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Volkswirtschaftliche Studien aus Rußland / von Gerhart v. Schulze-Gävernitz
Entstehung
Seite
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in diesem Falle unmöglich, die Führung von Handelsgeschäftenunter Einzelvorschriften zu stellen, wie dies etwa für dieTuchfabrikation oder die Spiegelmanufaktur, aber auch fin-den gildenmäfsigen Handel des Mittelalters möglich war. DieBeurteilung künftiger ungewisser Konjunkturen mufs ihremWesen nach frei und unter der Strafe von persönlichem Ver-lust vor sich gehen. Noch mehr; der moderne Kaufmann ist,im Gegensatz zu dem durch ein eigenes Standesrecht ge-tragenen mittelalterlichen Berufsgenossen, der seif made man,der unabhängig von den überkommenen StandesverhältnissenGeld sammelt, um damit seine sociale Stellung zu erhöhen.Er verkümmert, wo die Ehren des Lebens allein durch staat-lichen Bang bestimmt werden, wie dies bis in die neuesteZeit in Rufsland der Fall war.

In der verschiedenen Stellung des Staates zum Handelzeigt sich der tiefste Unterschied zwischen ost- und west-europäischem Merkantilismus. Beiden gemeinsam ist diestaatliche Förderung des Handels. Aber im Westen ist derStaat das Werkzeug, im Osten der Vormund des Handels.Im Westen beruht der Staat auf dem Handelsstande selbst,wie er als Ergebnis der mittelalterlichen Städteentwicklungvorlag. Denken wir an Venedig, den Ausgangspunkt und dasMuster alles späteren Merkantilismus, ferner an den nordischenNachfolger Venedigs, die Niederlande . An der Spitze desStaates stehen im Westen oft Kaufleute selbst, z. B. die Mediciin Florenz, Colbert in Frankreich , oder Monarchen, welcheganz vom Handelsgeiste durchtränkt sind. Im Osten dagegenbegünstigen die Monarchen zwar den Handel, stehen ihm aberfremd gegenüber. Wie den Homunculus unter der schützen-den Glasglocke bewundern sie das künstliche Geschöpfchen,ohne es zu verstehen. Zeitlebens hat Peter der Grofse ge-klagt, dafsdas Kommerzwesen ihm besondere Schwierigkeitenbereite, und dafs er sich von dem Zusammenhange desselbennie habe einen deutlichen Begriff machen können".

Wie der Monarch, so die Beamten. Im Osten achtete manden Kaufmanngeringer als eine Eierschale". Indem manmeinte, die Sache besser zu verstehen als die Nächstbeteiligten,