Teil eines Werkes 
Theil 2 (1752) Jacob Benignus Bossuet, Bischofs von Meaux, Einleitung in die Geschichte der Welt, und der Religion / fortgesetzet von Johann Andreas Cramern, Hochfürstl. Oberhofpredigern in Quedlinburg
Entstehung
Seite
125
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Zweyter Abschnitt. 12Z

Verlangte Gott für seinen Dienst kein außcrli-licheö Ansehen, reine blendende Pracht und Hoheit:wie viel weniger durften die Lehrer einer Religion, dieso voll zärtlicher Einfalt ist, einen Anspruch auf ejneirrdische Hoheit machen? Die weltlichen Königeherrschen, und die Gewaltigen nennet man gnädigeHerren: Ihr aber nicht also; sondern der Größteunter euch soll seyn, wie der Jüngste, und der Vor-nehmste, wie ein Diener. Das Reich Jesu Christiist ein Reich der Wahrheit und der Tugend, und al-so nicht ein Reich irrdischer Ehrenstellen und Wür-den. Diejenigen zwar, welche von Gott das Amthaben, die Ordnung im gemeinen Wesen einzurich-ten, können den Lehrern des Evangelii unter andernBürgern einen bestimmten Rang anweisen. Alleindergleichen Würden gehören nicht zur Religion, nichteiiunal zu ihrer äußerlichen göttlichen Verfassung; in-dem der Stifter in seinem Reiche demjenigen dengrößten Rang anweiset, der die meisten und erha-bensten Verdienste besitzt.

Da die Religion in ihrer innerlichen und äußer-lichen Verfassung so vollkommen war: so hätten bil-lig ihre Schicksale unter den Menschen allezeit glück-lich seyn sollen. Allein man müßte gar kein Kennerdes menschlichen Herzens, oder ganz ein Fremdlingin der Geschichte seyn, wenn man sich dieses beredenwollte. Denn wer sind die Geschöpfe, denen dieReligion anvertrauet ist? Sind es nicht Menschen,die ihrer Natur nach zur Veränderung und Unbe-ständigkeit geneigt sind? Wie mannigfaltig sind un-sere Vorurtheile! Wie leicht dringt sich uns einIrrthum unter der Gestalt der Wahrheit auf! Wiesehr verzärteln wir unsere Vernunft! Wie groß ist

die