Ausgabe 
5 (5.1.1845) 1
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Sonntags Beiblatt

der

Augsburger Poſtzeitung.

Erſte Jahreshälfte. 1. 5. Januar 1845.

Schweiz.

Der hochwürdigſte Biſchof von Lauſanne und Genf, PeterTobias Yenni, hat unterm 25. Nov. 1844 folgenden Hirten-brief an die Geiſtlichkeit und die Gläubigen ſeiner Diöceſe e-laſſen:Beim Herannahen des Feſtes der unbefleckten Empfäng-niß der allerſeligſten Jungfrau Maria fühlen Wir Uns gedrungen,einige Worte der Erbauung an euch zu richten, um die Andachtzur Mutter des Erlöſers in euch zu beleben. In dieſer Abſichtlegen wir euch einige Betrachtungen vor über einen der vorzüg-lichſten Gründe ihrer Verherrlichung über den ihr unter allenAdamskindern allein zukommenden Vorzug, von der Erbſünde be-wahrt und vom Augenblick ihrer Empfängniß an ohne alle Makelvor Gött geblieben zu ſeyn. Wir wiſſen und machen euch keinGeheimniß daraus, daß die Kirche die Lehre der unbefleckten Em-pfängniß Mariä nicht unter die Glaubensartikel aufgenommen hat;aber die hl. Väter und Kirchenlehrer ſprechen ſich faſt einſtimmigdafür aus; von einem Ende der Welt zum andern bekennen ſichdie frommen Gläubigen zu dieſer Lehre; der Himmel ſcheint dieſenfrommen Glauben ermuntern zu wollen durch die ganz beſondernGaben, womit er denſelben belohnt, und durch die zahlreichenWunder der Barmherzigkeit, die er zu Gunſten deren wirket, dieMaria unter dem glorreichen Titel einer von der Zeit ihrer Em-pfängniß an unbefleckten Jungfrau anrufen.

Wäre Maria gleich den übrigen Adamskindern dem gleichenGeſeꜩ unterworfen und mit der Erbſünde behaftet geweſen, bevorſie der Schlange den Kopf zertreten, ſo würde ſie auch wie jeder begreift, den tödlichen Biß der Schlange empfunden haben; bevorſie Gottes Mutter geworden, Gottes Feindin, und bevor ſie derTempel der Heiligkeit ſelbſt geworden, ein Tempel der Bosheitgeweſen ſeyn. Aber ſolches anzunehmen weiſet der gläubige undfromme Sinn mit Abſcheu zurück. Wie, ſagte der heilige Augu-ſtin, hätte der Erlöſer der Menſchen, welcher das jungfräulicheFleiſch ſeiner Mutter wegen ſeiner Würde nicht in Staub wolltezerfallen laſſen, zugeben können, daß ihre Seele auch nur einenAugenblick durch die Sünde befleckt würde? Dieſe Bemerkungmachte vor 14 Jahrhunderten einen ſolchen Eindruck auf den gro-ßen Biſchof von Hippo, daß er immer, wenn er von der Sündeſprach, Maria davon ausgenommen wiſſen wollte, aus Ehrfurcht

vor Gott, den ſie zum Sohne zu haben gewürdiget worden. Ingleicher Geſinnung ſchrieb Papſt Sixtus IV. in ſeiner Conſtitutionvon 1436 die Meſſe und das Officium zu Ehren der unbeflecktenEmpfängniß mit einer Oration vor, worin dieſe Empfängniß aus-drücklich dieunbefleckte genannt iſt. Von den gleichenGrundſätzen geleitet, drückte Papſt Alexander VII. in ſeiner Bulle:Solicitudo omnium écclesiarum, vom Jahr 1661 ſich alſo aus:Um nach dem Beiſpiele der uns vorangegangenen römiſchen Päpſtejene Andacht und Frömmigkeit zu begünſtigen und zu pflegen,welche zur Verehrung der ſeligſten Jungfrau, als einer von derErbſünde frei gebliebenen, antreibt, erneuern wir die Conſtitutionenund Beſchlüſſe unſerer Vorgänger, der Päpſte, zu Gunſten derMeinung, die Seele der ſeligſten Jungfrau Maria ſey von derErbſünde befreit geblieben; eben ſo auch zu Gunſten der Feier unddes Cultus der Empfängniß derſelben jungfräulichen Gottesmutter,wie ſie dieſer frommen Meinung gemäß eingeſührt worden. Soſehr beſorgten die Väter des hl. Concils von Trient die der be-ſondern Würde der Gottesmutter ſchuldige Ehrfurcht zu verletzen,daß ſie, aus Hochachtung vor der Heiligkeit Mariä, erklärten, esſey nicht ihre Meinung, die ſeligſte und unbefleckte Jungfrau unterihrem Beſchluß über die Erbſünde zu begreifen.

Die Kirche, unſere Mutter und Leiterin in der Heilsordnung,hat dieß wohl begriffen. Deshalb ſpricht ſie in ihrem Eifer fürdie Verehrung ihrer himmliſchen Beſchützerin immer von derenfleckenloſen Reinheit; ſie ladet alle ihre Kinder ein, an das unbe-fleckte Herz Mariä ſich zu wenden und daſſelbe als ihre Zufluchtzu betrachten; ſie weiſet dieſes Herz den größten Sündern als einHeiligthum, wo Gottes unendliche Barmherzigkeit ſie erwartet;und den Namen unſerer liebevollen Mutter Maria, den alle Ge-ſchlechter preiſen, dieſen Namen will die Kirche ſo zu ſagen nichtanders ausgeſprochen wiſſen, als daß man ſich dabei erinnere, daßder Hauch der hölliſchen Schlange ihren Glanz nie habe befleckenkönnen. Es war ein glücklicher Gedanke, die Bewahrung Mariävon der Erbſünde feierlich in der Liturgie gerade dann verkündenzu laſſen, da das Blut des unbefleckten Lammes, die Quelle allerErlöſung, auf unſern Altären vergoſſen würde. Endlich ermuthi-get ſie die Biſchöfe, ſich an den hl. Stuhl zu wenden, um ohneBeirrung und Beſchränkung das ſo ſchöne und ſo troſtvolle Feſtder unbefleckten Empfängniß Mariä feiern zu dürfen.