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Über die Buchstabenschrift und ihren Zusammenhang mit dem Sprachbau : Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 20. Mai 1824 / Wilhelm von Humboldt
Entstehung
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aus, als ihr System nicht consequent durchgeführt ist, und als sie imGehrauch phonetisch aufgenommen wird.

Die Buchslabenschrift ist von diesen Fehlern frei, einfaches, durchkeinen Nebenbegriff zerstreuendes Zeichen des Zeichens, die Spracheüberall begleitend, ohne sich ihr vorzudrängen, oder zur Seile zu stel-len, nichts hervorrufend, als den Ton, und daher die natürliche Unter-ordnung bewahrend, in welcher der Gedanke nach dem durch den Tongemachten Eindruck angeregt werden, und die Schrift ihn nicht an sich,sondern in dieser bestimmten Gestalt festhallen soll.

Durch dies enge Anschliefsen an die eigenthümliche Natur derSprache verstärkt sie gerade die Wirkung dieser, indem sie auf dieprangenden Vorzüge des Bildes und Begriffsausdrucks Verzicht leistet.Sie stört die reine Gedankennatur der Sprache nicht, sondern vermehrtvielmehr dieselbe durch den nüchternen Gebrauch an sich bedeutungs-loser Züge, und'uiert und erhöht ihren sinnlichen Ausdruck, indemsie den im Sprechen verbundenen Laut in seine Grundtheile zerlegt,den Zusammenhang derselben unter einander, und in der Verknüpfungzum Wort anschaulich macht, und durch die Fixirung vor dem Augeauch auf die hörbare Rede zurückwirkt.

An diese Spaltung des verbundenen Lauts, als an das Wesen derBuchstabenschrift, haben wir uns daher zu halten, wenn wir den inne-ren Einflufs derselben auf die Sprache beurtheilen wollen.

Die Bede bildet im Geiste des Sprechenden, bis sie einen Gedan-ken erschöpft, ein verbundenes Ganzes, in welchem erst die Reflexiondie einzelnen Abschnitte aufsuchen mufs. Dies erfährt man vorzüglichbei der Beschäftigung mit den Sprachen ungebildeter Nationen. Manmufs theilen und theilen, und immer mistrauisch bleiben, ob das ein-fach Scheinende nicht auch noch zusammengesetzt ist. Gewissermafsenist freilich dasselbe auch bei den hochgebildeten der Fall, allein aufverschiedene Weise; bei diesen nur etymologisch zum Behuf der Ein-sicht in die Wortentstehung, bei jenen grammatisch und syntaktisch zumBehuf der Einsicht in die Verknüpfung der Rede. Das Verbinden deszu Trennenden ist allemal Eigenschaft des ungeübten Denkens undSprechens; von dem Kinde und dem Wilden erhält man schwer Wör-