Zweyter Abschnitt. 129
Man macht sich den großen Haufen nicht leichter»mterwürfig, als wenn man ihn sinnlich macht. Manverwandelt also eine Religion, die nach der Absichtihres Stifters fast ganz geistlich seyn sollte, ganz inSinnlichkeit und Aberglauben. Daher entstandenüber die Bilder der Heiligen und ihre Anbetung, umihre Gebeine, Lumpen, und andere Reliquien, eben soheftige Verfolgungen, als unter den Heiden wegeneines Jupiters, einer Diana, und anderer vergötter-ter Menschen, blutige Empörungen gegen die Chri-sten erwecket wurden. Die Bischöfe, die endlichnicht mehr Hirten, sondern Fürsten der Kirche wa-ren, hatten allzuviel verloren, wenn sie der ReligionJesu Christi ihre erste Reinigkeit hätten wiedergebensollen. Sie fuhren vielmehr in dem Mißbrauchederselben fort, und machten sich dadurch zu allgemei-nen Monarchen der Erde, bis die unglücklichen Zei-ten erschienen, wo sie Kaiser auf Kaiser, und Königeauf Könige absetzten, und die Religion selbst ganzverschwunden zu seyn schien.
Ein Geschichtschreiber der Religion muß allediese Veränderungen unpartheyisch erzählen; sie mö-gen nun die Wahrheiten der Offenbarung, oder dieäußerliche Verfassung der Kirche betreffen. Er mußerzählen, wie lange sich die Religion in ihrem ganzenUmfange rein und unverfälscht erhalten hat. Ermuß erzählen, wenn einzelne Glieder der Kirche,wenn große Gemeinen, und wenn die allermeistenchristlichen Gesellschaften, entweder in einzelnen Leh-ren, oder in Nebcnwahrheiten, oder in sehr wichtigenGrundsätzen, oder fast in allen großen Wahrheitendes Glaubens, geirret haben, was ihre Irrthümergewesen sind, und was sie auf ihre unglücklichenII. Theil. I Abwege