Teil eines Werkes 
1 (1900) Begriff : psychologische und sittliche Grundlage ; Literatur und Methode ; Land, Leute und Technik ; die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft
Entstehung
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Der Begriff der Volkswirtschaft.

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Lebens der ganzen Erde stellen wir uns, nachdem wir diesen Begriff gebildet, als eineSumme geographisch nebeneinander stehender und historisch einander folgender Volks-wirtschaften vor. Die Summe der heute einander berührenden, in gegenseitige Abhängig-keit von einander gekommenen Volkswirtschaften nennen wir die Weltwirtschaft.

Man hat gesagt, der Begriff der Volkswirtschaft sei nur ein Sammelbegriff, eineAbkürzung für eine gewisse Summe von Einzelwirtschaften, es fehle ja die einheitliche,centralistische Leitung, es seien immer die einzelnen Individuen, die wirtschafteten. Alsob im menschlichen Körper nicht auch die einzelnen Zellen die aktiv thätigen Elementewären und unzählige Vorgänge in ihm sich abspielten, ohne daß ein Bewußtsein hiervonim Centralorgan vorhanden wäre. Uns ist die Volkswirtschaft ein reales Ganzes, d. h.eine verbundene Gesamtheit, in welcher die Teile in lebendiger Wechselwirkung stehenund in welchem das Ganze als solches nachweisbare Wirkungen hat; eine Gesamtheit,welche trotz ewigen Wechsels in den Teilen, in ihrer Wesenheit, in ihren individuellenGrundzügen für Jahre und Jahrzehnte dieselbe bleibt, welche, soweit sie sich ändert,sich uns als ein sich entwickelnder Körper darstellt. Niemals werden tausende vonEinzelwirtschaften, die verschiedenen Staaten angehören, alseine Volkswirtschaft" vor-gestellt und zusammengefaßt. Nur wo Menschen derselben Rasse und derselben Sprache,verbunden durch einheitliche Gefühle und Ideen, Sitten und Rechtsregeln, zugleich ein-heitliche nationale Wirtschaftsinstitutioncn haben und durch ein einheitliches Vcrkchrs-system und einen lebendigen Tauschverkehr verknüpft sind, sprechen wir von einer Volks-wirtschaft. Die älteren Zeiten kannten wohl größere Staaten, d. h. politisch-militärischeZusammenfassungen von zahlreichen Stämmen und Stadtbezirken; erst die neuereEntwickelung hat Volkswirtschaften in unserm Sinne erzeugt, und deshalb konnte dieserBegriff erst im Laufe der letzten drei Jahrhunderte sich bilden.

Indem die Volkswirtschaft sich als ein relativ selbständiges System von Ein-richtungen, Vorgängen und Strebungen entwickelte, indem die wirtschaftlichen Interessenzu selbständiger Vertretung in gewissen besonderen gesellschaftlichen Organen gelangten,wnrde das volkswirtschaftliche Leben für die Vorstellungen der Menschen ein begrifflichvon Staat und Recht, Kirche und Familienleben, Kunst und Technik getrenntes Gebiet.Freilich vollzog sich die Trennung mehr in den Gedanken der Menschen abs in derWirklichkeit. Denn die wirtschaftenden Personen blieben nach wie vor Bürger undUnterthanen des Staates, Glieder der Familien, der Kirchen, der socialen Klassen, siehandelten auch wirtschaftlich nach wie vor in der Regel unter dem Impuls aller derGesühle und Triebe, der Vorstellungen und Ideen, welche ihrer Zeit und Rasse, ihrerGesittung und Bildung überhaupt entsprachen. Freilich konnte unter der Einwirkungder entwickelteren volkswirtschaftlichen Interessen das ganze Triebleben und die ganzeMoral, zumal in bestimmten Kreisen, sich ändern. Aber immer blieben diese verändertenpsychischen Elemente Teile des einheitlichen Volksgeistes, wie ein großer Teil der wirt-schaftlichen Organe zugleich solche für andere Zwecke blieb, wie der Staat nicht aus-hörte, das Centralorgan für die verschiedensten Zwecke zu sein.

Die Volkswirtschaft ist so ein Teilinhalt des gesellschaftlichen Lebens; auf natürlich-technischem Boden erwachsen, ist ihr eigentliches Princip die gesellschaftliche Gestaltungder wirtschaftlichen Vorgänge. Auch das Technische, die wirtschaftlichen Bedürfnisse, dieGepflogenheiten des Ackerbaues, des Gewcrbfleißes, des Handels erscheinen der volks-wirtschaftlichen Betrachtung als Züge gewisser Klassen oder des gemeinsamen Volkstumsoder bestimmter Völkergruppcu. Die gesellschaftlichen Beziehungen und Zusammenhängedes Wirtschaftslebens wollen wir erfassen, wenn wir die Volkswirtschaft studieren. Daherkonnten zeitweise die Wert-, Preis-, Geld-, Kredit- und Handelserscheinungen als derKern der volkswirtschaftlichen Fragen erscheinen. Daher fragen wir, wenn wir diekonkreten Züge einer einzelnen Volkswirtschast erkunden wollen, zwar zuerst nach Größe,Lage und Klima des Landes, nach seinen Naturschätzen und seinen natürlichen Verkehrs-mitteln, aber wichtiger ist uns doch, gleich zu erfahren, wie das Volk diese natürlichenGaben nutze, durch Veranstaltungen einträglich mache; wir wollen wissen, wie großund dicht die Bevölkerung und die vorhandene Kapitalmenge sei, noch mehr, wie diese