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Volkswirtschaftliche Studien aus Rußland / von Gerhart v. Schulze-Gävernitz
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Weizenbau überzugehen. Der Roggen ist die Frucht desBauern in breiten Teilen des Reiches.

So war der Handelsvertrag mit Deutschland für Rufslandals Sicherung seines wichtigsten Marktes von grofser Bedeu-tung, insbesondere zu einer Zeit der Erhöhung der fran-zösischen Getreidezölle.

Aber für den weiterblickenden russischen Staatsmann kamnoch ein fernerer Gesichtspunkt in Betracht: die städtisch-gewerb-liche Entwicklung Deutschlands schafft einen kaufkräftigenMarkt, auf welchem Rufsland seine Waren im Notfalle durch Ver-mittelung der Eisenbahn und eventuell der Donaustrafse absetzenkann, auch bei Blockade der russischen Küsten durch einefeindliche Flotte. Für die Verteidigung der Goldwährung unddes internationalen Kredits, den Rufsland in solchen Tagenbesonders braucht, ist die ungestörte Ausfuhr russischer Produkteerstes Erfordernis.

Aber nicht nur finanz- und handelspolitische Gründe,nicht nur Rücksichten auf die junge, mit schweren Opfernerkaufte Goldwährung weisen Rufsland auf die Verständigungmit dem westlichen Nachbarn. Hierzu kommen politischeGründe im engeren Sinne des Wortes. In einer Zeit asiatischenVorrückens braucht Rufsland Deutschlands befreundete Neu-tralität.

Die Notwendigkeit einer Rückendeckung nach Westenwürde Rufslands Aktionsfähigkeit im Osten schlechthin lahmlegen.

Diesem Bedürfnis Rufslands gegenüber ist zu fragen: wieverhalten sich hierzu nicht die deutschen Sympathien, sonderndie deutschen Interessen? Im Gegensatz zur Zeit der fürst-lichen Kabinettskriege dürfen heute die gegenseitigen Be-ziehungen grofser und gleichberechtigter Nationen durch nichtsanderes als durch Erwägungen vernünftigen und weitsichtigenInteresses bestimmt sein. Die lebende Generation ist ebennur Nutzerin einer von den Vorfahren gesammelten Erbschaftund zugleich Treuhänderin des überkommenen Besitzes fürungeborene Geschlechter. Die hierin liegende Verantwortungist zu grofs, als dafs man sich ihrer unter Einmischung von