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Das Titelblatt verzeichnet einen Verlag W. Paul, Görlitz , der nicht existiert. DerBroschüre ist ein Nachwort angehängt, in der in manchen Fragen gegen denFürsten Stellung genommen wird, in Fragen, in denen seine Darstellung tatsächlichso anfechtbar erschien, dass die Herausgeber es für klug hielten, selbst die Kritikzu üben, die sonst der Leser üben würde. Das allerdings nur zu dem Zwecke, dieder österreichischen und deutschen Regierung einigermassen gefährlichen Sätzeumso deutlicher zu unterstreichen.*)
Inwieweit der Text völlig authentisch ist, können wir nicht feststellen. MancheStellen machen den Eindruck, als seien sie zu propagandistischen Zwecken vonden Herausgebern hinzugefügt.
Wir geben die Schrift nichtsdestoweniger vollständig wieder, verzichten auchdarauf, durch Anmerkungen oder-Fussnoten dem Urteil des Lesers vorzugreifen.Nur wird durch resümierende Ueberschriften eine Gliederung des häufig flüchtigenund wirren Textes erleichtert. Der flüchtigen und anekdotischen Art der Nieder-schrift ist es wohl auch zuzuschreiben, dass an vielen Stellen überraschende Wider-sprüche stehen blieben, die der Verfasser, wenn er selbst eine Herausgabe beab-sichtigt hätte, sicher ausgemerzt haben würde. An einer Stelle wird beispielsweiseals unumgängliches Erfordernis eines englischen Staatsmannes weitgehende Gast-freundschaft, die Führung eines grossen Hauses hingestellt. Aber bei der SchilderungGreys, den Lichnowsky als einen hervorragenden Staatsmann darstellt, - - nichtetwa als eine Ausnahme, diese ist einzig Loyd George — betont Lichnowsky alsbesonders schönen Zug, dass Grey ganz einfach und zurückgezogen lebt undnur einmal im Jahr ein Essen gibt. Im ersten Teil der Schrift wird Deutschland als völlig im Banne Oesterreichs dargestellt. Im zweiten heisst es, dass Deutschland sich Oesterreichs bediente und es aufmunterte. Lichnowsky schildert an einerStelle, dass er entgegen den Berliner Auffassungen nicht an kriegerische AbsichtenRusslands glaube. Kurz darauf tadelt er von Jagow, weil dieser nicht an solcheAbsichten Russlands glauben will. Diese Beispiele Hessen sich häufen.
Die Flüchtigkeit der Niederschrift ist auch aus der sprunghaften Darstellungersichtlich. Wichtige politische Ereignisse sind übergangen, banale Vorgänge desGesellschaftslebens breit geschildert, ohne Uebergang, mitten in politischen Er-wägungen. Das sind aber Kleinigkeiten, die schon deshalb nicht tragisch genommenwerden dürfen, weil der Fürst sich all dieser Mängel sicher bewusst war. Wichtigeraber ist, dass häufig die notwendige Unterscheidung zwischen eigenen Erfahrungenund Beobachtungen und einfach von anderer Seite übernommenen Ansichten fehlt.Hie und da ist zwar hinzugefügt, „nachträglich erfuhr ich“, aber flüchtige Lesergleiten darüber hinweg und legen dem Fürsten als „Enthüllungen“ Mitteilungen inden Mund, die er nur nachspricht. Manchmal flicht er in seine DarstellungSchilderungen ein, die wahrscheinlich der Presse entnommen sind. Er selbst hat
*) Ein Beispiel für die Methoden der Verfasser der Nachschrift: Lichnowsky schreibt an einer Stelle,dass ein österreichischer Gast der Kaiserjacht Meteor, der bis dahin seekrank gewesen war, bei Eintreffender Nachricht von der Ermordung Franz-Ferdinands gesund wurde. „Der Schreck oder die Freude hatteihn geheilt“. Diesen nicht gerade glänzenden Witz fälscht die Nachschrift auf folgende Weise: „Es kenn-zeichnet die Lage, dass ein österreichischer Junker, der sich ebenfalls als Gast des Kaisers an Bord desMeteor befand, durch die Trauerkunde von dem schmählichen Ende seines geliebten Thronfolgers so er-frischt wurde, dass er alle Qualen der Seekrankheit abschtitteln konnte“. Lichnowsky hatte diese scheuss-liche Verleumdung nicht ausgesprochen. Er ist ebenso schuldlos an der Nachschrift wie an dem ge-fälschten Titel der Broschüre. Nachschrift und Titel haben aber wesentlich dazu beigetragen, den Charakterder Schrift zu verschieben.