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CONSTANTINO NIGRA
Botschafter
Während die meisten der fremden Vertreter in Wien mir nicht viel zuUnterredung sagen wußten, setzte mir der bedeutendste unter ihnen, der italienischemit dem Botschafter Graf Nigra, in einem langen Gespräch auseinander, daß einitalienischen Zusammenstoß zwischen Österreich und Italien auch vom italienischenStandpunkt aus nicht zu wünschen wäre. Die österreichische Politik gegen-über Italien sei oft recht ungeschickt. Es gäbe auch in Österreich eine ganzeAnzahl verbissen antiitalienischer Elemente, denen man auf die Finger sehenmüsse. Aber vom Standpunkt einer weitsichtigen italienischen Politik wäredas alte und morsche Österreich-Ungarn , das seit neunzig Jahren keineneinzigen Italiener entnationalisiert hätte, für Italien ein bequemerer Nach-bar als dieses oder jenes größere slawische Staatswesen, das eine anti-italienische PoUtik führen und bei einer solchen stets die mehr oder wenigeroffene Unterstützung von Frankreich finden, auch innerhalb seiner Gren-zen die italienische Nationalität bis aufs Messer bekämpfen würde. GrafConstantino Nigra, damals schon 76 Jahre alt, war einer der hervor-ragendsten Diplomaten, denen ich im Leben begegnet bin. Er verband dieHaupteigenschaft, die der Diplomat haben muß, nämlich die durch nichtszu erschütternde Ruhe, mit einem feinen, penetranten Verstand, viel Tast-sinn, viel Flair, großer Biegsamkeit und, wo es notwendig war, stählernerEnergie. Er hatte in jungen Jahren als Freiwilliger 1849 die Schlacht vonNovara mitgemacht. Dann hatte ihn, den kaum dreiunddreißigj ährigenSekretär im italienischen Ministerium des Äußern, der ohne Vermögen,ohne großen Namen und ohne Konnexionen in das Leben eingetreten war,Cavour zum Gesandten in Paris bestimmt, wo er von 1860 bis 1876 wirkte.Er verstand es, sich das volle Vertrauen des Kaisers Napoleon III. zu er-werben, dessen träumerischer Natur der klare und nüchterne Verstanddes Piemontesen imponierte. Er gewann das Herz der Kaiserin Eugenie mitseinen scharmanten Formen und seinen anmutigen Gedichten, er dominiertebei dem hitzigen, unüberlegten Prinzen Jerome Napoleon durch seine eiserneRuhe. Er hat wesentlich dazu beigetragen, daß Napoleon III. trotz desstarken Widerstands, den seine italophile Politik in Frankreich fand, trotzder Angriffe, die fast alle älteren französischen Staatsmänner, Thiers an derSpitze, gegen sie richteten, trotz der klerikalen Richtung und der innerlichantiitalienischen Gesinnung der Kaiserin Eugenie die Einigung ItaUensbis auf Rom zuließ, obwohl er ursprünglich gern seinen Vetter, den PrinzenJerome, als König von Etrurien nach Florenz und seinen Vetter Murat alsKönig nach Neapel gebracht hätte. Die Berichte des Grafen Nigra ausdieser Zeit scheuen nicht den Vergleich mit den besten Berichten der vene-zianischen Gesandten und päpstlichen Nunzien. Als das Empire zusammen-brach, geriet Nigra in eine nicht ganz leichte Situation zwischen seinenbonapartistischen Sympathien und Attachen und der gebotenen Rücksicht