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Die Weiterbildung der Kant'schen Aprioritätslehre bis zur Gegenwart : ein Beitrag zur Geschichte der Erkenntnistheorie / Rudolf Eisler
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des formalen Elementes begleitet ist, jede Veränderung desräumlichen oder zeitlichen Bestandteiles zugleich einenWechsel in der Beschaffenheit der Empfindungen herbeiführt.Diese Thatsache bezeichnet Wundt als das »Princip derunabhängigen Variation von Raum und Zeit.« ') Das Er-gebnis aller seiner Untersuchungen bezüglich der Natur derAnschauungsformen formuliert Wundt folgendermafsen: »Raumund Zeit sind weder selbständige Wahrnehmungen noch in unsliegende Anschauungsformen, sondern sie sind lediglich dieconstanten Formen, die allen unseren Anschauungen zu-kommen und an denen sich darum auch die Gesetze desDenkens am unmittelbarsten uns darstellen müssen. DieseGesetze, der Anschauung und des Denkens, sind aber, daes kein Denken ohne Inhalt giebt, nichts anderes als dieallgemeinsten Gesetze des Denkinhaltes oder der Dingeselbst.« -)

Erweist sich so für Wundt die von Kant statuierteApriorität der Anschauungsformen als nicht vorhanden, sobleibt doch die Frage zu beantworten, ob das Apriori nichtetwa für die begriffliche Erkenntnis Gültigkeit behält. Ausder bisherigen Darstellung der erkenntnistheoretischen Prin-cipien Wundt's ist schon leicht zu ersehen, dafs auch dieseFrage nicht dieselbe Antwort wie bei Kant erhält. Wie dieExistenz reiner apriorischer Anschauungen sich auf keineWeise feststellen lässt, so kann auch von der Annahmeeiner bestimmten Anzahl von Verstandesformen, die im Be-wufstsein ursprünglich liegen sollen, um auf die einzelnenFälle der Erfahrung Anwendung zu finden, keine Rede sein.Müssen wir die innere Erfahrung als eine anschauliche an-sehen, so ist dagegen alle sich auf die Aufsenwelt beziehendeErfahrung in ihrer Verarbeitung durch das Denken begriff-lich. :i ) Das Wesen der Dinge ist uns also nur begrifflich

*) 1. c. S. 118.

-) Logik I Ii A. S. 307.

3 ) System d. Phil. S. 145.

Eisler, Kant 'sctie Apiioritätslehre.