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Zur Wiedergeburt des Abendlandes / von Gerhard von Schulze-Gaevernitz
Entstehung
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Die Natur wird erhoben zum Symbol des Ewigen durch dieKunst. In der Kunst erlebt der Mensch den Sieg des Geistesüber den Stoff, der beherrschten Einheit über die ungeordneteMasse der Einzelheiten. In der Kunst ist es dem Menschenvergönnt, über Widerspruch und Mißklang, über Vereinzelungund Widerstreit der Dinge hinweg die Harmonie der Schöpfungnachzubilden und nachzufühlen. Hier rührt der Mensch, sonstüberall begrenzt unter begrenztem, verschwimmend im un-begrenzten, an die Geschlossenheit und Vollkommenheit Got-tes. Im Nacherlebnis des göttlichen Schöpfergedankens schaffter ein Stück Natur, das doch kein Bruchstück ist, sondern einGanzes, wie der Schöpfer das Weltall schafft, indem er es denkt.Darum verdient von allen Menschen der Künstler allein denNamen einesSchöpfers". Einem geistigen Urbild schenkt erKörper. Große Kunstwerke sind vollkommen, wie sonst keinMenschengebilde, vollkommen wie die Natur: MichelangelosSibyllen und Propheten, Dürers Meisterstiche, Shakespeares Dra-men, Bachs Passionen, Beethovens Symphonien, Goethes Lyrik.

In der Kunst allein überfliegt der erdgebundene Mensch denbrückenlosen Abgrund zwischen Wirklichkeit und Ideal. Imvollendeten Kunstwerk sind die Menschlichkeiten des Künst-lers, die Härten und Enttäuschungen, welche seine Laufbahn,die Mühen und Zweifel, welche die Entstehung des Kunst-werks begleiteten, untergegangen. Untergegangen ist der zäheRingkampf mit dem widerstrebenden Stoff.Schlank undleicht, wie aus dem Nichts gesprungen, steht das Bild vor dementzückten Blick" (Schiller ).

Sonne und Kunst machen uns glücklich, weiten die Seele undsetzen uns in Einklang mit der Harmonie der Sphären, wie sieEngel und Dichter erlauschten.

Auch in der neuzeitlichen Technik steigt der restlos durch-geführte Gedanke zum Kunstwerk als Sieg des Geistes über denStoff, so die vollkommene und reibungslose Maschine, welcheden Beobachter erfreut, den Arbeiter befreit. (Sch.-G., DasProblem der Maschine. Archiv für Sozialwissenschaft 1930,S. 225 ff.)

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