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Die Weiterbildung der Kant'schen Aprioritätslehre bis zur Gegenwart : ein Beitrag zur Geschichte der Erkenntnistheorie / Rudolf Eisler
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Naturforscher und im gewissen Sinne Empirist, er war auchund zwar von Haus aus, Vertreter der sogen. Leibniz-Wolff'schen Philosophie, die er aber in selbständiger Weisevorgetragen hat. Im Verlaufe seiner philosophischen Ent-wicklung gewann er immer mehr die Überzeugung, dafs diemetaphysischen Begriffsconstruktionen Wolfs keinen festenBoden haben. Die Methode der Naturwissenschaft mufsteihn mifstrauisch machen gegenüber den rein begrifflichdeducierten Axiomen und Postulaten der Metaphysiken DieLehre von den angeborenen Ideen, die von Plato bisherunter zu Wolf eine so grofse Rolle in der Philosophiegespielt hatte, erschien ihm, wenigstens in den Fassungen,in denen sie aufgetreten war, unhaltbar. Und doch sind esgerade die »ewigen Wahrheiten«, die für Kant's Vernunft-kritik von eminenter Bedeutung geworden sind. Seineganze Trennung der Vorstellung in einen zufälligen, empi-rischen und einen notwendigen, in aller Erfahrung vorkom-menden Bestandteil, geht zum guten Teile aus einer innigenAnlehnung an die alte Lehre von den »aeternae veritates«hervor. Nur die Motive und die Art der Durchführung sindanders als beim Rationalismus. Letzterer hatte aus ethischenGründen gewisse Begriffe als notwendige, angeborene Wahr-heiten gewissermafsen Geschenke Gottes angesehen,um sie vor der Zufälligkeit subjektiver Ansichten zu be-wahren. Kant giebt die Formen der Anschauung und desDenkens als notwendig und allgemein, im gewissen Sinneauch als angeboren aus und zwar thut er dies in letzterLinie, um die Gesetze der materiellen Welt vor den An-feindungen des Skeptizismus zu sichern. So sind denn imGrunde genommen Kant's »reine« Anschauungen und Be-griffe nichts anderes als eines der letzten Stadien der Pla-tonisch-Aristotelischen Lehre von den angeborenen Ideen.Nicht als ob Kant in bewufster Weise diese Lehrezu seinem Begriffe des Apriori umgearbeitet hätte, einesolche Annahme würde sicherlich den Thatsachen wider-sprechen. Aber es erscheint vom psychologischen Stand-