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DER KAISER WIRD OPERIERT
wald, dem Odins -Wald, über dem der Sturm des wilden Heeres braust, woder Brunnen fließt, bei dem Siegfried fiel, wo der Baum steht, von dem weh-mütig das deutsche Volkslied singt.
Wenige Tage nach der Zusammenkunft von Wiesbaden und Wolfs-Hahoperation garten unterzog sich Kaiser Wilhelm einer Stimmlippen-Operation. Derdes Kaisers Kaiser verspürte schon in Wiesbaden eine leise Heiserkeit. Eine Unter-suchung des Halses ergab das Vorhandensein eines Polypen. Ich suchte denKaiser noch am selben Tage auf. Seine Haltung war bewunderungswürdig.Ich appelliere an jeden gerecht und human Urteilenden: wo ist der Mensch,der, wissend, daß seine beiden Eltern am Krebs starben, daß sein Vater aneinem furchtbaren, schmerzhaften Halskrebs zugrunde ging, nicht stark,nicht sehr stark beeindruckt sein würde, wenn im Halse bei ihm ein Polypfestgestellt würde ? Das Verhalten des Kaisers bei dieser Prüfung war überjedes Lob erhaben. Als ich bei ihm eintrat, winkte er mir mit der Handeinen wehmütigen, aber herzlichen Gruß zu. Das Sprechen war ihm unter-sagt. Er gab seine Weisungen schriftlich auf kleinen Zetteln, was in mirmelancholische Erinnerungen an die letzten Wochen des Kaisers Friedrichweckte. Wilhelm II. hatte trotz des Widerspruchs der Kaiserin und derLeibärzte bestimmt, daß über seine Erkrankung wahrheitsgetreue Berichteveröffentlicht werden sollten. Es dürfe nichts verschwiegen werden, das Volkhabe ein Becht, alles zu erfahren. Es wurde beschlossen, einen ausgezeich-neten Spezialisten, den Geheimen Bat Professor Schmidt aus Frankfurtam Main , kommen zu lassen, um den Polypen zu operieren. Bis dieseOperation ausgeführt und das kleine Gewächs sorgsam untersucht wordenwar, erschien alles ungewiß. Erst als die Untersuchung die Harmlosigkeitdes Polypen feststellte, war die Sorge behoben. Ich gab der Kaiserin rechtund gebe ihr auch heute recht, die mir, nachdem die Untersuchung statt-gefunden hatte, mit tiefer Bewegung schrieb, der Kaiser habe sich wie einHeld benommen.
Zwei sind der Wege, auf welchen der Mensch zur Tugend emporstrebt;Schließt sich der eine dir zu, tut sich der andre dir auf.Handelnd erringt der Glückliche sie, der Leidende duldend.Wohl ihm, den sein Geschick liebend auf beide geführt,
sagt Schiller in einem schönen Gedicht. Möge Kaiser Wilhelm II. die Kraftdes Duldens auch im Exil und Unglück nicht verlieren.