— 59 —
an Reichtum ihn heute weit überholt haben. Hier, wie sooft in der Wirtschaftsgeschichte, waren Ausländer die Trägerdieses Fortschrittes. Was die Hugenotten für Berlin , daswaren die Deutschen für Moskau , wie denn noch heute diedeutsche Sprache an der Moskauer Börse fortlebt.
Trotz der unter Cancrin (Finanzminister 1823—44) herr-schenden , nahezu prohibitiven Zollsätze war in der erstenHälfte des Jahrhunderts die grofsgewerbliche EntwicklungRufslands nur eine langsame. Erst die Reformen Alexanders II. gaben die Möglichkeit einer selbständigen Industrieentwicklunggröfseren Stiles. Gerade in Moskau kam die Bauernbefreiungzu besonderer Wirkung. Hier nämlich, am Sitze zahlreicheradliger Hofhaltungen, befand sich eine Menge von Leibeigenen,welche bisher zu persönlichen Diensten des Herrn verwandtworden waren, sog. „Hofleute". Diese wurden ohne Landbefreit. Auch im übrigen waren wegen der vorhandenen Be-völkerungsdichte hier im Mittelpunkte des Reiches die Land-loose der befreiten Bauern schmal bemessen. Aus beidenUmständen folgte der Zwang zu gewerblicher Beschäftigungfür einen starken Bruchteil der Bevölkerung.
Moskau wurde unter Alexander II. ferner Mittelpunkt desEisenbahnnetzes. Mit den Eisenbahnlinien strahlen Moskaus Sprache und Geschmack nach allen Seiten; wie sie beideRufsland eroberten, so auch die ihnen folgenden Moskauer Industrieprodukte. Jede dichtere Maschung dieses Eisennetzesim Innern 1 , jedes tiefere Vorrücken der Lokomotive in denkontinentalen Block Asiens , jedes Pud Getreide, welches aufdiesen Schienen nach Westeuropa wandert, erweitert das Ab-satzgebiet der Moskauer Industrie.
Noch streitet die russische „Intelligenz", ob Rufsland diekapitalistische Entwicklung des Westens mitmachen „solle".Demgegenüber hatte ich nirgends so sehr wie auf Moskauer
1 Noch heute hemmt ein zeitiges Frühjahr und die damit ver-bundene Grundlosigkeit der Landstrafsen die Abhaltung der ländlichenKleinmärkte und damit den Absatz von Industrieprodukten. Vergl.Finanzbote, 5. Februar 1895, 8. 261.