Sinn für die Tatsache, wie sie war und ist, womöglich instatistischer Fassung, Sinn auch für die widrige Tatsache, dienicht entmutigt, sondern anspornt, ist ein Vorzug des eng-lischen Volkes als Ergebnis alter politischer Erziehung. Sosagte mir ein hoher deutscher Generalstäbler während des Krie-ges auf meine Frage, wie man sich am besten über den Standder Kriegsoperationen ein Bild machen könne: „Lesen Sie dieTimes und berücksichtigen Sie, daß dieses Blatt meist etwaszu ungünstig für die Engländer färbt." Man vergleiche unsereKriegspresse: Sieg auf Sieg, bis zur jähen Forderung des Waf-fenstillstandes durch die Oberste Heeresleitung vier Wochenvor der Novemberkatastrophe.
Achtung vor der Tatsache, zu welcher wir die bunteFülle der Sinneseindrücke unter Anwendung der Denkgesetzeverdichten! Kinder erziehen wir vom Märchen zur Wahrheit.Ehrfurcht vor der Wissenschaft, welche die unüber-sehbare Fülle der Tatsachen meistert, ordnet, vereinheitlichtund ihrem Diener das Diadem der Herrschaft auf die Stirndrückt! Ohne Wissen ist der stärkste Wille ein zer-störerischer Hödur.
Der wissenschaftliche Geist, wie wir ihn von unsern Vä-tern ererbten, gehört zu den besten Besitzständen des deutschenVolkes. Wird es dieser Verpflichtung untreu, so verliert es seineWeltgeltung. Technik als Machtträger schrumpft, wenn sienicht getragen ist von wissenschaftlichem Idealismus. Prak-tische Absicht, etwa politische Propaganda, hineingetragenin die Geschichtswissenschaft, verfälscht die redliche Bemühung,festzustellen, wie es eigentlich war (Ranke). Die Wahrheit istkeine Dirne, sondern eine Königin.
Aber die Wissenschaft ist nur ein Teilgebiet jener Weltewiger Werte, an der Anteil zu haben den Menschen vomTier unterscheidet. Sie ist nicht das letzte und tiefste dieserGebiete. Gebunden an die Erfahrung der Erscheinungswelt,reicht sie nicht in jenen Urgrund hinab, wo der göttlicheGeist in die menschliche Seele einströmt, obgleich sie diesemUrgrund die Normen alles Erkennens entnimmt. Ehrfurcht
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