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Volkswirtschaftliche Studien aus Rußland / von Gerhart v. Schulze-Gävernitz
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IV. Reisebericht aus der Ukraine .

A. Eine Arbeitsverfassung.

Das Gouvernement Poltawa, der Mittelpunkt der altenUkraine , der Stammsitz der kleinrussischen Kosaken, grenztwestlich an das Charkoffsche Gebiet; es gehört gleich diesemzur Zone der Schwarzerde. Sein Wohlstand beruht aus-schliefslich auf der Landwirtschaft. Getreidebau überwiegthier alles andere. Fast jede einzelne Station der das Gou-vernement durchschneidenden Bahnen weist höchst ansehnlicheBeträge der Getreideausfuhr auf, welche nicht selten eineMillion Pud das Jahr überschreiten. Das Getreide bewegtsich zu den Schwarzen - Meer - Häfen, neuerdings in Folgeder neu eröffneten Bahn über Romni auch nach Libau undKönigsberg.

Der Namen Poltawas ist verknüpft mit der Erinnerungan einen weltgeschichtlichen Wendepunkt: durch die Schlachtvom 9. Juli 1709 ging die Vorherrschaft des Nordens undOstens von Schweden an Rufsland über. Die Niederlage derSchweden wurde dadurch verursacht, dafs sie in der Meinung,bereits gesiegt zu haben, die Verfolgung zu frühe abbrachenund den Russen damit Zeit zur Sammlung gaben.Manmufs die Russen nicht nur todtschiefsen, sondern noch um-werfen," sagte später Napoleon nach ähnlichen Erfahrungen.Er wies damit auf jene Eigenschaft passiven Mutes hin, dieder russische Bauer aus dem Glauben an eine allbestimmendeVorsehung schöpft.

Die Stadt Poltawa ist nichts anders als eine gewöhnlicherussische Provinzialstadt: einstöckige Häuser, breite Strafsen,einige offizielle Gebäude mit den unvermeidlichen korinthischenSäulen, deren Stuck von den Kapitalen abbröckelt, dorf-ähnliche Vorstädte. Dem volkswirtschaftlichen Forscher istPoltawa interessant als der Sitz eines der vorzüglichstenstatistischen Landschaftsbureaus, dessen bändereiche Arbeitenmir sein Leiter, Herr Bunin , auf das liebenswürdigstezur Verfügung stellte; ich war daher in der Lage, meine