Das Wichtigste in der Heilkunst ist die Persönlichkeit desArztes. Der größte Wissenschaftler kann ein schlechter Heil-künstler sein, dem der intuitive Laie überlegen ist. Der großeArzt ist gütig und stark als Heilbringer. Er muß sich alsFreund verständnisvoll in den Kranken einfühlen, seine Klagenund Leiden miterleben. Aber dabei darf er die Führung nichtverlieren. Überlegen soll er sein dem Verfall, den alle Krank-heit bedeutet. Er soll die negativen Ausstrahlungen des Krankendurch positive Lebenskräfte überwinden, Gesundheit sug-gerieren.
Der erste Patient, den der Arzt zu kurieren hat, ist er selbst.Sein Weg führt durch „Fasten und Beten" (Math. 17, 20)d. i. Entsagung und Glauben zurück zu jenen Höhen, denenalles Leben entquillt. „Das Übersinnliche vollbringt die Er-neuerung", wenn es vom Arzt in den Kranken ausstrahltohne Affekte, ohne Eitelkeit, Geldgier und Machthunger (Bir-cher-Benner).
Wie der Arzt sein eigner Seelsorger, so sollte der Seelsorgersein eigner Arzt sein. Welche Anforderungen an körperlicheSpannkraft und Frische stellt der Beruf des Geistlichen! Beidesist für Seelsorge wie Predigt wichtiger als theologische Mei-nungsverschiedenheiten, die wir nicht allzu schwer nehmensollten. Denn unser Wissen und Weissagen ist Stückwerk; wennaber das Vollkommene naht, so wird das Stückwerk aufhören.Diesem Vollkommenen streben wir zu durch eine gründlicheNeuordnung wie unserer Seele, so unseres Körpers nach demBauplan des Schöpfers, den wir verderbten.
Der Kranke, dem jeder andere Ausweg versperrt ist, istreformbereiter als der Scheingesunde, den erst ein jäher Zu-sammenbruch, ein frühzeitiges Siechtum seiner Anbrüchigkeitbelehrt — niemals zu spät! Wunderbar ist die Verjüngungskraftselbst eines morschen Körpers. Manches Schmerzenslager, man-ches Sterbebett wurde durch die Wiedergeburt der Seele ge-heiligt.
Für die Praxis der Lebenserneuerung vergleiche derLeser den Anhang dieses Büchleins. Was manchem noch heute
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