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Über die Buchstabenschrift und ihren Zusammenhang mit dem Sprachbau : Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 20. Mai 1824 / Wilhelm von Humboldt
Entstehung
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Humboldt

Damm dafs die Schrift nur immer Eigenthum eines kleinerenTheils der Nation bleibt, und wohl überall erst entstanden ist, als derschon festbestimmte Sprachbau nicht mehr wesentliche Umänderungenzuliefs, ist ihr Einflufs auf sie nicht minder wichtig. Denn die gemein-schaftliche Rede umschlingt doch (freilich in einer Lebensform wenigerals in der andern) das ganze Volk, und was auf sie bei Einzelnen ge-wirkt ist, geht doch mittelbar auf Alle über. Die feinere Bearbeitungder Sprache aber, für welche der Gebrauch der Schrift eigentlich erstden Anfangspunkt bezeichnet, ist gerade die wichtigste, und unterschei-det, an sich und in ihrer Wirkung auf die Nationalbildung, die Eigen-thümlichkeit der Sprachen bei weitem mehr, als der gröbere, ursprüng-liche Bau.

Die Eigenthümlichkeit der Sprache besteht darin, dafs sie, ver-mittelnd, zwischen dem Menschen und den äufseren Gegenständen eineGedankenwelt an Töne heftet. Alle Eigenschaften jeder einzelnen kön-nen daher auf die beiden grofsen Hauptpunkte in der Sprache überhauptbezogen werden, ihre Idealität und ihr Tonsystem. Was der ersterenan Vollständigkeit, Klarheit, Bestimmtheit und Reinheit, dem letzterenan Vollkommenheit abgeht, sind ihre Mängel, das Entgegengesetzte ihreVorzüge.

Diese Ansicht habe ich in zwei, dieser Versammlung früher vor-gelegten Abhandlungen aufzustellen und zu rechtfertigen versucht, michbemühet zu zeigen:

dafs das, auch unverknüpfte Wortsystem jeder Sprache eine Ge-dankenwelt bildet, die, gänzlich heraustretend aus dem Gebiet willkühr-licher Zeichen, für sich Wesenheit und Selbständigkeit besitzt;

dafs diese Wortsysteme niemals einem einzelnen Volk allein an-gehören, sondern auf einem Wege der Ueberlieferung, den weder dieGeschichte, noch die Sprachforschung ganz zu verfolgen im Stande sind,zu dem Werke der gesammten Menschheit alle Jahrhunderte ihres Da-seyns hindurch werden, und dafs mithin jedes Wort ein doppeltes Bil-dungselement in sich trägt, ein physiologisches, aus der Natur des mensch-lichen Geistes hervorgehendes, und ein geschichtliches, in der Art sei-ner Entstehung liegendes; ferner: