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Volkswirtschaftliche Studien aus Rußland / von Gerhart v. Schulze-Gävernitz
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keit solcher Schwankungen verhinderte jede ordnungsmäfsigeVoraussicht im Staatshaushalt.

In Zeiten politischer Verwickelung, mit denen ein Staatwie Rufsland täglich rechnen mufs, bedeutete die Papierwäh-rung ein schwerwiegendes Moment der Schwäche. Ein Staat,welcher mit entwerteter Papierwährung in den Krieg eintritt,hat zu fürchten, dafs ihm das letzte finanzielle Hilfsmittel,die Notenpresse, versagt, indem nämlich der Kurssturz dieErträgnisse der Neuemissionen überholt. Dem gegenüberbietet die metallische Währung für die Staatsgläubiger auchbei Verdüsterung des politischen Himmels ein Pfandobjektdes gewährten und zu gewährenden Kredits; sie erleichtertdie Aufnahme fundierter Anleihen. Endlich kann die Metall-cirkulation in den Tagen der höchsten Not unter Neuausgabevon Papiergeld zur Ausfuhr gebracht werden; sie bedeutetdaher einen kräftigen, finanziellen Rückhalt gegenüberkriegerischen Verwicklungen 1 .

Es mag paradox erscheinen, aber es war für Rufslandvielleicht nicht der letzt mafsgebliche Beweggrund: man be-seitige die Papierwährung, um gegebenen Falls neues Papier-geld in die Welt setzen zu können. Die Währungsreform istunter diesem Gesichtspunkt eineWiederherstellung desKriegsmaterials", wie die Ausgabe von Papiergeld eine Vor-wegnahme künftiger fundierter Anleihen ist, welche währenddes Krieges im Auslande schwer unterzubringen sind 2 . Wiefriedlich immer die gegenwärtige Politik des Zarenreichessein mag, so bedeutet die blofse Möglichkeit dieses Rückgriffesauf ca. 1500 Millionen Rubel Währungsmetall ein ansehnlichesMachtmittel nach aussen. Die Währungsreform war diefinanzpolitische Seite von Rufslands Weltpolitik.

1 Irreführend war es, weil die mühsam erkämpfte theoretischeUnterscheidung von Banknote und Papiergeld verwischend, wennL. v. Stein die Möglichkeit, bei Kriegsausbruch Staatspapiergeld aus-zugeben, alsKriegsschatz'' bezeichnete. Letztere Bezeichnung triffteigentlich nur den Barvorrat der centralen Notenbank, welchen derStaat zu Kriegszwecken entleiht.

2 Vergl. Kaufmann, Kreditbillette. Petersburg 1888, S. 358 ff.