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ergeben, dafs die allgemeine Gesetzmäfsigkeit des Bewufst-seins als der apriorische Faktor in aller Erkenntnis in Be-tracht zu ziehen ist. Damit ist nun weiter nichts gesagt,als dafs zum Zustandekommen von Erfahrung, es aufserdem Gegebenen noch eines erkennenden Bewufstseins be-darf, dessen Thätigkeit in dem die Erfahrung konstituierendenErkenntnisprozesse sich äufsert.
Es mufs freilich zugegeben werden, dafs vor Kant mitwenigen Ausnahmen nirgends eine richtige Auffassung desErkenntnisprozesses zu finden ist; überall Einseitigkeitenund wieder Einseitigkeiten. Fast bis auf Kant herab spaltetsich die Erkenntnislehre in eine rationalistische und einesensualistische Richtung. Der Rationalismus macht aus demerkennenden Bewufstsein mehr oder minder einen Zauber-born, in dessen Tiefe Erkenntnisse schlummern, die durchdie Fee Erfahrung nur hervor gelockt zu werden brauchen,um als stolze Begriffs-Ritter allen Anmafsungen der SkepsisHohn zu sprechen. Dagegen erblickt der Sensualismus imBewufstsein nur eine leere Tafel, an welcher die Auisenweltihre Eindrücke der Reihe nach verzeichnet, die sich nun vonselbst so lange schieben und drängen, bis sie hübsch inOrdnung gebracht sind und die Aufsenwelt abspiegeln.
Nach einigen Ansätzen zum Besseren (Locke, Leibniz, Tetens) tritt Kant mit seiner tief in die Unwissenschaftlichkeitder früheren Erkenntnislehre und Metaphysik einschneidendenVernunftkritik auf. »Gebt den Sinnen, was den Sinnen, derVernunft, was der Vernunft gebührt!« Diesen Satz könnteman als Motto seinem kritischen Unternehmen voranstellen.Aus der Erfahrung stammt alles Wissen, reine Vernunftbringt nichts zu Stande als Phantasiegebilde oder höchstensIdeen, die wohl einen praktischen, aber keinen theoretischenWert besitzen. Aber deshalb hat der Sensualismus nochlange nicht Recht; so leicht geht der Erkenntnisprozefs nichtvon statten, dafs die Seele als empfindliche Platte die Er-kenntnis in sich aufnimmt, ohne jede Mitwirkung ihrerseits,sondern der gegebene Wahrnehmungs-Stoff mufs, damit Er-