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heit der Erfahrung, wo sie sich aus der Tiefe des Bewufst-seins, in dessen Natur sie im Keime begründet sind, zufertigen Gebilden heraus entwickeln. Indem Leibniz dieangeborenen Begriffe auf angeborene Funktionen des Be-wufstseins reduziert, welche erst in und mit der Erfahrungsich bethätigen, stellt er sich nicht ohne Glück seinemGegner Locke entgegen und nähert sich schon einiger-mafsen dem Kantschen Kritizismus.
Dem Empirismus Lockes, in welchem noch nicht jedeThätigkeit der Vernunft geleugnet wird, folgen auf demFufse die sensualistischen und materialistischen Systeme des18. Jahrhunderts, welche beide darin übereinstimmen, daissie alle Erkenntnis aus der sinnlichen Wahrnehmung ab-leiten, und das Denken als eine blofse Modifikation derEmpfindung betrachten, im geraden Gegensatze zu Leibniz ,der in der Empfindung ein verworrenes Denken erblickt.Gehen Sensualismus und Materialismus im Anschlufs anLocke von der äufseren Erfahrung (Sensation) aus, so ver-sucht Berkeley die innere Erfahrung als die eigentliche Er-kenntnisquelle zu erweisen. So gelangt er dazu, die Aufsen-welt für blofsen Schein zu erklären; wir halten nach ihmirrrtümlicher Weise unsere Vorstellungen für an sichexistierende Dinge, während es doch in Wahrheit keineandere Realität giebt als Geister und Gott, der in ihnen dieVorstellungswelt hervorbringt. 1 ) Locke hatte die Empfin-dungsqualitäten für subjektiv erklärt und nur Ausdehnung,Widerstand und Härte für wirkliche Eigenschaften derDinge ausgegeben. Berkeley hebt den Unterschied zwischenden ersten und zweiten Qualitäten 2 ) auf und macht dieMaterie zu einem blofsen Bewufstseins-Phänomen, welchesin allen Geistern gleicherweise sich darstellt und dessenRealität nur in der Allgemeingiltigkeit besteht.
Humes Skeptizismus darf nicht mit dem antiken Skep-
J ) Principles of Human Knowledge, LXXXIX ff.2 ) Princ. o. h. kn., IX.