Teil eines Werkes 
Bd. 2 (1782)
Entstehung
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644 2.TH. Von der Orthographie.

der Sprache ist veränderlich, und folget außer aller-ley zufälligen Umständen dem jedesmahligen Gradeder Cultur und deö Geschmackes. Das bedarf keinesweiteren Beweises, indem es aus der Geschichte allerSprachen unwidersprechlich erweislich ist. Alleinwird ein Volk durch gewaltsame Unterjochungenvon andern Völkern zerrüttet, und mit denselben ver-mischet, so leidet dessen Sprache auch sehr heftigeVeränderungen, welche sich nicht bloß auf das Äußereerstrecken, sondern oft das Wefen selbst betreffen. Zweyund mehr Sprachen fließen alsdann nach und nachin eine zusammen, der ganze Bau der Wörter, dieBiegung und die Verbindung der Wörter wird ver-ändert, so daß sie in kurzem keiner der Sprachen,woraus sie entstanden ist, mehr ähnlich siehet. Da-durch verlieret eine Sprache alle ihre Eigenthümlich-keit, di« Bedeutungen der Wörter verlieren ihreStütze, und eine solche Sprache wird in allen ihrenTheilen so schwankend und unbestimmt, daß sie mehreiner Sammlung willkührlicher Töne als einer eige-nen Sprache ähnlich siehet. Man lasse nun einVolk mit einer so schwankenden Sprache durch alleGrade der Cultur gehen, so wird diese die Spracheauf die gewaltsamste Art mißhandeln, weil sie wenigeigenes und bestimmtes mehr hat, was ihrer Gewaltwiderstehen könnte.

Von dieser Art sind nun die schon gedachtenSprachen des westlichen Europa , welche aus zweyund mehrern Sprachen zusammen geschmolzen sind,und dadurch alle Eigenthümlichkeit verloren haben,daher die immer fortschreitende Cultur, welche beymanchen derselben sehr hohe Grade erreicht hat, durchnichts gehindert ward, ihre ganze Gewalt an densel-ben auszuüben, und die Wörter ihren Stämmenvöllig unähnlich zu machen. Zür die mündliche Re-

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