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Volkswirtschaftliche Studien aus Rußland / von Gerhart v. Schulze-Gävernitz
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indirekten Zwang der Landenge. Ihr haften alle die volks-wirtschaftlichen Nachteile an, welche die unfreie Arbeit fürden Herrn in sich schliefst. Einstimmig klagten alle von mirbefragten Gutsbesitzer über die schlechte Qualität der Bauern-arbeit. Gleich dem Hörigen habe der Arbeiter nur ein Interesse:so wenig wie möglich zu verrichten. Es wurde mir erzählt,dafs die Bauern immer neue Feiertage erfänden, immer neueHeilige feierten; der Gutsbesitzer sei hiergegen machtlos, dennwenn einer der Bauern, fleifsiger als die anderen, an solchemFeiertage etwa arbeiten wolle, so habe er zu gewärtigen,dafs ihm nächtlicherweile sein Eigenthum zerstört oder garsein Haus angezündet werde. Obstgärten, wurde mir ver-sichert, sei es unmöglich anzulegen, weil die Früchte vor derReife mit Sicherheit gestohlen würden, wenn nicht gar schondie jungen Bäumchen böswillig vernichtet seien. Seihst dieGärten der Volksschulen, welche Unterrichtszwecken dienten,würden nicht verschont. Nur allzuhäufig würden Heu- oderGetreideschober der Gutsherrn auf dem Felde frevlerisch inBrand gesteckt.

Ich möchte ausdrücklich vor Verallgemeinerung dieserAngaben warnen; immerhin sind sie interessant als dieMeinung des kleineren Adels jener Gegend. Zugleich dienensie als Beleg für den Klassenhafs, welcher als langlebiges Erb-stück der Leibeigenschaft noch vielerorts die Bevölkerung desrussischen Landes in zwei scharf getrennte Lager spaltet.

Aber der Zwang zur Arbeit, welchen das herrschendeSystem ausübt, ist doch nicht kräftig genug, um dem Guts-herrn die unfreiwillige Arbeit der Bauern wirklich zu sichern.Der Bauer, nicht mehr unter der Furcht der Knute, hat einenAusweg gefunden, sich der verhafsten Herrenarbeit zu ent-ziehen: die Einschränkung seiner Lebenshaltung unter äufsersterAussaugung des ihm zugefallenen Landfetzens, in letzter Linieden Hunger. Sehnsüchtig blicken daher nicht wenige Guts-besitzer nach den goldenen Tagen der Leibeigenschaft zurück,welche in jenen anderen Teilen Rufslands, wo die Wander-arbeit vorherrscht, so gut wie vergessen ist.

Die unheilvollen Folgen der geschilderten Verhältnisse