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Zur Wiedergeburt des Abendlandes / von Gerhard von Schulze-Gaevernitz
Entstehung
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tausendjährigen Stamme gleichen wir Blättern, die im Windeverflattern und auf dem Boden verwesen, ohne im Felsengrundeverwurzeln zu können. Ein Volk kann sich selbst verwerfen.In religiösen Dingen ist die Zerstörung ein Werk wenigerJahre. Der Aufbau ist die Arbeit von Jahrhunderten. Denndie Religion ist der Gipfel und der Brennpunktaller Kultur.

Trotz aller Krausheiten, welche den oberflächlichen Blickverwirren, liegt die große Linie unserer religiösen Zukunft fest,nicht als schicksalhaftes Muß, sondern als freizuschaffendesSoll. Für den Abendländer, also auch den Deutschen, ist dasreligiöse Urphänomen in dem geschichtlichen Jesus gegebenals dem überzeitlichen und überweltlichen Christus, der, bisheute und in Ewigkeit lebendig, in jedem von uns zur Auf-erstehung kommen soll. Dies der Standort des Standorts.

Auch Jesus steht in der Historie. Er wurzelt wie in den Pro-pheten des alten Bundes, so in den spätjüdischen Apokryphen,die von iranischen Quellen durchtränkt sind (R. Otto). Hinterihm ragen aus dem Dämmer der Vorgeschichte Riesen wieMoses , soZarathustra. Das Christentum erwächst in helle-nistischer Umwelt, die der Geist Piatons durchleuchtet. Allesdieses verkleinert nicht die übermenschliche Eigenart desDurchbruches Gottes durch die Geschichte in dermenschlichen Gestalt Jesu:Machterweisung", die den Augen-zeugen Entsetzen und Frohlocken abnötigte (Luc. 5, V. 26) unddem werdenden Abendlande die übergeschichtliche Wendungnach oben gab!

Diese Grundtatsache erlaubt sehr wohl eine art- und zeit-gemäße Prägung des religiösen Erlebnisses. Augustinus warLateiner, Luther Deutscher, Cromwell Engländer alle dreizeitgebunden. So empfindet unter der weiten Kuppel desKatholizismus die deutsche Frömmigkeit anders, als die derLateiner oder die indianischer Naturkinder.

Im Lager des Protestantismus, welcher zwei Drittel desdeutschen Volkes umfaßt, lehnt unser Volk, insbesondereunsere Jugend, gewisse Erbbestände des Reformationszeitalters

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