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Die Weiterbildung der Kant'schen Aprioritätslehre bis zur Gegenwart : ein Beitrag zur Geschichte der Erkenntnistheorie / Rudolf Eisler
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punkt aus verständlich, dafs Kant bei der Suche nach demKriterium und der Quelle der Wahrheit zu der Annahmeapriorischer Erkenntnisformen kam, nachdem er einmal ein-gesehen hatte, dafs kein Bewufstseinsinhalt als solcher ange-boren sein könne, und er doch die blofse Erfahrung nichtals alleinigen Faktor der Erkenntnis betrachten wollte undkonnte. So kommt es, dafs Kant sich selbst die Fragevorlegt: Was ist es, was uns eine objektive Erkenntnis ver-schafft? Die blofse Wahrnehmung, meint er, hat etwas Zu-fälliges an sich, für die notwendige und allgemeingültige Er-kenntnis reicht die Erfahrung nicht aus. Thatsächlich habenwir aber eine solche Erkenntnis in der reinen Mathematikund Naturwissenschaft; woher entspringt sie also? Kant'sFragestellung und seine Erledigung derselben lassen sichfolgendermafsen formulieren:

Keine Erfahrung kann uns allgemeine und not-wendige Erkenntnis geben.

Einige Erkenntnis ist allgemein und notwendig(Mathematik und Naturwissenschaft).

Also kann unsere Erkenntnis, insoweit sie not-wendig und allgemeingültig ist, nur aus bestimmtenursprünglichen Formen des Bewufstseins hervorgehen.In dieser Schlufsfolgerung, welche die Grundlage derganzen Vernunftkritik bildet, stecken zwei Fehler, die genaugenommen nur zwei Seiten eines Fehlers repräsentieren;der erste steckt im Obersatze, der zweite in der Konklusion.Die Behauptung, dafs Erfahrung keine Erkenntnis vonstrenger Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit geben könne,ist rein dogmatisch aufgestellt, eine der bei Kant öfter vor-kommenden Übertreibungen richtiger Grundgedanken. Waser behauptet, gilt höchstens für die einzelne, isolierte, aberdurchaus nicht für die allgemeine, durch das Denken be-richtigte Erfahrung. Aber selbst wenn wir die Richtigkeitdes Obersatzes zugeben wollen, so bliebe noch ein Fehlerim Schlufssatze. Wenn Erfahrung an sich kein apodiktischesWissen verschafft, so würde sich daraus nur die Annahme