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kenntnis zu Stande komme, durch die gesetzmäfsige Thätig-keit des Bewufstseins bearbeitet werden. Das ist der gesundeKern unter den mannigfachen, inhaltlich und formell nach-teiligen Umhüllungen der Vernunftkritik. In der Vermittlungzwischen Rationalismus und sensualistischem Empirismus er-blicken wir die Hauptbedeutung der theoretischen PhilosophieKant's ; geringe, unwichtige Abzweigungen ausgenommen,kann man sagen, dafs durch ihn der Streit zwischen Rationalis-mus und Sensualismus endgültig geschlichtet ist.

Aus unserer historischen Darstellung haben wir gesehen,dafs still und ruhig neben und in dem Lärm der meta-physischen Spekulationen die Weiterbildung der erkenntnis-theoretisch bedeutsamen Momente der Kant'schen Philosophieihren Gang genommen hat. Kant selbst ist in seiner Neu-begründung der Erkenntnistheorie auf halbem Wege stehengeblieben und hat trotz seiner kritischen Methode nur zumTeile die richtigen Lösungen gefunden. In der Nachkant'schenPhilosophie haben die Schwächen und Lücken der Kant 'schenErkenntnistheorie, bei Freunden und Gegnern, ihre Wieder-legung resp. ihre Ergänzung gefunden. Wie eine ewigeKrankheit haben sich in der Nachkant'schen Philosophie diereinen Anschauungs- und Denkformen zu erhalten gewufst.In der Hinwegräumung des unnützen Ballastes der apriorischenFormen und in der Aufstellung einer befriedigenderen Theoriebetreffs des Wesens der Erkenntnis als Ersatz für dieselbenbesteht das Hauptverdienst des modernen kritischen Empiris-mus. Niemals aber dürfen wir vergessen, dafs sowohl methodo-logisch als auch sachlich die Vernunftkritik das Vorbild fürjede wissenschaftliche Erkenntnistheorie bildet. Es sind ins-besondere drei Kant'sche Begriffe, die als das Constante imWechsel der Meinungen sich erhalten haben: die Formalitätder Raum- und Zeitanschauung gegenüber dem Empfindungs-inhalte, die Spontaneität des Denkens und die Einheit derApperception oder die synthetische Natur des Bewufstseins.