Siedlung«-, Wirtschafts- und sonstige Gemeinschaft.
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berührungen; Staat und Gemeinde fordern Steuern und Dienste aller Art nach kompli-zierten Maßstäben: es bildet sich das unendlich verzweigte System wirtschaftlicherGemeinschaft, das wir schon oben (S. 2—4) kurz zu schildern suchten, das in seinemSchoße aber ebenso sehr die Gegensätze steigert, die Individualitäten entwickelt, dieeinzelnen durch die Lust an der Herrschaft, am Besitz und am Mehrhaben in Gegensatzbringt, als es immer wieder über die Gegensätze hinweg durch größere gemeinsameOrganisationen und Schaffung stärkerer Gemeingefühle die Elemente wieder zusammen-faßt. —
Sind die Blutsbande, die Kriegs- und Friedensgemeinschaft und die wirtschaft-lichen Beziehungen die elementarsten und wichtigsten Veranlassungeu zu gesellschaftlicherOrganisation, so entstehen mit der höheren Kultur daneben eine Reihe weiterer Zwecke,wie Gottesdienst, Erziehung, Kunst, Gesundheitspflege und Ahnliches,welche sociale Beziehungen und Gemeinschaften und damit neue Vorstellungsreihen,Gefühle und Ziele des Handelns erzeugen. Es bilden sich jene höheren Funktionen undFormen des gesellschaftlichen Lebens, wie Sitte, Recht, Moral, Religion, deren Ent-wickelung zueist als Mittel für die älteren Nächstliegenden Zwecke, dann aber als Selbst-zweck und beherrschender Regulator alles Handelns erscheint. Ihr eigenartiges Daseinschafft wieder neue gesellschaftliche Beziehungen und Gemeinschaften, auf die wir weiterhinzu kommen haben werden.
Hier waren sie nur zu erwähnen, um eine Vorstellung davon zu erwecken, wiedie gesellschaftlichen Zufammenhänge sich anknüpfen an eine Reihe gemeinsam erstrebterZwecke und Ziele. Jeder dieser Zwecke erzeugt eigenartige Zusammenhänge, Gemein-schaften, Vorstellungen und Gefühle; jeder muß aber dulden, daß die anderen neben ihmverfolgt werden. So entsteht ein System, eine Hierarchie von socialen Zwecken undZielen, wobei die einen sich teils als Mittel für die anderen, teils als Hindernis heraus-stellen; es muß also eine Neben- und Unterordnung der Zwecke, eine Jneinanderfügungund Anpassung, ein geordneter Zusammenhang in den Gefühlen, Vorstellungen und In-stitutionen sich herstellen. Hier liegt gleichsam das Geheimnis der socialen Organisation,hier liegt der Punkt, von dem aus es zu verstehen ist, daß Familien-, Rechts-, Staats-und Wirtschaftsvcrfassung sich stets gegenseitig bedingen, nie getrennt verstanden werdenkönnen.
Mit all' diesen Thatsachen und ihrem Zusammenhang ist aber noch keineswegserklärt, wodurch die Menschen in Stand gesetzt sind, sür alle möglichen Zwecke Ver-bindungen anzuknüpfen. Man hat darauf hingewiesen, daß auch die höheren Tiereherdcnweise zu Verteidigungs- und Arbeitsgemeinschaften zusammentreten. Man hatgesagt, der Mensch sei ein kräftigeres und klügeres Raubtier, aber auch ein mit vielstärkeren Gemütsimpulsen und Gemeinschaftsgefühlen ausgestattetes Herdentier als dieanderen Lebewesen; darauf beruhe feine Herrfchaft über die ganze Natur und die Ausbildungseiner socialen Fähigkeiten. So viel scheint jedensalls klar, daß die feinere Organifationunseres Körpers, unserer Nerven, unseres seelischen Apparates eine leichtere Verständigungder Menschen als der Tiere untereinander herbeiführt. Die höhere Stellung des Menschenberuht darauf, daß er bessere, reichere Vcrstündigungsmittel für sociales Zusammenwirkenund damit stärkere Gemeingefühle, ein helleres Bewußtsein über Zwecke höherer und fern-liegender Art, ihre Folgen, ihre geineinfame Verfolgung sich erwarb. Eine starke Aus-bildung der Mit- und Gleichgefühle stand an der Geburtsstätte alles gesellschaftlichenDaseins. Kein anderes Wesen steht so unter der ansteckenden Herrschaft der Umgebungvon Seinesgleichen, kein anderes kann sich fchon durch Gesten so verständigen, Gefühleund Vorstellungen austauschen. Wie der Mensch gähnt und lacht und tanzt, wenner gähnen, lachen und tanzen sieht, wie die rauschende Militärmusik in Hunderten vonGassenjungen unwillkürlich Reflexbewegungen und Muskelgefühle erzeugt, die sie fort-reißt, im Takte mit zu marschieren, so wirkt alles Menschliche ansteckend. Wie der jungeVogel singen lernt durch Nachahmung der alten, so und in noch viel höherem Gradeahmt der Mensch nach; alle Erziehung der Kinder besteht in unzähligen Anläufen undAufforderungen zur Nachahmung. Und fo lange der Mensch frisch und bildungsfähig