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Volkswirtschaftliche Studien aus Rußland / von Gerhart v. Schulze-Gävernitz
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örtlichen Beobachtungen an den Ergebnissen der Landschafts-statistik zu prüfen.

Auch im Poltawischen habe ich zwei Bezirke hereist,welche in der socialen Schichtung ähnliche Unterschiede auf-weisen, wie ich sie für das Charkolfsche schilderte. Aberdie Gründe sind sehr verschieden. Im Charkoffschen wiesder südliche Bezirk gegenüber dem nördlichen deswegenwirtschaftlich differenziertere Verhältnisse auf, weil er demneurussischen Kolonialboden benachbart und den von dortausstrahlenden geldwirtschaftlich-individualistischen Einflüssenausgesetzt ist. Die Verschiedenheit zwischen dem östlichenund westlichen Bezirk des Poltawischen, dem Bezirke vonKonstantinograd und dem Bezirke von Kobeljaki, hat da-gegen neben natürlichen auch geschichtliche Gründe, dieJahrhunderte zurückliegen.

Auf einer Karte aus dem Anfang des vorigen Jahrhun-derts fand ich den heutigen Bezirk von Konstantinograd alscampi deserti" bezeichnet er gehörte zu jenen Steppen,welche so lange Tummelplatz der Raufereien zwischen Tatarenund Kosaken waren. Erst nach Vertreibung der Tatarenwurde er besiedelt, und zwar gutsherrlich, vielfach durchglückliche Generale und Adlige, welche das Land verliehenerhielten. Noch heute bildet das bezeichnendste und breitesteElement seiner Bevölkerung der frühere Gutsbauer.

Anders der Bezirk von Kobeljaki; er ist älteres Siedel-land, seit lange Eigentum der Kosaken , welche den polnischenKönigen als Militärgrenze gegen Türken und Tataren dienten.Das Kosakenland jener Gegend bildet eine Insel nie ver-lorener Gemeinfreiheit in dem Meere der Hörigkeit Osteuropas .Kosaken sind noch heute der überwiegende und wirtschaftlichwichtigste Teil seiner Bevölkerung. Als adlige Familien-genossenschaften (Bojaren) hatten sie das Land einst zuerblichem Besitz von den polnischen Königen verliehen er-halten. Später empörten sie sich gegen Polen und verfochtenden orthodoxen Glauben gegen den eindringenden Jesuitismus;bei der Trennung Kleinrufslands von Polen erhielten sie von