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mehr oder minder grofse Gemeindeländereien, welche einstWeide waren, jetzt aber als wertvolles Ackerland verpachtetwerden. Aus den Erträgnissen dieser Pachtungen wird eineSparsumme gebildet, die zum Ankauf von Land für die Land-losen der Kolonie dient. Insbesondere werden adelige Güterim ganzen gekauft. Jeder Hof, welcher zur Kolonie gehört,hat das Recht, Reihe um einen Teilnehmer an einem solchen„Auszuge" der jüngeren Söhne zu stellen. Entsprechend derniederen Erbtaxe, welche zu Gunsten der Anerben herrscht,erhalten auch die Auszügler nunmehr die neuen Hufen eben-falls zu ermäfsigten Kaufpreisen, die sie ratenweise in denAnsiedelungsfonds zurückzahlen. Dieser Einrichtung verdankteauch die von mir besuchte Kolonie ihre Entstehung.
Demgegenüber zwingt der Gemeindebesitz den kräftigerenrussischen Wirt, die technisch erforderlichen Betriebsgröfsenauf Bewucherung der Gemeindegenossen aufzubauen; was eraufserhalb des Gemeindelandes an Grundeigentum erworbenhat, wird durch die Erbteilung wieder zersplittert.
Geistig ist der deutsche Kolonist individualistischer alsder russische Bauer. Aber der Individualismus — ob manihn tadelt oder lobt — ist aus dem früheren Gruppendaseindes Menschen als Machtmittel im Kampfe um das Daseinentwickelt. Dem Individualismus der Kolonisten dient alsGegengewicht eine starke moralische Bindung. Es ist inbeider Hinsicht bezeichnend, dafs die 22 Höfe der besuchtenKolonie sofort ein Stück Land als Schulland aussonderten,eine Schule erbauten und einen Lehrer anstellten, welcherzur Zeit 25 Kinder unterrichtet. Ich selbst hörte ihn amSonntag den Bauern eine Gerocksche Predigt vorlesen.Dieser schlichte Mann, den die Bauern als einen der ihrigenbetrachten, ist das Band, das diese versprengten Bewohnerder Steppe mit der Welt der „Intelligenz" verbindet, einZusammenhang, der dem russischen Bauern bislang fehlt.