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Volkswirtschaftliche Studien aus Rußland / von Gerhart v. Schulze-Gävernitz
Entstehung
Seite
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damit der Verbilligung der Produktionskosten und demtechnischen Fortschritt unterworfen.

Der Baumwollindustrie geht in Rufsland, wie-anderwärts,eine Leinenindustrie voraus.

Die Herstellung leinener Gewebe ist bei den VölkernNordeuropas einheimischen Ursprungs und wurde auch vomrussischen Bauer seit alters ausgeübt 1 . BäuerlicherHaus-fleifs", um den Ausdruck Büchers zu verwenden, ist aufdiesem Gebiete in Rufsland noch heute aufserordentlich ver-breitet zunächst für die Zwecke eigenen Bedarfes, sodannfür den Verkauf.

Wahrscheinlich war es der vom Gutsherrn geübte Zwang,welcher die Bevölkerung ursprünglich veranlafste, mehr anTextilprodukten herzustellen, als der Eigenbedarf erforderte.Bei der Schlechtigkeit des Bodens im nordrussischen Wald-gebiete hatte der Gutsherr kein anderes Mittel, sein Menschen-material zu verwerten. Zunächst erhob er Abgaben in natura,und zwar für den Eigenbedarf des menschenreichen Herren-haushaltes in Stadt und Land. Das Garn, welches dieBäuerinnen dem Gutsherrn abzuliefern hatten, wurde auf demGutshofe von unfreier Arbeit verwoben. Noch in diesemJahrhundert hatten in dem Hauptfabrikort des WladimirschenGouvernements, in Iwanowo, die Frauen einen gutsherrlichenObrok in Garn zu entrichten: Frauen im Alter von 18 bis20 Jahren 3 Pfund, von 2025 Jahren 8 Pfund, von 25 bis30 Jahren 10 Pfund. Daneben erhoben, wie aus demWladimirschen ausdrücklich berichtet wird, die Gutsherrenbäuerliche Abgaben in Leinwand und Tuch 2 .

In doppelter Weise war nun ein Fortschritt aus diesenrein naturalwirtschaftlichen Verhältnissen denkbar: entwederbegann der Gutsherr selbst im grofsen und daher mit Absichtauf Verkauf zu produzieren oder er verwies die Bauern aufden Verkauf ihrer Erzeugnisse und begnügte sich mit einer

! Vergl. Tiigan-Baranowski a. a. 0. S. 432, 206.

2 Vergl. Industriebote Januar 1860, S. 197202.