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4 (1931) Jugend- und Diplomatenjahre
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BISMARCK ÜBER ANNEXIONEN

Höhe ihres guten Willens. Nun bedeutet aber nach Schopenhauer der guteWille, der in der Moral alles ist, in der Kunst gar nichts, weil es da alleinauf das Können ankommt. Die Politik steht nur in losem Zusammenhangmit der Moral. Sie ist auch keine Wissenschaft, sie ist eine Kunst. Dieführenden Geister der Paulskirche scheiterten an ihrer Unterschätzung derMacht. Sie erkannten nicht, daß, wer regieren, wer führen will, ein Macht-instrument in der Hand haben muß, um als Ultima ratio die Gewalt an-wenden zu können. Das wußte der preußische Bundestagsgesandte, der inden fünfziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts mit meinem Vaterzwischen dem Taunus- und dem Allerheiligentor auf und ab wandelte, alser 1862 in Berlin an das Steuerruder des preußischen Staates gestellt wurde.

Noch eine Äußerung des Bundestagsgesandten von Bismarck ist mir er-innerlich. Als er meinem Vater auseinandersetzte, daß Preußen irgendwieden Zusammenhang zwischen seinen östlichen und seinen westlichen Pro-vinzen herstellen müsse, erklärte sich mein Vater aus Gründen der Legiti-mität wie der Moral und des Rechts gegen unrechtmäßige Annexionen.Bismarck erwiderte achselzuckend:Friedrich der Große hat Schlesien ge-stohlen und ist doch einer der größten Männer aller Zeiten." Darin lag aller-dings ein gewisser Widerspruch zu seiner vorher erwähnten Zustimmungzur Anschauung der Herrnhuter. Wo ist aber der Mensch, in dessen Innermkeine Gegensätze sich bekämpfen, keine Widersprüche sich regen ? Ichmöchte sogar behaupten, daß gerade bedeutende Menschen, und dieGrößten am allermeisten, innere Widersprüche und Gegensätze zu über-brücken und auszugleichen haben.

Herr von Bismarck war nicht der einzige Kollege, mit dem mein VaterGraf Rechberg lustwandelte. Oft begegneten wir auch dem österreichischen Gesandten,dem Präsidialgesandten, wie man damals sagte. Graf Bernhard von Rech-berg und Rothenlöwen war äußerlich sehr verschieden von Herrn von Bis-marck. Er war von kleiner Figur, fast zierlich, glatt rasiert, während fürden preußischen Gesandten sein buschiger Schnurrbart charakteristischwar. Rechberg trug auch eine Brille, mit der man sich Bismarck gar nichthätte vorstellen können. Rechberg ähnelte überhaupt in keiner Weise demJunker keck, der Kaufleut' und der Wandrer Schreck" in Unlands Ge-dicht. Er sah aus wie ein Gelehrter, entstammte aber einem reichsunmittel-baren Geschlecht, das im schwäbisclien Grafenkollegium gesessen hatte.Obgleich Rechberg für hitzig und hochmütig galt und Bismarck nichtgerade ein sanftes Lämmchen war, kamen beide im großen und ganzenpersönlich gut miteinander aus. Jedenfalls stand Bismarck zu Rechberg ineinem weit besseren Verhältnis als zu dessen Vorgänger, dem hochkulti-vierten, mehr liberal orientierten Prokesch-Osten . Rechberg ist erst 1899gestorben, dreiundneunzig Jahre alt. Er hat noch den Sturz, den Tod seines