giöse Wurzel verdorrt ist. In ihr herrscht Geldwahn statt Got-tesglaube, Rechenhaftigkeit statt Opferbereitschaft, Versach-lichung statt Lebensfülle, Wissenswust statt Wesensschau. DieVernunft verliert ihre metaphysische Wurzel als jene göttlicheWeisheit, die den Menschen in den großen Zweckzusammen-hang aller Dinge eingliedert. An ihre Stelle tritt der Ver-stand, der die Außenfläche der Dinge bemißt, das bunteLeben mit der blassen Ziffer einzufangen sucht. Von Ursachezu Wirkung fortschreitend, bleibt er ohne Antwort auf dasletzte Wozu? des Menschenlebens.
Der Mythos als das Bildnis der Gottheit, die sich durch ihnin der Geschichte verkörpert, wird aufgesogen vom Historis-mus , der sich in die Werte aller Völker und Zeiten einfühltund die Leitsterne des eigenen Daseins entwertet — alles er-klärt, nichts ernstlich mehr will.
Vor allem hat die auf Wissen und Verstand aufgebautehöhere Schule der bürgerlichen Welt die schöpferischenTriebeverkümmert, die beim Kinde in Leibesübung, Handfertigkeit,Naturbeobachtung, Zeichnen und Gesang zum Ausdruck drän-gen, auch im Nacherlebnis von Dichtung und Geschichte Be-friedigung suchen. Die Schüler verlassen die Schule nur zu oftratlos gegenüber den Anforderungen des Lebens — ziellosenWissens, gedrosselter Lebensfreude, geknickten Trieblebens, ge-brochener Vitalität — Hasser der Schule, die ihnen vieles gab,das Beste nahm. Besonders stehen sie ratlos gegenüber den An-forderungen einer Sexualität, die durch Stubenhockerei undeinseitige Inanspruchnahme des Gehirns überreizt wird.
Ein solcher verknickter und verkrümmter Mensch erklärt sichselbst zum Maß aller Dinge! Von allen Seiten wundgestoßenan engenden Schranken, endet dieser kleinmenschliche Über-mensch, der sich zum Mittelpunkt der Welt macht, in Ver-zweiflung. Eine Gesellschaft, die das Ich entfesselt, ohne es neuzu binden, und damit jede Gemeinschaft auflöst, endet imKampf aller gegen alle. Beide enden im Selbstmord, im Nichts.
In dieses Elend hinein tönt heute wieder die Stimme vonoben: „Ändert Euren Sinn; das Himmelreich ist nahe herbei-
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