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Augsburger Postzeitung".

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Dinstag, den 2. October

1894 .

Für die Redaction verantwortlich: Philipp Frick in Augsburg.

Druck und Verlag des Lilerarischen Instituts von Haas L Grabderr in Augsburg ( Vorbesitzer I)r. Max Huitler).

Die Werte des Kaufes.

Erzählung von C. Borges.

(Fortsetzung.)

Ein Trost hielt Melitta aufrecht. Sie hatte heute dte lang erwartete Antwort ihrer Tante Lydia erhalten und den Brief in der Tasche. Die alte Dame hatte kurz, aber freundlich geschrieben:

Meine liebe Nichte," so lauteten die Zeilen.

Es thut mir aufrichtig leid, daß Du bei meiner Schwester und deren Töchtern nicht glücklich bist, aber ich wundere mich nicht darüber, denn ich war vor langen Jahren drei Tage bei ihnen zum Besuch und konnte es kaum so lange aushallen. Als ich vor Monaten mich weigerte, Dich als Gast in meinem Hause aufzu­nehmen, geschah es nur aus dem Grunde, weil ich glauble, Du seiest ebenso anspruchsvoll wie meine beiden andern Nichten, Cecilie und Edith. Aber jetzt glaube ich, mich getäuscht zu haben.Wenn Du willst, kannst Du so lange zum Besuch zu mir kommen, bis sich etwas Besseres für Deine Zukunft gefunden hat. Ich lebe hier in Helmstedt sehr einsam und zurückgezogen und kann einer jungen Dame um so weniger Zerstreuung oder Abwechselung bieten, aber Du brauchst wenigstens nicht den ganzen Tag zu sitzen und Kleider verändern, und Hüte garniren, wie Du es zweifellos bei meiner Schwester thun mußt. Ich höre aber gern gute Musik und Du kannst nach Herzenslust musiciren. Wenn Du willens bist, zu mir zu kommen, so melde mir den Tag Deiner Ankunft

Es grüßt Dich

Deine Tante Lydia von Reck."

Melitta hatte diese Zeilen so häufig gelesen, daß sie dieselben fast auswendig wußte, und ihr Herz schlug in hoher Freude bei dem Gedanken, nach dem Weih­nachtsfeste endlich dieses Haus zu verlassen. Sie trat in den Ballsaal. Er war leer, es mochte für die An­kunft der Gäste noch zu früh sein. Schnell ordnete sie noch einige Blumen in den Vasen; traumverloren dachte sie nur an eine glücklichere Zukunft und hörte nicht einmal das leise Ocffncn der Thür. Da legte sich sanft ein Arm um ihre Schulter, und eine wohlbe­kannte Stimme flüsterte ihr zu:

Endlich, endlich meine holde Cecilie, mein lieber Schatz, finde ich Gelegenheit"

Er hielt plötzlich inue, zu spät bemerkte er seiuen Irrthum.

Auch Oberst Wellinghof war schnell zurückgetreten. Fräulein von Reck", flüsterte er kaum hörbar,ich glaubte"

Bleibe doch in der Garderobe, wie Mama Dir befohlen hat, die Gäste können jeden Augenblick kom­men", ertönte plötzlich Ceciliens schrille Stimme. Sie hatte die Scene gesehen, die Worte aber nicht verstan­den, aber sie war empört, daß der Oberst seinen Arm um die Schulter ihrer Cousine gelegt hatte.Was hast Du überhaupt hier zu thun, verlaß den Saal augen­blicklich," fuhr sie erregt fort, dann wandte sie sich an den Offizier:

Kennen Sie die Dame? sie ist hier im Hause zur Stütze meiner Mutter," sagte sie, sich mühsam zur Ruhe zwingend.

Ich sah sie nur vor einigen Monaten wenige Augenblicke am Bahnhof aber als ich eintrat, hielt ich sie für eine andere Dame," versetzte der Offizier überrascht.

Wirklich? Dieandere Dame" müßte sich sehr geschmeichelt fühlen," höhnte Cecilie, dann wandte sie sich um und begrüßte die eintretenden Gäste.

So glänzend auch die Festlichkeit verlief, für Cecilie war der Abend verdorben. Sie ärgerte sich über die Scene, die sie beobachtet hatte, in der Melitta und der Oberst die Hauptrollen spielten; dann hatte Wellinghof sich anfänglich sehr bemüht, ihr den Irrthum zu er­klären, sogar während der Pause um ein stilles Plauder­stündchen in einer versteckten Fensternische gebeten. Sie hatte ihn verhöhnt, ihm den Vorwurf gemacht, ob er auch dieses Mal nichtim Irrthum" sei. Zu spät freilich bereute sie bitter ihr schroffes Benehmen, suchte das Geschehene vergessen zu machen; aber der Oberst zog sich von ihr zurück und wollte sich zu keinem stillen Plaudercckchen mehr führen lassen.

Melitta ist allein daran schuld," zürnte Cecilie, aber ich will von ihr erfahren, wie oft sie ihn schon gesehen hat. Diese Heuchlerin! sie kennt ihn gewiß schon länger, sonst würde er nicht wagen, seinen Arm um ihren Hals zu legen."

Auch für Melitta waren es qualvolle Stunden. So oft Cecilie und Edith in ihre Nähe kamen, warfen ihr dieselben drohende Blicke zu; dabei wurden ihre Finger steif und müde, sie hatte seit Monaten keine Tasten berührt, und heute saß sie stundenlang vor dem Instrument und durfte sich weder eine kurze Erholung