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wolle, so koste ihm Verzinsung und Unterhalt des lebendenKapitals pro Stück Gewebe 10 Rubel.
Es ist interessant, liier in unserm Jahrhundert jene Ent-wicklungsstufen der Arbeit von der Unfreiheit zur Freiheitnahe beisammen zu sehen, welche wir ähnlich bei dem Über-gange der Grundherrschaft zur Stadt im Mittelalter West-europas mutmafsen.
Die allgemeine Befreiung der Bauern 1861 setzte jedochein, bevor die geschilderte Entwicklung allgemein vollendetwar. Zwar war der Beweis der Möglichkeit, ja des Vorteilsder freien Arbeit auch für russische Fabriken bereits in vielenFällen erbracht; aber noch leistete der gröfsere Teil derFabrikarbeiter gezwungene Arbeit. Nur bei wenigen erst wardas Eigeninteresse genügend in das Spiel gesetzt, um sie ander Arbeit festzuhalten. Scharenweise flohen daher die be-freiten Bauern aus den Fabriken in die Dörfer, so dafs dasBefreiungswerk Alexanders II. zunächst eine ernstliche Krisisfür die russische Grofsindustrie überhaupt bedeutete'.
Staatliche Gesetze, auch wenn sie tief in das Wirtschafts-leben einschneiden, verändern eben nicht mit einem Schlagedie psychologischen Bedingungen, welche die Grundlagealler Wirtschafts Verhältnisse sind. Durch die Befreiung wurdeder Bauer zwar „freier Arbeiter", nicht aber mit einem Schlagejenes thatsächlich freie Individuum, das auf dem Wege derArbeiterbewegung seine Interessen bewufst wahrnimmt; fernelag ihm zunächst die Steigerung seiner Lebenshaltung überdas gewohnheitsmäfsig niedrige Niveau des Leibeigenen undeine dementsprechende Steigerung seiner Arbeitsleistung. Wiedie geistige Nachwirkung der Leibeigenschaftsverhältnisse ge-wifs einer der Gründe ist, welche das Aufkommen einer In-dustrie im ostelbischen Deutschland verlangsamen, so leidetdie russische Industrie noch heute darunter, dafs die in ihr
1 Überblick über die Industrie, Ausgabe des Handelsdepartements.Petersburg 1886. Bd. II. Abschnitt über die BaumwollindustrieS. 96.
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