In Anknüpfung an das Alte Testament haben die Puritanerden Naturtrieb der Erhaltung und Ausbreitung des Gottes-volkes, der Auswanderung und Kolonisation, der Wirtschaftund Staatsmacht dienstbar gemacht, Virginität verworfen. Sa-tan gebietet Enthaltsamkeit, Gott befiehlt die Ausübung desGeschlechtstriebes — reichlich, aber nur für Zwecke der Fort-pflanzung. Gott fordert Rechenschaft für jeden Splitter Kraft,der außer seinem Dienste vergeudet wurde. Unter Verbot desaußerehelichen Verkehrs wurde die anglo-amerikanische Weltzum Kloster, strenger als die Klöster Roms. Wo keine Fort-pflanzung möglich oder erwünscht war, strömte der Ge-schlechtstrieb in das wirtschaftliche oder politische Werk. Diestärkste Quelle angelsächsischer Weltherrschaft entquoll derTalsperre aufgestauter Sexualkraft. Es gilt dies sowohl von demHeroenalter des Puritanismus im siebzehnten, wie von der metho-distischen Erweckung im achtzehnten Jahrhundert, deren Aus-wirkung das neunzehnte Jahrhundert durchläuft.
Die kapitalistische Welt hat dieses Erbgut bewirtschaftetund abgewirtschaftet. Sie hat der Gattin und Mutter das luxu-riöse Weibchen zur Seite gesetzt, das dem Kapitalisten das Geldabnimmt, um es in Erzeugnissen der Luxusindustrie zu ver-geuden, launisch wie die Göttin Mode, der es dient. Sie hatdem minder begünstigten Manne das breite Feld der Prosti-tution eröffnet, deren Aufmachung ein kapitalistisches Gewerbewurde. Sie hat die Ehe durch die Geldheirat kommerzialisiert.Die Geschlechtskrankheit wurde ihre Geißel. Indem die Techniksich des Geschlechtsaktes bemächtigte, vollzog sie „die revolu-tionärste Erfindung des Zeitalters" (B. Shaw): Geburten-kontrolle durch Empfängnisverhinderung. Durchdiese Technik gelang es, den Geschlechtstrieb vonder Fortpflanzungsfunktion abzuspalten. UnerhörteWendung in der Geschichte des organischen Lebens!
Ein Zeitalter des Materialismus und des Utilismus griffgierig nach dieser Technik, um Lust zu ernten und Verant-wortung abzulehnen. Damit ergab sich bei den Kultur tragen-den Völkern wie Volksschichten des Abendlandes ein kata-
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