umwälzend als innerlichster Beweggrund wenigstens einerführenden Minderheit. Der Einzelne findet seine durch Staatund Wirtschaft scharf beschnittene Freiheit wieder durch frei-willige Einordnung in das Volksganze: Gliedfreiheit, imGegensatz zu der ungebundenen Einzelfreiheit in der bürger-lichen Welt.
Alle Versuche staatlichen wie wirtschaftlichen Neubauesscheitern, ja sie enden im Chaos, wenn der DienstgedankeLippenbekenntnis oder Propagandamittel bleibt, wenn er nichtin die Lebenspraxis eingeht im Beruf, im Staatsdienst, in derKameradschaft der Arbeit, der Schule, des Betriebes, der Orts-gemeinde. Insbesondere gilt dies von den Führern, die inSelbstzucht voranzugehen und bei Entgleisungen strengerzu sühnen haben als die Geführten — zu entsagen, um zuleiten.
Diese neue Ethik setzt den Glauben an überpersönlicheWerte voraus, die über das kleinmenschliche Dasein hinaus-reichen und Unterordnung erheischen, letzthin Opfer an Gutund Blut. Es bedeutet dies eine idealistische Weltanschau-ung, welche ohne transzendente (übersinnliche) Sanktion totist. Der Idealismus des Volkes ist Religion. AufbauenderSozialismus, wie er dem aufsteigenden Zeitalter als Wunschbildvorschwebt, kann, wie alle Erfahrung belegt, nur auf religiösemBoden Erfolg haben. Auch Sowjet-Rußland zehrt von demreligiösen Erbgut der russischen Volksseele, die Dostojewski offenbarte, Marx zersetzt. Dagegen hat die idealistische Philo-sophie der deutschen Klassiker den „Gemeingeist", der ihr seitFichte und Fries als höchste Pflicht und erhabenste Tugendvorschwebt, in der Transzendenz verankert. Diese Gedanken-welt wurde der Besitz jener führenden Minderheit von Beamtenund Offizieren, welche die Freiheitskriege gegen Napoleondurchfocht und in Freiherrn v. Stein ihren Heros fand. Esgelang unsern Denkern und Dichtern jedoch nicht, die auf-steigende kapitalistische Welt, weder Unternehmer noch Ar-beiter, mit ihrem Geiste zu durchtränken. Sie hat gegenüberdem Ansturm des Kapitalismus versagt und letzthin Staat und
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