HL 96.

Kreitag, den 20. November

189k.

Für die Redaction verantwortlich: Dr. Theodor Müller in Augsburg .

Druck und Berlag des Literarilchen Instituts von HaaS L Grabberr in Augsburg (Vorbesitzer vr. Max Huttler ).

Am fremden Lande!

Erzählung von C. Borges.

(Fortsetzung.)

DaS große, eiserne PassagierschiffTrojan" hatte fein Ziel, die Kapstadt , bald erreicht. Am nächsten Morgen sollten sich die Reisenden trennen, die während der langen Ueberfahrt sich in enger Freundschaft anein- andergeschlossen hatten. Die älteren Damen waren in den Kajüten mit dem Einpacken ihrer Koffer beschäftigt, während die jungen Leutchen gruppenweise auf Deck stan­den, Versprechungen nahmen und gaben, durch rege Correspondenz die neuen Freundschaftsbezichungen auch fernerhin zu unterhalten, oder was freilich seltener geschah einen nahen Besuch in Aussicht stellten.

Etwas getrennt von dieser heiteren Gesellschaft faß eine junge Dame in leichtem crsme-farbenem Spitzenkleide und einen leichten, seidenen Shaw! graciös um die Schulter geschlungen. Sie war nicht aus dem Grunde allein, weil sie keine Freundschaft am Bord des Schiffes gefunden hatte, nein, ein jeder der Reisenden fühlte große Zuneigung zu demkleinen, lieblichen Fräulein Nosalie", und Madame Darby, eine muntere, kleine Fran­zösin, deren Schutz die junge Dame anvertraut war, dachte oft im Stillen, ihr lieber Schützling würde das Schiff als glückliche Braut verlassen. Aber Rvsalie von Bornscld wollte heute am letzten Tage ihrer Reise Mit ihren Gedanken allein sein. Sie stand ja am Wende­punkte ihres Lebens und grübelte vergebens darüber nach, was wohl die Zukunft für sie bringen würde.

Selten war auch wohl in der äußeren Erscheinung einer jungen Dame in so kurzer Zeit eine solche wesent­liche Veränderung hervorgerufen, wie es in den wenigen Wochen bei Nosalie der Fall gewesen war. Die Schwester des alten Herrn Hollmann hatte sich mit mütterlicher Liebe und Sorge der armen, verlassenen Waise ange­nommen, nicht allein für eine elegante, dem heißen Klima angemessene Garderobe gesorgt, sondern ihr «ehr gegeben, als man durch Gold und Reichthum erringen kann ein Herz voll von hingebender, treuer Liebe. In diesem warmen Sonnenscheine entwickelte sich die welke Menschen­blüthe zu kaum geahnter Pracht und Schönheit; und als nach mehreren Wochen die Zeit der Abreise herannahte, war der ängstliche, leidende Zug aus dem jugendlichen Antlitz gänzlich verschwunden und hatte einem lieblichen, freudevollen Ausdruck Platz gemacht.

Madame Darby, eine reiche, kinderlose Wittwe, die

anch nach Afrika reiste, hatte gern die junge Reise­gefährtin unter ihren mütterlichen Schutz genommen und schenkte ihr auch dieselbe Liebe, die Fräulein Hollmann im Herzen der jungen Dame gesäet und die so herrliche Früchte gezeitigt hatte.

Es war schon spät geworden; viele der Passagiere stiegen nach und nach in ihre Kajüten hinab, nur Nosalie blieb noch allein. ES war ein herrlicher Abend. Tau­sende von glitzernden Sternen funkelten am tiefblauen hohen Himmel, und in diesen majestätischen Anblick ver­sunken, wurde sie plötzlich durch eine leise Stimme ganz in ihrer Nähe gestört:

Kommen Sie an die andere Seite deS Deckes, gnädiges Fräulein, da können Sie den Mond sehen, der sich silberweiß im Wasser wiederspiegelt."

Vielleicht war es nur das anziehende Licht des Mondes, vielleicht auch der Grund, daß es an der an­deren Seite des Schiffes ganz menschenleer war, Nosalie stand traumverloren von ihrem Sitze auf und nahm den angebotenen Arm eines reichen Engländers, Mr. Leslie, und schritt langsam an seiner Seite der entgegengesetzten Richtung zu. Doch zum Erstaunen der jungen Dame wandte er seine Aufmerksamkeit gar nicht dem leuchten­den Himmelsgestirne zu, sondern begann in seiner kurzen, gemessenen Weise:

Ich bin kein Freund von vielen Worten, aber ich liebe Sie mit der ganzen Kraft meines Herzens, und wenn Sie einwilligen, meine Gattin zu werden, soll es mein stetes Bestreben sein, Sie glücklich zu machen."

Nosalie erbebte; ein kalter Schauer durchrieselte ihre zarten Glieder trotz des heißen Sammeltages. Sie achtete den reichen Engländer sehr hoch, sie hielt ihn auch für edel, treu und großmüthig, sie liebte ihn wie einen Freund, aber ein tieferes Gefühl hegte sie nicht für ihn.

Bitte, sagen Sie das nicht", flüsterte sie leise,ich achte Sie sehr hoch, aber ich ahnte nicht, daß Sie solche Gedanken hegten."

Ich liebe Sie so sehr", fuhr der Engländer un' beirrt fort,daß mir alle Schätze der Welt gering gegen Ihren Besitz erscheinen. O, meine Geliebte, wollen Sie das Glück Ihres Lebens nicht in meine Hände legen und geduldig warten, bis Sie gelernt haben, mich zu lieben?"

Er erfaßte ihre zarten Finger und führte sie ehr­furchtsvoll an seine Lippen. Sie ließ eS ruhig geschehen, doch antwortete sie fest: