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Einleitung. Begriff. Psychologische und sittliche Grundlage. Litteratur und Methode.
Menschen geistig und sittlich beschaffen, technisch geschult, wie ihre Sitten und Bedürf-nisse entwickelt, wie sie in Familien, Höfen, Dörfern und Städten organisiert seien, wieVermögen und Kapital verteilt, Arbeitsteilung und sociale Klasscnbildung gestaltet, wiedas Marktwcsen, der Handel, das Geldwesen geordnet seien, wie Finanzen und staats-wirtschaftliche Institutionen die Einzelwirtschaften und den wirtschaftlichen Fortschrittbeeinflussen. Denn die Volkswirtschaft ist das als ein Ganzes gedachte und wirkende,von dem einheitlichen Volksgeist und von einheitlichen materiellen Ursachen beherrschteSystem der wirtschaftlich-gesellschaftlichen Vorgänge und Veranstaltungen des Volkes.
Zu diesen Veranstaltungen gehört auch der Staat. Ohne eine fest organisierteStaatsgewalt mit großen wirtschaftlichen Funktionen, ohne eine Staatswirtfchaft alsCentrum aller übrigen Wirtschaften kann eine hochentwickelte Volkswirtschaft nichtgedacht werden. Diese Staatswirtschaft mag, wie die befehlende und eingreifende Staats-gewalt selbst, eine viel größere Rolle in dieser, eine viel kleinere in jener Volkswirtschaftspielen, vorhanden ist sie stets. Es war ein fchiefes Phantasicbild, sich eine natürlicheVolkswirtschaft außerhalb und getrennt von allem Staate und aller Staatseinwirkungvorzustellen. Es sührt auch leicht zu falschen Schlüssen, wenn man das staatliche Lebensich ausschließlich unter dem Bilde eines Systems centralisierter Kräfte, das volkswirt-schaftliche als unter dem eines Systems freier, sich felbst bestimmender Einzelkräfte vor-stellt. Beides sind die verschiedenen Seiten eines und desselben socialen Körpers. ImStaat wie in der Volkswirtschaft ist eine Einheit psychischer Kräfte vorhanden, dieunabhängig von äußerer Organisation wirken; im Staat und in der Volkswirtschaftvollziehen sich zahlreiche Vorgänge auf der Peripherie ohne direkte und bewußte Leitungvon einem organisierten Centralpunkt aus. Auch die Volkswirtschaft hat centrale Organe,wie z. B. große Banken, centrale Verkchrsinstitute, Wirtschaftsvertretungen, Handels-und Ackerbauininisterien. Nur sind sie nicht so zahlreich und so ccntralisiert, wie dieOrgane des Staates. Die politischen Funktionen bedürfen in umfassenderem Maße dereinheitlichen Zusammenfassung. Die Volkswirtschaft ist ein halb natürlich-technisches,halb geistig-sociales System von Kräften, welche zunächst unabhängig vom Staat ihrDasein haben, verkümmern oder sich entwickeln, die aber bei aller höheren und kompli-zierteren Gestaltung doch von Recht und Staat feste Schranken gesetzt erhalten, nurin Übereinstimmung mit diesen Mächten ihre vollendete Form empfangen, in steterWechselwirkung mit ihnen bald die bestimmenden, bald die bestimmten sind. —
Wenn wir fo die Volkswirtschaft als einen Teilinhalt des gesellschaftlichen Lebens,als die eine Seite des socialen Körpers bezeichnen, so liegt es auch nahe, daß sie nurim Zusammenhang mit den übrigen gesellschaftlichen Erfcheinungen zu verstehen ist.Wir versuchen daher einleitend zu einem Verständnis des gesellschaftlichen Lebens über-haupt und hauptsächlich der psychischen, sittlichen und rechtlichen Grundlagen desselbenzu kommen. Diese Betrachtungen geben uns zugleich Gelegenheit, einige der principiellenFragen, welche auf dem Grenzgebiete zwischen Volkswirtschaftslehre einerseits undStaatslehre, Psychologie, Ethik und Rechtsphilosophie andererseits liegen, schon hierzu erledigen. Daran knüpfen sich dann am passendsten die nötigen Bemerkungenüber die Geschichte der Litteratur und die Methode unserer Wissenschaft an.
II. Tie psychischen, sittlichen uud rechtlichen Grundlagen derVolkswirtschaft und der Gesellschaft überhaupt.
1. Die Zwecke und die Mittel des gesellschaftlichen Zusammenschlusses.
H crvert Spencer, Die Principien der Sociologie. 4 Bde. Deutsch 1877—97.— Schaffte,Bau uud Leben des socialen Körpers. 4 Bde. 1875—78. — ?Äiäe, I^es lois äs l'imiwtion.189S. 2. Aufl.
4. Gehen wir, um zu einem ersten rohen Verständnis des gesellschaftlichen Lebenszu kommen, von der sichersten und allgemeinsten socialen Erfahrung aus, so ist es