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Volkswirtschaftliche Studien aus Rußland / von Gerhart v. Schulze-Gävernitz
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besonders des Hofadels in den Städten, bedienten sich euro-päischer Waren als eines seltenen Luxus. Weder die guts-herrliche noch die staatliche Fabrik waren demgegenüber dieTräger eines energischen Schutzzollinteresses-, erstere nicht,weil sie bei den unergründlich schlechten Strafsen schongenügend in ihrem lokalen Absatz geschützt war, letztereaber war ein Teil der Staatswirtschaft selbst oder durchMonopole gesichert. Es fehlte ein eigentliches Fabrikanten-tum als gesonderte, ihres Interesses selbstbewufste Klasse.

Mochte man also immer dem Kaiser Nikolaus I. eineÜbersetzung von F. List vorlegen; das Zollsystem seinerTage glich eher dem Merkantilismus Friedrichs d. Gr., welcherEinführung der Industrie in ein ungewerbliches Land undSchutz staatlicher oder staatlich privilegierter Fabriken be-zweckte; die Prohibition jener Zeit war ein Ausdruck derNaturalwirtschaft.

Den Anstofs zum wirtschaftlichen Fortschritt gab dersteigende Verkehr. Bereits unter Nikolaus I. deutete er sichan durch die Zunahme des Schmuggels 1 und die Möglichkeit,durch Zollherabsetzungen die Staatseinnahmen zu vermehren.Rücksichten auf beides, also fiskale Interessen, führten zurHerabsetzung der bis dahin prohibitiven Zollsätze in denJahren 18241850.

Aber erst um die Mitte des Jahrhunderts hielt Tauschund Geldwirtschaft Einzug in Rufsland; hierdurch, nicht durchlitteräre Bewegungen, wurde Rufsland europäisiert. Diesergewaltige Umschwung fand seinen Ausdruck in dem Reform-werk Alexanders II. Die Bedingungen für eine moderne Grofs-industrie waren, wie wir oben sahen, erst mit dem Bau derEisenbahnen und der Schaffung einer unabhängigen Civil-justiz gelegt.

Voraussetzung für die Entwicklung der Industrie warferner die Befreiung der Bauern. In ihr zog der Adel die

1 Nach Mitchell a. a. 0. Einleitung S. 5 betrug Mitte des Jahr-hunderts die Versicherungsprämie für Schmuggeltransport nach Rufslandnur 35 % des Zolls ein Beweis für die Chancen des Schmugglers.