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Die Denkschrift des Fürsten Lichnowsky : [der vollständige Wortlaut] ; meine Londoner Mission 1912 - 14, von Fürst Lichnowsky, ehemaliger deutscher Botschafter in London ; [zur Vorgeschichte des Krieges] / hrsg. von einer Gruppe von Friedensfreunden
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I.

Entstehung und Wesen der Denkschrift.

Im Monat März ^1918 veröffentlichte die schwedische sozialistische ZeitungPolitiken in Fortsetzungen eine Denkschrift des früheren deutschen Botschaftersin London, des Fürsten Lichnowsky . Die Veröffentlichung rief überall grössteSensation hervor. Sie zwang die deutsche Regierung zu sofortiger Stellungnahme.Im deutschen Reichstag, vor dem Hauptausschuss, bemühten sich die leitendenPersönlichkeiten, dem deutschen Volke alleAufklärungen zu geben, die geeigneterscheinen konnten, um der gefürchteten Wirkung der fürstlichen Denkschrift ent-gegenzutreten. Da die Entente-Agenturen die wichtigsten Kapitel der Denkschriftnach dem Text der Politiken in den neutralen Ländern verbreiteten und inzwischender Text bereits heimlich in Deutschland gedruckt worden war, erschien es in Berlin umso dringlicher, alles aufzubieten, um den zu erwartenden Eindruck abzuschwächen.Dem Vizekanzler von Payer, dem Vertrauensmann der Reichstagsmehrheit und vorallem der Linken, fiel die undankbare Aufgabe zu, dem deutschen Publikum undden Neutralen dieWahrheit über den Fürsten Lichnowsky und seine Enthüllungenzu offenbaren. Die Arbeit wurde Herrn von Payer zum Teil durch den fürstlichenVerfasser selbst erleichtert, da der Vizekanzler ein Schreiben Lichnowskys an denReichskanzler verlesen konnte, das folgenden Wortlaut hat:

Euerer Exzellenz

ist es bekannt, dass rein private Aufzeichnungen, die ich im Sommer 1916 nieder-schrieb, durch einen unerhörten Vertrauensbruch den Weg in weitere Kreise ge-funden haben.

Zur Erläuterung der Angelegenheit darf ich Nachstehendes berichten:

Es handelt sich im wesentlichen um subjektive Betrachtungen über unseregesamte Auslandspolitik seit dem Berliner Kongresse. Ich erblickte in der seit-herigen Abkehr von Russland und in der Ausdehnung der Bündnispolitik auforientalische Fragen die eigentlichen Wurzeln des Weltkriegs. Daran anschliessendunterzog ich auch unsere Marokko - und Flottenpolitik einer kurzen Beleuchtung.

Meine Londoner Mission konnte hierbei naturgemäss umso weniger unberück-sichtigt bleiben, als ich das Bedürfnis empfand, der Zukunft gegenüber und zumeiner eigenen Rechtfertigung die Einzelheiten meiner dortigen Erlebnisse undEindrücke zu notieren, ehe sie meiner Erinnerung entschwanden.

Diese gewissermassen nur für das Familienarchiv bestimmten Aufzeichnungen,die ich ohne Aktenmaterial oder Notizen aus der Zeit meiner amtlichen Tätigkeitaus dem Gedächtnisse niederschrieb, glaubte ich einigen ganz wenigen politischenFreunden, zu deren Urteil ich das gleiche Vertrauen besass wie zu ihrer Zuver-lässigkeit, gegen die Zusicherung unbedingter Verschwiegenheit zeigen zu können.