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Nachwort.
Eine ähnliche Schwierigkeit besteht den socialen Kämpfen gegenüber, dochist sie geringer: namentlich gehören die beiden großen Führer Lassalle und KarlMarx bereits der Geschichte an, auch Karl Marx . Die Bewegung, die er langeZeit mit gewaltiger Geistes- und Willenskraft beherrschte, ist über ihn hinaus-gelangt, und ein erheblicher Teil seiner Gedanken ist — freilich in mannig-faltigen Modifikationen — auf die Gegner übergegangen. Wohl ist seine Lehreunter den Genossen noch von der größten Autorität, aber mehr verehrt alsverstanden und befolgt. Seine Redeweise und seine Denkweise gehören eineranderen Zeit und anderen Kreisen an als die, aus denen seine Anhängerstammen.
Wie sich durch das Ineinandergreifen dieser Elemente und Prozesse ausden Trümmern des heiligen römischen Reichs der deutsche Staat der Gegen-wart und sein gesellschaftlicher Zustand entwickelte: das in übersichtlicherund zugleich in anschaulicher Weise zu zeigen, war die Aufgabe des Buches,und unter diesem Gesichtspunkt ist die Auswahl des Stoffes getroffen. Deshalbist vieles ausgeschieden worden, was an sich Interesse erregte, und auch mancherhervorragende Mann ist nicht oder nur kurz erwähnt worden, denn es schienrichtiger, einen Görres, Harkort, Stahl, Pfizer, Radowitz, Gerlach ausführlicherzu behandeln als mehrere Vertreter der gleichen Gruppe kürzer. Weil demText keine Anmerkungen beigegeben wurden, so ist häufig der Wortlaut ihrerReden und Erörterungen in den Text aufgenommen worden, so daß diese zu-gleich als Belege dienen, indem sie die Darstellung weiterführen. Über dieDarstellungen von Shbel, Treitschke, Friedjung, Stern, Springer u. a. habe ichmich schon vielfach kritisch geäußert und der Text ergiebt, wie ich sie benutzeoder von ihnen abweiche. Untersuchungen über einzelne Vorgänge sind bishernur in geringer Zahl erschienen, doch regt sich in jüngster Zeit der Eifer dazuin erfreulicher Weise. Freilich erwecken manche Anläufe den Verdacht, als solltedie in anderen Perioden entwickelte Untugend der Kritik, sich unfruchtbarenProblemen zuzuwenden und Fragen zu stellen, die nicht beantwortet werdenkönnen, auch auf dies Gebiet der neuesten Zeit gleich mit übertragen werden.
Die reichste Unterstützung gewährten die Arbeiten der Fachwissenschaften,besonders der Theologen und Philosophen, der Juristen und der National-ökonomen. In der Erkenntnis der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ent-wicklung haben wir nach den wichtigen älteren Arbeiten von Arndt, Stüve u. a.neuerdings namentlich durch die Untersuchungen Georg Friedrich Knapps undseiner Schüler große Fortschritte gemacht, aber von erheblichen Punkten dieser viel-seitigen Entwicklung läßt sich doch noch immer keine genügende Anschauung ge-winnen, so von dem Schaden, den die Nichtbeseitigung gewisser Feudallasten(Laudemien, Schutzgelder u. s. w.) nach sich zog und namentlich von den Klagen,welche über die Patrimonialgerichtsbarkeit erhoben wurden. Die Zahl derer istsehr klein geworden, die davon lebendige Erinnerung haben. Das ist aber umso mehr zu bedauern, als bei dieser für das Leben eines großen Teiles unseresVolkes so bedeutsamen Einrichtung die Persönlichkeit von dem größten Einflußwar und aus dem einen Orte leicht freundliche, aus dem anderen recht dunkleBilder geliefert werden können. Es ist deshalb zu wünschen, daß alles ge-sammelt werde, was darüber erhalten ist: ich würde für jede Mitteilung dankbarsein. Eingehende Geschichten von Gütern und Herrfchaften oder von einzelnen