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Die Denkschrift des Fürsten Lichnowsky : [der vollständige Wortlaut] ; meine Londoner Mission 1912 - 14, von Fürst Lichnowsky, ehemaliger deutscher Botschafter in London ; [zur Vorgeschichte des Krieges] / hrsg. von einer Gruppe von Friedensfreunden
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Zwischen Herrn Asquith und dem Duke of Devonshire besteht eben nicht dieunüberbrückbare Kluft wie etwa zwischen Herrn Briand und dem Duc de Dou-deauville. Sie verkehren zwar in Zeiten erregter Spannung nicht miteinander, siegehören zwei gesonderten gesellschaftlichen Gruppen an, es sind aber doch Teilederselben Gesellschaft, wenn auch verschiedener Stufen, deren Mittelpunkt derHof ist, sie haben gemeinsame Freunde und Lebensgewohnheiten, sie, kennen sichmeist von Jugend an und sind auch oft verwandt und verschwägert.

Lloyd George ein kleiner Advokat und Selfmademan.

Erscheinungen wie Mr. Lloyd George , der Mann des Volkes, kleiner Advokatund Selfmademan, sind Ausnahmen. Selbst Mr. Burns, Sozialist, Arbeiterführerund Autodidakt, suchte Fühlung in der Gesellschaft. Bei dem verbreiteten Bestreben,als Gentleman zu gelten, als dessen unerreichtes Vorbild der grosse Aristokratnoch immer erscheint, ist das Urteil gerade der Gesellschaft und ihre Haltungnicht zu unterschätzen.

Grosses Haus oder grosse Kenntnisse?

Nirgends spielt daher die gesellschaftliche Eignung eines Vertreters eine grössereRolle wie in England . Ein gastfreies Haus mit freundlichen Wirten ist mehr wertals die profundesten wissenschaftlichen Kenntnisse, und ein Gelehrter mit pro-vinziellem Wesen und allzu kargen Mitteln würde trotz allem Wissen keinen Einflussgewinnen.

Was der Brite hasst, ist a bore, a shemer, a prig (ein langweiliger Kerl, einRänkeschmied, ein Fant), was er liebt, ist a good fellow (ein guter Gesell)!

Grey fast unbeschränkter Herr der äusseren Politik.

Sir Ed. Greys Einfluss war in allen Fragen der auswärtigen Politik nahezuunbeschränkt. Zwar sagte er bei wichtigen Anlässen:I must first bring it beforethe cabinet (ich muss das erst im Ministerrat Vorbringen), doch schloss diesessich seinen Ansichten regelmässig an: Seine Autorität war unbestritten. Obwohler das Ausland gar nicht kennt und ausser einer kurzen Reise nach Paris niemalsEngland verlassen hatte, beherrscht er alle wichtigen Fragen durch langjährigeparlamentarische Erfahrung und natürlichen Ueberblick. Französisch versteht er,ohne es zu sprechen, ln jungen Jahren in das Parlament gewählt, hatte er baldangefangen, sich mit Auslandspolitik zu befassen. Unter Lord Roseberry parla-mentarischer Unterstaatssekretär des Auswärtigen, wurde er 1906 unter Mr. Campbell-Bannermann Staatssekretär und bekleidet'diesen Posten nunmehr seit zehn Jahren.

Ein idealerSozialist, Vogelfreund und Angler.

Aus einer alten, im Norden Englands begüterten Familie stammend, die bereitsden bekannten Staatsmann Grey geliefert hatte, schloss er sich dem linken Flügelseiner Partei an und sympathisierte mit Sozialisten und Pazifisten. Mann kann ihneinen Sozialisten im idealen Sinne nennen, denn er überträgt die Theorie auchauf sein Privatleben, das sich durch die grösste Einfachheit und Anspruchslosig-keit auszeichnet, obwohl er über reiche Mittel verfügt. Jede Repräsentation liegtihm fern. Er hatte in London nur ein kleines Absteigequartier, gab niemals Diners,ausser dem einen amtlichen im Foreign Office (Auswärtigen Amt ) zu Königs Ge-burtstag. Wenn er ausnahmsweise einige Gäste bei sich sah, so war es zu einemeinfachen Essen oder Frühstück in ganz kleinem Kreise und mit weiblicher Be-dienung. Auch mied er grosse Geselligkeiten und Feste.