8 Einleitung. Begriff. Psychologische und sittliche Grundlage. Litteratur und Methode,
privaten Rache durch den Richterspruch der Ältesten, der Fürsten : das große Princip wirdproklamiert, daß im Staate nicht der Faustkampf, sondern die Gerechtigkeit herrschen solle,daß alle Reibungen und Kämpfe im Inneren nur innerhalb enger Schranken sich be-thätigen dürfen. Und solches scheint da doppelt nötig, wo man aller Kräfte nach außenbedarf. Die sociale Zucht, die Unterordnung der einzelnen unter gemeinsame Zwecke,die Znsammensassnng der Kräfte gelingt in erster Linie durch den Kampf und den Kriegmit anderen Stämmen und Gemeinwesen. Die Stämme, deren Lebensweise körperlicheKraft und Ausbildung des Mutes begünstigte, in denen kühne Kriegshäuptlinge ausden freiwilligen Beutezügen heraus ein allgemeines Zwangsprincip der kriegerischenOrganisation herzustellen wußten, wurden fähig, die Mittelpunkte von Stammes-bündnissen zu werden, schwächere Nachbarn zu vernichten oder zu unterwerfen, Restehalb aufgeriebener Stämme sich in verschiedener Form einzuverleiben. Solches war nurmöglich durch Aufrichtung einer befehlenden Gewalt, durch Gehorsam, Disciplin, kriege-rische Übung, Vorratssammlung, Schutzbautcn, kurz durch eine gesellschaftliche Einrichtung,die eine königliche Gewalt überhaupt für alle Lebensgebiete schuf, in ihre Hand einenMachtapparat legte, der fähig war, Recht zu sprechen, Frieden zu stiften, gemeinsameZwecke aller Art zu verfolgen. „Daß sich das politische Staatswesen aus dem Kriegs-wesen entwickelt hat", sagt Tylor, „unterliegt keinem Zweifel. Eine konstitutionelleRegierung ist eine Einrichtung, durch welche eine Nation vermittelst der Maschinerieeines Militärdespotismus sich selbst regiert." Jedenfalls ist durch nichts so sehr alsdurch die militärische Organisation der Einfluß der Autoritäten in der Gesellschaftgesteigert, das Princip einer einheitlich-befehlenden Gewalt über gehorchende Massenausgebildet wordeu, hat durch nichts so sehr die rechtsprcchende Gewalt die nötigeMacht und Exekutive erhalten, so daß wir heute, den Kernpunkt aller staatlichenOrganisation in der Kriegshoheit und Justizhohcit sehend, nicht fehlgehen, wenn wirsagen: alle höhere Gefellschastsentwickelung geht aus von der Friedensgemeinschaft nachinnen und von der Kampfesgenieinschaft nach anßen.
Die Siedln ngs- und Wirtschaftsgemeinschaft schließt sich direkt andie primitiven Bluts-, Friedens- und Kriegsgemeinschaften an. Auch so lange diefenoch unstet von Ort zu Ort zogen, je nachdem die Möglichkeit der Ernährung, derSieg oder die Niederlage sie weiter trieb, hatten sie zeitweise gemeinsam bestimmteGaue, Thäler, Ebenen inne. Aber die Beziehungen zum Boden wurden erst dauerndund tiefgreifend, als sie den Acker-, Garten- und Wasserban, als sie gegen Feinde durchWall und Graben sich dauernd zu schützen, Häuser zu bauen, den Boden zu teilengelernt hatten. Mit der festen Siedlung, diesem so überaus wichtigen wirtschaftlichen,stets ursprünglich durch die Gemeinschaft vorgenommenen Akte entstehen die dauerndenNachbarschaftsbeziehungen, das Heimatsgefühl, die Vaterlandsliebe. Die gesamtenGlieder eines Stammes sehen sich nun seltener, die am selben Orte wohnenden häufiger;neben die Beziehungen der Bluts- treten die der Ortsgemeinschast; es bilden sich fürwirtschaftliche, für Schutz-, für Verkehrs- und andere Zwecke die Orts- und Nachbar-verbände; die Gebietskörperschaftcn umfassen bald Leute verschiedenen Blutes; aus demStamme wird der mit einem bestimmten Lande verknüpfte Staat. Wir kommen nntenbeim Sicdlungswesen und den Gebietskörperschaften hierauf zurück.
Mit der sesten Siedlung und der ersten Bodenverteilung erwachsen innerhalb dessocialen Körpers eine Reihe kleinerer fester gefügter Gemeinschaften, die Familien mitihrer Haus- und Hofwirtfchaft, die Sippen, d. h. die Geschlcchtsverbände, die Grnnd-herrschaften, die Ortsgemeinden und Gaue, welche alle in sich nun stärkere Gemeingefühle,festere Ordnungen der Herrschaft und Genossenschaft ausbilden, wie umgekehrt bestimmteGegensätze und Spaltungen mit der Berufs- und Arbeitsteilung, mit der verschiedenenStellung und dem verschiedenen Besitz sich ergeben. Und wo vollends der Tausch- undGeldvcrkehr sich eutwickelt, die Arbeitsteilung weiter voranschreitet, sociale Klassen ent-stehen, da bilden sich in steigendem Unisang eine Menge vielvcrzweigtcr wirtschaftlicherBeziehungen, Abhängigkeit^, Dienst- und Vertragsverhältnisse, neue dauernde Gruppie-rungen aller Art neben den tausendfachen täglich erfolgenden vorübergehenden Geschäfts-