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Die Denkschrift des Fürsten Lichnowsky : [der vollständige Wortlaut] ; meine Londoner Mission 1912 - 14, von Fürst Lichnowsky, ehemaliger deutscher Botschafter in London ; [zur Vorgeschichte des Krieges] / hrsg. von einer Gruppe von Friedensfreunden
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Leider hat einer dieser Herren ohne mein Wissen einem in der politischenAbteilung des Generatstabes angestellten und mir unbekannten Offizier, der sichfür die einschlägigen Fragen lebhaft interessierte, meine Schrift zu lesen gegeben.In völliger Verkennung der Tragweite seines Schrittes hat letzterer die Schriftvervielfältigt und an eine Reihe mir meist unbekannter Persönlichkeiten verschickt.

Als ich den Unfug erfuhr, war es leider schon zu spät, um alle ausgegebenenExemplare restlos einziehen zu können. Ich habe mich dem damaligen Reichskanzler,Herrn Dr. Michaelis, daraufhin zur Verfügung gestellt und ihm mein tiefstes Be-dauern über die ganze peinliche Angelegenheit zu erkennen gegeben. In steterFühlung mit dem Auswärtigen Amt bin ich seither bestrebt gewesen, der weiterenVerbreitung meiner Betrachtungen möglichst entgegenzuwirken, leider ohne dengewünschten Erfolg.

Eure Exzellenz wollen mir gestatten, mein bereits mündlich vorgebrachteslebhaftes Bedauern über den höchst ärgerlichen Vorfall noch in dieser Form zuerneuern.

In aufrichtiger Verehrung

Euerer Exzellenz ganz gehorsamer

gez. Lichnowsky .

Aus diesem Brief erfuhr man

1. dass die Denkschrift bereits 2 Jahre alt war,

2. dass sie zur Rechtfertigung der Londoner Politik des Fürsten Lichnowskydienen sollte,

3. dass sie gegen den Willen des Verfassers in Deutschland und im Auslandeverbreitet worden war,

4. dass der Fürst diese Verbreitung auf das tiefste bedauerte und zu ver-hindern bemüht war.

Veranlassung für die Abfassung der Schrift waren die heftigen Angriffe ge-wesen, denen Fürst Lichnowsky nach seiner Rückkehr aus London zum Opfer fiel.Die alldeutsche Presse hatte ihm vorgeworfen, seine Unfähigkeit habe den BeitrittEnglands zu den Feinden Deutschlands verschuldet, er habe sich völlig von denenglischen Machthabern düpieren lassen. Die Feindseligkeit gegen den Fürsten äusserte sich bis in die höchsten Kreise. Zahlreiche für Lichnowsky äusserst ver-letzende Anekdoten wurden in Umlauf gesetzt. Fürst Lichnowsky versuchte infolge-dessen, wie es sein gutes Recht war, seine Politik im Kreise seiner Freunde zurechtfertigen, ohne dagegen eine Veröffentlichung zu beabsichtigen.

ln seinem Brief an den Reichskanzler nennt Fürst Lichnowsky seine Schriftsubjektive Betrachtungen über unsere gesamte Auslandspolitik seit dem BerlinerKongress. Er hebt hervor, dass er in derAbkehr von Russland und in der Aus-dehnung der Bündnispolitik auf orientalische Fragen die eigentlichen Wurzeln desWeltkrieges erblickte. Die Schuldfrage streift der Fürst nur in dieser Form.

So sympatisch aber auch die Zurückhaltung wirkt, mit der der Verfasser seineArbeit beurteilt, so muss sie doch ungeachtet aller Abschweifungen auf andereGebiete und aller ihr anhaftenden Mängel als ein gewichtiger Beitrag zur Vorge-schichte des Krieges, als eine wertvolle Erscheinung auf dem Gebiete der Kriegs-literatur betrachtet werden. Das Interesse, das wir ihr zuwenden, erwächst ja auchzum grossen Teil aus dem Misstrauen, dem, seit die Völker aus dem ersten Kriegs-