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von aufsen. Dieser kam auch hier, wie so oft in der Wirt-schaftsgeschichte, von der See und durch den Handel. Bis indie sechziger Jahre führten die Kolonien ein ärmliches undnaturalwirtschaftliches Stillleben. Da setzten die technischenFortschritte der Schiffahrt und die städtische EntwicklungWesteuropas sie in die Lage, eine geschätzte Ware für denWeltmarkt zu produzieren: den Weizen. Auf ihn gründetensie ihren Wohlstand; ihnen folgten die taurischen Bauern.
Diesen Vorgang zu beobachten, bot sich mir in dembereisten südlichen Teile des Charkoffer Gouvernements Ge-legenheit. In dieser Gegend erscheinen in neuester Zeit deutscheKolonisten, worauf nach allgemeinem Urteil die soeben ge-schilderten technischen Fortschritte der russischen Bauern-wirtschaft zurückzuführen sind. So wenig nämlich die Wirt-schaft der benachbarten Gutsbetriebe auf den russischen Bauern von Einflufs ist, ebenso eifrig beobachtet er das Thunder deutschen Einwanderer, und ebenso willig ist er, es nach-zuahmen. Ich fand keinerlei Spur von nationalen Gegensätzen.Im Gegenteil wurde mir in der besuchten Kolonie versichert,dafs in mehreren Fällen, wo russische Bauern mit deutschenMinoritäten in demselben Wolost (unterer Verwaltungsbezirk)zusammenleben, sie den Vorsteher (Starschina) aus den derSchrift kundigeren Deutschen gewählt hätten. Dieses Ver-hältnis ist verständlich, wenn man bedenkt, dafs die Kolonistenallezeit getreue Unterthanen der Zaren gewesen sind, derengrofse Vorfahrin ihre Voreltern einst in das Land gerufen hat.
Werfen wir einen Blick auf die deutsche Kolonie von22 Höfen, welche einen so wichtigen Einflufs auf die Wirt-schaftsweise des bereisten Bezirkes ausübt.
Gorochaja war bis vor wenigen Jahren ein auf der Höheder Steppe gelegenes Gutsland, welches von den umwohnendenBauern in der oben beschriebenen Weise durch einjährigePachten ausgeraubt wurde. Dann kamen die Kolonisten undkauften das Land vom Gutsherren gegen den Preis von120 Rubel die Defsjätine; 60 Rubel blieben als amortisablesBankdarlehen stehen, 30 Rubel kreditierte ihnen der Guts-herr, 30 Rubel zahlten sie aus eigener Tasche. Es waren