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Volkswirtschaftliche Studien aus Rußland / von Gerhart v. Schulze-Gävernitz
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Bauern nur so viel Garn zu geben, als sie selbst verwebenkonnten, dagegen ihnen zu verbieten, das Garn an andereweiterzugeben. Diesen Wünschen wurde jedocb vom Staatekeine Folge gegeben; wir werden nicht fehl gehen, wenn wirdarin eine Rücksicht auf die Gutsherrn erblicken, welche alsObrokberechtigte am bäuerlichen Gewerbe das gröfste Interessehatten.

So zerflossen die merkantilistischenFabriken" in dasMeer des bäuerlichen Kleingewerbes; aus ihm tauchten unterZuhilfenahme von Hausgenossen oder Lohnarbeitern wiederneue Werkstätten (sbjetelka) auf; wir finden Webermeistermit 5, 6, ja 20 Gehilfen.

Es ist irrig, in diesemZerfall der Fabrik" eine tech-nische Veränderung zu erblicken und hieraus auf Besonder-heiten der russischen Wirtschaftsentwicklung gegenüber West-europa zu schliefsen. Der sog.Fabrikant" wie der bäuerlicheHausweber arbeiteten mit dem gleichen Werkzeug: demHandwebstuhl 1 . Vielmehr handelt es sich um eine Klassen-verschiebung: aus den Händen des Gutsherrn, aber auch ausden Händen des staatlich geförderten, kaufmännischen Unter-nehmers glitt der Zügel der industriellen Bewegung in dieHände des damals noch unfreien Bauern, welcher imeigentlichen Sinne des Wortes einPfuscher" den Vorzughatte,ohne Regel und Beobachtung der Vorschriften" zuarbeiten.

Auch im Westen erwies sich vielfach Freiheit von mer-kantilistischer Bevormundung nicht als Nachteil, sondern alsVorzug für jugendliche Industrien. Nicht die Schofskinderdes Merkantilismus wuchsen zu den Weltindustrien derGegenwart aus. Ja die älteste Grofsindustrie, die Englands Gröfse mehr als jede andere begründete, die von Lancashire ,ist sogar im Kampfe mit dem Staate aufgekommen.

1 Vergl. Tugan-Baranowski a. a. O. S. 247.