feldzug im Norden Deutschlands zu beginnen oder sich gewaltsam den Weg nach dem Rheine zu bahnen. Allein St. Cyr war nicht der Mann so kühner Entwürfe. Die Besatzungen erwarteten ihr unvermeidliches Schicksal hinter den schützenden Wällen. Vor Dresden waren nach Bennigsens Abmarsch nur 15000 Russen, zum großen Teil Milizen, verblieben, von denen einige noch Piken trugen, ferner eine schwache österreichische Abteilung mit 62 Geschützen. St. Cyr griff sie an und warf sie am 17. Oktober unter glücklichen Gefechten bis Dohna zurück. Aber er benutzte die gewonnene Freiheit nicht, und bald trafen weitere österreichische Verstärkungen, sowie, von Leipzig zurückkehrend, das Korps Klenau vor Dresden ein. Vom 26. Oktober ab zählte die Einschließungsarmee schon 4S000 Mann mit 127 Geschützen. Klenau, der den Oberbefehl übernahm, engte die Besatzung nunmehr auf die Werke der Stadt ein, in der bereits großer Mangel herrschte. Nach einem fruchtlosen Versuche Lobaus, mit seinem Korps gegen Großenhain durchzubrechen, ergab sich die Besatzung am 11. November. 1 Marschall, 33 Generale, 30000 Offiziere und Mannschaften fielen, noch kampffähig, in Kriegsgefangenschaft. Schlimmeres hätte ihnen bei dem verwegensten Befreiungsversuche auch nicht begegnen können. Beinahe wichtiger als dies Ergebnis war für die Verbündeten noch die Beute an Kriegsmaterial, an dem es ihnen sehr fehlte. 245 Geschütze und 40 000 Gewehre fanden sich in Dresden vor. Torgau, das einige Außenwerke am rechten und einen Brückenkopf am linken Ufer besaß, galt mit Recht für eine Festung ersten Ranges. Zahlreicher Troß der großen Armee hatte sich Dresden. Torgau. Wittenberg 375 nach der Schlacht von Leipzig in den Platz geflüchtet. Selbst als Sachsen und Bayern entlassen worden waren, blieben noch mehr als 24000 Mann darin, von denen zwei Drittel Kampffähige waren. General Tauentzien, der sich vor der Schlacht von Leipzig von der Nordarmee getrennt hatte und bei Potsdam stand, erhielt den Befehl, mit seinem Armeekorps zur Belagerung der Elb- festungen zu schreiten. Er traf mit dem größeren Teil davon am 27. Oktober vor Torgau ein, während der kleinere sich vor Wittenberg legte. Auch die bei Leipzig zu den Verbündeten übergetretenen Sachsen und General v. Wobeser wurden bei Torgau verwendet, so daß das Belagerungskorps eine ansehnliche Höhe erreichte. Geschütz kam von Berlin und Spandau. Am 2. November war die Einschließung fertig. Als am 12. Dezember das nordwestlich von Torgau auf einer Anhöhe beherrschend gelegene Fort Zinna bezwungen war, begannen in der Stadt unter den dichtgedrängten Menschenmassen entsetzliche Zustände. Epidemien wüteten derart, daß zeitweise über 300 Menschen täglich starben; dennoch setzten die wackeren Verteidiger den Widerstand fort. Erst nachdem sich die Besatzung um 14000 Mann vermindert hatte, kapitulierte der Rest am 26. Dezember. Den 10. Januar verließen noch etwas über 4000 Marschfähige den Platz. Den wertvollen französischen Park hatten sie vorher zerstört, 250 Geschütze und reiche Munitionsvorräte aber fielen den Belagerern in die Hände. Nun kam Wittenberg an die Reihe, das nach dem Falle von Torgau mit stärkeren Kräften angegriffen werden konnte. Am 23. Dezember traf General Tauentzien selbst vor der Festung ein, und in der nächsten Nacht schon wurde die erste Parallele eröffnet. Ein tüchtiger Kommandant aber hatte die Verteidigung mit Umsicht und Energie vorbereitet; seine Artillerie erwies sich anfangs sogar als überlegen. Dies änderte sich, sobald Geschütz und Munition von Torgau ankamen. Nun schritten die geschickt geleiteten Belagerungsarbeiten schnell vorwärts. In der Frühe des 13. Januar 1814 erfolgte der Sturm im Beifein des Prinzen August von Preußen. Der Rest der braven Besatzung, 1500 Mann, die von 3000 noch übrig waren, verteidigte sich zuletzt in Schloß und Rathaus, bis er am Nachmittage zur Übergabe gezwungen wurde. 96 Geschütze und beträchtliche Mnnitionsvorräte wnrden erbeutet. Tauentziens Truppen rückten uach getaner Arbeit über Erfurt an den Rhein ab. 376 IV. Die Befreiungskriege Der General selbst übernahm den Befehl vor Magdeburg, dessen starke, gut ausgestattete und für neun Monate mit Lebens-- Mitteln versehene Besatzung seit Bennigsens Abmarsch von dem verhältnismäßig schwachen Einschließungskorps Hirschfelds nur mit Mühe im Zaume gehalten wurde. Zwar gelaug es jetzt, sie nach und nach ganz auf die Werke zu beschränken. An eine Belagerung aber war nicht zu denken, obwohl die Einschließungstruppen allmählich bis auf 38 Bataillone und 39 Schwadronen anwuchsen. Vor allem fehlte der ausreichende Geschützpark dazu. So hielt sich die Festung bis zur Abdankung Napoleons; die Besatzung huldigte am 4. Mai dem neuen Könige von Frankreich und verließ den Platz in allen Ehren, noch 18000 Manu stark, um in die Heimat zurückzukehren. Sie hatte gezeigt, was Kleist im Unglücksjahre 1806 hätte leisten können. In Magdeburg fand man nicht weniger als 841 Geschütze und 32 000 Gewehre. Erfurt, das der Kaiser sorgsam hatte verstärken lassen, räumte der Kommandant vor Kleists Angriffen, der mit seinem schwachen Korps dort zurückgelassen worden war, am 6. Januar. Er zog sich in die beiden außerhalb gelegenen Zitadellen Petersberg und Cyriaksburg zurück, wo er sich gegen schwache Einschließungstruppen gleichfalls bis zum Ende des Krieges hielt. Kleist war einige Tage nach Übergabe der Stadt zum Heere in Frankreich abgerückt. Um dieselbe Zeit wie Erfurt wurde auch die Feste Marienberg bei Würzburg an bayerische und Würzburgische Truppen ausgeliefert. Wesel, das seit Bülows Einmarsch in Holland von dessen Truppen, dann von Abteilungen Wintzingerodes und vom 5. März 1814 an durch ein besonderes, teils aus Holstein von der Nordarmee kommendes, teils neu gebildetes Truppenkorps eingeschlossen wurde, hielt sich wacker. Die Besatzung unternahm zahlreiche Ausfälle, und der energische Kommandant wies alle Aufforderungen zur Übergabe ab. Selbst als am 22. April der von König Ludwig XVIII. ernannte Kriegsminister Dupont ihn durch einen Offizier zur Kapitulation ermächtigen ließ, erklärte er zunächst, daß er einen solchen Kriegsminister gar nicht kenne. Erst am 10. Mai räumte er den Platz. Auch Castel und Kehl hielten sich bis zu dieser Zeit. Magdeburg. Erfurt. Rhein-, Oder-, Weichselfestungen 377 Schneller als hier im Westen gelangten die Verbündeten an der Oder zum Ziele. Stettin war schon am 30. November durch Hunger und Krankheiten zu Fall gebracht worden. Es öffnete seine Tore den preußischen Belagerern unter General v. Ploetz, dem 8000 Gefangene, 350 Geschütze und reiches Kriegsmaterial in die Hände fiel. Länger hielt sich das starke Küstrin, das erst am 7. März 1814 kapitulierte und am 30. in preußische Hände überging. Glogau war im Frühjahrsfeldzuge schon einmal eingeschlossen worden, nach der Schlacht von Bautzen bis zum September aber unbeachtet geblieben. Es hielt sich bis zum 10. April, wo Not, Krankheit und die Unzuverlässigkeit der bunt zusammengesetzten Garnison die Übergabe erzWangen. 7000 Mann waren während der Belagerung gestorben. Auf dem polnischen Kriegsschauplatze hatten Zamoscz im November und Modlin am 1. Dezember aus ähnlichen Gründen wie Glogan sich den belagernden russischen Milizen ergeben. Belagerungen großen Stils mit hartnäckigen und blutigen Kämpfen erforderte die Wegnahme von Danzig und Hamburg. Danzig hatte Napoleon als eine unbezwingbare Festung bezeichnet. Das war eine Übertreibung; zu den stärksten Festungen der Zeit aber gehörte es. General Rapp, der unerschrockene und unermüdliche Kommandant hatte die Werke, die 1807 dem Marschall Lefebvre so kräftig widerstanden, noch bedeutend vermehrt uud ergänzt, auch die Verbindung mit der See gesichert, obschon diese vom Feinde beherrscht wurde. Die Besatzung bestand aus 35 000 Mann alter, aus Rußland geretteter Truppen, die sich freilich national bunt zusammensetzten und von denen etwa der dritte Teil kampfunfähig war. Die Vorräte an Lebensmitteln genügten nicht; Mangel und Krankheit herrschten bald in der seit dem Januar 1813 eingeschlossenen Festung. Mancherlei Vorwände zu einer frühzeitigen Übergabe wären bei einem schwachen Kommandanten vorhanden gewesen; für Rapp bestanden sie nicht. Mit eisernem Willen hielt er an des Kaisers Sache fest. Sein Widerstand ist um so anerkennenswerter, als er in dem russischen General, Prinzen Alexander von Württemberg, der im April 1813 das Belagerungskorps übernahm, einen würdigen Gegner fand. Anfangs vermochte dieser freilich nicht ernsthaft anzugreifen; denn die Belagerer waren an Zahl den Verteidigern IV. Die Befreiungskriege weit unterlegen. Im Laufe des Sommers aber verstärkten sie sich bis auf 40000 Mann Russen und Preußen. England lieferte 100 schwere Geschütze; eine englisch-russische Flottille erschien an der Küste. Die Belagerung nahm mit Ablauf des Waffenstillstandes ihren Anfang. Der Angriff richtete sich, wie 1807, gegen die allein zugängliche, hochgelegene Westfront. (Vgl. Skizze 12.) Erbitterte Kämpfe entspannen sich auf dieser Front im Vorgelände des Platzes. Mehrfach ergriff Rapp die Offensive nnd warf die Angreifer zurück. Erst am 2. September gelang es diesen, auf der Nordseite den wichtigen Vorort Langfuhr zu nehmen und zu behaupten. Vergeblich richteten sich die Kanonen der Kriegsfahrzeuge mehrfach gegen die Werke von Weichselmünde und Neufahrwasser. An einem Tage allein fielen 15000 Schüsse gegen beide Festen. Doch richteten sie keinen erheblichen Schaden an, und bald niußte die Flottille des stürmischen Wetters wegen den Hafen von Pillau aufsuchen. Schweren Schaden dagegen tat den Verteidigern eine zu Ende September eintretende Weichselhochflut, die einen Teil der niedrig gelegenen Werke zerstörte und ganze Stadtteile überschwemmte. Im Frühsommer schon waren täglich an 60 Mann der erschöpften Besatzung gestorben. Jetzt brach der Typhus aus. Am 11. Oktober begann ein neuer verstärkter Angriff. Nach vierzehnstündigem, erbittertem und hin und her wogendem Kampfe waren die auf der Westseite von Danzig liegenden beherrschenden Höhen in der Gewalt der Angreifer. Am 17. Oktober wurde das Bombardement gegen die Stadt aus 142 Geschützen eröffnet. Es richtete sich hauptsächlich gegen die innerhalb Danzigs gelegene Speicherinsel, welche die Masse der Vorräte barg, und es gelang in der Nacht vom 31. Oktober zum 1. November dort einen furchtbaren Brand zu erzeugen, der zwei Drittel der Gebäude vernichtete. Bald fiel auch ein kleines Außenwerk nach dem anderen. Die erste Parallele gegen den Vischofsberg, den schwachen Punkt der Festung, konnte eröffnet werden. Mit fieberhafter Hast wurden die Arbeiten gefördert, und am 17. November begann das Feuer aus 132 Geschützen. Bald mußten Teile des großen Werkes geräumt werden. Die Lage des Platzes wurde hoffnungslos. Da schlug Napp, der sich bei aller Strenge und Energie doch der Stimme der Menschlichkeit nicht verschloß, ein Übereinkommen vor, demzufolge der Kampf ruhen, der Platz aber Hartnäckiger Widerstand Danztgs 379 am 1. Januar 1814 an die Belagerer übergehen sollte. Solange reichten, bei knappster Bemessung, die Reste der Lebensmittel. Da die zur Besatzung gehörigen Rheinbundtruppen mittlerweile in ihre Heimat entlassen worden waren, marschierten am 2. Januar nur noch 8000 Franzosen und Italiener aus. 400 Geschütze blieben auf den Wällen stehen. Mehr als 11 Monate hatte die denkwürdige Belagerung gedauert. Über 19 000 Mann waren l'lsmbul' g u Umgebun g. Skizze 41 während derselben gestorben. Rapps Standhaftigkeit und des Herzogs Tätigkeit hatten auf gleicher Höhe gestanden. „Unsterblicher Kriegsruhm verschwistert ihre Namen für immer." Ebenbürtig waren Davouts Leistungen bei Hamburg. Aus der fast offenen Stadt hatte er im Laufe des Krieges einen mit allen Mitteln versehenen großartigen festen Platz geschaffen, der dnrch eine nahe an 16 000 Fuß lange Pfahljochbrücke mit dem an der Elbe gegenüberliegenden, gleichfalls von ihm befestigten Harburg 380 IV. Die Befreiungskriege verbunden war. (S. Skizze 41.) Diese ausgedehnte Stellung behauptete er mit Erfolg bis über das Ende des Krieges hinaus. Nach seinem Rückzüge von der Stecknitz begann die Einschließung der beiden Städte. Am 24. Dezember traf Bennigsen vor denselben ein und übernahm das Kommando über die jetzt dort vereinigten 50 000 Mann. Sogleich begannen auch die Angriffe auf Vororte und die ausgedehnten, in die Befestigung hineingezogenen Elbinseln, von denen einzelne genommen und trotz Davouts wiederholter Gegenangriffe behauptet wurden. Ein Sturm auf Harburg schlug fehl. Nach dem Kieler Frieden traf auch das Korps Wallmoden vor Hamburg ein. Jetzt galt der Kampf der ausgedehnten Insel Wilhelmsburg und der über sie hinwegführenden Brücke. Zwei große Angriffe gegen sie erfolgten am 9. und 17. Februar; doch gelang es nicht, Wilhelmsburg dauernd zu behaupten. Davout erschien rechtzeitig mit starken Reserven und zwang die Angreifer zum Abzüge. Zu Ende März brach er sogar über Harburg vor und bemächtigte sich der nächsten Ortschaften. Durch Entsendungen nach dem Rheine, zu denen auch Wall- modens Truppen gehörten, schwächte sich um dieselbe Zeit Bennig- sens Heer und sank in der Folge auf 30 000 Mann hinab. Nach viermonatlicher Einschließung aber stand der Verteidiger stärker da als im Beginn. Ein Ende war nicht abzusehen; die Unternehmungen hörten auf. Da trafen die entscheidenden Nachrichten aus Frankreich ein. Davout schenkte ihnen zunächst keinen Glauben. Erst als der König Ludwig XVIII. den General Gerard aus Paris zur Übernahme des Kommandos nach Hamburg sandte, gab der Marschall nach. Am 25. Mai begann der Abmarsch der noch übrigen 24500 Mann. Über 10 000 waren an Krankheit gestorben, 7000 in den Gefechten getötet oder verwundet worden. An 5000 lagen in den Lazaretten. Lange noch würde Davout seinen Posten behauptet haben, hätte der Krieg fortgedauert, und mit einem Gefühl der Beschämung denkt man, wenn man diese Verteidigungen mustert, an die Mehrzahl der preußischen von 1806 zurück. Die Lage der französischen Besatzungen war nach der Schlacht von Leipzig nicht minder hoffnungslos, als die der preußischen von damals — und wie anders hatten sie sich bewährt. Davouts Leistungen in Hamburg 381 5. Der Leldzug von M5 in Italien (S. Skizze 42) Die Ereignisse auf dem italienischen Kriegsschauplatze sind hier nur mit wenig Worten zu berühren. Napoleon hatte nach der Schlacht von Groß-Görschen seinen Stiefsohn, den Vizekönig Eugen Beauharnais, nach Italien gesendet, um dort fo schnell als möglich eine Armee aufzustellen, mit der er einer österreichischen Invasion Oberitaliens begegnen und im glücklichen Falle sogar Wien von Süden her bedrohen könne. Die Aufgabe war schwierig; denn die italienischen Truppen hatten auf den Eisfeldern Rußlands ihren Untergang gefunden oder steckten teils in den nordischen Festungen, teils in den französischen Heeren in Deutschland. Dennoch gelang es Eugens Eifer, noch vor Beginn des Herbstfeldzuges S0 000 Mann an Feldtruppen aufzubringen, die sich freilich zum großen Teile aus wenig zuverlässigen Elementen zusammensetzten. Er vereinigte sie zwischen Trieft, Görz und Laibach mit einer linken Flügelabteilnng bei Villach. Ihm gegenüber stand Hiller mit etwa gleich starken österreichischen Kräften bei Klagenfurt und Agram. Im August und zu Anfang September kam es nur zu unbedeutenden Gefechten um die Gebirgsstellungen südlich der Drau und nördlich Fiume, bis wohin die linke österreichische Kolonne unter Nugent vordrang, um sich der Hauptmacht zu nähern. Am 18. September indes ergriff Hiller die Offensive, zu der Eugen sich bei der Natur seiner Truppen noch nicht für befähigt gehalten hatte. Zunächst durchbrachen die Österreicher in der Richtung auf Krainburg Eugens vordere Linie. Dann wechselte Hiller die Marschrichtung, kehrte ins Drautal zurück, sprengte am 7. Oktober die linke Flügeldivision von des Vizekönigs Heer bei Tarvis und begann nun durch das Pustertal einen weiten Umgehungsmarsch über Vrixen und Bozen nach Trient, wo er am 1. November eintraf. Der am 8. Oktober zwischen Österreich und Bayern abgeschlossene Vertrag von Ried ermöglichte den Marsch. Hiller hatte sich so auf Eugens Rückzugslinie setzen und den Krieg in Feindesland tragen wollen. Eugen war indes längst aus seinen ersten Stellungen abmarschiert und, von schwachen Kräften verfolgt, 382 IV. Die Befreiungskriege Vizekönig Eugen und Hiller bei Caldiero 383 anfänglich hinter den Jsonzo, dann zur Brenta und endlich auf Verona zurückgegangen, wo er bereits am 4. November eintraf. Von dort unternahm er kleine Offensivstöße gegen die ihm folgenden Österreicher, erst im Etschtale aufwärts, dann östlich gegen Caldiero. Hiller, der von Trient aus geradeswegs im Etschtale wohl nicht glaubte durchdringen zu können, marschierte durch die Val Sugana auf Vicenza vor und erschien am 14. November bei Caldiero dem Vizekönige gegenüber. Beide hielten sich dort die Wage. Die Operationen kamen einstweilen zum Stillstande. Inzwischen war Nugent nach Trieft vorgedrungen, hatte sich mit Hilfe der englischen Flotte der Zitadelle dieser Stadt bemächtigt, sich dann eingeschifft und war an der Pomündung gelandet. Von dort aus besetzte er am 18. November Ferrara, so daß Venedig, das Eugen noch besetzt hielt, und vor dem britische Schiffe lagen, nunmehr auch von der Landseite angegriffen werden konnte. Am 31. Dezember erreichte er auch Bologna, wo ein eigentümlicher Bundesgenosse, Murat, mit 20000 Neapolitanern zu ihm stieß. Dieser hatte seines großen Schwagers und Kaisers Sache in der Hoffnung verlassen, durch den Abfall das eigene Königreich zu retten. Schlachten und selbst größere Gefechte hatte der viermonatliche Feldzug nicht gebracht, wohl aber eine Reihe von blutigen Hochgebirgskämpfen, in denen sich Österreichs jüngere Führer als tüchtige, unternehmende und tatenlustige Männer bewährten. Inzwischen waren auch Jstrien und Dalmatien von österreichischen Streifkorps in Aufruhr gebracht und bis auf Nagusa und Cattaro den Franzosen abgenommen worden. Nagusa fiel noch am 18. Januar 1814. 6. Z?er Feldzug in Frankreich Pläne und Einleitungen Zu Beginn des neuen Jahres erschien die Lage Napoleons verzweifelt. Er war nicht nur aus Deutschland verdrängt worden, hatte nicht bloß Holland, Venetien und die illyrischen Provinzen verloren, sondern auch Spanien aufgeben müssen. Am 21. Juni 1813 hatte dort Wellington mit dem vereinigten englischportugiesisch-spanischen Heere die französische Hauptarmee unter 384 IV. Die Befreiungskriege Jourdan entscheidend geschlagen und sie über die Westpyrenäen zurückgedrängt. Im Nordosten des Landes behauptete sich Suchet nur noch mit Mühe. So sah der Kaiser sich beinahe schon auf die alten Grenzen Frankreichs zurückgedrängt. Schlimmer aber als die Gebietsverluste war die innere Erschöpfung von Reich und Heer. Kein Volk erträgt eine Anspannung, wie sie seit 180S über Frankreich verhängt worden war, auf die Dauer. Frankreich sehnte sich nach Frieden. Die über den Rhein heimkehrenden Heerestrümmer brachten zwei neue furchtbare Feinde mit sich, die Ruhr und den Typhus. Die übermäßigen Anstrengungen des Feldzuges an der Elbe rächten sich jetzt bitter; die geschwächten Mannschaften waren nicht mehr widerstandsfähig. Reißend verbreiteten die Krankheiten sich in ihren Reihen und gingen auf die in Frankreich eiligst zusammenberufenen jungen Konskribierten über. Sie starben zu Tausenden, und alle Mühe, die Korps der Großen Armee wieder auf eine ansehnliche Höhe zu bringen, blieb umsonst. Ein Heer mußte für den kommenden Feldzug erst geschaffen werden, und dazu fehlte es nach den unermeßlichen Verlusten, die Napoleon in Rußland und Deutschland erlitten hatte, fast an allem, an kräftigen Mannern, an Waffen, an Munition, Ausrüstung, Material und Kriegsgerät. Ein Feldherr gewöhnlichen Schlages hätte unter diesen Umständen die noch vorhandenen Kräfte zum Schutze der Hauptstadt zusammengezogen, um einen letzten verzweifelten Widerstand zu leisten, oder die Frankfurter Bedingungen bereitwillig angenommen. Napoleon dachte anders, und man wird ihm nicht Unrecht geben können. Wenn er Belgien, Lothringen und das Elsaß, sowie Burgund freiwillig räumte und feine Truppen von der spanischen Grenze zurückzog, so wurde seine Schwäche offenbar. Er gab das Land, aus dem seine neue Waffenmacht erstehen sollte, zum großen Teile auf, und die Verbündeten, die noch zögerten, wären ihm sicherlich sogleich gefolgt. Auch seinem gewaltigen Willen wäre es dann nicht mehr möglich gewesen, das französische Volk zu einem neuen großen Aufgebote der Kräfte zu bringen. Der Kampf gegen die Übermacht hätte bald ein Ende gefunden. Oberitalien und Catalonien hätte er freilich auf alle Fälle räumen sollen. Sie waren nicht zu behaupten und lieferten ihm wenig oder gar keine Kräfte für seine Waffenmacht. Mit den von Allgemeine Erschöpfung Frankreichs 38S dort herangeholten Truppen aber hätte er ein starkes Heer bei Lyon in der Flanke der einrückenden Verbündeten bilden können, das bei deren Vormarsch ohne Zweifel eine große Rolle gespielt haben würde. Wenn er sich im Beginn von 1813 weise Beschränkung in seinen Zielen auferlegt und auf die Behauptung der Weichsel- und Oderfestungen freiwillig verzichtet hätte, so würden seine Mittel für den entscheidenden Kampf sich vermehrt haben. 1814 verminderten sie sich mit jeder Provinz, die er räumte. Er durfte auf den Glanz seines kriegerischen Namens bauen. Daß ihn die Verbündeten noch im Winter auf dem Nährboden seiner Kraft angreifen würden, erwartete er nicht. Auch sie hatten viel gelitten und bedurften der Ruhe. Vielleicht blieben sie stehen; neue Friedensverhandlungen konnten zum Ziele führen. In der Tat sind die Umstände mit denen, die ein Jahr zuvor herrschten, nicht zu vergleichen. Schon in Mainz, beim Rückzüge von Leipzig, hatte der Kaiser deshalb zwar die ersten Maßnahmen zu der unvermeidlich gewordenen Räumung des rechten, aber auch zur Behauptung des linken Rhein- nfers getroffen. Weitere Anordnungen folgten. Wir wissen, daß Macdonald mit rund 10000 Mann am Unterrhein, Maison mit IS 000 Mann bei Antwerpen ausharren sollten. In Mainz blieb Morand mit 15 000 Mann, Marmont mit 20000 bei Dürkheim, Victor mit 20000 Mann hinter den Vogesen bei Baccarat. In zweiter Linie standen Ney bei Nancy, Mortier bei Langers, Augereau bei Lyon, die aber zusammen nur über etwa 20000 Mann verfügten. Ihre Korps wurden aus den Divisionen zusammengesetzt, wie es die Gelegenheit ergab. So standen von Holland bis zum Jura hinab nicht mehr als 100000 Mann im Felde, um den Einbruch der Verbündeten nach Frankreich aufzuhalten. Die zahlreichen Grenzfestungen blieben nur ganz ungenügend besetzt. Das war keine ernste, sondern nur eine Scheinverteidigung. Aber ohne diese erschien die neue Rüstung zum Kriege unmöglich. Die zerstreute Aufstellung erleichterte die Neubildungen, die Ausrüstung und Ernährung der Mannschaften, die zu den Fahnen eilen sollten. Die Aushebung von 280000 Mann war schon vor der Schlacht von Leipzig angeordnet worden. Im November folgte eine solche von 300 000. Die Rechnung stimmte freilich nur, wenn dem Kaiser Zeit gelassen wurde, aber daß das Frhr. v, d. Goltz, Kriegsgeschichte 25 386 IV. Die Befreiungskriege geschah, war nicht unmöglich, und sein Untergang in jedem anderen Falle gewiß. Ein Fehler war es, daß er Paris unbefestigt ließ; denn die Rücksicht auf die Sicherung der Hauptstadt band ihm fortan die Hände. Der Mann, der Dresden und Hamburg vorsorglich hatte in feste Plätze umwandeln lassen, dachte sicherlich auch an dieselbe Notwendigkeit für Paris. Allein die Maßregel würde die Bewohnerschaft der Hauptstadt vorzeitig beunruhigt und sie gelehrt haben, wie unsicher der Usurpator sich bereits fühle. Der Politiker Napoleon scheute sich daher auszuführen, was der Soldat als richtig erkannte. » » » Im Heerlager der Verbündeten hatte der Oberbefehlshaber Schwarzenberg im Monat November die Grundsätze, nach denen der Krieg während des Sommers von den Verbündeten geführt worden war, in einer Denkschrift festgestellt. Sie bildete einen Rückblick auf die im Verlaufe des Feldzuges betätigte strategische Weisheit, die zum Siege geführt hatte, und in der nun auch künftig die Bürgschaft für fernere Erfolge gesucht wurde. Man hatte sich durch die Festungen nicht aufhalten lassen. Das galt, wenn auch nicht Napoleon, so doch seinen Gegnern für neu und ungewöhnlich. Die Hauptkräfte waren gegen die Flanken und den Rücken des Feindes vorgegangen, um seine Verbindungen zu bedrohen und ihn zu Entsendungen zu veranlassen. Diese hatten ihm Teilniederlagen eingetragen, oder ihn gezwungen, mit den Hauptkräften herbeizueilen. Kamen diese heran, so war man ihnen ausgewichen, um die von ihm nicht bedrohten Armeen desto lebhafter vorgehen zu lassen. Die Schlacht wurde nur gewagt, wenn der Feind seine Streitkräfte zersplitterte und die Überlegenheit der Zahl den Verbündeten sichtbar zur Seite stand. Wie sehr sich auch die Verhältnisse seit dem August geändert hatten, so sollten doch, nach der Meinung des Großen Hauptquartiers und der Monarchen, diese bewährten Regeln auch weiterhin noch befolgt werden. Von der Widerstandsfähigkeit Frankreichs mit seinem dreifachen Festungsgürtel und seiner fanatisch-patriotischen Bevölkerung, wie Stimmungen und Pläne der Verbündeten 387 sie im Andenken der Revolutionskriege lebte, herrschten ganz übertriebene Vorstellungen. Daß Napoleons Aufgebote weit weniger Mannschaften lieferten, als er gerechnet hatte, daß es ihm an Waffen und Ausrüstung mangelte und sein schwaches Heer von Krankheiten arg gelichtet wurde, war nicht in vollem Umfange bekannt. Blüchers und Gneisenaus Drängen zu unmittelbarer Fortsetzung des Feldzuges galt als die Unbesonnenheit von Heißspornen, denen die gründliche Kenntnis der Verhältnisse und deren weise Abwägung fehlte. Dazu kam die Verschiedenheit der politischen Ziele. Österreich hätte am liebsten einen schnellen Frieden gesehen. Kaiser Alexanders Pläne zur Wiederherstellung eines mit Nußland durch Personalunion verbundenen Großpolen schienen den Wiener Staatsmännern bedenklich, der Geist, der sich im preußischen Volke regte, gefährlich und dessen Verlangen nach der Erwerbung Sachsens höchst verdächtig. Auf Wiedereroberung der ehemaligen niederländischen und elsässischen Besitzungen legte man in Osterreich keinen Wert mehr, da sie durch Verzichtleistungen im Osten hätten bezahlt werden müssen, zumal durch den Verzicht auf Galizien. Mit der Kaisertochter Marie Luise hätte man gern auch den Kaiser auf dem Throne erhalten. Kaiser Alexander wollte den großen Gegner stürzen und ihn auf dem Throne Frankreichs durch Bernadotte ersetzen. England beabsichtigte dorthin die Bourbonen zurückzuführen, die Niederlande wiederherzustellen und über die Scheldemündungen auszudehnen, um sie Frankreich zu entziehen. In Deutschland sollte ein starkes Welsenreich an der Nordsee entstehen. Seinen Lohn hatte England in der Wegnahme der meisten französischen und holländischen Kolonien bereits im voraus eingeheimst. Preußen allein dachte vornehmlich an die Erfüllung seiner großen militärischen Aufgabe; in der Politik trat es mit bestimmten Ansprüchen noch nicht hervor. Die Politik wird aber, zumal bei einem Mächtebündnis, stets ihren Einfluß auf die Kriegführung üben, und der war hier kein fördernder. Aus den Widersprüchen und Halbheiten ging nach langen Verhandlungen der Entschluß hervor, die Franzosen durch die schlesische Armee am Rheine zu beschäftigen, Bülows Angriff gegen die linke Flanke nach und nach durch alle abkömmlichen Teile der Nordarmee zu verstärken, mit der Hauptarmee aber durch die Schweiz südlich auszubiegen und das Plateau von Langres zu 2S* 383 IV. Die Befreiungskriege gewinnen, wo Maas, Marne, Aube und Seine entspringen. Nach der herrschenden Ansicht wurden diese Flußlinien von dort aus beherrscht, so daß sie ihren Wert als Verteidigungslinien für Napoleon größtenteils verloren. Vom Plateau von Langres aus konnte man auch zur Not dem Heere Wellingtons, das aus Spanien kam, die Hand reichen und den Vizekünig Eugen ebenso wie Napoleon im Rücken bedrohen. Dann sollte auch Blücher vorgehen. Der Kaiser, so in eine üble Lage versetzt, mußte Einsicht genug haben, die Friedensvorschläge, die er bis dahin zurückgewiesen hatte, dankbar anzunehmen. Sollte der Druck durch die Ausführung des sinnreichen, wohldurchdachten Planes noch nicht genügen, dann konnte wie im Herbstfeldzuge verfahren und der gemeinsame Feind allmählich zurückmanövriert werden. So etwa sah der gekünstelte Plan aus, der dem Einmärsche nach Frankreich hinein zugrunde gelegt werden sollte. Ein Gutes hatte das Zögern und der Stillstand der Operationen im Herbste. Die Verbündeten hatten Ruhe und Zeit gehabt, ihre Verluste wieder auszugleichen. Ein Teil der vor den Festungen zurückgebliebenen Truppen konnte nach Erfüllung seiner Aufgaben die Heere am Rheins noch erreichen. Aus den Deutschland wiedergewonnenen Rheinbundstaaten flössen diesen nach und nach noch einige Verstärkungen zu. Acht deutsche Armeekorps sollten gebildet werden, das erste in Bayern, das zweite im Norden, das dritte in Sachsen, das vierte in Hessen, das fünfte in Thüringen und Westfalen, das sechste am Mittelrhein, das siebente in Württemberg und das achte in Baden. Ihre Stärke war verschieden auf 10—15 000 Mann berechnet. Ihre Aufstellung schritt sehr ungleich fort. Die am ehesten schlagfertigen, das 1. und 7., traten, durch österreichische Truppen verstärkt, als ö. und 6. Armeekorps zur Hauptarmee über. Die anderen wirkten zum Teil noch bei der Einschließung und Belagerung der Festungen mit. Das 2. wurde niemals ganz fertig; nur sein braunschweigisches Kontingent kam noch zur Tätigkeit. Immerhin war es eine Unterstützung, die gemeinsam mit den nachrückenden Ersatzmannschaften die Feldarmee wieder auf eine stattliche Höhe brachte. Bülows Streitmacht in Holland und vor Wesel kam allmählich auf 30 000 Mann mit 96 Geschützen, die schlesische Armee, jetzt aus dem preußischen Korps Jorck, sowie den russischen von Schwarzenbergs gekünstelter Feldzugsplan 389 Sacken und Langeron gebildet, auf 82 000 Mann mit 312 Geschützen. Die Hauptarmee teilte sich zu Ende des Jahres in die beiden leichten österreichischen Divisionen Bubna und Moritz Liechtenstein, ferner in 6 Armeekorps, nämlich in drei österreichische: 1. Graf Colloredo, 2. Aloys Liechtenstein, 3. Gynlai, ein württembergisches 4. unter dem Kronprinzen von Württemberg, ein bayerisch-österreichisches 5. unter Wrede, ein russisches 6. unter Wittgenstein. Die Stärke dieser Korps war freilich verschieden und muß dort, wo sie im Kampfe auftreten, besonders angeführt werden. Wredes Korps war beispielsweise über 47 000 Mann stark, Aloys Liechtensteins nur 14000. Ferner kamen noch die österreichischen Reserven unter dem Erbprinzen von Hessen-Homburg, etwa 20 000, und die rnssisch-preuszischen Garden und Reserven unter Barclay, 38 700 Mann, sowie nahe an 5000 Kasaken hinzu. Im ganzen zählte die Hauptarmee rund 200 000 Mann mit 682 Geschützen. Ihrer erdrückenden Übermacht über Napoleons Streitkräfte waren die Verbündeten sich jedoch nicht klar bewußt, sonst hätte nimmermehr geschehen können, was jetzt folgte, sondern man wäre trotz alles Mißtrauens, trotz aller Zaghaftigkeit uud Meinungsverschiedenheiten gerade auf das Ziel losgegangen. Auf die Friedensvorschläge hatte Napoleon inzwischen nur durch die Ernennung Caulaincourts zu seinem Bevollmächtigten geantwortet, zugleich aber die Entlassung der Besatzungen aus den Weichsel- und Oderfestungen verlangt, die mit Waffen, Geschütz und Vorräten nach Frankreich abrücken sollten. Wie schätzte er seine Gegner ein, um ihnen derartiges zuzumuten! Freilich erfuhr er diesmal eine kurze Abweisung. Der Einmarsch in Frankreich Am 20. Dezember überschritten die leichten Divisionen, das 1., 2. und 3. Korps der Hauptarmee und die österreichischen Reserven den Rhein bei Basel, Laufenburg und Schaffhausen, vollzogen dann eine weite Rechtsschwenkung bis über Bern gegen den Jura und betraten dieses Gebirge zu Ende des Jahres. Die leichte Division Bubna deckte bei Genf die linke Flanke. Das 5. Korps drang gleichzeitig in das Oberelsaß vor, um die südlichen Vogesenpässe zu besetzen und Belfort, Hüningen und 390 IV. Die Befreiungskriege Neu-Breisach einzuschließen; das 6. schloß Kehl und Straßburg ein. Die russisch-Preußischen Garden und Reserven, sowie das 4. Korps blieben bei Lörrach noch verfügbar. Die Kasaken schwärmten nach Frankreich hinein. Weiter nördlich ging die schlesische Armee in der Neujahrsnacht zu 1814 über den Strom, und zwar Sacken bei Mannheim, Jorck bei Caub, wo Blücher selbst zugegen war, das zu Langeron gehörige Jnfanteriekorps St. Priest bei Coblenz. Langeron selbst schloß mit seinen übrigen Truppen Mainz ein. Dorthin rückte auf Blüchers Befehl auch St. Priest auf dem linken Rheinufer heran. Überall wichen die schwachen französischen Posten und Abteilungen vom Strome zurück; nur Sacken hatte am linken Ufer, der Neckarmündung gegenüber, eine wacker verteidigte Schanze trotz der Überraschung in heftigem Kampfe zu erstürmen. Schwarzenberg schrieb an Blücher, er werde bis zum 20. Januar die Hauptarmee auf der Hochfläche von Langres versammelt haben, die schlesische Armee solle gegen Metz und Nancy vorgehen. Beide Heere nahmen den Weitermarsch auf. Vor ihnen zog sich Victor von den Vogesen her und Mar- mont aus der Pfalz auf Nancy und Metz zurück. Nur bei Epinal kam es am 11. Januar zu leichtem Gefecht. Victor wurde in Nancy von Ney aufgenommen, der dort mit mehreren schwachen Gardedivisionen stand, und setzte sich mit Marmont in Verbindung. Dann wichen alle drei über St. Dizier auf Vitry-le-fran^ais zurück, wo sie am 26. Januar, vereint 42000 Mann stark, standen. Macdonald fehlte. Er hatte zur Versammlung nicht mehr herankommen können. Bei Langres traf Mortier mit zwei Gardedivisionen, etwa 8000 Mann, gerade vor der Hauptarmee noch ein, und diese zögerte mit dem Angriff. Als sie sich am 17. Januar dazu entschloß, war der Marschall schon in Sicherheit. Er hatte die Stadt in voller Frühe verlassen. Langsam ging er zunächst auf Chau- mont, dann auf Bar-sur-Aube zurück, wo er am 24. Januar gegen den Kronprinzen von Württemberg und Gyulai zu beiden Seiten der Aube vorwärts der Stadt lebhaften Widerstand leistete. Der Kampf dauerte ohne Entscheidung bis zum Einbruch der Dunkelheit. Dann zog Mortier vor der Übermacht geschickt nach seiner rechten Flanke auf Troyes ab. Dort traf er, durch nach- V Der Rheinübergang der verbündeten Heere 391 kommende Truppen bis auf 20 000 Mann verstärkt, gleichfalls am 26. Januar ein. Sein Verlust bei Bar hatte an 1200 Mann betragen. Seine Gegner verloren 900 Tote und Verwundete und blieben in Ungewißheit über die Richtung, in der er verschwunden war. Sie hatten Bar erst am 2S. Januar besetzt. — Am 13. Januar war auch Bülow, von 3000 Engländern unter Graham unterstützt, auf Antwerpen vorgegangen und hatte Maison unter den Schutz dieser großen und starken Festung zurückgeworfen. Um dieselbe Zeit erschien Wintzingerode, der sich lange in Westfalen aufgehalten hatte, mit seinem 17 000 Mann und 60 Geschützen starken Korps, von der Nordarmee herbeigerufen, bei Düsseldorf am Rhein und begann den Strom zu überschreiten. Vor ihm war Macdonald bereits abgezogen, um zur Armee des Kaisers in der Richtung auf Chalons heranzurücken. Er ging bei Maastricht hinter die Maas und dann weiter nach Namur,wo er am 18. Januar zunächst stehen blieb. So war der wichtige Schritt des Rheinüberganges, dem man im großen Hauptquartier der Verbündeten mit so viel Bedenklichkeiten entgegengesehen hatte, geschehen, ohne daß sich eine einzige der Befürchtungen erfüllt hatte, die man zuvor daran knüpfte. Der Beweis war geliefert, wie sehr Blücher und Gneisenau Recht gehabt hatten, als sie zwei Monate früher fchon zum unaufhaltsamen Marsche auf Paris rieten. Für Napoleon aber kamen die Verbündeten auch jetzt noch überraschend und zu zeitig. Er hatte gehofft, daß sie bis zum Frühjahr am Rheine stehen bleiben würden, und wollte bis dahin eine neue Armee von 300000 Mann, darunter 100 000 Garden aus dem Boden stampfen. Jetzt waren nur Anfänge zu allen Neubildungen vorhanden, und der Typhus raffte wieder dahin, was er eben zusammengebracht hatte. So sehr die Verhältnisse sich aber auch für ihn ungünstiger gestalteten, als er es erwartet hatte, so wenig dachte er daran, sich seinem Geschick zu ergeben. Statt seine schwachen Streitkräfte den Rückzug gegen die Hauptstadt fortsetzen zu lassen, beschloß er, sich sofort selber zur Armee zu begeben, um „im Vertrauen auf die Kraft seines Genies" mitten unter den getrennt heranziehenden seindlichen Kolonnen zu erscheinen. Am 25. Januar 3 Uhr früh verließ er Paris und traf am 392 IV. Die Befreiungskriege 26. um 5 Uhr morgens in ClMons-sur-Marne ein. Noch an demselben Tage stellte er die bei Vitry vereinigten Truppen Victors, Marmonts und Neys in einer einzigen Kolonne mit der Spitze möglichst nahe an St. Dizier bereit, um den Angriff schon am folgenden Tage zu eröffnen. Seine Unterführer, die bis dahin an nichts anderes, als schleuniges Ausweichen gedacht hatten, um sich zu retten, glaubten zu träumen, als sie von solchen Plänen hörten. „Man muß sich schlagen, mit dem was man hat," war seine Antwort auf alle Hinweise, wie geringfügig seine Streitkräfte wären. Der erste Stoß traf die schlesische Armee. Blücher hatte vor den Saar- und Moselfestungen das Armeekorps Jorcks zurücklassen müssen und als Ersatz dafür nur das von Mainz kommende schwache russische Jnfanteriekorps Olsuwief erhalten, etwa ein Drittel von Langerons Truppen. So war er also erheblich geschwächt und nahm ganz richtig an, daß sich in der Gegend von ClMons so viel Streitkräfte vom Feinde zusammenfinden müßten, daß er allein sie nicht angreifen könne. Er entschloß sich daher, die ursprünglich beabsichtigte Richtung auf ClMons zu verlasfen und sich weiter südlich gegen Arcis-sur-Aube zu wenden, um sich so der Hauptarmee zu nähern. Am 25. Januar war er mit Sacken und Olsuwief bei Joinville und Dommartin. Die Avantgarde besetzte unter leichten Gefechten St. Dizier. Dann war Blücher weiter nach Brienne marschiert, wo er am 27. Januar eintraf. Am gleichen Tage wurde St. Dizier erneut von den jetzt unter des Kaisers Befehl vorgehenden Franzosen angegriffen. Marschall Victor warf die schwache russische Seitendeckung hinaus, besetzte die Stadt und stand nun fast in Blüchers Rücken, dessen Verbindungen mit der Heimat bedrohend. Der Gedanke, daß Napoleon sich überhaupt gegen diese wenden könne, schreckte den Alten indes nicht. „Tut er es, so kann uns nichts Wünschenswerteres begegnen; dann erhalten wir Paris ohne Schwertschlag" — schrieb er an Schwarzenberg. Das Gefecht von Brienne am 29- Januar (Vgl. Skizze 44 zur Schlacht von La Rothiere) Als Napoleon selbst noch am 27. in St. Dizier einrückte, erkannte er sofort die Lage und folgte den Spuren seines Gegners. Blücher stand auch an diesem Tage noch in Brienne-le-ClMeau, ein Teil seiner Truppen schon bis Lesmont darüber hinaus. Blüchers Zuversicht und Vertrauen 393 Auf die Nachricht von den Vorgängen bei St. Dizier zog er am 28. sein kleines Heer um Brienne zusammen, Napoleon das seine, bis auf Marmvnts Korps, das er bei St. Dizier beließ, um Montierender. Ein an Mortier abgesendeter Befehl fiel in Feindes Hand und- brachte Blücher die Gewißheit, daß er Napoleon selbst vor sich hätte. Er beschloß standzuhalten. Napoleon dachte wiederum, schon durch sein Erscheinen vor dem Passe von Bar-sur-Aube den Vormarsch der Verbündeten auf Troyes zum Stehen zu bringen. Am 29. nachmittags griff er an. Es kam bei Brienne zum Gefecht mit verkehrter Front. Blücher hatte im Augenblicke nur Sacken und Olsuwief bei sich. Auch rückte eine schwache Vorhut Wittgen- steins von der Hauptarmee heran, so daß er im ganzen über etwa 30 000 Mann verfügte. Zum ersten Male sollte er dem Kaiser persönlich gegenübertreten, der an Streitkräften um etwa 10 000 Mann stärker war als er. Vom Hofe des auf einer Höhe westlich von Brienne gelegenen Schlosses aus leitete Blücher den Kampf. Durch sein Fernrohr erkannte er drüben den Stab des verhaßten Korsen, der hier, wo er seine erste militärische Erziehung genossen hatte, in bekanntem Gelände focht. Der Angriff erfolgte von Nordosten her. Die Stadt ward genommen und wiedergenommen. In der Dämmerung des kurzen Wintertages ordnete der Kaiser einen allgemeinen Vorstoß an. Blücher hatte inzwischen die Masse seiner Truppen durch die Stadt auf deren Südseite gezogen, dort namentlich starke Kavallerie versammelt. Mit dieser fiel er den herankommenden Franzosen in die linke Flanke und warf sie in nordöstlicher Richtung zurück. Der Kampf schien beendet, die Dunkelheit hinderte die Verfolgung. Der Feldmarschall, der zwischen 3 und 4 Uhr zu seinen Truppen geritten war, kehrte in das Schloß zurück. Da erfolgte am späten Abend ein neuer überraschender Angriff von der Nord- und Nordwestseite. Fast wäre Blücher in Gefangenschaft gefallen. Dennoch gab er den Kampf nicht auf; er ging von Süden her wieder vor. In der Stadt wurde bis tief in die Nacht hinein gefochten; das Schloß abermals zu erobern, gelang nicht. Um nicht der Verbindung mit der Hauptarmee beraubt zu werden, entschloß Blücher sich endlich ergrimmten Herzens zum Abzüge nach den südlich gelegenen Höhen von Trannes, wo er sich gleichsam als Vorhut oder Seitendeckung der Hauptarmee aufstellte. Der Verlust hatte auf jeder Seite an 3000 Mann betragen. 394 IV. Die Befreiungskriege Napolean folgte am 30. bis la Rothiere, aber es kam nur zu einer Kanonade, die ihn erkennen ließ, daß Blücher in seiner überhöhenden Stellung Widerstand leisten werde. Für einen ernsten Angriff war der Tag schon zu weit vorgerückt. Auch am 31. Januar blieb er noch stehen. Marmont rückte von St. Dizier her auf seinen linken Flügel ein. Mortier erhielt den Befehl, das eben schon geräumte Troyes wieder zu besetzen. Auch Blücher wartete noch ab. Jetzt war er in unmittelbarer Verbindung mit den verbündeten Hauptkräften. Von Stunde zu Stunde mußte das Verderben sich mehr über dem Haupte des Kaisers zusammenziehen. Schwarzenberg hatte seine weit überlegenen Truppen die Front gegen ihn einnehmen lassen. Die Korps des Kronprinzen von Württemberg und Gyulais standen hinter Blücher bei Bar-sur-Aube bereit, Teile waren schon in Blüchers Stellung eingerückt; Colloredo traf am 31. bei Bar- sur-Seine ein. Die russischen Garden uud Reserven sammelten Heilung en vom 31.^3nu3l'1814. Skizze 43 Napoleon folgt bis La Rothiere 395 sich bei Colombey-les-deux-eglises; Wrede kam nach Doulevant, Wittgenstein nach Vassy heran. Kleist und Uorck wurden zum schnelleren Vorgehen aufgefordert. Der Kreis begann sich um Napoleon zu schließen, der eine eigentümliche Hakenstellung von der Aube über La Rothiere hinweg nach La Giberie und von dort nördlich genommen hatte. (S. Skizze 43.) Dennoch harrte er aus. Der kühne Feldherr wurde zum waghalsigen Spieler; seine verzweifelte Lage ließ ihm kaum noch etwas anderes übrig. Die Schlacht von La Rothiere am ^. Februar (S. Skizze 44) Im verbündeten Heerlager begann man nach langem Zweifeln, den Vorteil zu erkennen, den man in der Hand hielt. Blücher wurde für den 1. Februar mit einem Vorstoße betraut; er sollte den Feind aus Brienne vertreiben. Gyulai mit dem 3. Korps der Hauptarmee und ebenso die Württemberger wurden ihm unterstellt, so daß er im ganzen über 53 000 Mann unmittelbar verfügte. Kaiser Alexander und König Friedrich Wilhelm III. kamen, um dem Kampfe beizuwohnen. Der Angriff begann um 1 Uhr nachmittags. Die Russen unter Sacken und Olsuwief gingen geradeaus von Trannes auf La Rothiere vor und eröffneten die Schlacht durch lebhaftes Feuer ihrer vorauseilenden Artillerie. Napoleon trat ihnen zunächst mit starken Kavallerieangriffen aus der Front heraus entgegen, ohne die Batterien nehmen zu können. Ein heißes Ringen wogte dann um La Rothiere bis zum Abend hin und her. Weicher Boden und Schneesturm erschwerten Bewegung und Übersicht. Zur Rechten arbeiteten sich die Württemberger durch schwieriges Wald- und Sumpfgelände gegen La Giberie vorwärts und nahmen es abends nach heftigem Kampfe. Die Entscheidung brachte Wrede, der mit dem 5. — dem bayerischösterreichischen — Korps der Hauptarmee aus eigenem Antriebe von Doulevant über Soulaines weitermarschiert war und nachmittags um 4 Uhr mit seinen 26 000 Mann auf dem Schlachtfelde erschien. Den nun vereinigten 79 000 Verbündeten hatte Napoleon nicht mehr als 45 000 Mann entgegenzustellen, darunter viel Kavallerie, die bei dieser Jahreszeit, noch dazu in der Verteidigung, nur wenig nützen konnte. Wrede erstürmte Chaumesnil und behauptete sich gegen des 396 IV. Die Befreiungskriege Kaisers energische Versuche, das Dorf zurückzuerobern. Nun räumte auch Marmont, der weiter nördlich stand, erst Morvillers und Die ^clilscn! von 1.3 kolliiel'e am l.febl'USl' IM. /7>S-7/5/77///S^^, )/'e/'//?eS en /?o//?,e^>°5 Skizze 44 ^> Verbündete — M Franzosen dann das Bois d'Ajou, das er solange gegen die österreichische Division Spleny gehalten hatte und ging auf Perthes zurück. Damit war die linke Flanke der Franzosen eingedrückt und die Schlacht Blücher überschätzt seinen Erfolg 397 endgültig verloren, als nun auch La Rothiere nach blutigem Streite in Blüchers Hand blieb. Nur um Dienville an der Aube wurde noch bis in die Nacht hinein gekämpft. Gegen dieses von Gerard verteidigte Dorf hatte sich Gyulai am linken Aubeufer gewendet und um 5 Uhr nachmittags den Befehl zu dessen Fortnahme erhalten. Alle Angriffe, die schließlich auf beiden Flußufern ausgeführt wurden, schlugen jedoch fehl. Die Österreicher erlitten außerordentliche Verluste. Erst als die Verteidiger das Dorf zu verlassen begannen, konnten sie eindringen. Abends um 9 Uhr trat der Kaiser den Rückzug auf Brienne an, den er schon vor der Schlacht erwogen hatte, ohne sich rechtzeitig dazu entschließen zu können. Der Tag war blutig gewesen. Auf jeder Seite gingen an 6000 Mann verloren. Bei den Franzosen war nahezu die Hälfte davon auf Gefangene zu rechnen, ein übles Zeichen für die neu aufgestellte Arme. Schwerer fast wog, bei dem Mangel an Kriegsmaterial, der Verlust von mehr als 60 Geschützen. Blücher sah sich am Ziel seiner Wünsche. Er hatte selbständig gegen Napoleon kommandiert und ihn geschlagen. Der Traum, der ihn seit dem Tage von Lübeck nicht verlassen, war erfüllt. Die Bedeutung feines Sieges überschätzte er freilich. „In acht Tagen sind wir vor Paris," schrieb er jubelnd. Wohl hätte der Tag von La Rothiere Napoleon die Vernichtung bringen können, wenn Schwarzenberg mit allen Kräften zugegriffen hätte. Die leidige Politik hatte ihm den Arm gebunden. Österreich tat alles, um die völlige Niederlage des Kaisers zu verhüten; der schleppende Gang, den alle Entschließungen im Hauptquartier der Monarchen nahmen, lahmte, was von Energie in der Führung noch übrig blieb. Nur die eine Hälfte der Armee hatte gefochten, um der anderen das Schauspiel einer Schlacht zu geben. Trotz des schweren Schlages, den er erlitten, war Napoleon keineswegs gesonnnen, seine Sache verloren zu geben. Gerade jetzt im Unglück erhob sein Genius sich noch einmal zur alten Höhe. Zwar entwarf er für feinen Bevollmächtigten Caulaincourt maßvolle Instruktionen, „um die Verhandlungen zu einem guten Ende zu führen". Allein auch damit war es ihm nicht voller Ernst, tags darauf verweigerte er die Unterzeichnung. Er hoffte noch immer anf eine Wendung des Kriegsglücks. 398 IV. Die Befreiungskriege Noch in der Nacht ordnete der Kaiser sein Heer zum Abmärsche auf Troyes längs der Straße Brienne—Lesmont und führte es am 2. Februar bei Lesmont über die Aube zurück. Ney bewerkstelligte den Übergang als letzter und setzte dann die Brücke in Brand. Marmont, der den Rückzug gedeckt hatte und bei Rosnay angegriffen worden war, zog nördlich über die Voire ab. Am 3. vereinigte sich die Armee bei Troyes mit Mortier, Marmont rückte nach Arcis-sur-Aube heran. Macdonald stand bei ClMons, ihm gegenüber traf Aorck ein, der, in der Beobachtung der Saar- und Moselfestungen von nachrückenden Truppen abgelöst, seit dem 26. Januar der Armee gefolgt war. Die Verbündeten, die bei energischem Nachsetzen am Abend von La Rothiere dem Feldzuge noch immer ein schnelles Ende hätten bereiten können, zögerten. Sie erschienen nicht. Napoleon, der die Nacht vom 3. zum 4. Februar in Piney zubrachte, ahnte, daß sie sich trennen würden, und entwarf Pläne für neue offensive Unternehmungen, die freilich zunächst noch durch die Ereignisse gekreuzt wurden. Tatsächlich war Blücher nordwärts an die Marne abgerückt. Die verbündete Hauptarmee ging langsam längs der Seine auf Troyes vor. Am 2. Februar war bei einem Kriegsrate im Schlosse zu Brienne die früher schon von Schwarzenberg erwogene Trennung der beiden Armeen endgültig beschlossen worden. Verpflegungsschwierigkeiten, die sich in dem ausgesogenen Lande einstellten, gaben den öffentlichen Grund dafür ab. Geheime Neigungen der Feldherren förderten den Prozeß. Schwarzenberg wurde den unbequemen Dränger los. Blücher freute sich der größeren Freiheit, die ihm zuteil wurde; er konnte sich an der Marne leichter mit den zurückgebliebenen Teilen der schlesischen Armee vereinigen und beim weiteren Vormarsche den linken Flügel der Franzosen dauernd umfasfen. Beide Teile schieden befriedigt voneinander. Blücher beschloß, sich mit Sackens 15 000 und Olsuwiefs 3700 Mann auf die von ClMons über Montmirail nach Paris führende kleine Pariser Straße zu setzen; Jorck, der mit seinen 16 000 Mann den von ClMons aus weiter vorgegangenen Macdonald zur Räumung von Vitry gezwungen und ihm durch einen kühnen Reiterangriff bei La Chaussee noch 1 Fahne und ö Geschütze abgenommen hatte, nahm am 4. abends nach kurzer Beschießung auch ClMons ein. Er sollte von dort über Epernay auf der sogenannten großen Erste Trennung der schlesischen von der Hauptarmee 399 Pariser Straße vorgehen. Einige Tagemärsche hinter ihm kam jetzt auch schon Kleist mit 8000 und der russische General Kapzewitsch mit 7000 Mann vom Langeronschen Korps heran. Zwar säumte das ö. deutsche Bundeskorps, das Langeron vor Mainz ablösen sollte, noch mit dem Erscheinen, Blücher aber hatte trotzdem auf der Absendung bestanden, da seiner Meinung nach alles auf die schnelle und energische Durchführung der Operationen im freien Felde ankam. Sicher gemacht durch den Sieg von La Rothiere bewegten die Heerteile der rund 50 000 Mann zählenden schlesischen Armee sich, voneinander getrennt, ohne rechte Verbindung und nur mangelhaft mit Nachrichten versehen, gegen die Hauptstadt Frankreichs vorwärts, vor deren Toren der nächste ernste Widerstand erwartet wurde. Bei Montmirail sollte eine nähere Vereinigung stattfinden. Von der Zusammenhanglosigkeit dieser Bewegungen aber erhielt Napoleon am 6. Februar abends durch Marmont, der über Mery auf Nogent abmarschiert war, genaue Nachricht. Dieser forderte sogar zu einem Vorstoße nach Norden hin auf. Die Notwendigkeit, Paris zu decken, veranlaßte Napoleon am 7. nach Nogent-sur-Seine zurückzugehen. Erst nachts zuvor verließ Mortier mit seinem Korps als Nachhut Troyes, wohin Schwarzenberg mit der Hauptarmee vorrückte. Marmont marschierte auf des Kaisers Geheiß am 8. nach Sezanne, um aufzuklären, wie es bei Blüchers Heere stünde. Der Marschall meldete, daß es sich mit den Hauptkräften wahrscheinlich im Marnetale vorwärts bewegte. Am 9. stand Napoleons Entschluß zum Abmärsche gegen Blücher fest; nachmittags brach er mit seinem Heere nach Sezanne auf. Victor sollte mit 14 000 Mann bei Nogent, Oudinot mit 25 000 an der unteren Aonne bleiben, um dort den Schutz der Hauptstadt zu übernehmen. Macdonald wich vor der schlesischen Armee zur unteren Marne aus, wo er den wichtigen Übergang von La Ferte-sous-Jouarre besetzte. Napoleons Ausfall gegen die schlesische Armee ^0. bis ^. Februar (S. Skizze 45) Im ganzen vereinigte Napoleon um Sezanne nur 30000 Mann von Ney, Marmont und Mortier, darunter 10000 Reiter, Napoleon zwischen Blüchers getrennten Korps 401 aber er hatte die Überraschung und die Einheit der Führung auf seiner Seite. Marmont, der Urheber des Zuges, war freilich jetzt im Augenblicke der Ausführung zweifelhaft geworden. Er hielt den günstigen Augenblick schon für verstrichen. Napoleon blieb jedoch unbeirrt. Am 10. Februar morgens ging er von Sezanne nordwärts vor. An diesem Tage standen von der schlesischen Armee: Sacken bei Montmirail, Olsuwief bei Champaubert, Kleist und Kap- zewitsch in der Gegend von Vertus, Jorck bei ClMeau Thierry. Das Gefecht von «Lhamvaubert am ^0. Februar Der Kaiser traf zunächst auf Olsuwief, der nur 3700 Mann Infanterie und 24 Geschütze, aber außer einer Stabswache von 21 Reitern keine Kavallerie bei sich hatte. Der Ausgang konnte nicht zweifelhast sein. Das kleine russische Korps wurde in der Front von großer Übermacht angegriffen und zugleich von der feindlichen Reiterei umfaßt, gesprengt und fast vernichtet. Sein Führer fiel in Feindes Hand. „Der Kaiser war trunken vor Freude." Das Schicksal hatte seine Kühnheit belohnt; schon sah er im Geiste die ganze schlesische Armee auseinandergetrieben und Schwarzenberg hinter den Rhein gedrängt. Noch in der Nacht traf er weitere Anordnungen für die Verfolgung seiner Vorteile. Das Treffen von Montmirail am ^. Februar 1,3^ Der zweite Schlag galt Sacken, der an diesem Tage nach La Ferte-sous-Jouarre marschiert war, auf die Nachricht von dem bei Champaubert Vorgefallenen aber am 11. nach Montmirail umkehrte. Dort traf er bereits französische Kavallerie unter Nansouty, die um Mitternacht eingerückt war. Er brachte an 20 000 Mann heran. Der Kaiser, der einige Tausend Mann unter Marmont gegen Blücher hatte stehen lassen müssen, scheint ihm an Streiterzahl nicht überlegen gewesen zu sein. Bei Marchais westlich Montmirail trafen beide aufeinander. Napoleon machte seinen linken Flügel besonders schwach, um den Gegner zum Angriff zu verleiten. Sacken, stets unternehmend und verwegen, griff wirklich an. Am Nachmittage hatte der Kaiser genug von seinen Truppen zur Hand, um nun entscheidend zufassen zu können. Das geschah gegen 2 Uhr mit Übermacht vom rechten Flügel aus, und Sacken wurde geworfen, zugleich aber von dem aus der Richtung von ClMeau Frhr, v, d, Goltz, Kriegsgeschichte 26 402 IV. Die Befreiungskriege Thierry herankommenden Jorck getrennt. Dieser brachte 5000 Mann mit, aber keine schwere Artillerie, die im tiefen Straßenkote stecken geblieben war. Er konnte das Schicksal des Tages nicht mehr wenden, sondern nur noch den Russen durch einen energischen Vorstoß Luft machen. Mit Mühe und unter erheblichen Verlusten gelang es den beiden verbündeten Generalen, sich in der Nacht auf CkMeau Thierry zurückzuziehen. Die Verbindung mit Blücher war dadurch vereitelt. Die Truppen gerieten arg durcheinander. „Jeder suchte so gut durchzukommen, als es ihm möglich war." Ihre Einbuße war bedeutend, nämlich bei den Russen 2300 Mann und 13 Kanonen, bei den Preußen 31 Offiziere und 860 Mann. Der französische Verlust soll nur an 2000 Mann betragen haben. Das Gefecht von Lhkteau Thierry arn ^2. Februar ^8^ Am 12. Februar wurden Jorck und Sacken vom Kaiser in der Gegend von Viffort und Essises angegriffen und unter neuen erheblichen Verlusten von 2700 Mann und 6 oder 9 Geschützen bei Chateau Thierry über die Marne zurückgeworfen. Der Kaiser hatte gehofft, Macdonald werde sich ihnen von La Ferte aus dort vorlegen können, wozu er Befehl erhalten hatte, und so ihre Vernichtung herbeiführen; allein der Marschall kam nicht. Die Brücke wurde von den Verbündeten überschritten und zerstört. Napoleon schlug am 13. Februar eine andere und folgte auf das rechte Marneufer, seine Armee auf der Straße nach Soissons vorführend. Seine Erfolge erfüllten ihn mit größter Zuversicht. „Die fchlesische Armee existiert nicht mehr," hatte er am Abend von Montmirail seinem Bruder Joseph geschrieben, der ihn in Paris vertrat. Die Russen sollten 70 000 Gefangene und alle Geschütze verloren haben. Diese maßlose Übertreibung war natürlich nur darauf berechnet, die Stimmung in Frankreich zu heben und das Volk zum Aufstande zu bringen. Nunmehr schwankte er, ob er von der schlesischen Armee ablassen und sich gegen Schwarzenberg wenden solle, den er im Vorgehen wußte. Er erfuhr Victors Ausweichen auf das rechte Seineufer bei Nogent und traf Vorsorge für starke Besetzung von Montereau. Zugleich verstärkte er Marmont, dem gegenüber der Feind — wie Napoleon meinte Wittgenstein — sich regte. Er sandte ihm die am weitesten zurückgebliebenen Truppen zu und beauftragte ihn, Montmirail zu decken. Da erhielt er in der Nacht Sacken und Dorck geschlagen 403 zum 14. Meldung, daß es Blücher sei, der Marmont gegenüber stand, und erkannte sogleich die Möglichkeit, noch einen Schlag gegen den bisherigen Gegner zu tun. Jorck und Sackens Verfolgung überließ er Mortier und setzte seine übrigen Truppen sofort wieder auf Montmirail in Marsch. Er selbst brach um 4 Uhr früh siegesgewiß an der Spitze der alten Garde auf. Das Treffen von Vauchamvs und Etoges am ^.Februar i^Sl.^ Wir kehren zu Blücher zurück. Dieser hatte schon vor den letzten Ereignissen die Versammlung der Armee eingeleitet und seine Befehle dazu erlassen, die aber nicht mehr zur Durchführung kamen. Drohende Anzeichen für Napoleons Absichten waren erkannt worden. Gneisenau wollte nördlich der Marne bleiben, aber die Rücksicht auf die Hauptarmee und die Sicherung der natürlichen Verbindungen gaben für das Südufer des Flusses den Ausschlag. So hatte Napoleon die Gelegenheit für feinen bisherigen Siegeszug gewonnen. Am 10. Februar, als der erste Unfall von Champaubert eintrat, war Blücher mit den schwachen Korps von Kleist und Kapze- witsch gerade auf dem Marsche nach Fere-Champenoise gewesen, um auf Schwarzenbergs Wunsch diese Truppen näher an die Hauptarmee heranzuführen. Nunmehr kehrte er wieder um und stellte sich bei Bergeres nahe südlich Vertus an der kleinen Pariser Straße auf. Dort wartete er am 11. und 12. voll Ungeduld auf Nachrichten. Die Schwäche der Kavallerie, die er bei sich hatte, machte ein Vorgehen bedenklich. Seine wenigen Reiter vermochten nicht durchzudringen und Aufklärung zu schaffen. Alle Bewegungen waren durch den entsetzlichen Zustand der Straßen aufs äußerste erschwert. Von Westen und dann von Nordwesten tönte an den beiden Tagen ferner Kanonendonner zu ihm hinüber; die Lage war eine höchst spannende. Am 13. früh trafen zwei Kavallerieregimenter und vier Batterien vom Kleistschen Korps bei Bergeres ein. 16000 Mann Infanterie, 1500 Reiter und 48 Geschütze waren jetzt beisammen. Nun ließ sich der Alte nicht länger halten. Es mußte doch etwas geschehen, um Sacken und Jorck zu Hilfe zu kommen; der Marsch nach Etoges, wo Marmont stand, wurde angetreten. Von Olsuwiefs kleinem Korps hatten sich aus der Katastrophe von Champaubert 26* 404 IV. Die Befreiungskriege 1800 Mann mit 9 Kanonen unter Udom gerettet und sich ihm wieder angeschlossen. Sie sollten den Rücken decken und zur Aufnahme den Wald von Etoges besetzen. Vorauf ging Zieten mit der Avantgarde; Kleist und Kapze- witsch folgten in zwei Kolonnen nebeneinander auf der Chaussee. Bei Etoges stieß man auf den Feind, der nach einer kurzen Kanonade auswich und in eine starke Stellung westlich Champaubert zurückging. Mittlerweile war aber alles still geworden; Nachrichten fehlten. Ein weiterer Angriff unterblieb. Ein vornehmer Gefangener berichtete, daß Napoleon mit seinen Garden nach Paris zu marschiert sei, um die Hauptarmee abzuwehren. Blücher hielt den Sturm für überstanden und nahm abends sein Hauptquartier in Champaubert. In der Nacht räumte der Feind seine Stellung. Dies schien die Annahme von des Kaisers Abmarsch zu bestätigen. Die Avantgarde ging weiter auf Vauchamps vor, die anderen Truppen folgten erst um 10 Uhr vormittags, da Blücher noch auf Nachrichten gewartet hatte. Er hoffte, die schlesische Armee bei Montmirail vereinigen zu können. Gegen Mittag begann vorn jedoch lebhaftes Geschützfeuer. Vauchamps war besetzt gefunden, dann aber bald geräumt worden. Vor Montmirail stieß man wider Erwarten auf einen starken Feind. Zieten, zu schwach, um ihn angreifen zu können, mußte erst Kleist und Kapzewitsch abwarten. Inzwischen aber gingen die Franzosen ihrerseits energisch zum Angriff über. Bald herrschte kein Zweifel mehr, daß Napoleon selbst zur Stelle sei. Man erfuhr auch den Abmarsch Sackens und Jorcks hinter die Marne. Gneisenau riet zur ungesäumten Umkehr, da nun kein Grund mehr zum Ausharren vorhanden war. Das Zurückgehen aber gestaltete sich außerordentlich schwierig. Geordnet zog die Infanterie ab; allein die zahlreiche französische Reiterei brach, zumal von Süden her, zwischen und in ihre Vierecke ein. Einzelne wurden zersprengt. In grimmigster Stimmung mußte Blücher weiter und weiter mit ihnen weichen, oft selbst in Gefahr, vom Feinde gefangen genommen zu werden. Schließlich erschien auch von Norden her feindliche Artillerie und Kavallerie und, als Champaubert durchschritten war, in hereinbrechender Dunkelheit eine starke Mauer feindlicher Reiter quer über die Rückzugsstraße hinweg. Am Walde hinter dem Orte sollten bekanntlich die Russen von Olsuwiefs Korps stehen, hatten aber versehentlich bei Etoges Napoleon wendet sich gegen Blücher 405 Stellung genommen, so daß die Aufnahme fehlte. Dennoch gelang der Durchbruch, wenn auch nur unter schweren Opfern. Die Preußen allein verloren an diesem Tage 80 Offiziere, 3908 Mann mit 7 Kanonen, die Russen 2000 mit 9 Geschützen. An längeren Kampf war zunächst nicht zu denken. Ohne Aufenthalt ging es in der Dunkelheit weiter. Erst bei Bergeres konnte eine kurze Rast gemacht werden; dann brach man nach Chalons auf, das am 15. von den erschöpften, aber nicht entmutigten Truppen erreicht wurde. Dort trafen tags darauf auch Jorck und Sacken ein. 14000 Mann und 47 Geschütze waren während dieser unheilvollen Februartage im ganzen verloren gegangen, und die schlesische Armee stand wieder ebenso weit von Paris entfernt, als 11 Tage vorher, nach der Schlacht von La Nothiere. Vernichtet aber war sie nicht, wie Napoleon es triumphierend verkündete. Einem in der Nacht zu Bergeres aus dem großen Hauptquartier eintreffenden Offizier gab Blücher schon die Versicherung mit, daß die schlesische Armee in wenig Tagen geschlossen und verstärkt abermals auf dem Plane erscheinen werde. Alle gebeugten Gemüter wußte er durch seine Frische und Zuversicht wieder aufzurichten, und in der Truppe war der Eindruck der letzten Unfälle schnell überwunden. Vier Tage später konnte die Offensive schon von neuem aufgenommen werden. „Ich suche Worte, um meiner Bewunderung für die Unerschrockenheit und die Mannszucht der Truppe Ausdruck zu verleihen," schrieb Hudson Löwe, der englische Begleiter Blüchers, an den bei der Hauptarmee beglaubigten Vertreter, General Stewart — und dies Lob war wohl verdient. 5 5 Wir wenden uns jedoch zunächst noch der Hauptarmee zu. Den siegreichen Einzug der Verbündeten in Paris wollte Schwarzenberg, der Politik seines Herrschers folgend, auf alle Fälle hintertreibe,:. Auch in König Friedrich Wilhelms Umgebung machte sich die Friedensstimmung geltend. Sein Hauptberater Knesebeck hielt den Kriegszweck für erreicht, da Frankreich in seine alten Grenzen zurückgeführt sei. Er drängte zum Abschluß. Nur Kaiser Alexander redete in günstiger Übereinstimmung mit Blücher und Gneisenau der energischen Fortsetzung des Feldzuges das Wort. Die Friedensverhandlungen in ChsMon-sur-Seine waren inzwischen im Gange. 406 IV. Die Befreiungskriege Ganz untätig durfte der Oberbefehlshaber indessen nicht bleiben. So hatte er denn von Troyes aus eine umständliche Operation zur Umfassung der feindlichen rechten Flanke an der Ionne eingeleitet. Damit wurde Zeit gewonnen und eine immerhin nützliche Einwirkung auf Frankreich versucht, ohne eine Katastrophe herbeizuführen. Als Napoleon von Nogent auf Sezanne gegen Blücher abmarschierte, hatte er bekanntlich die Marschälle Oudinot und Victor der verbündeten Hauptarmee gegenüber zurückgelassen. Der Kaiser kannte deren Führer nur zu gut und rechnete darauf, daß er nichts Energisches unternehmen werde. Wenn das wider Erwarten doch geschah, so sollten die beiden Marschälle sich bei Montereau am Zusammenflüsse von Ionne und Seine vereinigen, um gemeinsam Widerstand zu leisten. Dorthin sandte Napoleon von Ch-Ueau Thierry aus auch Macdonald ab, so daß bei Montereau verhältnismäßig bedeutende Kräfte zusammenkommen mußten. Am 11. Februar hatte Schwarzenberg sich durch Überraschung in den Besitz von Sens gesetzt. Als nun die ersten Nachrichten von Napoleons Erfolgen gegen die schlesische Armee eintrafen, mußte er Wohl oder übel etwas zu deren Unterstützung tun und ließ Wrede und Wittgenstein nach Nogent vorgehen. Kaiser Alexander vermehrte den in dieser Art ausgeübten Druck noch dadurch, daß er die Garden und Reserven in der gleichen Richtung folgen ließ. Victor und Oudinot, zusammen gegen 40000 Mann stark, wichen unter mehrfachen Gefechten allmählich gegen Paris hin aus. Am 14. Februar, als Napoleon gerade den letzten Schlag gegen die schlesische Armee tat, vereinigten sie sich in den Morgenstunden bei Nangis. Von dort bis zur Hauptstadt waren es nur noch zwei starke Tagemärsche. Ihnen gegenüber standen an den beiden großen Straßen, die von Nogent und von Sens auf Paris führen, bedeutende Kräfte der Hauptarmee, nämlich Wrede, Wittgenstein, Garden und Reserven an der ersten, Colloredo, Gyulai und Nostiz mit der Kavallerie der österreichischen Reserven an der zweiten. Dazwischen bei Bray an der Seine war der Kronprinz von Württemberg eingetroffen. Ohne Zweifel bedürfte es jetzt nur noch eines frischen Zu- greifens, und Paris wäre in die Hände der Verbündeten gefallen, ehe Napoleon mit seinem siegreichen Heeresteile zur Rettung herbeieilen konnte. Aller Voraussicht nach wäre damit auch der Krieg Vorrücken der Hauptarmce 407 beendet gewesen. Allein Schwarzenberg dachte anders. Er wollte nicht in den Fehler Blüchers verfallen, oder gab vor, es nicht zu wollen. Ehe nicht die Hauptarmee völlig versammelt und auch die schlesische Armee wieder herangekommen sein würde, verweigerte er seine Zustimmung zum Angriff auf Paris. Einstweilen stellte er den Marsch dorthin also ein, um Nachrichten abzuwarten, obwohl Oudinot und Victor ihren Rückzug auch nach der Vereinigung noch von Nangis fortgesetzt hatten und Wredes Kavallerie hinter ihnen am IS. Februar dort einrückte. Der Oberfeldherr hatte bis dahin Napoleon noch immer im allgemeinen auf dem Rückzüge gegen Paris hin vermutet. Nunmehr erfuhr er, daß die Dinge ganz anders stünden, daß der Kaiser der geschlagenen schlesischen Armee folge, und daß Sacken und Jorck, über die Marne zurückgeworfen, von dieser getrennt worden wären. Sogleich stand sein Entschluß fest. Am 15. Februar befahl er von seinem Hauptquartier Nogent aus den Rückzug der gesamten Hauptarmee auf Arcis-sur-Aube, Troyes und Sens. Napoleons Zug gegen Schwarzenberg vom ^5. bis 27. Februar Napoleon stand nach dem ihm so überraschend zugefallenen letzten Erfolge gegen Blücher vor einer wichtigen Entscheidung. Die Frage war, ob er diesen noch weiter verfolgen solle oder von ihm ablassen dürfe, um sich gegen die Hauptarmee der Verbündeten zu wenden. Blücher, der während der letzten Kämpfe nahezu ein Drittel seiner Streitkräfte verloren hatte, bedürfte zum wenigsten einiger Tage Ruhe. Seine Armee mußte sich erholen, sich mit dem nötigen Kriegsbedarf wieder versehen, sich versammeln und die erwarteten Verstärkungen herankommen lassen. Wenn ihm die Muße dazu nicht gewährt, sondern er unaufhörlich verfolgt und seine Vereinigung mit Sacken und A^ck verhindert worden wäre, so würde die Zerstörung weiter fortgeschritten sein. Die Trümmer des schlesischen Heeres hätten an Mosel, Saar oder Rhein zurückgehen müssen und der Feldzug vielleicht fein frühes Ende erreicht, wie es Österreich wünschte. Daran hätte Wintzingerodes Erscheinen von Norden her wohl nichts geändert, und die Hauptarmee wäre, sobald der Kaiser von der Mosel her südlich vorstieß, um so eher der geheimen Neigung 408 IV. Die Befreiungskriege zum Marsche nach dem Rheine zurück gefolgt, als sich auch Augereau von Lyon her bemerkbar zu machen begann. Zum Glück für die Sache der Verbündeten aber täuschte der Kaiser sich völlig in der Person seines Gegners und ebenso in dem Geiste, der die russischen und namentlich die preußischen Truppen, sowie ihre Offiziere beseelte. Der große Verächter der Massen vermochte an die moralische Erhebung seiner Gegner nicht zu glauben und sie in Rechnung zu stellen. Er erwartete und befürchtete von der schlesischen Armee vorerst nichts Ernstes und hielt sie einstweilen für abgetan. Es regte sich bei ihm auch die Besorgnis um die Sicherheit der Hauptstadt. Bitter rächte sich jetzt, daß innerpolitische Rücksichten ihn verhindert hatten, Paris während des Winters zu befestigen, um es vorübergehend sich selbst überlassen zu können. Durchliefe Versäumnis war er in die Zwangslage geraten, daß er jetzt unaufhörlich auf dessen Deckung bedacht sein mußte und die Freiheit der Bewegung verlor. Sein Entschluß stand deshalb auch bald fest, von Blücher abzulassen und sich gegen Schwarzenberg zu wenden. Seine Schnelligkeit dabei glich der seiner besten Tage. Schon um 4 Uhr morgens des 15. Februar ergingen die neuen Befehle. Wie einst in Schlesien Macdonald, so sollte hier Marmont der schlesischen Armee gegenüber zurückbleiben, um sie erst noch weiter zurückzudrängen. Wenn sie dann, neu gekräftigt und verstärkt, wieder zum Angriff schritt, so sollte er ihr langsam von Stellung zu Stellung über Montmirail nach La Ferte-sous-Jouarre ausweichen. Inzwischen hoffte der Kaiser auch mit dem zweiten Feinde fertig geworden zu sein. Die Armee wurde zu diesem Zwecke zunächst auf La Ferte- sous-Jouarre in Marsch gesetzt. Von dort wollte Napoleon nach Süden abrücken und sich der Hauptarmee vorlegen. Er berechnete, daß dies am besten bei Guignes werde geschehen können, wo die Straßen von Meaux nach Melun und von Paris nach Nangis sich schneiden. Sollte Schwarzenberg bei seinem Erscheinen zurückgehen, dann war er entschlossen, wieder über Montmirail auf ClMons oder Vitry vorzugehen und dem Feinde in die rechte Flanke und den Rücken zu marschieren. Am Nachmittage des 15. Februar war er in Meaux; am 16. versammelte er seine Streitkräfte — die Korps Victor, Oudinot, Schwarzenberg will die Vereinigung mit Blücher abwarten 409 Gerard, Macdonald, Milhaud, Exelmans und Kellermann — um Guignes. Die Truppen, die er über Montmirail heranführte, hatten in 36 Stunden mehr als 10 deutsche Meilen zurückgelegt. Alle waren stark zusammengeschmolzen und nur noch dem Namen nach Korps und Divisionen. Im ganzen zählten sie nicht mehr als 65 000 Mann. Aber die alte Energie leitete sie wieder, und der Kaiser besann sich keinen Augenblick, den überlegenen Gegner anzufallen. Fürst Schwarzenberg hatte seinen Rückzugsbefehl widerrufen, als er in der Nacht zum 16. erfuhr, daß Napoleon auf La Ferte- sous-Jouarre abmarschiert wäre. Aber vorgehen und angreifen wollte er trotzdem nicht, ehe die schlesische Armee nicht da war. Er dachte nun dort, wo er sich jetzt befand, auf sie zu warten. Das Treffen von Montereau vom ^8. Februar (S. Skizze 46) Napoleon schritt am 17. von Guignes aus zum Angriff, vertrieb den Vortrab der Verbündeten, der dabei 2000 Mann uud 10 Geschütze verlor, aus Mormant, warf Wredes Avantgarde über llis llm geg enci von ^lonfel-eZu ^Ä^5s/7/1S5 / ^^^B^".. ......,.,/'"'-/>"X,....................... ^ ^s65/s5 / Skizze 46 Nangis zurück und ging dann in breiter Front gegen die Seine vor. Dort standen ihm Wittgenstein bei Provins, Wrede bei Donnemarie und der Kronprinz von Württemberg bei Montereau gegenüber. Die anderen Teile der Hauptarmee befanden sich entweder südlich an der Ionne oder rückwärts. Nördlich streifte General Diebitsch mit einem 410 IV. Die Befreiungskriege kleinen Heerteil gegen Montmirail. Wittgenstein und Wrede gingen fechtend auf Provins und Bray zurück; der Kronprinz von Württemberg blieb bei Montereau. Gegen ihn entsandte Napoleon den Marschall Victor, der den wichtigen Übergang an diesem Tage noch nehmen sollte, ihn aber nicht mehr erreichte. Hierüber aufgebracht, ersetzte ihn der Kaiser durch Gerard, der am 18. morgens zum Angriff schritt. Der Kronprinz hatte den wunderlichen Befehl erhalten, den Übergang wenigstens bis zum 18. abends zu behaupten, obschon Schwarzenberg nicht mehr daran dachte, ihn zu benutzen. Auch war nichts für seine Unterstützung geschehen. Dazu kam noch, daß das hohe rechte Ufer der Seine das flache linke und die Brücken um nahe an 200 Fuß überragte, so daß es besetzt werden mußte. Die dort stehenden Truppen hatten den steilen Talrand und die Seine mit nur einer Brücke hinter sich. Sie befanden sich also in recht ungünstiger Lage. Nach längerem hin und her wogenden Kampfe wurde zuerst das Dorf Villaron von den Franzosen genommen. Dann schritt Napoleon, der mittlerweile an 30 000 Mann zusammengezogen hatte und um 3 Uhr nachmittags selbst auf dem Gefechtsfelde eintraf, in vier Kolonnen zum Angriff auf Montereau. Er warf die Württemberger und eine bei ihnen befindliche österreichische Brigade, die zusammen kaum halb so stark und an Geschützen noch mehr unterlegen waren, über den Fluß zurück und brachte ihnen einen Verlust von mehr als 4000 Mann und 2 Geschützen bei, während er selbst nur 2500 Mann einbüßte. ->- 4 So konnte er auf ein neues siegreiches Gefecht zurückblicken, und seine Hoffnungen und Ansprüche steigerten sich. Waffenstillstandsanträge, die Schwarzenberg unter Hinweis auf die in ClMllon-sur-Seine stattfindenden Friedensverhandlungen an ihn richtete, blieben daher erfolglos. Mißmutig entschloß sich der Fürst, der eben noch Blücher getadelt hatte, weil er seine Armeekorps vereinzelt hatte schlagen lassen und der nun in denselben Fehler verfiel, zum Rückzüge in der Richtung auf Troyes, um die Hauptarmee zu versammeln. Blücher wurde nach Mery-sur- Seine herangerufen. Napoleons Pläne aber gewannen gleichzeitig an Umfang. Oudinot war bis Provins, Macdonald bis Bray gelangt. Der Schwarzenbergs Rückzug auf Troyes. Blücher bei Mery 411 Vormarsch nach Osten sollte von allen Kräften ungesäumt fortgesetzt werden, Augereau, der bei Lyon gestanden, in den Rücken der Verbündeten vordringen, um sie ihrer Verbindungen wegen besorgt zu machen. Die Deckung der nördlicheren Straßen nach Paris blieb Marmont und Macdonald überlassen. Maison sollte Bülow festhalten. Am 19. wurde die Seine überschritten. Die verbündete Hauptarmee wich in den folgenden Tagen auf Mery und Troyes zurück. Blücher hatte sein Eintreffen bei Mery mit S3 000 Mann und 300 Geschützen für den 21. Februar in Aussicht gestellt, und er hielt Wort. Von diesem Tage ab wären 150 000 Mann mit einer zahlreichen Artillerie auf der nur wenig über 30 Kilometer messenden Front Mery—Troyes in der Hand des Oberbefehlshabers vereinigt gewesen, um gegen den Kaiser, der alles in allem doch nur 60—70000 Mann zusammenbringen konnte, den vernichtenden Schlag zu tun, der den Krieg auch jetzt wieder hätte beenden können. Aber Schwarzenberg zögerte und hatte Bedenken. Als nun die Kunde von Augereaus Vordringen die Saone abwärts, anderer französischer Kräfte gegen Genf umlief, und der kühne Kasakenführer Seslawin, der bis Orleans gestreift und die Stadt zur Übergabe ausgefordert hatte, ganz übertriebene Nachrichten von Napoleons Truppenstärke brachte, da fielen alle Pläne für eine Entscheidung. Colloredo wurde nach Dijon gegen Augereau entsandt, der Rückzug der Hauptarmee auf das strategisch so beliebte Plateau von Langres beschlossen. Schwarzenbergs Gründe dafür klingen im einzelnen annehmbar; sie reden die Sprache des überlegenden und gelehrten Soldaten. Es wird aber bei allen übersehen, daß die vielen Schwierigkeiten, von denen immerfort die Rede ist, am einfachsten gelöst worden wären, wenn man mit der vorhandenen, mehr als doppelten Übermacht den Feind angegriffen und vernichtet hätte. Nicht wer die Umstände am schärfsten erwägt, sondern wer die Gelegenheiten am frischesten ergreift, zwingt im Kriege das Glück in seinen Dienst. Die Kühnheit darf freilich nicht in Unbesonnenheit ausarten. » » Blücher war nicht nur, wie er verheißen, bei Mery erschienen sondern auch mit den ankommenden Franzosen schon in den Kampf getreten. Er tat, als ob er gar nicht geschlagen worden wäre, und seine Armee machte es ebenso. Auch zur energischen Offensive wäre 412 IV. Die Befreiungskriege er vollkommen bereit gewesen. Nun aber die Hauptarmee von jeder Offensive Abstand nahm, wurde seine Lage unbequem. Vereinigt konnte die große Heeresmasse der Verbündeten in dem gänzlich ausgesogenen Lande an der mittleren Seine und Aube nicht lange bleiben. Blüchers Rückzug in gleicher Richtung mit der Hauptarmee hätte ihn in die Kalkstaubwüste der Champagne pouilleuse geführt. Der Alte sehnte sich zudem wie immer nach Freiheit der Bewegung und nach neuem Vorgehen. Vielleicht war man im Hauptquartier insgeheim auch froh, den lästigen Dränger wieder los zu werden. Am 23. Februar erhielt er die Genehmigung, sich von der Hauptarmee abermals zu trennen, in das Gebiet nördlich der Marne überzugehen und von dort Napoleons linke Flanke und Rücken zu bedrohen. Sogleich stand bei ihm der Plan fest, sich mit Wintzingerode und Bülow zu vereinigen, um dann, wenn nötig, allein auf Paris zu marschieren. Eine neue Wendung kam damit in die Führung des Feldzuges. Zum Teil aus Gründen persönlicher Natur und aus Nebenrücksichten hervorgegangen, ward sie doch von entscheidender Bedeutung. Sie löste die Kraft, die in der schlesischen Armee lag, aus lästigen Banden und gestattete vor allem Blücher, die Macht seiner Persönlichkeit zur Geltung zu bringen. „Ich scheue so wenig den Kaiser Napoleon, wie seine Marschälle, wenn sie mich entgegenträten," schrieb er hocherfreut seinem Könige und brachte noch in der Nacht zum 24. seine Armee in Bewegung. Der nächste Schlag sollte Marmont gelten, dessen Eintreffen bei Sezanne Blücher erfahren hatte. — Napoleon besetzte nach lebhaften nächtlichen Kämpfen zu derselben Zeit Trotzes; die Hauptarmee wich am 24. weiter vor ihm gegen die Aube aus. Er hatte unzweifelhaft noch einmal einen großen militärischen Erfolg errungen und eine Feldherrntätigkeit wie in den besten Tagen seiner kriegerischen Laufbahn entfaltet. Für die erreichbaren politischen Ziele aber fehlte ihm das rechte Augenmaß. Daß trotz der augenblicklichen Erfolge das beiderseitige Stärkeverhältnis einen endgültigen Sieg des erschöpften Frankreich gegen das in Waffen stehende Europa ausschloß, verhehlte er sich oder wollte es sich verhehlen. Nach seinem Siege von Champaubert hatte er davon geträumt, eines Tages wieder an der Weichsel zu stehen. Jetzt zog er die Zugeständnisse, die er seinem Vertreter in ClMillon, Caulaincourt, freigestellt hatte, zurück und schlug den Waffenstillstand, den die Verbündeten die Schwäche hatten, ihm Zweite Trennung der schlesischen von der Hauptarmee 413 von neuem anzubieten, in rauher Tonart aus. Er beraubte sich damit der einzigen Möglichkeit, das allmählich wieder Hoffnung schöpsende Frankreich noch ein letztes Mal unter Waffen zu bringen, um so die nötigen Kräfte zur Abwehr zu gewinnen. „Der Enthusiasmus für den Besieger der feindlichen Eindringlinge wuchs mit jedem Tage." Was im Januar nicht gelungen war, hätte im März, wenigstens im Osten des Landes glücken können. Er verschmähte es, die Zeit dafür zu gewinnen; damit bereitete er selbst sein Verderben vor. » 5 5 Zunächst blieb Napoleon mit seinen Garden in Troyes, beide Gegner beobachtend, die vor ihm gestanden hatten. Am 26. Februar war die gesamte Hauptarmee hinter der Aube verschwunden und setzte den Rückmarsch gegen das Plateau von Langres fort. Macdonald, Oudinot und Gerard folgten ihr. Auch von Blüchers Marsch hatte der Kaiser Kenntnis. Er sandte Ney und den wieder zu Gnaden aufgenommenen Victor hinter ihm her. Marmont wich vor Blücher auf La Ferte Gaucher aus; Mortier traf, von ClMeau Thierry kommend, in La Ferte-sous-Jouarre ein, so daß beide Mar- schälle, die Straßen nach Paris deckend, nahe beieinander standen. Blücher hatte inzwischen frohen Herzens den Bannkreis der Hauptarmee und die unwirtlichen, durch den Krieg entvölkerten Gegenden von Mery verlassen, noch am 24. bei Anglure die Aube auf drei Schiffbrücken überschritten und seinen Marsch am 2S. nach Sezanne gerichtet, wo Marmont ihm leider entgangen war. Einen Versuch Schwarzenbergs, ihn wieder zur Hauptarmee zurückzurufen, ließ er an sich abgleiten. „Nun geht's nach Paris," war die Losung, mit der er seine Leute anfeuerte. In der Tat war es seine Absicht, sich vorwärts bei Meaux mit Bülow, der in Laon, und Wintzingerode, der in Reims eingetroffen war, zu vereinigen und sein Vorgehen mit der gesamten, dann auf 110 000 Mann angewachsenen Macht geradeswegs zur französischen Hauptstadt fortzusetzen. Auch die Truppen des Herzogs von Weimar, die vor den flandrischen Festungen standen, wurden Blücher unterstellt. Langeron war mit dem noch fehlenden Rest seines Korps im Anmarsch auf Epernay. St. Priest stand in Vitry, Tettenborn und Colomb hielten die Verbindung mit der Hauptarmee aufrecht. Alles ließ sich günstig an, seit der große Entschluß einmal gefaßt war. Rüstig ging es nach Westen weiter. Am 27. und 28. Februar 414 IV. Die Befreiungskriege wurde die Marne bei La Ferte überschritten. Die schlesische Armee stand nur noch 50 Kilometer von Paris, entschlossen, den Krieg gleichsam auf eigene Faust fortzuführen. Mortier und Marmont hatte sie freilich weder vernichten noch abdrängen können. Beide vereinigten sich bei Meaux. Dennoch sollte der Erfolg ihres entschlossenen Vorgehens nicht ausbleiben. Am 28. stand Blücher zwischen Marne und Ourcq, einen Schlag gegen die beiden Marschälle planend, als ihm die „höchst erfreuliche Nachricht" zuging, daß Napoleon hinter ihm herkomme. In der Tat war es ihm gelungen, den Kaiser von dem Boden fortzuziehen, auf dem er den Verbündeten jetzt am gefährlichsten werden konnte — von Ostfrankreich. Am 27. Februar vormittags hatte Napoleon die Gefahr erkannt, die der Hauptstadt von Blücher drohte und war mit gewohnter Schnelligkeit von Troyes nördlich aufgebrochen, um die große Straße bei Fere Champenoise zu gewinnen und dann Blücher zu folgen. Am 28. ging der Marsch auf Sezanne weiter. Der Hauptarmee gegenüber war Macdonald mit 33000 Mann und dem Befehl zurückgeblieben, alles zu tun um Schwarzenberg glauben zu machen, daß der Kaiser selbst noch vor ihm stünde. Den 1. März wollte Blücher benutzen, um Marmont und Mortier den zugedachten Schlag zu versetzen. Die Vorhut der beiden preußischen Korps unter Katzeler und Zielen, denen auch Kleist folgte, fand aber beim Vorgehen nach dem Überschreiten des Ourcq den heftigsten Widerstand bei Gue ä Tresmes an der Therouane und mußte auf der Straße von Soisfons zurück. Zugleich mehrten sich die Meldungen über Napoleons Erscheinen. Blücher hielt seine Vereinigung mit Wintzingerode für gefährdet, ließ die Marnebrücke abbrechen und marschierte am 2. mit seiner Armee nordöstlich nach Oulchy le ClMeau, wo er den ankommenden Verstärkungen näher stand. Der Kaiser persönlich war am 1. März nachmittags wirklich schon in La Ferte-sous-Jouarre eingetroffen, seine Armee aber auf den grundlosen Wegen noch weit zurückgeblieben. Auch mußte die Brücke wiederhergestellt werden. So verging ihm — dem ewig Ungeduldigen — der 2. März im Warten und bei dem Brückenschlage. Schon dachte er an eine Rückkehr über Chalons gegen die Hauptarmee. Allein am 3. Februar in den ersten Morgenstunden stand die Brücke fertig da, und nun sollte doch Blücher Marsch der schlesischen Armee gegen Paris 415 erst noch die Wucht seines Angriffs erfahren. Dessen Lage mit der Aisne und der Festung Soissons im Nucken, von Süd und Südost durch den Kaiser, von Südwest durch Mortier und Mar- mont bedrängt, war keine leichte. Da öffnete Soissons am 3. noch zu rechter Zeit Bülows und Wintzingerodes Truppen die Tore. Blücher konnte die Festung durchziehen und stand am 4. kampfbereit nördlich Soissons hinter der Aisne. Sein Entschluß, „eine große Schlacht zu liefern", stand fest. Die Vereinigung mit Bülow und Wintzingerode war erfolgt. Bülows und Wintzingerodes Anmarsch vom nördlichen Uriegsschauvlatze In Kürze ist zu erklären, wie beide Generale herangekommen waren. Wir haben Wintzingerode nach dem Rheinübergange bei Düsseldorf verlassen. Vor Wesel hatte er die Preußen vom Bülow- schen Korps abgelöst und Jülich umstellt. Der französische General Sebastiani, der, von Macdonald mit der Beobachtung Wintzingerodes beauftragt, ihm mit ganz schwachen Kräften gegenübergestanden hatte, war über Aachen abgezogen, wo Wintzingerode am 23. Januar sein Hauptquartier nahm. Seine Avantgarde besetzte Lüttich. Von dort war Macdonald mit seinen, im ganzen 12000 Mann betragenden Streitkräften auf CkMons zur Versammlung der französischen Armee abgerückt, wo wir ihn anfangs Februar erscheinen sahen. Wintzingerode folgte langsam, hatte nur noch einen leichten Zusammenstoß mit schwachen, von Maison gegen ihn abgesandten Kräften des Feindes und traf am 2. Februar in Namur ein. Am 9. überfiel sein Avantgardenführer Tschernitschew das befestigte Avesnes südlich von Maubeuge und nahm es, dort 400 gefangene Engländer und Spanier befreiend. Dadurch zog er auch Wintzingerode mit sich fort, eilte weiter vorwärts und war am 13. vor Soissons, dessen Brückenkopf tags darauf erstürmt wurde. Dann traf Blüchers Aufforderung ein, nach ClMons zur schlesischen Armee heranzurücken, und das Korps setzte sich sogleich dorthin in Bewegung. Zur Vereinigung kam es jedoch nicht mehr, da Blücher mittlerweile nach Süden zur Hauptarmee abrückte. Wintzingerode gelangte nur bis Epernay und Reims. Hier erreichte ihn 416 IV. Die Befreiungskriege Blüchers Adjutant Oppen, der ihn zum Marsche auf Meaux veranlassen sollte, wo Blücher nach der zweiten Trennung von der Hauptarmee bekanntlich seine gesamten Streitkräfte zum Marsche auf Paris vereinigen wollte. Zunächst rückte er in der Richtung auf Soissons vor, um sich Bülow zu nähern, der mittlerweile bei Laon eingetroffen war. Dann kamen von Oulchy Blüchers neue Befehle zur Vereinigung hinter der Aisne an. Nach Wintzingerode erreichte jetzt auch Langeron Reims. Bülow war, durch die von Wesel kommende 5. Brigade seines Korps verstärkt, am 10. Januar von Breda weiter vorgegangen und warf nach ziemlich lebhaften Kämpfen, von den Engländern unter Graham unterstützt, die außerhalb von Antwerpen stehenden Franzosen in den Platz hinein. Zur Belagerung fehlten ihm jedoch die Mittel, und da Maison ihn in der linken Flanke bedrohte, um ihn gegen das Meer zu drängen, kehrte er noch einmal nach Breda zurück und ließ Gorkum belagern, während die Engländer sich vor Bergen op Zoom legten. Als Wintzingerodes Vorgehen sich fühlbar machte, am 26. Januar Hertogenbosch fiel, und das neugebildete 3. deutsche Bundeskorps sich den Niederlanden näherte, nahm Maison hinter der Dyle bei Löwen und Mecheln Stellung, zog sich aber bald auf Brüssel und von dort weiter auf Gent zurück, um sich nach Lille zu retten. Den Engländern zuliebe, die gern den in Antwerpen liegenden Rest der französischen Flotte vernichtet hätten, führte Bülow mit ihnen gemeinsam am 3., 4. und ö. Februar ein Unternehmen gegen die von 15 000 Mann verteidigte Festung aus, in der Carnot, zur Stunde der Not mit dem Kaiserreich ausgesöhnt, den Befehl übernommen hatte. Es gelang aber nur, ein einziges Schiff durch schweres Geschütz zu zerstören, alle anderen Versuche schlugen fehl, und Bülow überließ Antwerpen den englischen Bundesgenoffen, während er selbst den ihm längst erwünschten Abmarsch zu den Armeen nach Frankreich antrat. Er konnte es um so mehr, als am 7. Gorkum kapitulierte, die ersten Truppen des 3. Bundeskorps bei Breda anlangten und der Herzog von Weimar als neuer Oberbefehlshaber in den Niederlanden eintraf. Sobald die Nachricht von den Unfällen der schlesischen Armee zu Bülow drang, duldete es ihn dort nicht länger. Ohne einen Befehl dazu abzuwarten, brach er am 17. Februar von Mons auf, nur eine Brigade unter General v. Borstell zu Maisons Beobachtung zurücklassend. Ohne Vereinigung der schlesischen Armee bei Soissons 417 Zwischenfall setzte er dann den Marsch bis Laon fort. Von Blücher gerufen, vereinigte er sich am 2. März mit Wintzingerode vor Soissons, das die beiden Generale nördlich und südlich der Aisne einschlössen. Ein erster Sturmversuch gegen den kleinen Platz schlug fehl; es gelang aber, den Kommandanten gegen Gewährung freien Abzuges zur Übergabe zu bestimmen, die nachmittags um 4 Uhr stattfand. Bülow und Wintzingerode waren noch am 3. März Blücher entgegengeritten, als dieser sich Soissons näherte, und der alte Held ließ seine Truppen bei ihnen vorbeimarschieren. Geschont, wohlgekleidet und wohlgenährt hatten sie ihre Regimenter nach Soissons herangeführt. Blüchers Heer war nach den unaufhörlicheu Märschen im winterlichen Kot, nach den durchwachten Nächten, dem Hunger und Mangel aller Art in einer argen Verfassung, abgezehrt und abgerisfen, in Lumpen gehüllt. „Diesen Leuten wird einige Ruhe gut tun," hatte Bülow sarkastisch geäußert, als er es ankommen sah, und er meinte, die Armee sähe „so etwas einer Räuberbande ähnlich". Disziplin und Ordnung schienen ganz aufgehört zu haben. Auch Jorck war in der grimmigsten Stimmung von der Welt über den elenden Zustand und schob, wie gewöhnlich, die Schuld auf das Oberkommando. Das aber blieb gutes Mutes, und die neu angekommenen Unterfeldherren begrüßte Blücher offenherzig mit den Worten: „Ich habe von Napoleon tüchtige Schmiere bekommen; aber ich will sie ihm reichlich zurückgeben." Seine Truppen dachten ebenso. Alle Beschwerden und Entbehrungen hatten das Vertrauen zu ihrem Feldherrn nicht gebeugt. Es hielt sie aufrecht und voll Hoffnung auf einen nahen Sieg. Unwillkürlich kehrt unser Blick zurück zu den Tagen von Boitzenburg und Prenzlau. Ärger als hier stand es äußerlich dort auch nicht. Aber der Kleinmut der Führer, die Ratlosigkeit der Generale hatten 1806 den Mut der Soldaten gebrochen. Die innige Gemeinschaft zwischen Offizieren und Mannschaft fehlte; die Stimmung in der Truppe war eine düstere. Sie hatte die Zuversicht zu sich selbst, die Hoffnung auf einen glücklichen Ausgang verloren und damit ihre moralische Kraft, mit der auch die physische sinkt. Meinung ist, wenn nicht alles, so doch sehr viel, vielleicht das meiste, im Kriege. In Soissons stieß auch Graf Langeron wieder zur Armee und übernahm sein Korps. Frhr. v. d, Goltz, Kriegsgeschichte 27 418 IV. Die Befreiungskriege Die Schlacht von «Lraonne am 7. März (S. Skizze 47) Während des 4. und 6. März erschienen die Franzosen in allmählich anwachsender Stärke vor Soissons. Zum Teil begannen sie die Stadt zu bestürmen, die von den Russen erfolgreich verteidigt wurde; zum Teil setzten sie sich am Südufer der Aisne gegen Osten in Bewegung. Im Blücherschen Hauptquartier schloß man daraus, daß es Napoleons Absicht sei, weiter oberhalb, wahrscheinlich bei Berry-au-Bac, den Fluß zu überschreiten, um von dort aus gegen Laon vorzudringen und die schlesische Armee von ihren natürlichen Verbindungen zu trennen. Blüchers Entschluß stand sogleich fest; er hoffte, Napoleon hier die entscheidende und den Krieg beendende Niederlage beibringen zu können. Die Aussichten dazu schienen in der Tat günstig. An Zahl war er den Franzosen um das Doppelte überlegen, wenn auch dieses Mißverhältnis in seinem vollen Umfange damals noch ein Geheimnis war. Wintzingerode, der mit seinem Korps der Straße Berry—Laon am nächsten war, sollte diese sperren. Während die Franzosen im Kampfe gegen diesen General standen, gedachte der Alte mit der vollen Wucht seines Heeres ihnen über Craonne in die linke Flanke zu fallen. So wäre Napoleon von den Straßen nach Paris getrennt und der kühne Umgeher selbst umgangen worden. Ein Rückzug über die stark angeschwollene Aisne hätte ihm verhängnisvoll werden müssen. Diesem Plane entsprechend, stellte Blücher feine Armee am 6. März auf den Höhen nordöstlich Soissons mit einer gegen Südosten gewendeten Front schlachtbereit auf. Das Gelände hat dort eine eigentümliche Gestalt. Nördlich von der Aisne, etwa eine deutsche Meile entfernt, fließt gleichlaufend nach Westen hin der sumpfige Lettebach in tief einge- schnittenem Tale. Zwischen Aisne und Lette erhebt sich, etwa 100 Meter über die Talsohle emporsteigend, ein schroffer, vielfach gegliederter Bergzug mit zum Teil felsigen Rändern. Sein oberer ebener Rückeil ist nur schmal. Nach Nord und Süd steigen von ihm steile Bergarme zu den Flußläufen hinab. Dörfer, Wäldchen und Pflanzungen aller Art liegen dazwischen. Eine einzige breite Straße, „Route-des-dames", führt auf der Höhe entlang von Westen nach Osten und führt zu dem Flecken Craonne hinab, bei dem der Blüchers Hoffnung, Napoleon zu vernichten 419 27* 420 IV. Die Befreiungskriege Bergzug in schroffen Hängen zum ebenen Gelände um Berry-au- Bac abfällt. Truppenbewegungen nach Osten hin waren nur auf der Höhenstraße möglich, Aufstellungen an dieser Straße fanden sich, wenn die links und rechts hinabsteigenden Bergarme benutzt wurden, mit einer von Nord nach Süd laufenden gegen Osten gekehrten Front. Als am Nachmittage mehr und mehr französische Truppen über Berry-au-Bac vordrangen, hielt Blücher den Augenblick zum Stoße für gekommen und befahl den Vormarsch auf Craonne. Er selbst begab sich dorthin. Infanterie und Kavallerie sollten in massigen Kolonnen rechts und links der Route-des-dames ihm folgen. Allein er fand die Verhältnisse anders als er gedacht. Wintzingerode sperrte die Straße von Berry nach Laon nicht, denn er hatte sie nicht mehr erreichen können. Dafür aber hatte er schon am S. abends die Bergecke über Craonne besetzt und sein Korps während der Nacht eben dorthin folgen lassen. Craonne selbst war in der Hand der Franzosen, und diese begannen zugleich, durch das waldige Gelände nördlich davon, Wintzingerodes Stellung zu umfassen. Der Raum zu einer Entwickelung auf der Höhe fehlte; an den unübersichtlichen Hängen wäre diese wenig vorteilhaft gewesen. Zudem versperrten Wintzingerodes Truppen Blücher den Weg zum Vorstoß. Die Ausführung wurde dadurch unmöglich und der der Leitung der Schlacht zugrunde gelegte Gedanke undurchführbar. Er mußte geändert werden. Blücher und Gneisenau gaben jedoch den Entschluß, dem verhaßten Gegner jetzt „den Garaus zu machen", keineswegs aus. Sie sahen voraus, daß Napoleon die, am 6. schon von Craonne her gegen Wintzingerode begonnenen Angriffe fortsetzen würde. Dieser sollte sie annehmen, aber wenn nötig, namentlich wenn er von den Tälern zu beiden Seiten her umfaßt würde, auf dem Höhenzuge von einer Stellung zur anderen zurückweichen. Dort konnte ihn Sacken, der zunächst hinter ihm stand, später auch Langeron, unterstützen. Inzwischen sollten 10000 Reiter sich unter Wintzingerodes Führung noch in der Nacht versammeln und auf die Straße von Laon nach Corbeny setzen, so daß sie dort in der rechten Flanke der angreifenden Franzosen standen. Mit dieser großen Kavalleriemasse wollte Blücher im entscheidenden Augenblicke über die Franzosen herfallen, um sie zu vernichten. Die beiden preußischen Korps, weiter nördlich aufgestellt, sollten Erzwungene Änderung des Schlachtplans 421 ihm folgen und die Vernichtung des Feindes vollenden. In gespannter Erwartung brachte Blücher die Nacht zum 7. in einem leeren Hause von Braye en Laonnais auf einem Stuhle sitzend zu. Er mag erwartet haben, daß der folgende Tag der wichtigste seines langen Kriegerlebens werden würde. Aber der 7. März täuschte zunächst seine kühnen Hoffnungen. Als er sich in der Frühe zu Woronzow begab, der bei Craonne an Wintzingerodes Stelle den Befehl übernommen hatte, fand er diesen, auf einer der Verbreiterungen der Hochfläche bei dem Weiler Hurtebise aufgestellt, den Feind entwickelt gegenüber. Die Schlacht konnte jeden Augenblick beginnen. Da wurde bekannt, daß Wintzingerodes Reitermasse, die Blücher schon bei Corbeny erscheinen zu sehen hoffte, überhaupt erst im Aufbruche sei. Die Regimenter, die von drei Korps ankamen, hatten sich in der Nacht verspätet, fütterten, suchten nach Wegen und begannen erst um 3 Uhr morgens von der Hochfläche abzumarschieren. Voll Entrüstung übergab Blücher den Befehl auf der Höhe an Sacken und ritt ihnen nach. Um 11 Uhr vormittags fand er die letzten Schwadronen noch im Übergange über die Leite begriffen. Auch Kleist kam nach längerem Suchen mit seinen Truppen das Tal herauf. Große Stockungen waren entstanden. Mühsam arbeitete der Feldmarschall sich zur Spitze der Reiterkolonne hindurch, aber trotz allen Antreibens erreichte diese erst nachmittags mit den vordersten Regimentern die Straße von Laon. Nördlich der Lette ist das Land ebenfalls bergig und waldig. Die schmalen Wege steigen vielfach Hänge hinauf und hinab, die zurzeit mit Glatteis bedeckt waren. Das Fortschaffen von 60 zur Kavallerie gehörigen Geschützen stieß auf die größten Schwierigkeiten. An ein gleichmäßiges Vorwärtstraben der fast drei deutsche Meilen langen Kolonne war nicht zu denken gewesen. Der Ort Corbeny, von dem aus die große entscheidende Attacke stattfinden sollte, lag, gegen Berry-au-Bac hin, noch 15 Kilometer entfernt. Er war vor Einbruch der Dunkelheit nicht mehr zu erreichen und dann der Augenblick für das Eingreifen in den Kampf vorüber. „Wenn Wintzingerode seine Schuldigkeit getan, so war das Schicksal von Frankreich entschieden," schrieb Gneisenau an Hardenberg. Im Kriege wiederholt es sich oft, daß das Geschick der Staaten vom Gelingen oder Mißlingen einer einzigen Unternehmung abhängt. Das Mißgeschick, das hier Blücher und Gneisenau traf, war kein ungewöhnliches. Auf Verspätungen ein- 422 IV. Die Befreiungskriege zelner Heerteile wird man unter Umständen, wie denen vom 7. März, immer rechnen müssen. Sehen wir näher zu, so erkennen wir einen Grundirrtum, an dem der ganze Schlachtplan litt. Er paßte für einen Sommertag, nicht für den Winter. Im Juni oder Juli wäre Wintzingerodes Marsch leicht und selbst eine Verspätung um einige Stunden nicht verhängnisvoll gewesen. Nun blieb nichts übrig, als auf die Entscheidung bei Craonne zu verzichten und sich dem für diesen Fall bereits vorgefaßten Plane einer Versammlung der Armee zur Schlacht bei Laon zuzuwenden. Nachmittags um 2 Uhr erließ Blücher die entsprechenden Befehle. Bülow war mit seinem Korps bereits nach Laon vorausgeeilt; die übrigen sollten dorthin folgen, Soissons leider geräumt werden. Im Hauptquartier hielt man eine dort zurückgelassene Besatzung für allzu gefährdet. Inzwischen hatte Napoleon von Craonne aus die Russen auf dem steilen Plateau zwischen Aisne und Leite heftig angegriffen. Er führte zunächst die Korps Ney und Victor, sowie die Kavallerie von Nansouty in den Kampf, vereinigte neben ihrer Artillerie noch 70 Geschütze zu einer großen Batterie und drängte lebhaft vorwärts. Um 1^ Uhr nachmittags ließ Sacken, nicht wissend, daß der große Flankenangriff der Wintzinge- rodeschen Kavallerie bereits unausführbar geworden sei, einen Hilferuf an Blücher ergehen, der natürlich ohne Folge blieb. Woronzow, der in vorderster Linie den Befehl führte, wehrte sich mit trotziger Tapferkeit. Als aber am Nachmittage der Kaiser noch Mortier und die Garden ins Gefecht führte, mußte er sich — etwa um 4 Uhr — zum Rückzüge entschließen. Dieser wurde das Signal für Napoleon zum allgemeinen Angriff. Es war ein Glück für die Verbündeten, daß er hierbei in dem von Schluchten und Hängen durchsetzten Gelände seine Kavallerie, mit der er zumal von Norden her zu umfassen gedachte, nicht wirksam zu verwenden vermochte. Ein Angriff Nansoutys auf der Südseite des Plateaus schlug fehl. Schrittweise wichen die Russen von einer Querwelle der Hochfläche zur anderen und gingen erst gegen Einbruch der Dunkelheit zum fließenden Rückzüge über, den sie dann, „ohne ein Rad zu verlieren", bewerkstelligten. Der allgemeine Abmarsch auf Laon war damit im Gange, aber mit starken Verlusten erkauft. Von den 16000 Mann, welche die Russen im Kampfe verwendeten, blieb ein gutes Drittel tot oder verwundet auf dem Platze, bei den Franzosen von 21300 Abmarsch auf Laon und Aufstellung daselbst 423 Mann etwa dieselbe Zahl, nämlich S400. Sie hatten nicht weniger als 8 verwundete Generale, unter ihnen auch Victor. Lebhafte Nachhutgefechte füllten den 8. März aus. Soissons wurde fchon in der Frühe von den Franzosen besetzt. Des Kaisers Lage gestaltete sich damit erheblich günstiger. Kühne Hoffnungen stiegen in seinem Herzen auf, und Caulaincourts maßvolle Vorschläge für die Friedensverhandlungen erfuhren seinerseits eine ziemlich rauhe Abweisung. Blücher benutzte den 8. März, um seine Armee bei Laon zu ordnen. Es war die stärkste, die er bisher jemals befehligt hatte, denn sie zählte rund 100 000 Mann, darunter 25 000 Reiter, und 600 Geschütze. Seine Seele war voll großer Hoffnungen. Er hielt den Tag der endgültigen Abrechnung mit dem Feinde und der Wiedervergeltung für alles von dem großen Korsen Deutschland und Preußen angetane Leid für gekommen. Des Kaisers Truppen schätzte er nach den ihm zugegangenen Nachrichten auf 60—70 000 Mann, aber die Möglichkeit lag vor, daß bei den Franzosen in den letzten Tagen noch Verstärkungen eingetroffen seien oder während des nun kommenden Entscheidungskampfes eintreffen könnten. Das gebot Vorsicht, und die Erinnerung an die unglücklichen Februartage warnte, den Gegner zu unterschätzen. So entschlossen sich denn der Feldmarschall und Gneisenau in Übereinstimmung, den Kaiser erst herankommen zu lassen und ihn abzuwehren, ehe sie selbst nach Erkennung seiner wirklichen Stärke zum Gegenangriff übergingen. Bülow sollte die auf hohem Felsen gelegene und von Mauern umgebene Stadt, sowie die am Fuße liegenden Vororte verteidigen. Sein Korps bildete die starke Mitte und den hauptsächlichsten Stützpunkt der Schlachtlinie. Zu seiner Rechten, nach Clacy hin, stellte sich Wintzingerode, der an Woronzows Statt sein Korps wieder übernommen hatte, auf. Die für Craonne vereinigte Kavalleriemasse war aufgelöst worden. Hinter Laon an der Chaussee nach Crepy standen Sacken und Langeron auf engem Raume versammelt; zur Linken nordöstlich Laon die Korps Kleist und Jorck, deren Reiterei rückwärts an der Chaussee nach Chambry. So war die gesamte Heeresmasse in schwer erkennbarer Stellung eng vereint, bereit, sich zu beiden Seiten der festen Stadt schnell zum Vorgehen zu entwickeln, wenn der rechte Augenblick dazu gekommen sein würde. Im Hauptquartier versprach man sich davon den größten Erfolg. Leider machten sich in dieser wichtigen Stunde 424 IV. Die Befreiungskriege die ersten Anzeichen für Blüchers nahe schwere Erkrankung bereits fühlbar. Der Feldmarschall wurde von heftigem Fieber ergriffen. Nichtsdestoweniger begab er sich, von seinem Stäbe umgeben, am 9. März früh auf die Südspitze des 100 Meter hohen Felsens von Laon, von dem aus man die Umgebung weithin zu übersehen vermochte. Auf Stühlen sitzend wohnten die Führer der Schlacht bei. Die Schlacht von Laon am 9. und ^0. März ^8^ (S. Skizze 48) Auf der Straße von Soissons kam Napoleon, auf der von Berry über Corbeny Marmont heran. Beide hatten nur etwa 48 000 Mann an der Aisne vereinigt. Der Kaiser nahm sich ursprünglich vor, auf seinen Marschall zu warten. Aber Marmont, der den weiteren Weg zurücklegen mußte, ließ in der Frühe nichts von sich hören. Er sollte den linken Flügel der Verbündeten beschäftigen, während der Kaiser den rechten und die Mitte bei Laon angriff. Voll Ungeduld aber verzichtete dieser schließlich auf die Unterstützung. Schon um 7 Uhr morgens ließ er Ney und Mortier den Kampf beginnen. Dichter Nebel bedeckte das Schlachtfeld. Dennoch ließ sich in Blüchers Hauptquartier erkennen, daß die Anstrengungen der Franzosen sich hauptsächlich gegen die Südfront von Laon richteten, während sie sich gegen Wintzingerode nur mit schwachen Kräften sicherten. Die Einzelheiten waren schwer zu unterscheiden. Um die Dörfer Semilly und Ardon wurde heiß gestritten. Soviel war klar, daß die Franzosen hier keine Überlegenheit besaßen. An Wintzingerode und Bülow erging daher Blüchers Befehl zum Gegenangriff. Die Kavallerie sollte auf dem rechten Flügel gegen die französische linke Flanke eingreifen. Der Ausführung dieses wohlgemeinten Stoßes aber mangelte die notwendige Energie und Einheitlichkeit. Es kam nur zu weiterem hin und her wogenden Kampfe um die nahe vor Laon gelegenen Ortschaften. Dabei machte sich fühlbar, daß das unübersichtliche waldige, hügelige und sumpfige Gelände südlich der Stadt sich wenig für einen allgemeinen Gegenangriff großer Truppenmassen eignete. Im Blücherschen Hauptquartier entschloß man sich daher, ihn auf den linken Flügel zu verlegen, wo das Gelände freier war. Dort erwartete man auch, des Kaisers Hauptkräfte erscheinen zu sehen, und so versprach der Gegenstoß auf dieser Seite Napoleons Angriff. Blüchers Gegenstoß 425 den durchschlagenderen Erfolg. Sacken, Langeron und Bülows Kavallerie erhielten Befehl, nach dem linken Flügel abzurücken und sich hinter demselben an der Chaussee Laon—Chambry aufzustellen. Jorck wurde mit der gemeinsamen Führung der beiden preußischen Korps und der Aufgabe betraut, im rechten Augenblicke „gerade auf den Feind zu fallen". Mit wachsendem Unmute wartete Napoleon an der Chaussee von Soissons mittlerweile auf Marmonts Eingreifen. Zahlreiche Die 5clil3csi! vori I.3011 smZ.u.iaiviZs'? Skizze 48 LZ A Verbündete am Morgen des 9. März und Ausstellung vor Beginn des französischen Nachtangriffs — M >H Franzosen am Morgen des 9. März und Marmonts Stellung vor Beginn von Dorcks Nachtangriff von ihm entsendete Offiziere vermochten nicht, bis zu dem Marschall zu gelangen, denn Blücher hatte sich den getrennten Anmarsch der Franzosen zunutze gemacht und die Verbindung zwischen den beiden großen Straßen durch seine Kasaken vollkommen unterbrechen lassen. Über Mittag schwieg das Gefecht; nachmittags nahm es der Kaiser wieder auf und ließ das von den Russen besetzte Dorf Clacy, das für seinen linken Flügel eine Bedrohung bildete, erstürmen. Dafür verlor er Ardon und sogar Leuilly. Seine Trennung von Marmont wurde durch diesen Verlust noch schärfer ausgesprochen. Marmont war übrigens gleichfalls am Nachmittage auf dem 426 IV. Die Befreiungskriege Schlachtfelde angekommen und kämpfte um den Besitz von Athies, das vor dem äußersten linken Flügel der Verbündeten lag. Um 4 Uhr nachmittags griff er das Dorf mit vermehrten Kräften an, und Jorck zog die verteidigenden Bataillone langsam zurück. Aber es verbarg sich dahinter nur die Absicht, über den herannahenden Gegenstoß zu täuschen und die Franzosen in Vertrauen zu wiegen. Den Befehl zum Vorgehen hatte Blücher gegen Einbruch der Dunkelheit wiederholen lassen. Mit der geringen Frontbreite von nur 3 Kilometern traten die beiden preußischen Korps um 6 ^ Uhr abends längs der großen Chaussee von Laon nach Berry, an deren Nordseite Athies nahe gegenüber lag, an. Die Kavallerie sollte zu gleicher Zeit unter Zietens Führung links ausholen und um Athies nördlich herumgehend, dem Feinde in den Rücken fallen. Die Dunkelheit war völlig hereingebrochen, der Himmel aber sternenklar. Eine dünne Schneeschicht bedeckte den Boden. Auf dem südlich Athies dicht an der Chaussee gelegenen Mühlenhügel sah man die Lunten der französischen Kanoniere bei ihren Geschützen brennen, dahinter ein Lagerfeuer. Das in Flammen stehende Dorf Athies zur Linken und die Lichter von Laon zur Rechten erleichterten das Zurechtfinden. Jorck hatte befohlen, nicht zu schießen, sondern nur das Bajonett zu gebrauchen. Die Überraschung gelang, Athies wurde im ersten Anlaufe genommen, die Artillerie auf der Windmühlenhöhe erobert. „Dann erklangen mit einem Male alle Trommeln, Hörner und Instrumente; ein Hurra nach dem andern durchscholl die Luft, und Schrecken und Verwirrung verbreitete sich im feindlichen Heere." Mit Ungestüm warfen sich die Truppen auf den Gegner, und der Erfolg war ein vollkommener. Die leichten Reiterregimenter unter Katzeler und Oberst v. Blücher griffen auf den Flügeln ein. Auch Zietens Reservekavallerie kam zu erfolgreicher Wirkung. Nach kurzem Widerstande wendeten sich Mar- mvnts Truppen längs der Chaussee nach Berry zur eiligen Flucht. Noch in der Nacht wurden sie von den Siegern bis nahe an Cor- beny verfolgt. An ein Halten diesseits der Aisne war nicht zu denken. 2000 Gefangene und 45 Geschütze fielen den Preußen in die Hände. Nur rund 850 Mann kostete dieser Sieg. Jubel herrschte in der ganzen Armee und am meisten im Hauptquartier zu Laon. An Jorck sandte Blücher seine herzlichsten Glückwünsche, und das Vorgehen der ganzen Armee wurde für den 10. März Marmonts Niederlage. Blüchers Krankheit 427 angeordnet. Man glaubte, den Feind am Morgen auch vor der Südseite von Laon schon im Rückzüge zu finden. Darin aber hatte man sich vollkommen geirrt. Schon um 9 Uhr früh ließ sich erkennen, daß der Feind auf der ganzen Südfront zwischen Clacy und Ardon sich noch in fester Haltung den Verbündeten gegenüber befände. Der Kaiser mit seiner Umgebung wurde in der Nähe von Clacy entdeckt. Gefangene sagten aus, daß ein neuer französischer Angriff bevorstünde. Das alles machte stutzig. Jorcks nächtlicher Sieg erschien jetzt in einem anderen Lichte, als man ihn in der ersten Freude gesehen hatte. Im Hauptquartier zu Laon wurde die Vermutung rege, daß die Annahme über die Verteilung der französischen Streitkräfte, wie man sie tags zuvor gehabt, eine falsche gewesen sei, und daß Jorck gegenüber sich nicht die Hauptmacht, sondern nur ein schwaches entsandtes Korps Napoleons befunden habe. Gneisenau machte den Vorschlag, daß Sacken und Langeron bei Laon stehen bleiben, Kleist und Jorck die Verfolgung über Corbeny nur noch mit Kavallerie fortführen sollten, bis man über des Feindes wahre Absichten klar sei. So wurden also die vier Korps des linken Flügels im verheißungsvollsten Augenblicke erst festgehalten und dann sogar zurückgerufen. Nachmittags erging der Befehl hierzu an Jorck und Kleist. Die Sorge Gneisenaus, daß die ursprünglich bei Laon verbliebenen Kräfte einen letzten entscheidenden Angriff nicht mehr siegreich aushalten würden, war von Stunde zu Stunde gestiegen. Tatsächlich erfolgte dieser Angriff in den Nachmittagsstunden, allein er hatte eine ganz andere Bedeutung als die ihm zugeschriebene. Seit 1 Uhr morgens wußte der Kaiser um Marmonts völlige Niederlage. Daß er Blüchers überlegene Armee nun nicht mehr schlagen könne, war ihm klar. Ein sofortiger Rückzug aber hätte, wie er richtig einsah, nur die ganze Masse der verbündeten Truppen zum ungestümen Nachfolgen veranlaßt, und dann wäre nicht abzusehen gewesen, wo die Lawine zum Stillstande kommen sollte. Trotziges Stehenbleiben vor des Gegners Front erschien daher zwar als das Verwegnere, zugleich aber auch als das bei weitem Vorsichtigere. Des Kaisers Angriffe waren also nichts als eine Drohung; sie erreichten indes ihren Zweck und bewiesen von neuem, daß der kühnste Entschluß im Kriege meist zugleich der beste ist. Napoleon glaubte am Nachmittage mehrfach wahrzunehmen, daß der Feind abziehe, und erst um 4 Uhr brach sich die Erkennt- 428 IV. Die Befreiungskriege nis völlig Bahn, daß der allgemeine Rückzug unvermeidlich geworden sei. Noch in der Nacht setzte er die Armee auf Soissons in Bewegung, während Marmont seine geschlagenen Truppen bei Berry-au-Bac von neuem sammelte, um sie dann auf Fismes zurückzuführen. Das Oberkommando der schlesischen Armee war vollkommen getäuscht worden, wozu die noch immer lebendige Erinnerung an die Februarunfälle und die falschen Nachrichten über die feindliche Stärke das meiste beigetragen hatten. Ein System der Vorsicht ist seit jenen Tagen bei ihm unverkennbar. Es wollte sich neuen Niederlagen unter keinen Umständen ausfetzen. Das traf zumal hier zu, wo die Partie schon 11 gegen 1 zugunsten der Verbündeten stand. Sie sollte nicht etwa durch eine unerwartete Wendung, die das Genie des Kaisers zu finden wußte, noch in letzter Stunde verloren gehen. Ähnliche Überraschungen hatte er sorglosen Gegnern oft genug bereitet. So war denn Jorck diesmal scharfblickender gewesen. Wären die vier Korps des linken Flügels am 10. März in ihrer Vorwärtsbewegung angetrieben und nicht zurückgehalten worden, so würde Napoleon der vernichtenden Niederlage vor Laon oder an der Aisne wohl kaum entgangen sein. Da in der Richtung auf Berry-au-Bac nur die schwachen und völlig geschlagenen Kräfte Marmonts davoneilten, hätte sich ein Einschwenken gegen die Straße uach Soissons in Napoleons rechte Flanke und Rücken für die Verfolger von selbst ergeben. Dorcks Ingrimm darüber, daß ihm ein großer Triumph und die Rache an Frankreich, nach der er ebenso dürstete wie sein Oberbefehlshaber, gerade im kritischen Moment entzogen wurde, läßt sich leicht verstehen. Er hatte gehorcht, aber mit tiefem Groll im Herzen. Die Schuld maß er hauptsächlich dem Generalstabschef Gneisenau bei, der sich ohnehin seiner Anerkennung nicht erfreute. Und es liegt insofern eine Wahrheit darin, als die Dinge wohl einen anderen Lauf genommen haben würden, wenn Blücher gesund gewesen wäre und im Sattel gesessen hätte wie in anderen Schlachten. Zwar besteht kein Zweifel darüber, daß seine schwere Erkrankung, die ihn am 10. verhinderte, das Zimmer zu verlassen, nicht der einzige Grund für das Zaudern gewesen ist. Ursachen allgemeiner Natur kamen hinzu, um das neue System der Vorsicht bei der schlesischen Armee hier verhängnisvoll werden zu lassen. Niemand aber vermag heute zu ermessen, Napoleons Rückzug hinter die Aisne 429 welche Wirkungen Blüchers Temperament ausgeübt haben würde, falls er sich am frühen Morgen bei seinen siegreichen Korps befunden hätte, den fliehenden Feind vor sich. Mochte auch er im Zimmer vielleicht sich davon haben überzeugen lassen, daß Behutsamkeit geboten sei, Haß, Zorn und Kampflust, sowie das Streben nach echter kriegerischer Größe hätten ihn draußen im Freien sortgerissen. Er wäre dem Gegner bis zur Vernichtung gefolgt, und sein militärischer Blick, der Feldherrninstinkt, der, ohne sich im Augenblick darüber Rechenschaft geben zu können, Erwägungen, Urteile und Entschlüsse in einem einzigen Gedanken zusammenfaßt, würde ihm auch den richtigen Weg gezeigt haben, um Napoleon den tödlichen Schlag zu versetzen. Heerführung ist nicht zum geringsten Teil eine Temperamentssache; das sollte nie vergessen werden, und die Macht der Persönlichkeit ist in derselben die größte wirkende Kraft. Anerre Iss twmmss Qs saut risii; komme est tout>!" Blücher hätte unfraglich nicht nur die ganze Armee, sondern auch den überlegenden und zögernden Generalstabschef Gneisenau mit sich sortgerissen. -5 5 5 Am 11. März wurde Napoleons Rückzug hinter die Aisne erkannt. Der rechte Augenblick für die vernichtende Verfolgung war versäumt, eine glänzende Gelegenheit auf Nimmerwiederkehr verloren. Da es einmal so stand, wird es begreiflich, daß die Erwägungen der vorsichtigen Klugheit im Hauptquartier die Oberhand gewannen. Die Zustände in der Armee waren in der Tat, wenn man Bülows und Wintzingerodes Korps ausnimmt, recht bedenkliche geworden. Das Ruhebedürfnis machte sich energisch fühlbar. Mangel herrschte überall, und dieser begann die Disziplin zu lockern. Die Klagen der kommandierenden Generale wurden immer lauter. Der Ungehorsam begann sein Haupt zu erheben. Es war eingetreten, was der Kenner mit dem einen Worte „Kriegsmüdigkeit" bezeichnet — ein gefährliches Ding, das schon manche ruhmreiche Armee im Siegeslaufe aufgehalten und andere gar zugrunde gerichtet hat. Dieses Gefühl bildet eine große Gefahr, zumal für Kulturvölker, die sich, an ein behagliches Friedensdasein gewöhnt, von den rauhen Bedingungen des Krieges entfernt haben. Sogleich fanden sich nun auch weitere stichhaltige Gründe für die Untätigkeit ein. Von der Hauptarmee fehlten seit dem 28. Februar 430 IV. Die Befreiungskriege die Nachrichten. Nun, nachdem die schlesische Armee so viel getan hatte, sollte auch jene sich einmal regen. Das war eine gerechte Forderung. Man durfte ihr nicht alle Arbeit abnehmen, wollte man sie nicht geradezu einladen, sich auch fernerhin bei der Kriegstätigkeit auszuschalten. Der politische Gedanke, daß der Friedensschluß nahe und es darum weise sei, Preußen für diesen Augenblick eine möglichst starke Armee zu erhalten, die ihm bei den Verhandlungen Gewicht verlieh, schlich sich in die besten Köpfe ein. Selbst ein Mann wie Boyen, Bülows Stabschef und späterer Kriegsminister, huldigte dieser Ansicht und machte seinen Einfluß in entsprechender Weise geltend. Er hatte schon vor Laon geschrieben: „Wird die schlesische Armee geschlagen und versprengt, was möglich wäre, so ist der Rhein verloren und ein schimpflicher Friede gewiß. Bei der schlesischen Armee sind alle preußischen Truppen, und wir müssen diese dem Vaterlande erhalten." Bülow setzte die Nachschrift darunter: „Die preußische Armee muß nicht vernichtet werden, wenn Preußen eine Rolle unter den verbündeten Mächten spielen soll." Zum ersten Male waren auch die österreichischen Heerführer mit Blüchers Verfahren einverstanden, und die Entschlüsse des Hauptquartiers der schlesischen Armee erfreuten sich eines bis dahin nicht vorgekommenen Beifalls. So kam es, „daß Blücher sich hier so unähnlich wurde"; doch war es der kranke, nicht der gesunde Blücher, dem dies begegnete. Wohl nahm er noch teil an der Leitung der Operationen, aber doch ohne das gewöhnliche Interesse und ohne die Energie im Willensausdruck, die ihn sonst beseelte. Seine Gemütsstimmung war tief herabgedrückt, und er dachte an die Niederlegung des Oberbefehls. Man kann es wohl begreifen, wie sehr es ihn schmerzte, gerade in einem solchen Augenblick zu erkranken. Dennoch mußte er von dem verhängnisvollen Schritt zurückgehalten werden, weil, wenn er die Armee verließ, Langeron deren Führung hätte übernehmen müssen. Gerade dieser Mann aber war für eine solche Rolle nicht geeignet. Größte Verwirrung hätte entstehen können. Blüchers persönlicher Einfluß sollte sogleich seinen Wert betätigen. Woran der Feldmarschall gedacht, das führte Jorck eines Tages aus. Verärgert durch allerlei dienstliche MißHelligkeiten, gereizt durch die Empfindung, daß Gneisenau jetzt die Armee führe, dem er sich nicht unterordnen wollte, gab er sein Kommando ab, setzte sich auf den Wagen und verließ das Korps. Da riefen ihn folgende Zeilen Blüchers zurück: „allter waffengefehrte, verlassen Untätigkeit der schlesischen Armee 431 sie die armeh nicht, da wihr am sihl sind, ich bin sehr krank und gehe selbst so ballde der kampff vollendet." Die Armee aber rührte sich nicht. Der Beschluß wurde gefaßt, sie von der Oise zur Rechten bis links nach der Straße von Reims in weitläufiger Unterkunft auszudehnen, um ihr Ruhe, Erholuug und bessere Ernährung zu gönnen. Ein Unternehmen gegen Com- piegne wurde Bülow anheimgegeben, eine kleine Expedition gegen St. Quentin ausgeführt, Operationen längs der Oise auf Paris erwogen, tatsächlich aber nichts Ernstes unternommen. „Die schle- sische Armee blieb wie gelähmt stehen." ->- 5 4- Napoleon war ihr gegenüber hinter der Aisne verblieben. Er dachte daran, dort seine Armee neu zu ordnen, zu verstärken, was ihr sehr not tat, und ihr Ruhe zu gönnen. „Meine junge Garde schmilzt wie der Schnee; nur die alte hält sich." Da ging ihm am 12. des Abends die Nachricht zu, daß ein feindliches Korps Reims besetzt habe, und sogleich stand sein Entschluß fest, dorthin vorzustoßen, denn sein Adlerblick erkannte die sich unerwartet darbietende Gelegenheit zu einem Erfolge, der die Stimmung im Heere und im Lande wieder beleben konnte. Bei Reims ließ sich die Armee ebenso gut wiederherstellen, wie bei Soissons und Fismes. Es war der russische General Graf St. Priest gewesen, der Reims erreicht hatte. Er kam mit einer Gruppe ehemals Lan- geronscher Truppen von der Belagerung von Mainz, um sein Korps wieder zu erreichen. Ihm folgten von Erfurt her unter General v, Jagow ein Rest des Kleistschen Armeekorps und noch einige russische Abteilungen von Mainz. Am 6. März stand er mit ungefähr 6000 Mann wenige Kilometer vor Reims, das gerade von den Franzosen besetzt worden war, die eine schwache russische Besatzung Vertrieben hatten. Er wollte angreifen, aber ferner Kanonendonner und die Nachricht, daß Napoleon bei Berry-au-Bac stünde, ließen ihn davon Abstand nehmen. Beobachtend blieb er bis zum 11. stehen, während die noch herankommenden Kräfte sich mit ihm vereinigten. Nunmehr griff er überraschend an, nahm Reims, machte 2500 Mann zu Gefangenen und erbeutete 8 Geschütze. In Reims traf ihn Blüchers, vor der Schlacht von Laon an ihn abgegangener, Befehl, daß er südlich der Aisne vorstoßen sollte, wenn die erwartete Entscheidung glücklich ausfiel. St. Priest blieb indes stehen, um seinen Truppen noch Ruhe zu gönnen. 432 IV. Die Befreiungskriege Das Gefecht von Reims am ^3. März ^3I.H Am 13. März scheuchte französische Kavallerie das kleine Korps auf, und es nahm eine Stellung vorwärts der Stadt auf den westlich gelegenen Höhen. Die feindliche Reiterei war wieder verschwunden, die Ruhe kehrte zurück. St. Priest, ein tapferer Soldat, aber für selbständige Führung zu wenig umsichtig, überließ sich von neuem unbegreiflicher Sorglosigkeit. Napoleon hatte mittlerweile 30000 Mann mit 100 Geschützen bei Fismes versammelt und Marmont, dessen Kavallerie es gewesen war, die vor Reims erschien, dorthin vorausgesandt. Mortier blieb mit 13 000 Mann bei Soissons zur Überwachung der schlesi- schen Armee zurück. Nachmittags um 4 Uhr war der Kaiser vor der alten Krönnngsstadt, und nun erfolgte von allen Seiten mit großer Überlegenheit der überraschende Angriff gegen die schwachen russisch-preußischen Kräfte. Sie wurden mit schweren Verlusten auf und durch Reims zurückgeworfen und nahezu zersprengt. Die Reste zogen sich in Auflösung nach Berry-au-Bac zurück, von wo aus sie der schlesischen Armee einverleibt wurden. Der Kampf hatte nahe an 3600 Mann mit 23 Geschützen gekostet. St. Priest selbst ward tödlich verwundet und starb bald daraus. Der Zufall hatte Napoleon einen neuen Erfolg in die Hände gespielt, und aus Gewohnheit und Klugheit übertrieb er ihn in ungemessener Weise. Das Volk sollte mit frischen Hoffnungen erfüllt und der Eindruck von Laon verwischt werden. Marmont ging nach Berry-au-Bac vor, Napoleon blieb in Reims mit neuen großen Plänen beschäftigt. Seine Gedanken richteten sich nach umfassenden Erwägungen auf einen Vorstoß südlich gegen die Hauptarmee der Verbündeten, wozu er die Reste seiner Heeresmacht ordnete und zu vermehren suchte. Macdonald und die Hauptarmee vom 26. Februar bis zum 57. März Als Napoleon am 26. Februar von Troyes gegen die schle- sische Armee ausgebrochen war, hatten Macdonalds zurückgelassene Streitkräfte die Verfolgung der weichenden Hauptarmee in zwei Kolonnen über Troyes und über Bar-sur-Seine noch fortgesetzt. Oudinot, der die linke Kolonne, sein eigenes und Gerards Korps Macdonalds Vorgehen gegen die Aube 433 befehligte, erreichte die Aube bei Dolancourt unterhalb Bar-sur- Aube und überschritt den Fluß. Dadurch erzwäng er die Räumung von Bar, und die Franzosen besetzten die Stadt. Einmal wurde sie von dem gegenüberstehenden Wrede noch wieder genommen, blieb aber am Abend in ihren Händen. Nun führte Oudinot seine 30000 Mann und 90 Geschütze in eine Stellung auf den Hohen Des rechten Ufers nördlich der Stadt vor. Er scheint die Gefahr -seiner Lage gegenüber den sehr viel stärkeren Verbündeten nicht erkannt zu haben. Ein warnender Befehl Napoleons, Bar-sur-Anbe nur mit einer Nachhut zu besetzen, erreichte ihn zu spät. Macdonald war am gleichen Tage von Bar-sur-Seine gegen Chatillon vorgegangen und gedachte seinen Truppen zunächst kurze Ruhe zu gönnen. Die Schlacht von Bar-sur-Aube am 27. Februar (S. Skizze 49) Fürst Schwarzenberg hatte inzwischen aus den ihm zugehenden Nachrichten und eigenen Eindrücken die Überzeugung gewonnen, daß Napoleon nicht mehr folgte. Sein Entschluß, Bar-sur-Aube wieder angreifen zu lassen, stand fest. Er verfügte hierzu über die Korps von Wrede und Wittgenstein, zusammen 52 000 Mann und 210 Geschütze, die noch in der Nähe standen. Oudinots Lage gewann dadurch einige Ähnlichkeit mit derjenigen Macdonalds an der Katzbach, wenngleich er den Fluß bereits überschritten hatte und nicht, wie jener am 26. August 1813, erst noch hinübergehen mußte. Am 27. früh 10 Uhr, als der Morgennebel sich senkte, wurde die französische Stellung auf den Höhen erkannt, und der umfassende Angriff begann von Osten und Norden her mit der verfügbareil großen Überlegenheit unter den Augen des Königs von Preußen, der mit seinen Söhnen selbst herbeigeeilt war. Nach lebhaftem Kampfe wurden die Franzosen völlig geworfen und mußten mit einem Verlust von 3500 Mann über den Fluß zurück. Die Verbündeten verloren nur 1900 Tote und Verwundete. Macdonald hatte vergeblich an diesem Tage die Verbindung mit Oudinot gesucht, um die einheitliche Führung zu übernehmen. Die Erinnerung an die Katzbach hätte ihn vielleicht vorsichtiger gemacht. Der Rückzug seiner Heeresabteilung war nunmehr nach Oudinots Niederlage unvermeidlich geworden. Er zog wiederum Frhr. v. d. Goltz, Kriegsgeschichte 28 434 IV. Die Befreiungskriege über Troyes und Bar-sur-Seine in der allgemeinen Richtung auf Nogent ab. Langsam unter leichten Gefechten folgte die Hauptarmee. Am 4. März war Troyes abermals in ihren Händen, von einer energischen Ausnutzung des errungenen Sieges aber nichts zu spüren. Die Tatenunlust in Schwarzenbergs Hauptquartier war noch immer eine große. Sie hatte übrigens auch die meisten Generale der Armee ergriffen. Des Krieges froh waren nur uoch wenige, wie der Kronprinz und der Herzog Eugen von Württemberg. Vergeblich drängte Kaiser Alexander zu energischem Handeln Die 5clil3cli! voll Kai' ZU^ube 3M 27 fkbl'usi' 181^, Skizze 49 Verbündete — ^> Franzosen und drohte gar mit dem Entschluß, an der Spitze der russischen Truppen zur schlesischen Armee abzumarschieren, um mit ihr vereint nach Paris zu gehen. Ohne anderen ernsten Schaden zu erleiden, gingen Macdonalds geringe Streitkräfte bei Nogent und Bray hinter die Seine, dann nach Provins und schließlich in eine Stellung zwischen dieser Stadt und Nangis, um Paris zu decken; Montereau wurde besetzt gehalten. Die Hauptarmee folgte im weiteren Schneckengange und nahm bis zum 17. März eine Stellung im weiten Halbkreise von Sein Rückzug hinter die Seine. Napoleons Vorgehen 435 der Aube bei Bar längs dieses Flusses und der Seine bei Nogent bis zur Donne nach Sens und südlich hinab. -p -5 -1- Das Hauptquartier blieb wieder in Troyes, wo am 14. die Nachricht von Laon, bald aber auch die vom Eintreffen des französischen Kaisers in Reims und der Niederlage St. Priests einlief. An längeres Vorgehen wurde nicht mehr gedacht, sondern Napoleons Erscheinen an der Aube oder Seine erwartet. Tatsächlich brach Napoleon am 17. März von Reims nach Epernay auf, Ney nach CHÄons. Mortiers Korps wurde zum Teil nach Reims herangezogen, Marmont verblieb bei Berry-au- Bac. Beide hatten für die Folge die schlesische Armee zu beobachten und die Hauptstadt gegen sie zu sichern. Macdonald wurde herangerufen. Am 18. März stand der Kaiser bei Fere Champenoise, aber er hatte nur noch 22000 Mann bei sich. Ney rückte nach Sommesous vor. Tags darauf überschritt Napoleon bei Plancy die Aube und besetzte Mery-sur-Seine, kehrte jedoch für seine Person nach Plancy zurück. Ney erschien bei Arcis-sur-Aube. Von der anderen Seite kam Macdonald nach Villenauxe und bis zur Seine heran. Eine neue Entscheidung stand bevor. Napoleons schroffes Verhalten hatte den Abbruch der Friedensverhandlungen in ChiUillon herbeigeführt. Am 19. März löste der Kongreß sich auf Schwarzenberg beschloß, die Hauptarmee nach rückwärts zu versammeln und rief seine Truppen von der Ionne heran. Er wollte sie zwischen Nogent-sur-Aube und Troyes aufmarschieren lassen, Troyes schwach besetzt halten, mit allen übrigen Kräften aber vorgehen, den Kaiser bei der Entwicklung seines Heeres überraschen, wenn er die Aube überschritt, und ihn angreifen. Hierbei follte Wrede mit dem 5. Korps den rechten Flügel vorwärts von Nogent an der Aube bilden, der Kronprinz von Württemberg mit dem seinen Befehlen unterstellten 3., 4. und 6. Armeekorps zur Linken Wredes zwischen Aube und Barbuisse erscheinen, um dann gemeinsam mit ihm vorzugehen. Um 9 Uhr früh des 20. März wurde er bei Charmont an der Barbuisse erwartet. Ursprünglich war der Stoß in der Richtung auf Plancy beabsichtigt, wo Napoleon sich gezeigt hatte. Ganz anders waren die Auffassungen des Kaisers von seiner 28* 436 IV. Die Befreiungskriege Lage. Er bewegte im Herzen bereits lebhaft den Plan eines Marsches auf Vitry-le-fran?ais, um von dort aus mit den Festungen der Ostgrenze und deren Besatzungen in Verbindung zu kommen und sich dann mit den verstärkten Kräften gegen die Rückzugslinien seiner Gegner zu wenden. Er versprach sich den größten Erfolg davon, zumal da er annahm, daß die wie gebannt bei Laon stehengebliebene schlesische Armee noch bewegungsunfähig sei. Wenn erst die Hauptmacht der Verbündeten im vollen Rückzüge nach dem Rhein wäre, so würde — das fetzte er voraus — auch die schlesische dorthin abziehen und er wieder Herr von ganz Frankreich werden. Schon jetzt glaubte er Schwarzenberg in eiligem Abmärsche begriffen und hoffte durch einen kurzen Vorstoß über die Aube ihn zu verderblicher Hast zu verleiten. So kam es zu einer der merkwürdigsten Schlachten dieses Feldzuges. Die Schlacht von Arcis-sur-Aube am 20. und 2^. März (S. Skizze 50) Wredes Vortruppen räumten in der Frühe des 20. Arcis und wichen am linken Ufer flußaufwärts gegen Nogent zurück. Nur Kavallerie blieb bei der geräumten Stadt, um weiterhin zu beobachten, gab sie aber ohne ernsten Kampf auf, als Ney mit feinem Korps und Sebastiani mit der Gardekavallerie herankamen. Hinter ihr besetzten die Franzosen Arcis, stellten die zerstörte Brücke wieder her, und der Übergang begann. Das alles stimmte mit Schwarzenbergs Hoffnungen überein, und um 9 Uhr gab er die Angriffsbefehle. Schon um 11 Uhr vormittags sollte das allgemeine Vorrücken beginnen und zwar jetzt nicht mehr gegen Plancy, sondern geradeswegs auf Arcis. Der rechte Flügel fiel dabei Wrede zu, gefolgt vom russischen Grenadierkorps und einer russischen Kürassierdivision, die Mitte und der linke Flügel bis zur Barbuisfe hin der Armeeabteilung des Kronprinzen von Württemberg, die Garden und Reserven sollten der Mitte folgen. Auf solche Art war es beabsichtigt, die aus Arcis durch die Enge der Stadt heraustretenden Franzosen mit gewaltiger Übermacht zu umklammern und zu erdrücken. Die Monarchen trafen um Mittag auf der Höhe bei Mesnil Lettre ein, um dem entscheidenden Kampfe beizuwohnen. Allein es sollte an diesem Tage noch nicht dazu kommen. Die Reibungen, die namentlich in einem Winterfeldzuge so leicht vor- Schwarzenberg beabsichtigt den entscheidenden Angriff 437 fallen, machten sich fühlbar. Der Kronprinz von Württemberg, der die Nacht vom 19. zum 20. März noch in Troyes zugebracht hatte, war viel zu weit zurück, um das ihm gesteckte Ziel erreichen zu können. Auch die Garden und Reserven erschienen noch nicht. Überdies wäre es kaum noch möglich gewesen, die „langatmige Dis- vie 5clil3clit vm^peiZ sul- /wbe cieli?0,u,?1.k/l3rv1L14-, /^S ^S/7?^//^tz>^ /^S5/>/7?) Skizze 50 ^ Verbündete — M Franzosen Position" des Oberfeldherrn bis zur festgesetzten Stunde überall hin zu versenden, von einem eingehenden Studium durch die Unterführer ganz zu schweigen. Nachmittags um 1 Uhr war Napoleon bei Arcis. Ihn traf dort die Meldung, daß der Feind im Anmärsche sei, aber er nahm sie ungläubig auf; denn er wollte sie nicht glauben. Statt jedoch 438 IV. Die Befreiungskriege Wie einst in seinen besten Tagen selbst vorauszureiten, um mit eigenen Augen zu sehen, schickte er nur Offiziere zur Erkundung ab. Trotzdem befahl er Macdonald, beschleunigt heranzukommen. Marmont und Mortier wurden angewiesen, auf ClMons oder Epernay zu marschieren. Von Paris her waren neue Verstärkungen nahe. Hartnäckig hielt er an der Vorstellung fest, daß die verbündete Hauptarmee vor ihm in vollem Rückzüge sei, und daß es sich nur darum handele, ihr einen kurzen wirksamen Stoß zu versetzen, um sie darin zu erhalten. Später wollte er sie dann von neuem bei Vitry überholen. Hierzu wünschte er alle Kräfte, über die er noch verfügte, in der eigenen Hand zu vereinigen. Auch eine große Artilleriekolonne, die bei La Ferte-sous-Jouarre eingetroffen war, erhielt den Befehl, auf Arcis weiterzumarschieren. Von einem Angriff großer feindlicher Kräfte südlich von Arcis war noch nichts zu sehen. In der Tat wurde dieser erst um 2 Uhr nachmittags möglich, als die Garden und Reserven von rückwärts her sich Wrede näherten. Auch jetzt noch war Kaiser Alexander, der sonst zum Vorgehen drängte, nicht mit dem Angriff einverstanden. Er glaubte an Napoleons Anschlag auf die rückwärtigen Verbindungen des Heeres und hielt ihn für bedenklich. Inzwischen war Ney durch Arcis vorgegangen, hatte die feindliche Übermacht entdeckt und war wieder zurückgewichen. Wrede folgte ihm und erreichte Torcy. Die französische Kavallerie unter Sebastiani, durch die Überraschung in Verwirrung geraten, stürzte in die Stadt zurück, der Kaiser mit dem gezogenen Degen in der Hand, stellte sich ihr entgegen, und es gelang ihm, die Fliehenden aufzuhalten. Der Rückzug kam zum Stehen. Das zunächst gelegene Torcy le Grand, wo Wredes Truppen schon eingedrungen waren, sollte wiedergenommen werden. Alles machte von neuem Front und ging vor. Ein heftiger, fünf Stunden anhaltender Kampf, der sich bis tief in die Dunkelheit hineinzog, entspann sich. Ja, er dauerte selbst während der Nacht sort, als zu guter Letzt eine russische Grenadierbrigade eingriff. Am Ende blieb Torcy-le-Grand in französischer Hand. Auch jetzt noch glaubte der Kaiser an den Rückzug der Verbündeten, der bei Torcy nur hatte gedeckt werden sollen, und den er nicht ungestraft vor sich gehen lassen wollte. Sein trotziger Wille mochte sich der Einsicht nicht beugen. Der Kaiser beließ sein schwaches Heer in der gefährlichen Lage vorwärts von Arcis, wo es im Halbkreise um Napoleons gefährliche Lage 439 die Stadt herum die Biwaks bezog. Die Befehle an alle Verstärkungen zum schleunigen Herankommen wurden wiederholt. Noch bildeten die Verbündeten ihm gegenüber zwei getrennte Gruppen. Der Kronprinz von Württemberg war erst spät abends herangekommen und dazu noch viel zu weit westlich bei Les-Petites- Chapelles zwischen Barbuisse und Seine; denn um den Weg zu kürzen, hatte er von Troyes aus die gerade Richtung gegen Plancy, sein ursprüngliches Marschziel, gewählt. Allein die Vereinigung der Verbündeten war jetzt durch den Feind nicht mehr aufzuhalten. Noch in der Nacht rief Schwarzenberg den Kronprinzen mit seinen Truppen zu sich heran, und am 21. 10 Uhr vormittags trafen diese neben Wrede zwischen Chaudrey und St. Remy ein. Auf engem Rauine war nunmehr die Hauptarmee versammelt. Als Napoleon am Morgen nach Torcy vorritt, sah er dort nichts als feindliche Vorposten und befahl um 10 Uhr vormittags das allgemeine Vorgehen. Bald aber entdeckte auch er, die flachen Höhen füdlich Arcis hinansteigend, die dahinter aufmarschierte feindliche Armee. Jetzt begriff er die ungeheure Gefahr, in die er sich mit dem Rest seiner Streitkräfte begeben hatte. Sogleich stand der kühne Entschluß bei ihm fest, die Bewegung anzuhalten und unter den Augen des übermächtigen Feindes den Rückzug durch Arcis anzutreten. Schnell wurde dort eine zweite Brücke geschlagen und der Abmarsch eingeleitet, den Oudinot decken sollte. Das Unternehmen gelang; denn Schwarzenbergs Angriffslust war in dem Augenblicke gesunken, als er sich dem gefürchteten Kaiser auf den? Schlachtfelde gegenübersah. Bald wurden französische Kolonnen sichtbar, die, am rechten . Aubeufer abmarschierend, sich in nordöstlicher Richtung bewegten. Eben erst, etwa um Mittag, war der Entschluß zum allgemeinen Angriff, der jedoch nicht vor 2 Uhr beginnen konnte, gefaßt worden. Nunmehr erhielt Wrede den Befehl, nach rechts abzurücken, um jenseits der Aube den Franzosen zuvorzukommen. Der Kronprinz von Württemberg allein blieb im Vorgehen und griff an. Abends um 6 Uhr war er nach lebhaftem Kampfe im Besitz von Arcis und Oudinot vor ihm auf das nördliche Ufer zurückgewichen. Dort fand dieser die Verbindung mit dem herangekommenen Macdonald. Der Kaiser brachte die Nacht in Sompuis zu. Es war ihm gelungen, den Kopf noch einmal aus der Schlinge zu ziehen, in die er ihn verwegen gesteckt hatte. Freilich waren seine Verluste 440 IV. Die Befreiungskriege schwere gewesen, wie es sich bei der großen Übermacht der Verbündeten leicht erklärt. Nur 33 500 Mann hatte er auf dem Schlachtfelde gegen 74 000 Feinde geführt. 8000 Mann ließ er tot, verwundet oder gefangen zurück. Die Verbündeten hatten nicht mehr als etwa 2500 Mann eingebüßt. Die Vorahnung seines nahen Unterganges muß den Kaiser bei dem Blick auf das reißende Zusammenschmelzen seiner Streitkräfte ergriffen haben. Nicht mehr die Gewalt, sondern nur noch List und Überraschung verhießen ihm Rettung. -i- -!- Unter diesen Umständen gewann in seiner Seele der Plan die Oberhand, sich ostwärts zu wenden und sich dort auf die rückwärtigen Verbindungslinien seiner Gegner zu werfen. Er hatte ihn in der letzten Zeit schon mehrfach ernsthaft erwogen. Die immer heftiger auflodernde Schilderhebung der lothringischen Bauern zu seinen Gunsten versprach ihm eine beachtenswerte Hilfe. Aus den Grenzfestungen vermochte er Truppen herauszuziehen, welche im sreien Felde verwendbarer waren als die jungen Konskribierten, die aus dem Lande den Fahnen zugeführt wurden. Er rechnete auf ansehnliche Verstärkungen, die seinem Auftreten im Rücken der Verbündeten das nötige Gewicht verleihen konnten. Das ganze Unternehmen bot ihm den letzten Hoffnungsanker dar. Noch am 21. März des Abends in Sompuis entschloß er sich dazu. Ney erhielt den Befehl schon am 22., einen Versuch gegen das von den Verbündeten besetzte Vitry-le-Fran?ais zu machen. Er felbst wollte dorthin folgen. Wie einst Karl XII. das langersehnte Heranrücken Löwenhaupts mit Verstärkungen und Lebensmitteln in seiner Ungeduld am Ende nicht abwartete, so tat es hier der Kaiser nicht nur mit Marmont und Mortier, sondern auch mit den von ClMeau Thierry nachrückenden Kolonnen und Parks. Noch waren die Verbündeten nicht über die Aube gefolgt, und er hätte die Zeit gehabt, alle Kräfte zusammenzuziehen, die ihm geblieben waren. Aber die Unruhe, durch einen neuen Schlag wieder festeren Boden für die weiteren Unternehmungen zu gewinnen, trieb ihn vorwärts. Neys Versuch gegen Vitry schlug nach kurzer vergeblicher Beschießung fehl. Trotzdem überschritt der Kaiser die Marne oberhalb der Stadt und ging weiter auf St. Dizier vor. Marmont und Mortier sollten sehen, wie sie über Chälons zu ihm herankämen, Macdonald und Oudinot von der Aube her ihm folgen. Sein Rückzug von Arcis-sur-Aube und Marsch nach Osten 441 Der Überfall von St. Dizier, das nur schwach besetzt war, gelang, und dort erwog der Kaiser die Pläne sür die Zukunft. Sie waren Ergebnisse der Verzweiflung, nicht mehr auf die Wirkung der Kraft, sondern auf den Eindruck der Überraschung gegründet. Seine Armee verdiente nicht mehr den Namen einer solchen. Die Kavalleriedivisionen waren auf einige hundert Pferde, die Jnfanterie- korps auf wenige tausend Mann zusammengeschmolzen. Die schweren Verluste an Geschütz und Material hatten ihn zu einem kaum noch brauchbaren, veralteten Ersatz gezwungen. Das Ganze trug mehr den Charakter eines starken Streifkorps als den eines Heeres. Freilich verband sich damit der Vorteil leichterer Ernährung und Bewegung. Eine Art von Parteigängerkrieg im großen war in der Tat für ihn jetzt das angemessenste, und bei dem Glanz, den sein Name noch immer besaß, keineswegs aussichtslos. Vier Entwürfe stellte er selber auf: sich nach Metz zu wenden, dort 12000 Mann an sich zu ziehen, die am Westfuß der Vogesen stehenden Abteilungen der Verbündeten über das Gebirge zurückzutreiben und dann gegen die Rückzugslinie der Hauptarmee vorzugehen, einen Versuch gegen Vitry, dessen Fall die feindlichen Heere um ihre Verbindung mit der Heimat besorgt machen sollte; den Vorstoß auf Chaumont oder endlich, den Marsch über Brienne, wo die Nachschubslinien der verbündeten Hauptarmee näher und schneller durchschnitten wurden. Der Kaiser selbst erklärte in den Betrachtungen, die er anstellte, um zur Klarheit zu gelangen, den ersten Plan, den Marsch ans Metz, für den besten, und dennoch wählte er — ein psychologisches Rätsel — den Marsch in der Richtung auf Chaumont, zunächst bis nach Doulevant. Er tat, was er richtig als das weniger Vorteilhafte erkannt hatte, vielleicht nur, weil es einen schnelleren Erfolg verhieß und seine innere Unruhe eher beschwichtigen konnte. Aber schon war sein Schicksal entschieden. Was ohne den erfolglosen Vorstoß bei Arcis-sur-Aube hätte gelingen können, glückte jetzt, wo seine Ohnmacht offenbar geworden war, nicht mehr. Am 22. März machte die Hauptarmee freilich nur geringe Bewegungen und ging nicht einmal über die Aubc hinüber. Aber die Kasaken streiften nördlich des Flußes und brachten die Meldung, der Feind ziehe sich zurück, doch nicht in der Richtung auf Paris, sondern in 442 IV. Die Befreiungskriege der auf Moskau. Ein Brief Napoleons an die Kaiserin, der von seinen Absichten sprach, wurde aufgefangen und am 23. mittags im Hauptquartier Pougy an der Aube nahe von Lesmont bekannt. Wohl wurde der Rückzug noch erwogen, aber nur, um bald endgültig aufgegeben zu werden. » 5 5 Inzwischen war auch die schlesische Armee aus ihrer Erstarrung wieder zum Leben erwacht. Sie hatte die Aisne überschritten. Bülow zur Rechten schloß Soissons ein. Zur Linken ging Wintzinge- rode nach Reims vor. Die Mitte folgte den abziehenden Mar- schällen Marmont und Mortier zunächst in südlicher Richtung gegen ChÄteau Thierry. Der kranke Feldmarschall war mit Mühe bewogen worden, am 21. März nach Fismes überzusiedeln. Noch wollte er jedoch von Geschäften nichts wissen. Er trug sich mit dem Gedanken, den Feldherrnstab niederzulegen. Da kam die Nachricht, daß Marmont und Mortier sich südwärts gewendet hätten, um zu Napoleon heranzurücken, der große Schläge gegen die Hauptarmee beabsichtige. Depeschen des Kaisers meldeten einen Sieg bei Arcis, den er am 20. errungen haben wollte. Diese Nachrichten schnellten Blüchers Tatkraft wieder empor, obgleich seine Augenentzündung noch mit voller Heftigkeit andauerte. Sogleich war er entschlossen, der Hauptarmee Hilfe zu bringen, die ihn selbst zweimal im Stiche gelassen hatte. Die Klarheit der Entwürfe war im Augenblick wiedergewonnen; die drei russischen Korps, die am weitesten östlich standen, sollten ohne Zögern auf Chs-lons marschieren, Jorck und Kleist über Ch^teau-Thierry in derselben Richtung herangerufen werden. Unverzüglich begannen die Bewegungen, und in der Nacht vom 23. zum 24. März, die Napoleon in St. Dizier verbrachte, waren die beiden großen verbündeten Heere einander schon sehr nahe gekommen, der Kaiser aber von seinen nachrückenden Verstärkungen bereits getrennt. Die gesamte Hauptarmee stand westlich Vitry nahe vereint, ihr Hauptquartier in Sompuis. Von der schlesischen Armee hatte Wintzingerode Chälons erreicht und seine Kavallerie bis nahe an Vitry vorgeschoben. In Reims stand das Hauptquartier mit den Korps Sacken und Langeron, in Epernay Kavallerie. Jorck und Kleist hatten CMeau-Thierry erreicht. Gegenüber lagerte die eine Gruppe der französischen Kräfte unter dem Kaiser an der Marne Beschluß der Verbündeten, auf Paris zu marschieren 443 zwischen Vitry und St. Dizier, Kavallerie gegen Osten, Nordosten und Südosten vorgeschoben, der neuen Operationsrichtung entsprechend. Die andere Gruppe, Marmont, Mortier und Pacthod, war mit dem sehnlich erwarteten Park, von Kasaken umschwärmt, in der Gegend von Vertus und Sezanne angekommen. Ihre Vereinigung hätte nur noch durch die Reihen der Verbündeten hindurch geschehen können. (S. Skizze 51.) Noch war es Schwarzenbergs Absicht, Napoleon zunächst über Vitry zu folgen, und der Befehl dazu an die Armee erlassen. Aber die denkwürdige Nacht war reich an wichtigen Meldungen, welche endlich den Umschwung und die letzte Entscheidung bringen sollten. Von Tschernitschew und Tettenborn aufgefangene Schriftstücke enthielten Berichte an den Kaiser über die in Paris herrschende Unzufriedenheit, den Wunsch nach Frieden, die Räumung von Kassen und Magazinen, die Gefahr für die Ruhe der Hauptstadt, wenn die Verbündeten sich nähern sollten und andere Anzeichen der nahenden Katastrophe. Dann wurde das Eintreffen der schlesischen Armee bei Reims und Chalons bekannt, die Verbindung bald sogar tatsächlich hergestellt und Napoleons Verschwinden hinter Vitry entdeckt, so daß es unwahrscheinlich wurde, ihn noch einholen zu können. So gewauu der Gedanke der „Völkerwanderung nach Paris", der früher nur bei der schlesischen Armee gehegt und gepflegt worden war, nun auch die Gemüter des großen Hauptquartiers. Über die Person des eigentlichen und ersten Urhebers in dieser entscheidenden Stunde bestehen Zweifel, wie oft in Augenblicken, wo die gleiche Einsicht zur selben Zeit alle Köpfe erfüllt. Auf einem Hügel bei Vitry, wohin Schwarzenberg mit König Friedrich Wilhelm III. vorausgeritten war, um den Bewegungen des Heeres zu folgen, und wo sie Kaiser Alexander nach einer nochmaligen Prüfung der Lage im Hauptquartier Sompuis, ihnen nacheilend, erreichte, wurde endlich der erlösende Beschluß gefaßt. Noch am Abend gingen aus Vitry die Befehle zum Marsch gegen die feindliche Hauptstadt ab. Nur Wintzingerode mit etwa 8000 Reitern sollte dem Kaiser folgen, um ihn. über den Abmarsch der Heere zu täuschen. Die Würfel waren gefallen. Beide Armeen erhielten für den 28. März das Marschziel Meaux als Punkt der Vereinigung angewiesen. So sehen wir sie am 24. abends bereits mit dem Blick gegen Paris gewendet, die schlesische Armee mit den drei russischen Korps bei Chillons-sur-Marne, mit den beiden Preußi- 444 IV. Die Befreiungskriege schen zwischen ClMeau Thierry und Montmirail, die Hauptarmee mit vier Korps westlich von Vitry mit einem, dem 3., südlich der kleinen Pariser Straße bei Mailly, Kavallerie und Kasciken schon weiter westlich vorgeschoben. In ihrer Mitte, die drohende Lage noch nicht erkennend, standen Marmont, Mortier und Pacthod. Ein Teil der französischen Parkbedeckung befand sich weiter zurück in Sezanne. Ein Blick auf die Karte läßt sie dem Untergange geweiht erscheinen. Für den 25. war an die Hauptarmee der Marsch nach Fere Champenoise befohlen. Er sollte mit drei Kolonnen in der allgemeinen Richtung der großen Straße von Vitry erfolgen, zur Rechten Zfellusicj m 3M 24 1^? 1814 /^kiill5 >5o/5so/n tt3UM^e g 88cllZUp!3s^7 öülo»v ^ >, I - - ^"itte SeniesiZ^g H ^ ^^^^xÄcl«^ ».Y^s ° c-? ,Xlei5ts/c>/!L^ ^ "'^^^^^ ^ "'WZe^r. ^27^- / ^ 4-^^.,.' ^Pv^,^ "° " >^<^Ä-^?> ^^I^^ee ^> .^So-,/s->s/?/' ^/e?A7^>. ^ V (. ^Sszcllson " Ä /s/ ^ /I^s/Zz/S^ ^^s^. ^bs-s^mo/?/ Skizze 51 ^ Verbündete — M Franzosen das 5., in der Mitte das 6. und 4. Korps, zur Linken die Garden und Reserven. Auch das 3. Korps sollte das allgemeine Ziel des Tages erreichen, die Bagage der Armee der mittleren Kolonne folgen. Blücher erhielt Nachricht; er sollte über Champaubert und Montmirail herankommen. Um die Bewegung zu beschleunigen, war angeordnet worden, daß nur Artillerie und Fuhrwesen die Straßen selbst benutzen durfte, Infanterie und Kavallerie marschierten zur Seite; die Kasaken streiften in der allgemeinen Richtung über Provins gegen Paris voraus. Kaiser Alexander und König Friedrich Wilhelm III. begleiteten Marmonts und Mortiers Umkehr 445 den Marsch; Kaiser Franz hatte sich zur österreichischen Südarmee nach Dijon begeben. ^ ->- Der erste wirklich energische Entschluß, der bei der Hauptarmee in diesem Feldzuge gefaßt wurde, trug sogleich seine Früchte. Die in der Richtung auf Paris vorauseilende Kavallerie der Verbündeten entdeckte bald die Marschkolonnen der heranziehenden Marschälle Mortier und Marmont, die gegen Vatry und Sommesous marschierten. (Vgl. Skizze 45.) Zunächst war nur zahlreiche Kavallerie und Artillerie vor ihnen, aber deren Angriffe ließen sie bald die große Gefahr begreifen, in der sie schwebten. Unter sich den Tag über wiederholenden Gefechten wichen die beiden französischen Führer über Fere Champenoise bis auf die Höhen von Allemant nordöstlich Sezanne zurück. Immer mehr verbündete Reiterei, von dem stets tätigen Kronprinzen von Württemberg geführt, war herangekommen und setzte ihnen.arg zu. Die Auflösung begann sich unter den jungen französischen Truppen fühlbar zu machen. Ihr Verlust soll an 2000 Tote und Verwundete betragen haben; 4000 Gefangene und 45 Geschütze ließen sie in den Händen der Verfolger, deren Einbuße nur auf etwa 400 Mann berechnet wird. Während dieser glücklichen Gefechte war in nordöstlicher Richtung Kanonendonner gehört worden. Er erweckte bei den Verbündeten die Sorge, bei den Franzosen die freudige Hoffnung, daß der Kaiser herankomme und sich die Verbindung mit seinen nachfolgenden Verstärkungen gewaltsam eröffnen wolle. Die eine Empfindung war ebenso grundlos wie die andere. Die heranrückende Parkkolonne, die weiter nördlich unterwegs war und den Versuch machte, sich an Marmont und Mortier heranzuziehen, wurde von ihrem Schicksal ereilt. Es waren die langen Wagenzüge mit Verpflegung und Munition für die „Große Armee" unter der Bedeckung zweier schwacher Divisionen, die zusammen nur 4300 Mann zählten, von Pacthod befehligt. Die Nacht zum 25. März hatten sie in der Gegend von Bergeres zugebracht und waren am 25. früh in der Richtung gegen Vitry wieder ausgebrochen. Bei Villeseneux wurde um 10 Uhr Halt gemacht und geruht. Die schwache Kavallerie, die sich bei dem Zuge befand, hatte bis dahin noch nichts von den Heersäulen der Verbündeten entdeckt. Blücher, der, wie bekannt, am 24. in ClMons gewesen war, 446 IV. Die Befreiungskriege hatte dort mit seiner Umgebung, ähnlich wie es etwa gleichzeitig im großen Hauptquartier geschah, die wichtige Frage erwogen, ob weiter nach Osten hinter Napoleon her