Vorwort.
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weltlichen poetischen Literatur des XVI. und XVII. Jahrhundertsgearbeitet, welche einzig die Uebersetzungen, Dramen und Sammlun-gen von sich ausschließen sollte. Jener „Grundriß ", welcher zumersten Male wirklich eine allgemeine Uebersicht über unsere geistigeVergangenheit gestattete, mußte natürlich meinen Plan modificiren.Dies ging um so leichter, als Godeke besonders Ein Feld vernach-lässigt hatte, das der deutschen historischen und Volks-Poesie.
Ich verstehe unter Volksvocsie solche Dichtungen, welche von denuntern Klassen gelesen oder gesungen wurden, also keine romantischen,langmoralischen Ausführungen, sondern kurze Ergüsse und Berichte,wie sie einzelne Ereignisse oder Stimmungen hervorriefen. Diesenpopulären Darstellungen mit und ohne Bild lagen theilweiö die pro-saischen Berichte der „Zeitungen" zu Grunde. Beides, Poesie wieProsa, muß als der wahre Ausdruck des Volksgeistes, des Denkensder Nichtgelchrten jener Zeit, betrachtet werden. Aber darum, weiler uns, den Nachkommen, unförmlich und niedrig erscheint, ist ernicht aus der Geschichte des Volkes selbst auszustrcichen. Erst wennwir wissen, wie das Volk gedacht hat, werden wir sein damaligesWesen und sein Verhältniß zur neuern Zeit richtig beurtheilen lernen.Aber nur die Bibliographie, diese Statistik aller Wissenschaften, ent-hüllt unparteiisch das Material zur Erkenntniß des menschlichen Gei-stes. Alle die novellistischen Verhüllungen unserer Historiker sind keineWahrheiten; weder mit Lobcshvmnen noch mit Verachtungsphrasenzeichnen und erkennen wir den Charakter und den Standpuukt, dasDenken und Fühlen der unteren, von jeher fast immer verachtetenoder geschmähten Menschenklassen. Eine Bibliographie der historischenund Volks-Dichtung wird daher ein Beitrag zur Geschichte, zum Ver-ständniß der Vergangenheit sein.
Alle Literaturgeschichten waren bisher fragmentarisch, d. h. siebeurtheilten, was in diesen und jenen Bibliotheken ihren Verfasserngerade unter die Hände kam oder was sonst schon nähere Besprechungerlangt hatte. Gödeke's Grundriß, obwol das Beste auf diesem Felde,berichtet weder über die Vorräthe der Wiener, Münchner, Dresdner,