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zunehmen, wie es die gefährlichere amerikanische Konkurrenzhinnimmt. Noch weiter entfernt ist es, Deutschland werkthätigzu fördern, wie es Amerika fördert. So wurden die jüngstenVerstimmungen zwischen Amerika und Deutschland bekannt-lich in London gebraut. Trotz einzelner erfreulicher Aus-nahmen betrachtet eine breite öffentliche Meinung jenseits desKanals den Deutschen als den lästigen Parvenü, wie denRussen als den halbbarbarischen „native".
Diese Stimmungen und Verstimmungen könnten unsgleichgültig sein; wir wollen uns hüten, sie unsern angel-sächsischen Vettern zurückzugeben; denn zwischen Nationen,welche sich gegenseitig die besten Abnehmer sind, ist blinderChauvinismus gewifs der schlechteste Ratgeber zur Regelungihrer Beziehungen 1 .
Aber ebensowenig dürfen wir über diese Verstimmungenwegsehen, weil sie schwere, wirtschaftliche Gefahren für unsin sich bergen. Die täglich wachsenden, überseeischen Inter-essen Deutschlands sind zur Zeit mehr oder minder abhängig vondem Wohlwollen Englands. Mit jeder Schiene, die wir in Afrika legen, geben wir an England ein Pfand für unser Wohlver-halten. Deutschlands Interesse also ist es, dafs die Herrschaftder alten Welt mehr als bisher eine Landfrage werde. Denndamit wird Deutschland , dank seiner militärischen Aufstellungzwischen Königsberg und Breslau , zu einer materiell gleich-berechtigten, weil gleichstarken Partei. Als Landmacht erstenRanges hat Deutschland ein Interesse an der wachsendenBedeutung von Eisenbahn und Landheer in der Welt gegen-über der Flotte, in der es mit England nicht wetteifernkann. Diese massive Thatsache mufs in der schweren undverantwortungsvollen Frage, die uns vorliegt, den Entscheidgeben.
Daneben sind gewisse Unwägbarkeiten nicht gänzlich zuvernachlässigen. Es ist volkspädagogisch erspriefslich, wenn
1 England ist allerdings nicht nur Verbraucher, sondern auchZwischenhändler deutscher Waren. Für England ist lediglich Indienein besserer Markt als Deutschland — ein Beleg der wirtschaftlichenBedeutung politischer Herrschaftsmomente in heutiger Zeit.