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Regentschaft und Anfänge König Wilhelms I.

treiben lassen müsse liberale Ideen zu entwickeln, weil sie sich sonst vonselbst Bahn brachen. Gerade hierauf bezieht sich, was ich vorhin Staats-weisheit nannte. Wenn in allen Regierungshandlungen sich Wahrheit, Ge-setzlichkeit und Konsequenz ausspricht, so ist ein Gouvernement stark, weil esein reines Gewissen hat, und mit diesem hat man ein Recht allein Bösenkräftig zu widerstehen.

Der Regent hatte diese Erklärung selbst entworfen und selbstgeschrieben, es sind nicht Worte, die ihm ein anderer geliehen, undsie zeigen uns, wie ihm das konstitutionelle Wesen noch immer alsetwas Fremdes erschien, als ein Einbruch in die alte VerfassungPreußens . Er konnte sonst treffend ausdrücken, was er sagenwollte. Die Ungeschicklichkeit dieser Erklärung verrät die Unklar-heit des Standpunktes. Das Volk Hütte wohl Anstoß nehmenkönnen an dem Satze, daß die maßvolle Strömung der Geisterjener Tage von dem Regenten schon als ein gefährliches Übermaßbezeichnet wurde, weiter garals absichtlich überspannte Ideen"und als das Böse, dem er mutig und durchenergisches Handeln"entgegentreten wolle. Aber man überhörte das gern und gab all-gemein die Parole aus:nnr nicht drängen" oder mit dem Ber-liner Tonenur nicht drängeln, nur nicht drängeln!" Man hatteVertrauen zu dem Regenten, wollte ihm Vertrauen einflößen undihm Zeit lassen zu den geplanten Reformen. Das verdankte derRegent seiner Haltung in der Reaktionszeit und dem guten Namender neuen Minister, endlich aber uud nicht zum welligsten denSätzen der Proklamation, welche die Beseitigung des unglückseligenGesetzes von 1856 über die Gemeindeordnung verhießen, dasdenForderungen der Zeit" keine Rechnung trage, sowie den Worten,welche die Mißbrauche der Justizverwaltung berührten, vor allemaber den Sätzen über die kirchlichen Verhältnisse und über diedeutsche Politik.

Mit unzweideutigen Worten verurteilte die Proklamation diekirchliche Richtung der Krenzzeitungsmänner als aufdringlicheFrömmelei; sie habe Heuchelei im Gefolge und bedrohe die inPreußeu glücklich gewonnene Union der einstmals um theologischeNebendinge streitenden Parteien der evangelischen Kirche. DieWorte des Regenten klangen hier wie der Aufschrei eines ehrlichenMannes, der sich angewidert fühlte von dem Spiel mit heiligen